Zum Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan

politonline d.a. Erschütternd ist, dass sich im deutschen Bundestag 405 Stimmen fanden, die dem Einsatz zugestimmt haben. Die Zerstörung, die Afghanistan in ununterbrochener Folge erleidet, bewegt ganz offensichtlich noch immer nicht in dem erforderlichen Ausmass. Seit Zbigniew Brzezi'ski, der Sicherheitsberater von US-Präsident James Carter, 1979 damit begann, die Dschihad-Kämpfer auszubilden und auszustatten, herrscht in diesem Land Krieg, neuerdings unter deutscher Beteiligung. Heute dürften sich unter den in Guantánamo Inhaftierten zahlreiche der ehemals für die USA kämpfenden Mudjaheddin und Taliban befinden, unter unendlichen Qualen. Die USA bekämpft heute nichts anderes als das, was sie selbst aufgebaut hat. Auch das wird selten bedacht.

Drei Tage vor der Abstimmung demonstrierte eine Gruppe von Bürgern vor dem Bundestag gegen den Einsatz. Sie hatten gehofft, die Entscheidung der Fraktionsgremien noch beeinflussen zu können. Es ist kaum möglich. dass die Abgeordneten sich nicht der Tatsache bewusst waren, dass, wie eine Umfrage der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs ergeben hatte, 77 % der Bevölkerung gegen den Einsatz sind. Mit der jetzt gefällten Entscheidung ist somit erneut ein Beispiel dafür gegeben, was man unter Demokratie versteht, nämlich die Umgehung resp. die Ausschaltung des Volkswillens. Unter anderen hatte sich auch Dr. Reinhard J. Voß, der Generalsekretär der deutschen Sektion von »pax christi«, an Bundeskanzlerin Merkel, Verteidigungsminister Jung und die Fraktionsvorsitzenden gewendet, ohne Erfolg. Es gab lediglich zwei Abgeordnete, Dr. Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU), die beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage eingereicht hatten, um den Einsatz der Tornados in Afghanistan zu verhindern. Diese wurde aus formalen Gründen abgelehnt, da ihnen von Karlsruhe keine Aktivlegitimation zuerkannt wurde. Fast noch schlimmer ist, dass Gauweiler und Wimmer in der Bundestagsdebatte kein Rederecht hatten, weil sie nicht die Meinung ihrer Fraktion vertraten. Jetzt hat die Linksfraktion am 21.3.07 ihrerseits eine Klage in Karlsruhe eingereicht. Mit dieser wendet sich Die Linke »gegen die von der Bundesregierung getragene NATO-Praxis einer stillschweigenden Veränderung des NATO-Vertrags, die durch das deutsche Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag von 1956 nicht mehr gedeckt und mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar ist. Mit der Entsendung der Tornados in den Süden Afghanistans habe diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, die jedoch weitere Veränderungen befürchten lasse.« Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysin, führt hierzu noch aus, »dass der Einsatz der Tornados die Bundeswehr an der Kriegsführung der USA beteilige, die unterschiedslos die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zieht und nicht mehr vom humanitären Völkerrecht der Genfer Konvention gedeckt ist. Zudem sprenge der Einsatz das ISAF-Mandat des UNO-Sicherheitsrats, da die Luftaufklärung auch dem Antiterrorkampf der Operation Enduring Freedom zur Verfügung gestellt wird. Die Vermischung beider Operationen durch den Einsatz der Tornados sei ein Verstoss gegen das Völkerrecht; die Bundeswehr werde dabei in den Antiterrorkampf hineingezogen, der schon lange nicht mehr vom Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 der UNO-Charta gedeckt sei, da dieses nur gegen einen konkreten bewaffneten Angriff besteht.« Allein die Bezeichnung Enduring Freedom für diesen Krieg spricht gegenüber der wehrlosen Bevölkerung von einer unglaublichen Verhöhnung, denn sollte dieser von der USA für sich entschieden werden, so dürfte er nichts anderes als die totale Unterwerfung und Ausbeutung des Landes zur Folge haben - wofür er schliesslich auch geführt wird
 
Dessen ungeachtet ist die Verlegung der 6 Tornados vom Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein aus  nach Masar-i-Scharif bereits voll im Gange. Durch den Einsatz entstehen den Deutschen zusätzliche Kosten von 35 Millionen € pro Halbjahr. Wie Rainer Göbel 1 in der Jungen Welt schreibt, wird der Chef der Bundeswehr, Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), von seinen Soldaten offen der Lüge bezichtigt. So seien in der Debatte über den Tornadoeinsatz in Afghanistan Öffentlichkeit und Parlament von diesem getäuscht worden. Jung behaupte »wider besseres Wissen«, es handle sich beim Tornadoeinsatz nur um Aufklärung, erklärt der Arbeitskreis »Darmstädter Signal«, dem über 100 aktive und ehemalige Offiziere und Unteroffiziere angehören. Dieser sowie  Oberstleutnant Jürgen Rose bezeichnen die Ausweitung des Kriegs in Afghanistan als verfassungsrechtlich, völkerrechtlich und strafrechtlich bedenklich. Die militärische Aufklärung sei ein wichtiger Teil des militärischen Kampfes. »Die Aufklärungsergebnisse sollen sofort ausgewertet werden und den Kampf der Bodentruppen und der Jagdbomber direkt unterstützen«. Rose hat inzwischen aus Gewissensgründen die Freistellung vom Kriegsdienst in Afghanistan beantragt, was ihm gewährt wurde. »Die Sicherheitslage verschlechtert sich seit Monaten im ganzen Land. Deutsche Soldaten verlassen nur noch in gepanzerten Fahrzeugen ihre Camps!« Das ARD-Magazin Panorama zeigte am 15. 3. unschöne Bilder von der Hindukusch-Front. So war etwa zu sehen, wie US-Soldaten getötete Taliban-Kämpfer verbrennen, um damit andere Besatzungsgegner einzuschüchtern. Die Lage der Bevölkerung ist erschreckend. 70 % leiden unter chronischem Nahrungsmangel, ein Viertel hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Zwar wurden zwischen 2002 und 2006 insgesamt 7,3 Milliarden $ für den Wiederaufbau bereitgestellt, man kann jedoch abschätzen, was hiervon im Gefolge des Krieges neu zerstört werden wird. Zum Vergleich: die Militärausgaben betrugen im gleichen Zeitraum 82,5 Milliarden $. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) schreibt daher zu Recht: »Wir sehen nicht ein, dass unsere Schulen geschlossen werden und unsere Klassen überfüllt sind, weil die Bundeswehr aufgerüstet wird und allein für den Afghanistan-Einsatz 460 Millionen € im Jahr verschlingt«, ein Tatbestand, an dem der Bundestag kalt vorbeisieht. Die berechtigte Forderung der SDAJ geht dahin, die Kriegseinsätze der Bundeswehr zu stoppen. 
 
Die Regierung Afghanistans hat mehrfach energisch gegen die Kriegsführung der USA protestiert 2: Diese berücksichtige nicht die paschtunischen Stammesstrukturen und setze nicht auf den traditionellen Dialog innerhalb dieser Strukturen; auch seien die grossen Verluste unter der Zivilbevölkerung ebenso wenig hinnehmbar wie das entwürdigende Verhalten gegenüber letzterer. Dies liess Karzai das obengenannte MdB Wimmer am 26. Januar 2007 in einem persönlichen Gespräch in Kabul wissen. Karzai hob auch hervor, dass die als Kollateralschäden verharmlosten zivilen Opfer amerikanischer Militäraktionen in der Stammesgesellschaft das Gesetz der Blutrache entfachen würden. Als Beispiele für entwürdigendes Verhalten insbesondere amerikanischer Soldaten nannte Karzai die völlige Entkleidung eines alten Mannes, die Durchsuchung von Frauen durch Soldaten oder das Eintreten von Wohnungstüren. Für Paschtunen sei das eine grössere Schmach als der Tod. Auch das afghanische Parlament laufe Sturm gegen die amerikanische Kriegsführung im Süden. Wie Strategic Alert vom 30. 11. 2006 darlegte, war im Vorfeld des NATO-Gipfeltreffens in Riga [28.-29.11.06] erheblicher Druck auf Deutschland ausgeübt worden, die NATO-Kräfte im Kampf gegen die sich verschärfenden Talibanaufstände in Südafghanistan zu verstärken. Bundeskanzlerin Merkel und Aussenminister Steinmeier hatten allerdings deutlich gemacht, dass Deutschland diesen Forderungen nicht nachkommen werde. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hatte diesen Druck auf die BRD und andere Nationen, sich militärisch in Südafghanistan zu engagieren, bestätigt. Er äusserte sich u.a. wie folgt: »Aber ich rate dringend davon ab, das ganze Thema reflexhaft auf die Frage zu reduzieren, ob wir 1.000 Mann mehr im Süden brauchen. Unsere Herausforderung heisst, den zivilen Wiederaufbau militärisch konsequent abzusichern. Dazu muss den Menschen im Süden und im Osten vermittelt werden, dass die ISAF durch Wasser, Strom, Strassen und Schulen Zukunft bringt.«
 
Der bekannte pakistanische Schriftsteller Tariq Ali schreibt, dass »der Westen endlich begreifen müsse, dass jede Besatzung, ob in Afghanistan oder im Irak, die Situation verschlimmert.« Das hat die EU-Bevölkerung schon sehr lange erkannt, aber die Parlamentarier sind diesbezüglich mehrheitlich blind. »Die Aufständischen«, so Ali, »kontrollieren mittlerweile mindestens zwanzig Distrikte. Es ist kaum ein Geheimnis, dass viele Funktionäre in diesen Gebieten heimliche Unterstützer der Guerilla-Kämpfer sind. Die Situation ist ausser Kontrolle. Zu Beginn des Krieges traten Bush und Blair in zahlreichen TV-Shows auf und behaupteten, Ziel des Krieges sei die Befreiung afghanischer Frauen. Versuchen Sie mal heute, das zu wiederholen. Die Frauen würden Ihnen ins Gesicht spucken. Nur wenige Tränen wurden einst in Afghanistan und anderswo vergossen, als die Taliban fielen. Doch die Hoffnung, die westliche Demagogen weckten, hielt nicht lange an. Bald wurde klar, dass die neu eingesetzte Elite den Grossteil der ausländischen Hilfe absahnen und ein kriminelles Netzwerk aus Schiebung und Begünstigung errichten würde. Das Volk leidet. Eine Lehmhütte mit Strohdach für eine obdachlose Flüchtlingsfamilie kostet weniger als fünftausend Dollar. Wie viele sind gebaut worden? Kaum welche. Jedes Jahr gibt es Berichte über Hunderte obdachloser Afghanen, die im Winter erfrieren. Statt dessen wurde von westlichen PR-Organisationen im Schnellverfahren und für viel Geld eine Wahl organisiert, von der im wesentlichen die öffentliche Meinung des Westens profitierte. Das Wahlergebnis konnte die Unterstützung für die NATO im Land nicht verbessern. […] Hamid Karzai, der Marionetten-Präsident, offenbarte seine Isolation, indem er sich weigerte, von einer Sondereinheit der mit ihm ethnisch verwandten Paschtunen beschützt zu werden. Er wollte US-Marines im Terminator-Look - und bekam sie. Karzais jüngerer Bruder, Ahmad Wali Karzai, ist einer der grössten Drogenbarone des Landes geworden. Vor kurzem gab es ein Treffen mit Pakistans Präsident Pervez Musharraf, bei dem Karzai unaufhörlich über Pakistans Unfähigkeit räsonierte, dem grenzübergreifenden Schmuggel Einhalt zu gebieten - schliesslich schlug Musharraf vor, Karzai solle doch vielleicht ein Exempel statuieren und einmal seinen Verwandten unter Kontrolle bringen.«
 
Seit dem 17. März beunruhigt nun eine Videobotschaft die deutsche und österreichische Öffentlichkeit. Islamisten fordern den Abzug von Soldaten in Afghanistan und drohen mit Anschlägen. Dies kann für niemanden, der sich mit den Verhältnissen in Afghanistan auseinandergesetzt hat, überraschend kommen. Angesichts der brutal vorgehenden militärischen Übermacht, der sich das Land ausgesetzt sieht, fällt es schwer, dies als ein abwegiges Mittel der Gegenwehr zu betrachten. Ende Oktober letzten Jahres hatten die Taliban ein Gesprächsangebot der afghanischen Regierung ausgeschlagen. «Die Ungläubigen aus der gesamten Welt haben sich in Afghanistan versammelt, es besetzt und die Afghanen als Geiseln genommen», hiess es. Präsident Hamid Karzai müsse sich zunächst selbst aus der Sklaverei der ausländischen Truppen befreien, bevor es zu Gesprächen mit den Taliban kommen könne. Es ist kein Geheimnis, dass, wie dies Tariq Ali darlegt, enge Familienmitglieder Karzais beim Drogengeschäft kräftig mitmischen, ferner einige seiner Minister und einflussreiche Kommandanten. Schliesslich, heisst es, sei es kein Zufall, dass einige Finanzfachleute, die schon unter den Taliban tätig waren, ihre Stellen behalten hätten. »Die stecken seit Jahren unter einer Decke.« Letztere Aussage eines erfahrenen Soldaten war bereits im April 2005 in der Welt zu lesen. Der Sprecher des afghanischen Oberhauses, Sibghatullah Mojaddedi, hatte am 12. 10. 06 erklärt, er wolle zurücktreten, falls korrupte Beamte nicht entlassen würden. Er forderte eine Untersuchung der Amtsenthebung des Sicherheitschefs des Flughafens in Kabul, General Aminullah Amarkhel, der seinerseits Beamte angeklagt hatte, mit den Drogenschmugglern geheime Absprachen getroffen zu haben. Amarkhel behauptete, dass Beamte des Innenministeriums die Freilassung von verdächtigten Drogenschmugglern angeordnet hätten. In den zurückliegenden 19 Monaten hätte er 60 mutmassliche Schmuggler festgenommen und etwa 100 kg Heroin beschlagnahmt. Seine Entlassung, erklärte er gegenüber BBC, sei Teil einer Mafiaverschwörung, in die eine grosse Bande von Dealern involviert sei. Man muss sich einmal das lächerliche Doppelspiel vor Augen führen, das man uns vorführt und das von der Presse ohne weiteres publiziert wird, indem sich die USA darüber beschwert, dass Afghanistan fünf Jahre nach dem Sturz des Talibanregimes seine führende Stellung als grösster Opiumproduzent weiter ausgebaut habe. Besorgniserregend sei, dass die Taliban-Milizen die grössten Nutzniesser seien und mit dem Geld aus dem Drogenhandel Anschläge auf die US- und NATO-Truppen im Land finanzierten. Als ob man nicht genau wüsste, wie die Grundlage dieses Handels beschaffen ist.
 
1 http://www.jungewelt.de/2007/03-17/051.php Lügen für den Krieg Von Rüdiger Göbel
2 Quelle: Zeit-Fragen Nr. 10 vom 13. 3. 07
Siehe auch Blick auf Afghanistan und den dortigen Drogenhandel auf politonline