German Foreign Policy: Die immer wieder zu konstatierende Ohnmacht der UNO-Institutionen gegenüber den Konzernen - Tödliches Gift

Leverkusen/New Delhi/Shanghai 1 - Der deutsche Bayer-Konzern treibt seine Asien-Expansion mit dem Verkauf hochgefährlicher Pestizide voran und nimmt dabei schwere Vergiftungen der regionalen Landbevölkerung in Kauf. Wie malaysische Fachleute kritisieren, bietet Bayer in Indien und anderen asiatischen Staaten Schädlingsbekämpfungsmittel der WHO-Gefahrenklasse I (extrem gefährlich/ hoch gefährlich) an, obwohl dies Normen der Vereinten Nationen (FAO-Kodex) zuwiderläuft und für Menschen tödliche Folgen haben kann. Der Konzern, eines der größten deutschen Chemieunternehmen, ist in Indien Marktführer bei Agrochemikalien. Bei Bayer gilt das Land als einer der meistversprechenden Märkte der Asien-Pazifik-Region, in der die Firma ihre Geschäfte deutlich steigern will. Bereits jetzt erzielt Bayer in dem Gebiet rund 16 % seines weltweiten Umsatzes und tätigt dort seine größten Auslandsinvestitionen.

Gefahrenklasse I
Nach Informationen des Centre for Sustainable Agriculture (Indien), der Coordination gegen BAYER-Gefahren (Deutschland) und des Pesticide Action Network Asia and the Pacific (Malaysia), setzt Bayer in Asien trotz jahrelanger Proteste die Vermarktung äußerst giftiger Pestizide fort. [1] Dabei handelt es sich unter anderem um Produkte, die von der WHO als "extrem" oder "hoch gefährlich" eingestuft werden und in Europa und den Vereinigten Staaten schon längst aus dem Verkehr gezogen sind. Das Centre for Sustainable Agriculture (CSA) dokumentiert seit geraumer Zeit Pestizidvergiftungen unter der indischen Landbevölkerung, die nicht selten tödlich enden. »Das von Bayer produzierte Agrogift Hinosan mit dem Wirkstoff Edifenfos beispielsweise ist für viele der von uns dokumentierten Vergiftungen verantwortlich«, berichtet CSA. [2] Mit dem Verkauf der Pestizide breche Bayer einen Kodex der Welternährungsorganisation FAO. Laut FAO sollen Wirkstoffe der Gefahrenklassen I und II nicht in tropischen Ländern verkauft werden, da die klimatischen Bedingungen bei der Verarbeitung der Pestizide nur unzulängliche Schutzmaßnahmen erlauben. Vergiftungen (auch tödliche) werden insbesondere unter der ärmeren Landbevölkerung begünstigt.
 
Marktführer
Bayer ist in Indien Marktführer bei Agrochemikalien und hält in der dortigen Pestizid-Sparte einen Marktanteil von 23 % (globaler Anteil: 20 %). Indien ist der viertgrößte Absatzmarkt des Konzerns auf dem gesamten Kontinent - mit steigender Tendenz: »Mit seinem überdurchschnittlichen Wachstumspotential«" sei Indien eines der ‚meistversprechenden’ Vertriebsgebiete in der Asien-Pazifik-Region, rühmt Bayer seine Expansionsstrategien. [3] Eine der beiden tragenden Säulen des Indien-Geschäfts ist die Landwirtschafts-Branche, zu der die Pestizid-Sparte gehört.
 
Wirtschaftsraum
Im ‚asiatisch-pazifische(n) Wirtschaftsraum’ [4] belief sich der Bayer-Jahresumsatz 2005 auf rund 4,6 Milliarden Euro (16 % des globalen Konzernumsatzes). Man wolle »diesen Anteil mittelfristig deutlich (...) steigern«, heißt es in der Leverkusener Zentrale. Seit 1990 hat das Unternehmen dazu rund 3,1 Milliarden Euro für Investitionen, Firmenkäufe und Forschungsprogramme in dem Gebiet ausgegeben, weitere Milliarden sind eingeplant.
 
Großprojekte
Das bedeutendste Wachstumspotential erwartet Bayer in der Volksrepublik China. Dort ist der Konzern in großem Umfang tätig, seit er 1993 einen Kooperationsvertrag mit dem Ministerium für die Chemieindustrie in Beijing unterzeichnete. Inzwischen ist das Land für Bayer der zweitgrößte nationale Absatzmarkt in Asien - auch in China mit steigender Tendenz: Allein im vergangenen Jahr nahm der chinesische Umsatz um den Rekordwert von 39 % zu. Das Unternehmen hat in Caojing bei Shanghai seine bislang größte Auslandsinvestition getätigt (Umfang: rund 1,8 Milliarden US-Dollar) und wird in Kürze drei Chemie-Großprojekte in Betrieb nehmen. Weitere Investitionen und Zukäufe in bis zu dreistelliger Millionenhöhe ergänzen das Expansionsprogramm.[5]
 
Japan
Die Asien-Expansion, die Bayer derzeit in großem Maßstab vorantreibt, ist nicht die erste in der Geschichte des Konzerns. Abgesandte der Leverkusener Unternehmenszentrale waren in Ost- und Südasien bereits im 19. Jahrhundert tätig. 1882, bei Beginn eines rasanten Aufschwungs der deutschen Industrieproduktion infolge militärischer Abenteuer, vermeldete Bayer seine ersten China-Aktivitäten, 1886 folgten Geschäftskontakte nach Japan, 1896 eröffnete die Firma ihre erste Produktionsstätte in Indien. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gelang es dem Leverkusener Unternehmen, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft in Japan zu gründen.
 
Nummer eins
In den folgenden Jahrzehnten folgte die Asien-Expansion den politischen Umständen oder nahm auf sie Einfluß. Die maßgebliche Beteiligung von Bayer an dem NS-Unternehmen IG Farben und der von dort ausgehenden internationalen Kriegsexpansion ist unbestritten.[6] Parallel zur Achse Berlin-Tokio trieb der deutsche Chemie-Multi sein damaliges Asien-Geschäft voran und konnte 1941 in Japan ein Joint Venture zur Herstellung von Pflanzenschutzmitteln etablieren. Diese Verbindungen wurden wenige Jahre nach Kriegsende revitalisiert. 1988 notierte Bayer als erstes deutsches Unternehmen an der Tokyo Stock Exchange. Japan ist bis heute die Nummer eins beim Asien-Umsatz der Leverkusener Firma.
 
Unbekannt
Wegen stetiger Ausweitung des Geschäfts mit Beijing rechnen Beobachter mit einem Rangwechsel: die Expansionsziele werden sich langfristig nach China verlagern. Auch Indien, das sich Berliner Politiker als chinesische Konkurrenz wünschen [7], dürfte in den kommenden Jahren für das Leverkusener Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Grundlage ist die Stellung der Firma in der indischen Landwirtschaftsbranche - und damit auch ihre Rolle in der Pestizid-Sparte. Bereits im Jahr 1995 hatten Konzernvertreter angekündigt, die gefährlichsten Schädlingsbekämpfungsmittel vom Markt nehmen zu wollen. Bis heute ist dieser Schritt, der die Position des Unternehmens in Indien schwächen könnte, nach Angaben internationaler Fachleute nicht vollzogen. Interventionen der deutschen Außenpolitik gegen die Produzenten des deutschen Gifts und zugunsten der indischen Opfer sind unbekannt.
 
politonline: Angesichts dieser Fakten lässt sich die grundlegende Frage nicht vermeiden, wieso die Regierung Indiens sowie die Regierungen der asiatischen Länder nicht von sich aus hiergegen einschreiten. Dies läge unbestritten in ihrer Macht. Wie GFP im Dezember 2006 bekanntgab, werden auch in den Philippinen Kinder immer wieder durch Pestizide der deutschen Bayer AG vergiftet. obwohl es dort seit Jahren Proteste gegen Agrargifte des Konzerns gibt. In der Provinz Davao del Norte mussten 79 Minderjährige stationär behandelt werden, weil sie Ende November vor ihrer Schule in eine Giftwolke geraten waren. Der darin enthaltene Bayer-Wirkstoff Ethoprop wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO als extrem gefährlich eingestuft, wird aber von Bayer trotz jahrelanger Proteste weiterhin verkauft. »Bayer trägt Jahr für Jahr eine Mitverantwortung für Tausende von Pestizid-Vergiftungen, viele davon tödlich«, urteilen Konzernbeobachter. Ethoprop wird in der Umwelt nur langsam abgebaut und ist in Plantagengebieten oft in Gewässern und im Grundwasser zu finden.  
 
Bereits 1997 2 begann der Arzt und Toxikologe Dr. Romy Quijano mit Untersuchungen in dem Dorf Kamukhaan (Davao del Sur, Mindanao), das sich mitten in einem Bananen-Anbaugebiet befindet. Quijano fand heraus, dass auf den Plantagen ausgebrachte Pestizide (darunter die Bayer-Wirkstoffe Fenamiphos und Carbofuran) durch die Luft nach Kamukhaan geweht wurden und zudem Flüsse und Grundwasser in der Region kontaminierten. Die Bewohner des Dorfes klagten über akute Vergiftungserscheinungen und schwere chronische Krankheiten (Krebs, Asthma, Anämie). Die Bayer-Pestizide, die rings um Kamukhaan eingesetzt wurden, gehören ebenso wie Ethoprop der WHO-Gefahrenklasse I an. <Ungeachtet schwerer gesundheitlicher Schäden unter der betroffenen Bevölkerung, so der Bericht von GFP vom Dezember 2006,  und trotz zunehmender Proteste in mehreren Staaten Asiens, setzt Bayer den Handel mit gefährlichen Pestiziden fort. Wie die Bundesagentur für Aussenwirtschaft (bfai) mitteilt, besitzt der ‚Bereich Agrarchemikalien’ auch in den  Philippinen für die deutsche Chemieindustrie besondere Attraktivität.> Angesichts der Umstände kein geringes Mass an verächtlichem Zynismus! 2005 erzielte allein der Teilkonzern Bayer CropScience, zu dem die Pestizid-Produktion gehört, in Ost- und Südostasien einen Umsatz von fast einer Milliarde Euro.
 
Mehr als makaber sind auch die Umstände, in denen sich Bauern in Indien das Leben nehmen. Bereits im Juni 2004 meldete die Neue Züricher Zeitung 3 500 Fälle von Bauern, die sich im Unionsstaat Andhra Pradesh wegen hoffnungsloser Überschuldung mit Pestiziden vergifteten. Im Juli 2006 beabsichtigten 35 überschuldete Baumwollbauern des Bundesstaates Maharashtra, Selbstmord zu begehen. Laut amtlichen Angaben haben sich allein in vier Staaten im Westen und Süden Indiens mehr als 3600 Baumwollbauern das Leben genommen. Menschenrechtsgruppen sprechen von bis zu 18 000 Selbstmorden [Juli 2006]. Die Lage der Bauern in Indien hat sich in den letzten 10 Jahren im Schatten von Wirtschaftsreformen verschlechtert. Viele Bauern beklagen die mangelnde Wasserversorgung für die Felder und zahlreiche Landwirte verschulden sich wegen Kaufs von Saatgut, können aber das Geld bei schlechten Ernten oder fallenden Preisen nicht zurückzahlen. In den vergangenen fünf Jahren ist der Baumwollpreis in Indien von 27.000 auf 17.000 Rupien (289 Euro) gesunken, die Kosten für Elektrizität und Düngemittel sind jedoch gestiegen. Das Schwergewicht der Investitionen lag auf der industriellen und urbanen Infrastruktur, was zu einem dramatischen Rückgang der Ausgaben für die Bewässerung führte. Hinzu kam die Reform der  überschuldeten staatlichen Elektrosektoren, die in die Segmente Erzeugung, Übertragung und Verteilung aufgespaltet und (teil)privatisiert wurden, was bei Kleinbauern zu Preissteigerungen zwischen 55 und 79 % führte. Der von der Weltbank hierfür zur Verfügung gestellte Kredit hatte die Bedingung, die Stromtarife anzuheben. Schwer nachvollziehbar ist auch die bereits vor Jahren erfolgte Abschaffung eines Gesetzes, das den Armen, Ureinwohnern und Kastenlosen Indiens vorschrieb, Land nur untereinander zu verkaufen. Es ist klar, dass internationale Konzerne von der neuen Lage profitieren können, da sie dadurch viel Boden billig erwerben können [NZZ 246 21.10.94].
 
Für wen also sorgt der Staat, für seine Bürger oder die Unternehmen? Es gilt zu bedenken, dass auch in diesem Jahr die Konzernwelt in Davos beim WEF wieder grossartig empfangen werden wird, wobei niemand damit rechnen sollte, dass der Faktor Verantwortung je eine Rolle spielen würde.


1 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56478 28.08.2006
[1], [2] Indien: Gefährliche Pestizide sofort vom Markt nehmen!; Presse Information vom 24. August 2006, www.cbgnetwork.org/1600.html
[3] Bayer in India; www.bayergroupindia.com
[4] Wichtiger Markt der Zukunft: die Region Asien-Pazifik; www.bayer.de/konzern/bayer-in-aller-welt/ asien-pazifik/page349.htm
[5] s. dazu Dominant
[6] Carl Duisberg, Vorsitzender der Bayer AG am Vorabend des Hitler-Regimes: "Fortwährend ruft das deutsche Volk nach einem Führer, der es aus seiner unerträglichen Lage befreit. Kommt nun ein Mann, der bewiesen hat, dass er keine Hemmungen hat, und der gesonnen ist, den Geist der Frontgeneration in friedlicher Befreiungsarbeit einzusetzen und zu verwirklichen, so muss diesem Mann unbedingt Folge geleistet werden." In: Carl Duisberg, Abhandlungen, Vorträge und Reden aus den Jahren 1932-1933, Berlin 1933, S. 135. [7] s. dazu Zielradius bis Beijing, Militärpartner und Neue Phase
2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56663 12.12.2006