Krieg aus der Grünen Zone »Brussels Tribunal« macht US-gestützte Regierung in Bagdad und Besatzer für Terror im Irak verantwortlich - Von Karin Leukefeld 1

In Washington wird heute der Irak-Bericht der Baker-Kommission veröffentlicht. Das parteiübergreifende Beraterteam um den früheren Außenminister James Baker wird US-Präsident George W. Bush einen Vorschlag unterbreiten, wie der Krieg im besetzten Zweistromland bald beendet werden kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Für das »Brüssel Tribunal gegen die Besatzung im Irak« aber gibt es nur einen Weg, um die Gewalt und neue Blutbäder im Irak zu stoppen: Rückzug der Besatzungstruppen. »Die Regierung der ?Grünen Zone? und ihre Milizen greifen die irakische Zivilbevölkerung im ganzen Land an«, heißt es in einer jetzt veröffentlichten Erklärung der friedenspolitischen Expertengruppe. Das Leiden der Iraker sei »tragisch und unerträglich«, Städte im ganzen Land und ganze Stadtviertel von Bagdad seien belagert. Die Angriffe sollen »den wachsenden Widerstand gegen die militärische Besatzung«, der überall zunehme und von der »gesamten irakischen Bevölkerung getragen« werde, aufhalten.»Die Besatzung hat keine Zukunft im Irak, so das Fazit. Für die täglichen Blutbäder sei die »sektiererische Regierungsmiliz« verantwortlich, auch die »Regierungspolizei und die Besatzungstruppen« seien beteiligt. Zur Stabilisierung des Iraks Gespräche mit Syrien und dem Iran zu suchen, sei ein »diplomatisches Manöver der USA, um von dieser tragischen und für sie unbequemen Realität abzulenken«.

Schlimmer als Bürgerkrieg
In einem BBC-Interview bezeichnete UN-Generalsekretär Kofi Annan am Montag die Lage im Irak schlimmer als während des Bürgerkrieges im Libanon. Den Krieg im Zweistromland nicht verhindert zu haben, zählte er zu den großen Niederlagen seiner Ende des Jahres auslaufenden Amtszeit. Für Hanaa Edwar, Leiterin der irakischen Hilfsorganisation ‚Al Amal’ (Die Hoffnung) sind die Äußerungen Kofi Annans eine »Verhöhnung«. »Seine Einsicht kommt sehr spät«, erklärt die engagierte Frau am 5. 12. gegenüber der Jungen Welt.» Er will seine Hände in Unschuld waschen, die UNO hat ihre Verantwortung hier im Irak nicht erfüllt.« Jetzt sei bekanntgeworden, daß die Vereinten Nationen ihr ohnehin geringes Personal um weitere 50 % reduzieren werden. Hanaa Edwar ist empört: »Was soll das? Das ist unverantwortlich, unfair! Wie wollen sie ihre ›Internationale Irakvereinbarung‹ umsetzen, wenn sie Personal reduzieren?!«
 
‚Al Amal’ arbeite trotz großer Schwierigkeiten in fast allen Städten des Iraks. »Die Menschen brauchen Hilfe, sie brauchen jemanden, der zu ihnen hält und ihnen zuhört«, ist Hanaa Edwar überzeugt. Gerade habe sie einen Anruf erhalten, daß der Leiter einer Schule verprügelt worden sei. Ein anderer wurde entführt, man wisse nichts über seinen Verbleib. Weiß sie, wer hinter solchen Angriffen steht? »Niemand weiß das hier, aber es ist möglich, daß es sich in diesen Fällen um persönliche Streitereien in der Schule gehandelt hat. So ist das hier im Irak, es herrscht Selbstjustiz, Recht und Gesetz funktionieren nicht.« Ist der Krieg heute ein Krieg zwischen Sunniten und Schiiten? »So sieht es von außen aus, aber wenn man hier ist, weiß man, daß kein Iraker das will«, erläuterte Hanaa Edwar. Ja, es gäbe konfessionelle Angriffe, doch die Iraker hätten sich lange dagegen gewehrt. »Es gibt Gruppen, die wollen, daß hier ein Bürgerkrieg tobt«, sagte sie, ohne konkreter zu werden. Diese Gruppen nutzten den Irak als Schlachtfeld für ihren »Heiligen Krieg« gegen die Briten und Amerikaner. »Das nutzt niemandem hier im Irak, alles, was uns bleibt, sind die Ruinen unserer Heimat.«
 
Runder Tisch in Bagdad
Der Vorschlag von Kofi Annan, eine internationale Irak-Konferenz durchzuführen, käme zu spät, meinte Hanaa Edwar: »Warum haben sie es nicht 2004 gemacht, als wir darum gebeten haben?« Wer eine positive Rolle im Irak spielen wolle, solle den politischen Dialog fördern, forderte die couragierte Menschenrechtlerin: »Mit allen Gruppen muß man reden.« Die Beteiligten an einen Tisch zu bringen, das könnte die Rolle der EU oder auch von Deutschland sein, sagte Hanaa Edwar – so, wie die französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal es getan habe. Sie habe im Libanon, in Israel und Palästina mit allen gesprochen, das sei der richtige Weg.
 
politonline: Karin Leukefeld berichtet in der Jungen Welt vom 12. 12. unter dem Titel ‚Staatsterrorismus im Irak’ - den wir hier auszugsweise wiedergeben - auch über die Aktivität der Todesschwadronen, die dort so wie in El Salvador in den 1980er Jahren vorgehen, als die Naturwissenschaftler des Landes verschleppt wurden. Das Brussels Tribunal meldete Ende November die Festnahme des an der Babylon Universität lehrenden Chemieprofessors Dr, Hussain Abid Mohammed Al Khafaji durch die sogenannte ‘Scorpion Special Forces Unit’. Al Khafaji soll in einer gemeinsamen Operation von US- und irakischen Soldaten Ende November festgenommen worden sein. Wohin er verschleppt wurde, ist nicht bekannt. Der Grund soll der Fund von Cadmiumoxid in einer Al Khafaji gehörenden Chemiefabrik gewesen sein. Dieses kann offenbar für die Produktion von selbstgebauten Sprengsätzen benutzt werden, findet aber auch bei der Farbenproduktion Verwendung. Nabil Ibrahim al-Dulaimi, der Reporter des Radiosenders Dijle, der diesen Fall recherchierte, wurde jetzt Anfang Dezember auf dem Weg zur Arbeit von Unbekannten ermordet. Die Ermordung der geistigen Elite des Iraks ist auch Gegenstand eines Beitrags auf politonline: ‚Der irakische Widerstand’. In Ramadi sollen mindestens zwei Naturwissenschaftler entführt worden sein, so dass ihre Kollegen aus Protest die Arbeit niedergelegt haben. Es besteht eine organisierte Kampagne gegen irakische Akademiker und Dozenten, die Drohungen, Beschimpfungen, Festnahmen und Mord einschliesst und die mit dem Krieg und der Besatzung begann.
 
Bei der Sondereinsatztruppe ‚Scorpion Special Forces’ handelt es sich um eine irakische Brigade, die völlig ungestraft zu operieren scheint, genauso wie die Besatzungskräfte. Sie gilt als äusserst grausam. »Ihre Gefangenen tauchen nur sehr selten gesund wieder auf. Meistens findet man ihre ermordeten und verstümmelten Leichen auf Müllhalden«, so das Brussels Tribuanl. In diesem Zusammenhang ist auch eine Aussage des nationalen Sicherheitsberaters, Muaffak Al Rubaie, von Bedeutung. Dieser hatte im Januar 2005 folgendes erklärt:  Da »eine konventionelle Armee Terroristen nicht besiegen kann«, werde man »Sondereinsatzkräfte« aufstellen. Deren Aufgabe sei es zu verhaften und, wenn sich jemand der Verhaftung widersetze, zu töten. Wann immer die Aufständischen einen irakischen Soldaten töten, werden wir zwei von ihnen töten«, so Al Rubaie. Betrachtet man die grauenerregend hohe Anzahl von Menschen, die bei den Anschlägen umkommen, so scheint sich diese Drohung in Tat und Wahrheit hundertfach zu vollziehen. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden mehr als 6000 Leichen von Mordopfern gefunden. Die überwiegende Mehrzahl der Getöteten sei erschossen worden, hiess es. Was die Todesschwadronen betrifft, so spricht Rainer Rupp von der Mordbrennerei der von den US-Besatzern ausgebildeten Kollaborateure. Im Mai dieses Jahres nahm die irakische Polizei einen hohen Mitarbeiter der Sicherheitskräfte fest, der an den Entführungen beteiligt und in die Todesschwadronen involviert gewesen sein soll. «Wir haben einen Offizier, einen Generalmajor, zusammen mit 17 Leuten festgenommen; diese sollen Bürger entführt und in einigen Fällen getötet haben«, gab Innenminister Bajan Dschabr Solagh bekannt. «Wir haben auch eine Terrorgruppe in der 16. Brigade entdeckt, die Tötungen von Bürgern ausführt», erklärte Solagh ferner.
 
So schreibt der bekannte, im Libanon wohnende englische Journalist Robert Fisk, der als extrem umsichtig bekannt ist, d.h. keine Gerüchte in die Welt setzt, dass es die ruchlosen Besatzer des Iraks sind, die dort mit Autobomben massiv Zivilisten bei Moscheen und auf Märkten ermorden bzw. ermorden lassen. Sie seien die Terrroristen! Fisk berichtet u.a. über den Fall eines jungen Irakers, den dieAmerikaner als Polizist ausgebildet hatten. Während 70% der Zeit lernte er Auto fahren, der Rest war Waffentraining.(...) Die Amerikaner gaben ihm ein Handy und liessen ihn einen Wagen in eine belebte Gegend nahe einer Moschee fahren. Dort sollte er sie anrufen. Er hatte aber dort kein Signal und musste aussteigen, um einen Ort zu finden, an dem er das Handysignal empfangen konnte. Als er dann anrief, flog sein Auto in die Luft. Die Information, so Fisk, erhielt er von einem Mitglied des syrischen Geheimdienstes. Die Amerikaner, sagte dieser, versuchten, einen Bürgerkrieg zu entfesseln. Denn dann würden die Widerstandskämpfer der sunnitischen Seite genug mit den Schiiten zu tun haben und keine US-Soldaten mehr umbringen. Die fast täglichen Terroranschläge auf friedliche oder betende Schiiten im Irak, so Fisk, sind in Wirklichkeit ein Werk der Besatzer. Sie werden in den Medien meist als Selbstmordanschläge bezeichnet, haben aber oft die typischen Anzeichen ferngezündeter Bomben wie sie die CIA verwendet. Unklar bliebe aber weiterhin, wer dann die wirklichen Selbstmordanschläge durchführt, bei denen irakische Zivilisten das Ziel sind. Bereits im November vergangen Jahres sind unter Vertrag stehende britische Sicherheitskräfte für die Ermordung irakischer Bürger verantwortlich gemacht worden.
 
Jedenfalls - und dies kann nicht oft genug zum Ausdruck gebracht werden - verdanken wir die mörderischen Zustände der anglo-amerikanischen Ölmacht und ihren menschenverachtenden Strategien. So hat sich Condoleezza Rice dieser Tage nicht entblödet zu verkünden, sie sei «sehr stolz», am Sturz von Saddam Hussein und an der «Befreiung von 25 Millionen Irakern» mitgewirkt zu haben. Dass es Washington war, das dem irakischen Volk das Joch dieses Diktators auferlegte, kam wie üblich mit keiner Silbe zur Sprache. Der Mechanismus des Ausblendens von Fakten muss auch bei ihr hochentwickelt sein. Ein Teil dieser ‚Befreiung’ bildet die jetzt im Irak vor sich gehende Folter, die nach Einschätzung eines UNO-Experten derzeit möglicherweise noch schlimmer ist als unter Saddam Hussein: die Situation sei völlig ausser Kontrolle. Viele Iraker meinen, es sei schlimmer als zu Zeiten Saddam Husseins. Milizen, Terrororganisationen, Regierungstruppen und andere missachteten die Grundsätze einer menschlichen Behandlung von Gefangenen.
 
1 Quelle: Junge Welt vom 6.12.06 http://www.jungewelt.de/2006/12-06/031.php
Informationen zum Brussels Tribunal unter info@brusselstribunal.org - Questioning the New Imperial World Order - Die Gruppe umfasst Intellektuelle, Künstler und Aktivisten, die die Logik des permanenten Kriegs, den die US-Regierung und ihre Verbündeten propagieren, verurteilt. Die Tötung irakischer Professoren ist Thema von  Our campaign to save Iraq's academics, and sign the petition online |
 
2 http://www.jungewelt.de/2006/12-12/037.php - Staatsterrorismus im Irak
Todesschwadronen nach dem Vorbild von El Salvador verschleppten Naturwissenschaftler
Von Karin Leukefeld