Telekom

Am 26. März waren weitere Proteste gegen den Massenrausschmiss bei der Telekom erfolgt. Mit einer Menschenkette rund um die Münchner Telekom-Niederlassung hatten Beschäftigte für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und gegen die drohende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen demonstriert. Das Telekom-Management plant die Ausgliederung von über 50'000 Mitarbeitern in eine eigene Gesellschaft, wodurch die Beschäftigten mit Arbeitsverdichtung und Lohneinbussen zu rechnen haben. Die Ausgliederung wäre nur der erste Schritt zu einer weiteren Zerlegung. Dahinter steht dem Vernehmen nach Telekom-Aktionär Blackstone, von den Betroffenen auch »Heuschrecke« genannt 1. Die Menschenkette sei ein symbolischer Schutzwall gegen solche Heuschrecken und zeige, so eine Teilnehmerin, auch die sprichwörtliche Verbundenheit mit dem Unternehmen. »Niemand ist seinem Unternehmen so verbunden wie die Telekom-Mitarbeiter«, betonte in einem Redebeitrag der bayerische Landesbezirksleiter der Gewerkschaft ver.di, Josef Falbisoner; er erwähnte aber auch explizit das Mittel des Streiks als mögliche Widerstandsform. Am 28. 3. protestierten Beschäftigte der Telekom in Stuttgart gegen geplante »Ausgliederungen«. Den nachfolgenden offenen Brandbrief an das Management schrieb ein Telekom-Beschäftigter. Darin wehrt er sich gegen Beleidigungen von oben und kritisiert die Vernichtung von Wissen, Kompetenz und Arbeitsplätzen.

»Sie schaden uns immens«
Sehr geehrter Herr Obermann, Herr Höttges und Herr Welslau,
sehr geehrte Herren in den Vorstandsetagen,
 
durch Ihre wiederholten Mitarbeiterbriefe verschiedenen (und letztlich doch gleichen) Inhalts haben Sie mich zum Schreiben dieses Briefes motiviert. Im Laufe dieses Briefes werde ich »sie« kleingeschrieben verwenden, weil ich nicht immer Sie (persönlich) meine, sondern viele Manager, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, die für unser Unternehmen verantwortlich sind und waren.
 
Letzter Auslöser war ihre wiederholte Forderung, bei uns Mitarbeitern eine größere Bindung zum Unternehmen zu erzeugen. Dazu kann ich ihnen nur erwidern, daß ich und die meisten meiner Kollegen im kleinen Finger mehr Unternehmensbindung haben als ihre ganze Führungsriege zusammen. Ich werde ihnen auch sagen, warum. Diese Telekom ist und war immer mein Leben. Ich habe mein Berufsleben hier begonnen und wollte es auch hier beenden. Ich habe gesehen, wie aus der Post die Telekom und aus Teilnehmern Kunden wurden, aber leider auch, wie aus unserer Firma, in der jeder für jeden da war, ein Unternehmen geschaffen wurde, in dem jeder nur noch an sich denkt (denken muß); wo jeder Unternehmensteil nur noch versucht, den eigenen Bereich sauberzuhalten und aus den anderen Teilen soviel wie möglich abzuschöpfen, auch wenn dort viel größere Lücken gerissen werden, als jemals wieder zu stopfen wären. Ich habe erlebt, wie aus uns Mitarbeitern Humankapital wurde und wie wir alle nur noch als Kostenfaktoren angesehen werden, von denen man sich – so schnell es nur geht – trennen muß und will. Sie und ihre Vorgänger jedoch geben sich im Vorstand die Klinke in die Hand; sie kommen und gehen. Von Unternehmensbindung kann hier wohl kaum die Rede sein. Sie kommen, strukturieren um, und das mit einer Arroganz und Selbstherrlichkeit, ohne auf warnende Hinweise zu hören, daß sich so die Qualität und die Zuverlässigkeit nicht mehr halten lassen kann, geschweige denn besser wird. Es kümmert sich auch niemand von ihnen um die Folgen ihrer Entscheidungen. Sie ziehen mit vollgestopften Taschen weiter, um im nächsten Unternehmen das Gleiche zu tun, und sie hinterlassen skrupellos einen immer größer werdenden Scherbenhaufen.
 
Wenn wir, die wir immer gute, kompetente und hochmotivierte Arbeit geleistet haben, immer die Wünsche der Kunden zu erfüllen wußten und wir lange Zeit das mit Abstand beste Kommunikationsunternehmen waren und uns dann von ihnen sagen lassen sollen, daß wir zu schlecht, zu teuer, nicht motiviert, faul und unproduktiv seien, dann steigt ob dieser Unverschämtheit eine ungeahnte Wut in uns auf. Doch als wenn es ihnen nicht reicht, uns so zu beleidigen, verbreiten sie das auch noch in aller Öffentlichkeit und fügen so unserem Ansehen und somit natürlich auch unserem Aktienkurs einen immensen Schaden zu. Sie beschmutzen rücksichtslos das eigene Nest, nur um kurzfristig ihre (oder wessen auch immer) Abbau- und Auslagerungspläne durchsetzen zu können und von den Fehlern ihrer Vorgänger abzulenken. Das ist eine Unglaublichkeit sondergleichen und ein Vertrauensbruch, der durch nichts zu entschuldigen und wieder gutzumachen ist.
 
Sie vermissen Respekt in diesem Brief? Wem gebührt denn Respekt? Uns Mitarbeitern, die wir uns unser Leben lang für die Telekom und unsere Kunden engagiert haben, die wir immer und immer wieder unser Privatleben den Interessen der Telekom und der Kunden untergeordnet haben und dies noch tun? Uns, die wir die Telekom zum besten, kompetentesten, kundenfreundlichsten und leistungsfähigsten Kommunikationsunternehmen gemacht haben? Oder erwarten sie allen Ernstes Respekt dafür, was sie und ihre Vorgänger uns und unserer Telekom angetan haben? Sie und ihre Vorgänger haben uns im Laufe der letzten Jahre immer mehr Fesseln angelegt, sie haben uns funktionierender Werkzeuge beraubt und uns blind gemacht, indem sie uns Systeme aufgezwungen haben, die nicht die Arbeit erleichtern, sondern nur die Kontrolle verbessern, dafür aber die Effektivität massiv einschränken. Sie haben die interne und die externe Kommunikation zerstört, indem sie funktionierende Rufnummern und Hotlines rigoros abgeschaltet und durch nicht funktionierende Sammelnummern und unsinnige Überlaufkonzepte ersetzten, und sie haben so die interne und externe Erreichbarkeit gegen Null gefahren. Sie haben massiv Wissen, Kompetenz und Arbeitsplätze an Stellen vernichtet, wo das alles unverzichtbar war, indem sie durch Umstrukturierung hochqualifizierte Mitarbeiter in gänzlich neue und unbekannte Arbeitsbereiche oder nach Vivento (Auffanggesellschaft - d. Red.) versetzt haben oder sie zum Vorruhestand, zur Altersteilzeit oder einer Abfindung »überredet« haben.
 
Ihre Vorvorgänger haben (natürlich wieder entgegen aller Warnungen der Fachleute) durch die Schließung Hunderter T-Punkte und den Abbau Tausender qualifizierter Mitarbeiter diese kompetenten Schnittstellen zum Kunden vernichtet und unsere Kunden so in Scharen in die Arme unserer Konkurrenz getrieben, und jetzt rühmen sie sich mit der Schaffung neuer T-Punkte und der Einstellung von ein paar hundert neuen Kräften, jetzt, wo das Kind längst in den Brunnen gefallen ist, wo wir viele Kunden längst verloren haben. Halten Sie uns wirklich für so dumm, daß wir ihnen dafür Anerkennung zollen? Es wurde weiter (mit der gewohnten Überheblichkeit und wieder gegen alle Warnungen) an der Serviceannahme - der zweiten direkten Schnittstelle zum Kunden - Personal in Größenordnungen abgebaut, so daß die Abfragewerte auf die schlechtesten Werte sanken, die jemals zu verzeichnen waren. Die billige Lösung war, unmotivierte und unwissende externe Kräfte mit keinerlei Firmenbindung (!) an Stelle der vorher gründlich »entfernten« Kollegen zu setzen und sich dann über das immer größer werdende Chaos und immer unzufriedenere Kunden zu wundern. Nun wollen sie mit dem Service auch noch die dritte direkte Schnittstelle zu unseren noch verbliebenen Kunden kastrieren, auch hier wieder massiv Personal reduzieren und den Rest mit weniger Gehalt und längeren Arbeitszeiten zu besserem Service motivieren. Wo das hinführt, liegt wieder einmal auf der Hand, doch da in ihrer Etage Entscheidungen grundsätzlich nie zurückgenommen werden, selbst wenn man weiß, daß man einen großen Fehler begeht, werden der Service und die Leistungsfähigkeit ein weiteres Mal mit dem schon schrottreifen Wagen gegen die Wand gefahren. Auf die Einzelteile, die sie dann hinterlassen, warten schon die Geier, die den dann noch verbliebenen Mitarbeitern den Todesstoß versetzen! Aber das erleben sie sicherlich nicht mehr hautnah, da sie dann schon auf dem Weg zur nächsten Firma sind ...
 
Sie ziehen immer wieder gerne das »marktübliche Lohnniveau« als Vergleichsgröße heran und vergleichen uns mit meist ungelernten Hilfskräften, mit Dilettanten, die weder diesen Beruf gelernt haben noch irgendeinen Bezug zur Telekom oder zu unseren Kunden haben. Mit viel Glück sind das ehemalige Elektriker, uns sind aber auch schon Rollrasenverleger (keine Lüge) und ähnliche »Spezialisten« im HVt (Hauptverteiler - d. Red.) begegnet. Das ist, als wenn sie einen Mercedes besitzen möchten, bezüglich des Preises aber einen Trabbi als Vergleich heranziehen und auch nur diesen bezahlen wollen. Wir würden lieber heute als morgen die Telekom wieder an die Spitze bringen! Wir wissen auch, wie es geht und was verändert werden muß! Wir sind für Veränderungen, die den Service und die Kundenfreundlichkeit verbessern! Wir wissen, was die Kunden wollen und wie wir es ihnen bieten können! Wenn sie es ernst meinen mit der Forderung, wieder das beste Kommunikationsunternehmen zu sein, reden sie mit uns! Ideen haben wir genug, Motivation auch! Wir kennen die Kunden und die Firma und wir wissen, wo es knackt im Gebälk! Wir wissen auch, wo viel zuviel Geld verschwendet wird, wo Personal falsch eingesetzt wird und Wissen sinnlos verpufft oder Prozesse angepaßt werden müßten! Nehmen sie uns mit auf dem Weg zu einer besseren Telekom! Nutzen sie unsere Ideen, unser Engagement, unsere Bereitschaft für Veränderungen und unsere Flexibilität!
 
Solange ihre Zielvorgaben für Führungskräfte auf Personalabbauzahlen, Entstörindex und schnelle Abfragewerte aufsetzen und nicht auf Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Generierung neuer Geschäftsfelder (z.B. TK goes IT) und damit auf Steigerung der Einnahmen und Sicherung der Arbeitsplätze, so lange wird es keinen wirklichen Fortschritt bei uns geben und keine Chance, am Markt zu bestehen. Ich bin mir jedoch (leider) ziemlich sicher, daß das gar nicht ihr Ziel ist, daß alle ihre schönen Sprüche nur Worthülsen sind, um die Ausgliederung vorantreiben zu können und daß sie für sinnvolle Vorschläge gar nicht offen sind, da sie die nächsten und übernächsten Schritte schon in der Schublade haben und auch, daß sie niemals einmal getroffene Entscheidungen überdenken oder gar rückgängig machen wollen oder können. Sie hören lieber auf externe Berater wie z.B. McKinsey, die nicht das geringste Interesse an der Telekom haben und jeder Firma den gleichen Mix aus Zerteilung und Personalabbau überstülpen und immer wieder frustrierte und arbeitslose Mitarbeiter hinterlassen. Wenn das also so ist, dann haben sie wenigstens den Mut, mit offenen Karten zu spielen. Verkaufen sie uns nicht weiter für dumm und stehen wenigstens, solange sie noch unsere Firma leiten, in der Öffentlichkeit hinter uns Beschäftigten, und treten sie bitte nicht auch noch mit Füßen nach uns. Als Vorstand und Führungsmannschaft dieses Unternehmens haben sie nicht nur eine Verantwortung gegenüber den Aktionären (der sie mit ihren angekündigten, kontraproduktiven Maßnahmen auch nicht nachkommen), sondern auch eine soziale Verantwortung uns Mitarbeitern gegenüber! Wir Mitarbeiter sind das Unternehmen! Wir haben den Zustand der Telekom nicht zu verantworten. Uns darf man nicht eiskalt in den beruflichen, sozialen und finanziellen Abgrund treiben, das verbietet das soziale Gewissen! Ich befürchte aber, daß dieser Appell bei ihnen und erst recht bei McKinsey verhallt. Wundern sie sich aber nicht, wenn sie, nachdem sie das immer schneller sinkende Schiff Telekom - wie ihre Vorgänger sicherlich mit einer großzügigen Abfindung für ihre hervorragenden Verdienste für die Telekom - verlassen haben, beim Blick in den Spiegel eine Heuschrecke sehen.
 
Ich könnte noch lange so weiterschreiben, da mir noch viel am Herzen liegt, doch ich möchte diesen Brief nicht mit bösen Worten beenden. Deshalb biete ich ihnen zum Schluß noch einmal meine/unsere Unterstützung bei der Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen an. Nutzen sie unsere Kompetenz und unseren Überlebenswillen, um uns am Markt wieder zu etablieren, wir haben daran ein weitaus größeres Interesse als sie, da auf uns keine neuen Vorstands- oder Aufsichtsratsposten, sondern existenzbedrohende Niedriglöhne und/oder Arbeitslosigkeit warten.
 
Lutz P.
 
Der Brief erschien in der Ausgabe der Jungen Welt vom 21. 3. 07 http://www.jungewelt.de/2007/03-21/028.php
1 http://www.jungewelt.de/2007/03-27/051.php