Über Minarette und Muezzine - In Wahrheit eine Kampfansage

In der Schweiz sind derzeit mehrere Baugesuche für Minarette hängig. Was für Absichten werden mit diesen Gesuchen verfolgt?

Baugesuche für Minarette werden von muslimischen Trägervereinen heute meist zusammen mit der Zusicherung gestellt, vom beantragten Minarett werde nie ein Muezzin seinen Gebetsruf erschallen lassen. Mit der gleichen Zusicherung erlangten in den vergangenen Jahren zahlreiche Trägerschaften in Deutschland die Bewilligungen zum Bau von Minaretten.
Kaum allerdings standen dort die Minarette, wurde auch die Zulassung des Muezzins verlangt - und durchgesetzt. Es zeigte sich: Wer sich die Zustimmung zu einem Minarett angeblich «im Namen der Religionsfreiheit» abringen liess- obwohl weder Minarett noch Muezzin irgendetwas mit Glaubensinhalten zu tun haben - war völlig machtlos, wenn auch für den Muezzin auf das Grundrecht der Religionsfreiheit gepocht wurde. In Deutschland wird übrigens eine neue Entwicklung zunehmend spürbar: In wachsendem Ausmass erklären sich muslimische Trägerschaften zwar bereit, auf den Muezzin zu verzichten. Dies aber nur unter der Bedingung, dass «als Gegenleistung» auch das Glockengeläut von christlichen Kirchen untersagt würde. Woraus klar wird: Es geht bezüglich Minarett und Muezzin gar nicht um religiöse Inhalte. In Wahrheit ist ein Verdrängungskampf in Gang. Es geht um Macht. Das Minarett ist Ausdruck eines religiös-politischen Machtanspruchs. Mit Glauben hat es nichts zu tun.
 
Der gesetzliche Eingriff
Im Übrigen ist festzuhalten: Kein Grundrecht gilt uneingeschränkt. Auch für die Religionsfreiheit gibt es Grenzen: Wenn unter Berufung auf Religionsfreiheit Grundrechte Dritter, z.B. Andersgläubiger, bestritten werden, kann der Gesetzgeber auf demokratischem Weg gesetzliche Grundlagen schaffen, welche den Schutz der Grundrechte für alle gewährleisten. Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt für das Vorhaben, mittels Volksinitiative ein Minarettverbot in der Schweiz durchzusetzen. Die Initiative richtet sich gegen das Minarett als religiös-politisches Machtsymbol, das der religiösen Toleranz eine Absage erteilt.
 
Die Schweizerische Bundesverfassung
Die Schweizerische Bundesverfassung schützt die Religionsfreiheit und die Kultusfreiheit (Art. 15). Anhängern eines jeden Glaubens wird das Recht gewährleistet, sich zur gemeinsamen Glaubensausübung zusammenzufinden. Diese von der Bundesverfassung gewährleisteten Garantien sollen von der vorgesehenen Initiative in keiner Weise bestritten werden. Die Bundesverfassung verpflichtet Bund und Kantone aber auch, den religiösen Frieden im Land zu wahren (Art. 72). Sie verpflichtet damit zu religiöser Toleranz: Niemand kann unter Anrufung von Religionsfreiheit Grundrechte anderer bestreiten oder einschränken oder sich gar der in der Schweiz geltenden Rechtsordnung entziehen. Der religiöse Alleinvertretungsausspruch mit seiner Absage an jede Toleranz gegenüber Andersgläubigen, wie er mit dem Minarett zum Ausdruck gebracht wird, geniesst damit keinerlei Verfassungsschutz. Im Gegenteil: Die Absage an die Toleranz gefährdet den religiösen Frieden, den zu schützen Bund und Kantone durch die Bundesverfassung ausdrücklich beauftragt sind.
 
Die Funktion des Minaretts
Das Minarett hat selbst in der muslimischen Welt nichts mit Glaubensinhalten zu tun. Auch in der muslimischen Welt ist längst nicht jeder Moschee ein Minarett angegliedert. Als Bauwerk hat das Minarett die Funktion sowohl des Signalturms für die Gläubigen als auch des Wachtturms über die Gläubigen. Einige deuten das Minarett auch als Siegeszeichen. Das  Minarett bringt einen religiös-politischen Machtanspruch zum Ausdruck: «Hier sind wir, von hier weichen wir nicht!» Das Minarett steht somit in Widerspruch zu religiöser Toleranz. Es symbolisiert den Anspruch, die Welt in Gläubige (die Muslime) und Ungläubige (alle anderen) zu trennen. Das Minarett ist damit Symbol eines religiös-politischen Machtanspruchs, der von Glaubensfreiheit grundsätzlich nichts wissen will. Die kurz vor ihrer Lancierung stehende Minarettverbots-Initiative beabsichtigt nichts anderes, als die Glaubensfreiheit und die religiöse Toleranz als Säulen des religiösen Friedens in der Schweiz zu bewahren.
 
Ulrich Schlüer
Quelle: Schweizerzeit vom 9. 3. 2007