Schlaglichter auf die März-Session - Von Weichenstellungen und Scheingefechten - von Ulrich Schlüer

Die März-Session begann mit einer Energie-Debatte. Warf schon die Diskussion - es ging schliesslich um Kernkraftwerke, Gaskraftwerke und Alternativ-Energie - vergleichsweise hohe Wellen, so löste die Berichterstattung über die Debatte noch viel mehr Reaktionen aus. Weil einige Medien die getroffene Entscheidung fahrlässig vereinfachend auf ein Ja oder Nein zu Gaskraftwerken reduzierten.

Energie: Entscheidungsfreiheit bewahren
Diese Berichterstattung war geradezu tendenziös unvollständig. Die Fakten liegen anders: Dass die Schweiz bereits in wenigen Jahren ein rasch wachsendes Defizit an elektrischer Energie (der Verbrauch steigt, die Produktion stagniert) zu verzeichnen haben wird, ist inzwischen allgemein anerkannt. Die bürgerlichen Parteien treffen deshalb politisch die Vorbereitungen für den Bau von einem bis zwei zusätzlichen Kernkraftwerken. Bis diese Strom liefern können, ist eine gravierende Stromlücke aber längst Tatsache. Deshalb bedarf es auch einer Übergangslösung. Würde die Schweiz vor diesem Erfordernis einfach den Kopf in den Sand stecken, dann würden rund um die Schweiz in unmittelbarer Grenznähe mehrere Gaskraftwerke entstehen, die zwar die Schweiz zur Deckung von deren Stromlücke beliefern würden, zu deren Bau und Betrieb die Schweiz aber - weil sie im Ausland stünden - nichts zu sagen hätte, obwohl die Immissionen dieser Werke unser Land stark belasten würden. Mit dieser Perspektive vor Augen trat die SVP dafür ein, auch die Übergangslösung in eigener schweizerischer Kompetenz zu treffen. Ein Entscheid, der die Erstellung von Gaskraftwerken zwar gestatten, jedoch keineswegs erzwingen würde, obwohl das viele Medien nach der Debatte behaupteten und teilweise noch immer behaupten. Der getroffene Entscheid bewirkt jedoch zwingend lediglich, dass auch die Übergangslösung zur Deckung der Schweizer Stromlücke in eigener, Schweizer Verantwortung zu realisieren sein wird. Was für Werke dafür erstellt werden sollen, dazu bleibt jede Entscheidungsfreiheit garantiert.
 
Linke für Gratis-Pfründe
Auf Antrag des Departements Calmy-Rey verabschiedete der Nationalrat das sogenannte Gaststaat-Gesetz. Neu an diesem Gesetz ist, dass Privilegien, die bisher ausschliesslich den Botschaften ausländischer Staaten sowie internationalen Organisationen mit völkerrechtlichem Status (vor allem dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, IKRK) zugebilligt wurden, neu auch grenzüberschreitend tätigen sogenannten «Nicht-Regierungsorganisationen» eingeräumt werden können. Das wichtigste Privileg im Rahmen solcher Sonderbehandlung ist die Befreiung von jeglicher Steuerpflicht. Gegen diese ungerechtfertigte Bevorzugung international aktiver Vereinigungen unterschiedlichsten Charakters, die nebst den Organisationen auch all ihren Exponenten eingeräumt werden, leistete einzig die SVP Widerstand. Im Gegensatz dazu ergriff die politische Linke mit besonderer Vehemenz Partei für die Inhaber solch internationaler Gutmenschen-Pfründe. Ausgerechnet die Linke, die die attraktive Holding-Besteuerung in der Schweiz ebenso bekämpft wie jede behauptete oder tatsächliche Rücksichtnahme auf hohe Einkommen, tritt dann, wenn ihre eigenen Mitläufer attraktive Pfründe in internationalen Organisationen ergattern, für nichts weniger als eine Null-Steuer ein. Unglaubwürdiger und parteiischer geht's nimmer.
 
Ist Kommunismus weiblich?
Es gilt im Schweizer Parlament die Regel, wonach persönliche Vorstösse von Ratsmitgliedern (Postulate, Motionen, Interpellationen) in der Reihenfolge behandelt werden, wie sie eingereicht bzw. vom Bundesrat (innert vorgeschriebener Frist) beantwortet worden sind. Für Anliegen der geschlechtlichen Gleichstellung gilt das nicht. Dazu verfügte die weibliche Dominanz in Parlamentsführung und -administration ausserhalb der geltenden Ordnung eine Sonderdebatte für den zu einer Art Gedenkanlass erhobenen «Tag der Frau». Während Stunden wurden deshalb - obwohl eigentlich dringende Geschäfte der Behandlung warteten -
am 8. März linke Herzensanliegen bis hin zu altkommunistischen Leitfossilen längst vergangener Jahrzehnte durchgepaukt. Stundenlang. Ganz so, als ob alle Frauen der Schweiz eingefleischte Freundinnen von Kommunisten oder mindestens sozialistischem Gedankengut völlig erlegen wären. Wollte man als gewöhnlich Sterblicher schliesslich - nach Abschluss von Debatte und Sessionswoche - das Bundeshaus verlassen, ging es erst recht los: Ein kreischendes Heer Frauen mit wehenden roten Fahnen empfing - lauthals die Internationale intonisierend - die Ratsmitglieder. Man wunderte sich, dass in Form eines «Strassentheaters» nicht gleich noch Vereinigungsversuche mit Stalin-Puppen vorgeführt wurden. Arme Frauen, die sich von solch infantilen Alt-Achtundsechzigern «vereinnahmen» lassen müssen. Und arme Stadt Bern, die einer Stadtregierung unter rotem Tschäppät ausgeliefert ist, so dass sie sich solch erbärmliche Auftritte als öffentlich sichtbare Visitenkarte elementaren Anstands-Defizits eines Möchtegern-Potentaten gefallen lassen muss.  
 
Über den Umgang mit einem Fass ohne Boden
Die Diagnose ist klar: Die inzwischen im Umfang von zehn Milliarden überschuldete Invalidenversicherung (IV) ist in der Krise. In schwerer Krise, weil aus mehreren Gründen längst zum Fass ohne Boden degradiert: So viel Geld auch immer oben in dieses Sozialwerk hineingeschüttet wird, um so viel mehr Geld fliesst unten weitgehend unkontrolliert wieder hinaus. Das Defizit wächst täglich (täglich!) um fünf Millionen Franken. Sanierung ist dringend. Aber wie vorgehen? Bis Mitte letzten Jahres schienen auch andere bürgerliche Fraktionen - zumindest verbal - das SVP-Konzept mitzutragen, das zuerst die Beseitigung aller Strukturfehler verlangt (das also dem jetzigen «Fass ohne Boden» endlich eine solide Abdichtung verpasst, die weiteren unkontrollierten Geldabfluss stoppt) - erst danach sollen Gelder zur Beseitigung der aufgelaufenen Schuld bewilligt werden. Weil andernfalls - bei umgekehrter Reihenfolge der Massnahmen - bloss der Gelddurchfluss durchs Fass ohne Boden beschleunigt, die strukturellen Fehler der Invalidenversicherung aber nicht behoben würden. Im Klartext: Der IV-Missbrauch durch Scheininvalide ist abzustellen. Und die IV darf nicht länger als «letztes Auffangbecken» missbraucht werden, in welches die Gemeinden ihre Langzeit-Sozialfälle abwälzen können.
 
Schien diese Strategie bis vergangenen Herbst noch mehrheitsfähig, so wurden CVP und insbesondere die FDP von den Linken über den Winter richtiggehend «weichgeklopft»: Plötzlich wurden sie den bloss Milliarden fordernden, aber keine wirksame Remedur zulassenden Linken willfährig und wollten sowohl Lohnprozente als auch eine Mehrwertsteuer-Erhöhung (diese müsste per Volksabstimmung bewilligt werden) zwecks Beschaffung neuer Einnahmen für die IV zulassen. Zwecks Tarnung dieser willfährigen Verbeugung vor der Linken sollte die Mehrwertsteuer-Erhöhung gemäss FDP-Idee zeitlich limitiert werden - obwohl jedermann sofort erkannte, dass das Defizit in der für die erhöhte Mehrwertsteuer bewilligten Zeitspanne nie und nimmer beseitigt würde, so dass die zeitliche Befristung einfach etwas später in einen Dauerzustand verwandelt werden müsste. Sowie dieser Positionswechsel sichtbar wurde, schlug die Stunde des Zürcher Sozialpolitikers Toni Bortoluzzi. Er leitete das Stimmverhalten der SVP fortan so, dass sich die völlig konzeptlose FDP schliesslich konsterniert in der Rolle des maximalen Finanzbeschaffers für eine weiterhin zum Fass ohne Boden verurteilte IV wiederfand. Die FDP-Fraktion wurde damit zur Architektin einer Scheinlösung zur Bevorteilung aller Scheininvaliden. Sie hätte einer Balkanisierung der IV Vorschub geleistet, die fast grenzenlose Ausbeutung des Sozialtopfs zugelassen hätte. Die Lage erwies sich als so desolat, das Toben aus Richtung von Couchepins Bundesrats-Bank wurde so unüberhörbar, dass sowohl FDP als auch CVP schliesslich nichts anderes übrig blieb, als die ganze Vorlage in der Schlussabstimmung zusammen mit der SVP zu beerdigen. Die Auseinandersetzung hatte ein Nachspiel: Zwei Tage nach der Debatte - Bundesrat Couchepin hatte sich wieder beruhigt - traf der federführende Bundesrat in den Gängen des Bundeshauses zufällig auf Nationalrat Bortoluzzi: «Eines habe ich gelernt», meinte der Bundesrat trocken, «die Handwerker im Parlament sind und bleiben die bodenständigsten und die schlausten Parlamentarier . . .» In der Sache ist es jetzt am Ständerat, dem sowohl vor den Steuerzahlern als auch vor den wirklich auf IV-Unterstützung Angewiesenen einzig vertretbaren Konzept «Sanierung vor Ausfinanzierung» zu neuem Leben zu verhelfen.
 
Über sich allmählich Aufrappelnde und haltlos Abrutschende
Den politischen Schlussakkord zur März-Session setzten Debatte und Beschlussfassung zur Waffenabgabe an den Wehrmann nach Hause. Die bestehende, dem Wehrmann Vertrauen schenkende und der Milizarmee Zukunft sichernde Regelung wurde bestätigt. Das war das Ergebnis in der Sache. Die Debatte liess vor allem Rückschlüsse auf den Zustand der Parteien zu: Die SP hat sich von der schweren Niederlage in der Volksabstimmung über die Einheits-Krankenkasse bei weitem noch nicht erholt. Ausser bei kollektivem Angriff auf Milizarmee und Landesverteidigung taumelt sie. Die CVP, früher notorische Hüst- und Hott-Partei, scheint sich dagegen aufzurappeln. Mit simplem Mittel: Themen, die die SVP mit konkreten, oft unmissverständlichen Vorschlägen für Massnahmen (etwa gegen die Gewaltkriminalität) aufgreift, stehen wenig später auch in der CVP im Mittelpunkt, wobei diese dann vor allem Aussagen in der Art von «Der Bundesrat trifft Massnahmen, damit . . .» platziert. Das täuscht Entschlossenheit vor, ohne dass Lösungen erarbeitet werden müssten. Der desolate Zustand der FDP wurde in der Armeewaffen-Debatte noch einmal erschreckend deutlich: Ein Bekenntnis zur Milizarmee, ein Bekenntnis zum verantwortungsbewussten Bürger in Uniform bringt diese einst staatstragende Partei nicht mehr über die Lippen. Sie bekämpfte die Verunmöglichung der Waffenabgabe an den Wehrmann bloss, weil - wie FDP-Sprecher Edi Engelberger ausführte - die Linke vergessen habe, den Einzug der Taschenmunition separat zu fordern. Dies solle sie, forderte der FDP-Sprecher die Linke auf, rasch nachholen, damit man fortan dem Wehrmann die Waffe ohne Munition nach Hause gehen könne. So gleichsam als Spielzeug für solche, die gelegentlich «Soldätlis» spielen möchten . . .  Wahrlich, das geistige Abrutschen der FDP nähert sich in beklemmender Geschwindigkeit dem freien Fall in den Abgrund.
 
Nationalrat Ulrich Schlüer, Flaach ZH
Quelle der «Schweizerzeit» vom 23. März 2007