Transformation Thinkers

politonline d.a. Wie pervers sich das Denken der "Strategen" und die damit verbundene Anmassung entwickelt, geht aus der nachfolgenden Information von German Foreign Policy hervor. Es zeigt sich immer wieder, wie die steuerbefreiten Vermögen diverser Stiftungen es diesen weltweit ermöglichen, abseits jeglicher Demokratie ihren Einfluss auf die Geschicke der Nationen geltend zu machen, und das nicht nur in einer oft unheilvollen Art, sondern auch mit einer unverhohlenen Rücksichtslosigkeit gegenüber den davon betroffenen Bevölkerungen. Der Bericht zeigt ferner, mit welcher Selbstverständlichkeit das Regime in Kabul zusätzliche finanzielle Mittel erwartet, auch wenn die derzeit herrschende Elite einen grossen Teil der Aufbauhilfe in die eigenen Taschen wandern lässt, ein Umstand, den die EU-Kommission ganz offensichtlich fortgesetzt zu ignorieren versteht. Denn gleich in welcher Höhe Gelder für Afghanistan festgesetzt werden, die EU-Bevölkerung kann gegen den Abfluss ihrer Steuern nichts unternehmen und trotz der ihr immer wieder in Aussicht gestellten vermehrten Mitsprache bleibt sie diesbezüglich völlig wehrlos, auch wenn sich die EU-Mitgliedstaaten dadurch weiter verschulden. Die in Industriekreisen herrschende Einstellung ist auch einem Bericht von Rainer Balcerowiak * zu entnehmen.

 Am 20. März veranstaltete der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin seinen 2. Rohstoffkongress. Im Mittelpunkt stand »die Sicherung der Einfuhren von metallischen Rohstoffen zu möglichst niedrigen Preisen.« Es spielt ja auch keine Rolle, was für die Bevölkerung des Landes selbst an Ertrag abfällt. Schliesslich wissen die Konzerne, dass zum Ausgleich jeweils die Internationale Gemeinschaft einzuspringen hat. »Zwar sei die Grundstoffbeschaffung zuvorderst Aufgabe der Unternehmen, die Politik müsse aber die Rahmenbedingungen dafür schaffen, und zwar egal wie, stellte BDI-Präsident Jürgen Thumann zu Beginn des Kongresses klar.« In Anbetracht der mörderischen Schlachten um Öl und Erdgas im Irak und in Afghanistan, die beide Länder endgültig zu vernichten drohen, klingt dieses ‚egal wie’ recht unheilvoll, auch im Hinblick auf die fortschreitende Militarisierung der EU. »Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte dem BDI ihre volle Unterstützung zu und kündigte die Bildung eines interministeriellen Ausschusses für Rohstoffragen an, um Entwicklungs- und Handelspolitik besser abstimmen zu können. Den Firmen riet die Kanzlerin, sie sollten Rohstofflieferanten in den jeweiligen Ländern schlicht und einfach aufkaufen. Thumann entgegnete, dies sei für die deutsche Wirtschaft nicht finanzierbar. So habe etwa die stark staatlich unterstützte chinesische Wirtschaft bedeutend mehr Mittel in der Hand und sei auch weniger zimperlich bei Kooperationen mit zweifelhaften Regimes in rohstoffrelevanten Ländern.« Bereits am Morgen hatte der BDI-Rohstoffexperte Ulrich Grillo im Inforadio des RBB [Rundfunk Berlin Brandenburg] ‚kraftvolle bilateralen Verhandlungen’ seitens der Regierung und die Kopplung von Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe an rohstoffpolitische Ziele gefordert. Politische Skrupel seien dabei unangebracht: Wir werden auf Afrika nicht verzichten können und müssten dort schneller sein als die Konkurrenz, so Grillo. Da klang es schon fast beruhigend, dass er ausdrücklich betonte, dass man ‚natürlich keine Kriege um Rohstoffe führen’ wolle.« Eine Aussage, der nicht unbedingt zu trauen ist.
 
Menschenopfer unverzichtbar
GFP Kabul/Berlin/Gütersloh (Eigener Bericht) - Ungeachtet der für heute angekündigten Ermordung deutscher Geiseln will die Bundesregierung „Härte“ zeigen. Es sei „das richtige Signal“, die von den Entführern erhobene Forderung nach Abzug der deutschen Afghanistan-Truppen negativ zu bescheiden, erklärte die deutsche Kanzlerin am 19. 3. 07. Etwaige Konsequenzen für das Leben der Geiseln nannte Frau Merkel ‚bitter’, aber unvermeidbar, da sich Berlin „nicht erpressen lassen“ werde. Auch der Präsident der afghanischen Zwangsverwaltung, Karzai, riet in Berlin zu einem unnachgiebigen Besatzungskurs, der durch zusätzliche ausländische Militärhilfe effizienter gemacht werden müsse. Deutschland soll sein „Engagement“ fortsetzen, auch wenn dies „nicht billig“ komme, ergänzte der Außenminister des Kabuler Regimes. Zum deutschen Engagement in Afghanistan gehört ein Verbindungsbüro der Heinrich-Böll-Stiftung. Dessen Leiter ist Teil eines Netzwerks, das „Transformation Thinkers“ fördert und von der bundeseigenen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) sowie vom Medienkonzern Bertelsmann betrieben wird. Auch im Irak verfügt das Netz über entsprechende Verbindungen. Die „Transformation Thinkers“ sind Angehörige der Eliten aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie sollen in ihren Heimatstaaten für weltmarktkonforme Nationalökonomien mit enger Anbindung an die westlichen Metropolen sorgen. Orientierungsmaßstab ist ein von Bertelsmann entwickelter „Transformation Index“, der die Welt in „Reformstaaten“ und sogenannte „Modernisierungsverweigerer“ teilt.
 
Dasein verwirkt
Wie die deutsche Kanzlerin am 19. 3. erklärte, wird die Bundesregierung an der militärischen Besatzung Afghanistans festhalten und zusätzliches Zivilpersonal in das zentralasiatische Land entsenden. Die Wirtschaftsaktivitäten deutscher Unternehmen müssten ausgeweitet werden, erklärte Frau Merkel. [1] Weder der Mord an einem Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe [2] noch die drohende Tötung zweier deutscher Geiseln im Irak [3] stünden dem entgegen - Deutschland sei „nicht erpressbar“, heißt es unisono in Berlin. Die Behauptung ist falsch, da sich das Auswärtige Amt in mittelbaren Verhandlungen mit den Erpressern befindet und auch einen Preis zu zahlen bereit ist. Strittig und Gegenstand der durch Erpressung herbeigeführten Verhandlungen ist lediglich die Höhe der Auslösesumme. Berlin ist - wie in vergangenen Fällen - zu Geldleistungen bereit, bindet das Leben der Geiseln also an einen Preis. Unterschreitet dieser Preis die politischen und materiellen Kosten des Abzugs deutscher Truppen aus Afghanistan, dürfen die Geiseln überleben. Andernfalls haben sie ihr Dasein verwirkt, lautet die Botschaft der deutschen Außenpolitik.
 
Willkommen
„Ich bin voll und ganz der gleichen Meinung“, ergänzte der Präsident der afghanischen Zwangsverwaltung, Hamid Karzai, die außenpolitischen Äußerungen der deutschen Kanzlerin. [4] Karzai traf am 19. 3. zu Gesprächen in Berlin ein, nachdem er in der bundesrepublikanischen Provinz einen Operettenpreis entgegennehmen durfte. Er werde „auf jeden Fall alles willkommen heißen, was die Deutschen zum Wiederaufbau und zur Sicherheit Afghanistans zu tun bereit sind“, bestätigte Karzai den Auftragscharakter des Kabuler Regimes.
 
Transformation Thinkers
An dem von Karzai beworbenen Wiederaufbau in Afghanistan und im Irak beteiligt sich auch der deutsche Medienkonzern Bertelsmann. Einem von der Konzernstiftung [5] und der bundeseigenen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) [6] initiierten Netzwerk sogenannter Transformation Thinkers gehören Regierungsberater aus beiden Ländern an. Dabei handelt es sich um den Iraker Musab Alkateeb und um den Afghanen Masood Karokhail. Alkateeb reorganisierte nach dem Iraküberfall der US-geführten Truppen zunächst das dortige Handelsministerium. Heute berät er im Auftrag der US-Agentur USAID den irakischen Marionetten-Premier Nuri al-Maliki in Wirtschaftsfragen. Karokhail, ehemals Afghanistan-Manager des niederländischen Nahrungsmittelkonzerns Unilever, leitet ein Verbindungsbüro der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung in der Provinz Paktia. Dessen Aufgabe besteht darin, „die afghanische Regierung sowie Entwicklungsorganisationen mit örtlichen Stammesführern in Kontakt zu bringen“. [7]
 
Strategisches Denken
Die Transformation Thinkers, zu denen Alkateeb und Karokhail zählen, werden von Bertelsmann als „junge Entscheidungsträger“ und „Führungsnachwuchs“ umworben. Sie bilden ein „globales Netzwerk“, stehen „untereinander in Kontakt“ und halten regelmäßig gemeinsame Treffen ab. Die letzte Zusammenkunft fand im vergangenen November in der Berliner GTZ-Niederlassung statt. [8] Bei den Treffen vermitteln ausgewählte Experten den Transformation Thinkers strategisches Denken [9] - offenbar mit Erfolg. Alkateeb lobte kürzlich die Übernahme der irakischen Wirtschaft durch westliche Konzerne und bemängelte, dass deutsche Unternehmen im Irak lediglich als „Subunternehmer amerikanischer und multinationaler Firmen“ in Erscheinung träten, anstatt mehr Präsenz zu zeigen. [10] Karokhail forderte, die NATO-Truppen müssten in Afghanistan hart gegen Aufständische und Mohnproduzenten durchgreifen. [11]
 
Transformationsverweigerer
Damit liegen die beiden Transformation Thinkers ganz auf der Linie der Bertelsmann-Stiftung. Der von ihr entwickelte „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI) beurteilt die Fähigkeit und Bereitschaft der Eliten in Entwicklungs- und Schwellenländern, die dortigen Nationalökonomien gemäß den westlichen Vorstellungen umzugestalten. Vorrangiges Ziel ist dabei laut Bertelsmann die Durchsetzung des Privateigentums als zentralem „Kriterium der Markt- und Wettbewerbsordnung“ und die Ausschaltung etwaiger Widerstände (Vetoakteure). Staaten, die in diesem Sinne nicht als glaubwürdige und verlässliche Partner  des Westens handeln, werden als Transformationsverweigerer  tituliert. Wie Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung und Direktor des Münchener Centrums für angewandte Politikforschung (CAP), formuliert, reiche deren „harter Kern“ von „Nordkorea über zahlreiche arabische Staaten bis Simbabwe oder Kuba“. [12]
 
Lernen
Die Bertelsmann-Stiftung droht den genannten Ländern, zu denen sie auch mehrere Nachfolgestaaten der Sowjetunion zählt (ressourcenreiche Transformationsverweigerer), offen mit „externem Druck“. Dies habe, heißt es im Bericht über den „Bertelsmann Transformation Index 2006“, im Falle Nicaraguas „einen Prozess des institutionellen Lernens ausgelöst“. [13] Nach dem Sieg der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) über den Militärdiktator Somoza 1979 hatten von den USA finanzierte Terrorbanden (Contras) Nicaragua zehn Jahre lang mit Bürgerkrieg überzogen. Am Ende musste die FSLN-Regierung abtreten; die von ihr eingeleiteten Sozialreformen wie die Verstaatlichung von Industriebetrieben und die Aufteilung des Großgrundbesitzes wurden seither sukzessive rückgängig gemacht. [Daher, fügen wir ein, leben heute dort auch rund 70 % der Bevölkerung in Armut, wie dies das obige Bild zeigt]
 
Traditionen brechen
Bei der weltweiten Durchsetzung prowestlich-neoliberaler Wirtschaftsordnungen kommt dem von US-geführten Truppen besetzten Irak laut Bertelsmann eine Schlüsselrolle zu. „Ein Scheitern der Transformation im Irak würde nachhaltig alle weiteren Transformationsbemühungen weltweit beeinträchtigen“, urteilt die Konzernstiftung: „Nationale Eliten würden darin einen Anreiz sehen, sich gegen externe Auflagen zu  stemmen.“ Notwendig sei daher die „Rekrutierung einer neuen Führungsschicht“; nur eine solche könne die Tradition der Aneignung und Umverteilung der Ölrente“ brechen und die Gewinne aus dem Erdölgeschäft westlichen Konzernen zuführen. „Internationale Unterstützungsmaßnahmen“ sollen in diesem Zusammenhang „die Loyalität der irakischen Bevölkerung sicherstellen“ und „soziale Verwerfungen“ verhindern, verlangt Bertelsmann. „Eine Radikalkur wie im Chile Pinochets dürfte der Nachkriegsirak kaum verkraften.“ [14] Der chilenische Militärdiktator Augusto Pinochet hatte 1973 den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende ermorden lassen und dem Land danach - auf innenpolitischen Terror gestützt - ein neoliberales Wirtschaftsregime oktroyiert. Deutsche Wirtschaftskreise, darunter der Chemiekonzern Hoechst, hatten seinerzeit Pinochets blutigem Putsch applaudiert. [15]
 
Kein Tabu
Die Neuordnungspläne aus dem Hause Bertelsmann reichen über den Irak hinaus. Um die „Glaubwürdigkeit des irakischen Transformationsprozesses“ nicht zu „unterlaufen“, müsse „eine neuerliche Anstrengung zur Stabilisierung Afghanistans“ unternommen werden, verlangt die Konzernstiftung. Ihre Interventionsforderungen durchbrechen letzte Schranken der deutschen Außenpolitik: „Auch die Option, Israel und Palästina zusammen unter UN-Protektorat zu stellen, darf angesichts des riskanten Prozesses im gesamten Nahen Osten kein Tabu sein.“ [16]
 
Einkalkuliert
Die außenpolitische Radikalität, die aus solchen Vorschlägen spricht, lässt das deutsche Vorgehen in der Geiselaffäre verständlicher werden. Die weltweiten Herrschaftsentwürfe, mit denen Berlin dem Siegeszug seiner Wirtschaft folgt, machen Menschenopfer unverzichtbar. Selbst wenn die Geiseln gerettet werden können, sind zukünftige Tote einkalkuliert.
 
*http://www.jungewelt.de/2007/03-21/054.php Kalter Rohstoffkrieg Von Rainer Balcerowiak
Weiteres zu Bertelsmann siehe ‚Notizen zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft’; ferner Notiz zum Präsidenten Afghanistan und Karzai kooperiert mit Massenmördern und Mafiabossen’ von Rainer Rupp auf politonline
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56785 vom 20.03.2007
[1] s. dazu Auf den Trümmern des Krieges, Hundert Prozent und Deutsche Hilfe
[2] s. dazu Fünfhundert Ziele
[3] s. dazu Tödliches Versprechen und Ende im Grab
[4] Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai am 19. März 2007 in Berlin
[5] s. auch European Way of Life, Höchste Ambitionen, An Russland vorbei und Thomas Barth (Hg.): Bertelsmann
[6] s. auch Schlüsselpositionen, Straßenbau und Eigentum verpflichtet
[7] „Wir brauchen mehr Austausch zwischen Gebern und afghanischer Bevölkerung.“ Interview mit Masood Karokhail; E + Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 7/2005
[8] Auftakt zu einem globalen Netzwerk. 25 Transformation Thinkers aus 23 Ländern treffen sich in Berlin; www.gtz.de/de/17885.htm
[9] Transformation Thinkers; www.bertelsmann-transformation-index.de
[10] „Deutsche müssen mehr Präsenz zeigen“; Berliner Zeitung 14.11.2006
[11] „Wir brauchen mehr Austausch zwischen Gebern und afghanischer Bevölkerung.“ Interview mit Masood Karokhail; E + Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 7/2005
[12], [13] Bertelsmann-Stiftung: Bertelsmann Transformation Index 2006. Politische Gestaltung im internationalen Vergleich, Gütersloh 2005
[14] Peter Thiery: Eine Nachkriegsordnung für den Irak. Leitlinien einer nachhaltigen Transformationsstrategie, Papier der Bertelsmann-Stiftung und des CAP, April 2003
[15] s. auch Siegeskreuz
[16] Peter Thiery: Eine Nachkriegsordnung für den Irak. Leitlinien einer nachhaltigen Transformationsstrategie, Papier der Bertelsmann-Stiftung und des CAP, April 2003