Jagdbomber beim Kriegstraining abgestürzt?

politonline: Dem Artikel von German Foreign Policy in der Angelegenheit des Tornado-Absturzes in der Schweiz stellen wir den Kommentar von Peter Aebersold voran: Die Medienberichte über den Tornadobomber-Absturz lesen sich wie ein Pharmaprospekt für Beruhigungspillen: keine Bomben an Bord (wozu dann der Waffensystem-Offizier?), nur Navigationsflug, Schweizer Luftwaffe fliege auch im Ausland, Flug sei bewilligt gewesen, nicht aussergewöhnlich, usw. Dabei wurde kürzlich der Kriegseinsatz der Tornados von einer Mehrheit im Deutschen Bundestag abgesegnet. In Afghanistan kämpfen sie nun an der Seite der Agressoren in einem völkerrechtswidrigen Krieg, bei dem auch die Zivilbevölkerung nicht vor den Bomben verschont bleibt, was ein klarer Verstoss gegen die Genfer Konvention ist. War der harmlose Navigationsflug in Wirklichkeit ein Training für den Kriegseinsatz am Hindukusch? Handelt es sich hier um Vorbereitungen zu Kriegshandlungen, bei dem sich auch ein neutrales Land völkerrechtswidrig verhält, wenn es diese duldet? Hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) blauäugig Flugbewilligungen für Alpen-unerfahrene Navigationsflieger oder für riskantes Kriegstraining unter Hindukusch-Bedingungen vergeben und dabei letztlich das Leben unserer Zivilbevölkerung und unserer Touristen gefährdet?

GFP: Im Tiefflug
Bern/Berlin/Belgrad/Kabul (Eigener Bericht) - Mit regelmäßigen Luftwaffentrainings nutzt Berlin das Territorium der Schweiz für eigene Kriegsvorbereitungen. Dies macht der Absturz eines deutschen Tornados in den Alpen nahe Bern deutlich. Übungen deutscher Kampfflugzeuge und Militärhubschrauber im dortigen Hochgebirge sind nicht unüblich, räumt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport nach dem tödlichen Unfall ein. Mit den Trainingsflügen bereitet sich die Bundeswehr auf Gewaltoperationen in schwierigem Gelände vor. Sie folgt damit dem Beispiel britischer Spezialtrupps, die bereits vor Jahren in der Schweiz für den Kampfeinsatz am Hindukusch übten. Die Vereinnahmung des ehemals neutralen Landes durch mehrere NATO-Staaten stößt auf Kritik. Man dürfe nicht zum »Kriegstrainingslager« der westlichen Interventionsmächte verkommen, heißt es in Schweizer Medienkommentaren. Die deutsche Luftwaffeneinheit, zu der die zerschellte Maschine gehörte (Jagdbombergeschwader 32), hat 1999 am Überfall auf Jugoslawien teilgenommen und hält sich gegenwärtig für die Bekämpfung möglicher Unruhen in Serbien bereit. »Wir sind Himmelfahrtkommandos gewöhnt«, sagt ein deutscher Tornado-Pilot im Gespräch mit dieser Redaktion. »Egal ob über Serbien, der Schweiz oder in Afghanistan... Unsere Ausfälle sind kriegsbedingt. Sie sind eingerechnet.« Der deutsche ECR-Tornado, eine Maschine, die auf die Tiefflug-Bekämpfung gegnerischer Radaranlagen spezialisiert ist, stürzte während eines regulären Übungsflugs über Schweizer Hoheitsgebiet ab. Die Besatzung war nach Angaben der Bundeswehr am vergangenen Donnerstag auf dem französischen Luftwaffenstützpunkt Solenzara (Korsika) gestartet und befand sich auf dem Rückweg ins deutsche Lechfeld. Nach einer Zwischenlandung änderte der Kampfflieger die Zielrichtung und setzte zu einem Bogenmanöver durch die Schweizer Alpen an. Tiefflüge in den dortigen Hochgebirgstälern gelten wegen der zerklüfteten Landschaft und der schwer zu berechnenden Thermik als Herausforderung und sind prestigeträchtiges Element einer exzellenten Ausbildung. »Das ist notwendig«, sagt ein deutscher Tornado-Pilot, der anonym bleiben will, weil er Disziplinarmaßnahmen befürchtet. »Das Training orientiert sich an Kriegseinsätzen. Dafür sind wir da. Alles andere ist beruhigendes Gerede für die Öffentlichkeit.«
 
Übungskampagnen
Der deutsche ECR-Tornado zerschellte nur wenige Minuten nach einer Zwischenlandung. Dem Piloten war es nicht gelungen, seine aus dem Tal kommende Maschine über die steil ansteigenden Felsen zu manövrieren. Übungsflüge der deutschen Luftwaffe in der Schweiz sind nach Auskunft des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport nicht ungewöhnlich. Während ausländische Kampfflieger »nur vereinzelt« Trainings in den Schweizer Hochgebirgstälern durchführen dürfen (angeblich jährlich rund 20), halten Hubschraubereinheiten der Bundeswehr dort »wochenweise Kampagnen« ab, um die Bewegung in den Tälern und an Berghängen zu erlernen. 1] Riskante Tiefflüge bis zu einer Höhe von 300 Metern über dem Talboden bzw. 100 Metern über den Bergkuppen sind zugelassen, obwohl sie die Bevölkerung belästigen und gefährden. Eine »aktive Kontrolle« der militärischen Flugbewegungen sei unmöglich, da «im Gebirge oft kein Radarkonktakt« hergestellt werden könne, erklärt das Berner Verteidigungsministerium. [2] Den Freibrief für gefährliche Flugmanöver machen sich neben der deutschen Luftwaffe auch die Luftstreitkräfte Frankreichs, Italiens, Österreichs, Belgiens und der Niederlande zunutze.
 
Verflechtung
Wie es in Bern heißt, ist die Öffnung der fliegerisch attraktiven Schweizer Berglandschaft für Militärs aus NATO-Staaten Teil eines umfassenden Kooperationssystems, mit dem das ehemals neutrale Land zum Teilhaber der westlichen Kriegsexpansion wird. [3] Die Verflechtung erstreckt sich inzwischen auch auf Besatzungsaktivitäten: Rund 200 Schweizer Militärs sind im NATO-Rahmen in Serbien stationiert, weitere wurden nach Afghanistan kommandiert und sind dort ebenfalls dem westlichen Kriegsbündnis unterstellt. Zudem stellt die Schweiz den EU-Truppen in Bosnien-Herzegowina Personal und Hubschrauber zur Verfügung.
 
Trainingslager
Nach dem Absturz des deutschen Kampfflugzeugs kommt es wegen der NATO-Trainingsmaßnahmen auf dem Territorium der ehemals neutralen Schweiz zu innenpolitischen Spannungen. »Das riecht ein bisschen nach Ausbildung für Einsätze in Afghanistan«, urteilt ein Sicherheitsexperte aus dem Berner Nationalrat über die offen zutage getretene deutsche Praxis, in den Hochgebirgstälern des Landes Tiefflüge zu üben. [4] Die Schweiz dürfe nicht zum »Kriegstrainingslager für Afghanistan« verkommen, warnen Medienkommentare. [5] Tatsächlich nützen die Flugübungen unter schwierigen Bedingungen nicht nur dem Bundeswehreinsatz in den Bergen des Hindukusch; auch Berliner Militäraktivitäten in anderen besetzten Staaten profitieren von der deutsch-schweizerischen Kriegskooperation. So wird das Jagdbombergeschwader 32, zu dem das zerschellte Kampfflugzeug gehörte, seit beinahe zwölf Jahren schwerpunktmäßig im Luftraum des ehemaligen Jugoslawien eingesetzt. Dort waren die deutschen Jagdbomber an tödlichen Gewaltoperationen gegen Belgrad beteiligt.
 
Arbeitsteilung
Im Juli 1995 verlegte Berlin ECR-Tornados des Bombergeschwaders 32 auf den italienischen Luftwaffenstützpunkt Piacenza, von wo aus die Flugzeuge am 7. August 1995 zum ersten ausländischen Kampfeinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg starteten: Sie flankierten US-Maschinen im Luftraum über Sarajewo und ermöglichten die Ausschaltung der jugoslawischen Flugabwehr. Mit derselben Aufgabe war das Geschwader vom 24. März bis zum 11. Juni 1999 am nächsten Überfall auf Jugoslawien beteiligt. Wie die Bundeswehr einräumt, wurden dabei in mehr als 2.100 Flugstunden rund 450 Einsätze geflogen und über 230 HARM-Raketen auf jugoslawische Stellungen gefeuert - »zum Schutz der NATO-Flugzeuge vor Boden-Luft-Raketen«. »Tatsächlich wurde, wann immer eine Rotte ECR über dem Kosovo patrouillierte, nicht ein einziges alliiertes Flugzeug erfolgreich beschossen«, lobt sich die Bundeswehr über ihre Rolle im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Belgrad. [6]
Fester Bestandteil
Während die RECCE-Tornados des Aufklärungsgeschwaders 51 (Immelmann), die von 1995 bis 1999 gemeinsam mit den ECR-Tornados in Jugoslawien im Einsatz waren, in den kommenden Tagen ihren ersten regulären Flug in Afghanistan durchführen [7], ist das Jagdbombergeschwader 32 laut Mitteilung der Luftwaffe »nach wie vor fester Bestandteil der Bündnisplanungen zur Friedenssicherung« in Südosteuropa.[8] Die irreführende Sprachregelung will zum Ausdruck bringen, dass sich Maschinen des Unfallgeschwaders zur Bekämpfung möglicher Unruhen in Serbien bereithalten. Auf schwierige Flugbedingungen sind die Piloten vorbereitet. Wie schon 1999 sind sie mit ihren ECR-Tornados in der Lage, in den zerklüfteten Gebirgstälern des Landes feindliche Radaranlagen zu überwinden und auszuschalten - im Tiefflug nach Schweizer Art.
 
Logik
»Es ist ja nicht der erste Tornado-Unfall«, sagt der Bundeswehr-Pilot im Gespräch mit dieser Redaktion. »Es sind inzwischen über 50 Maschinen, die verloren gingen oder stark beschädigt wurden, und das mit steigender Tendenz. Das ist jetzt nur stärker aufgefallen, weil es sich nicht (auf den Übungsflügen) in den USA oder Kanada abgespielt hat, sondern über der Schweiz... Es werden noch mehr herunterkommen. Das ist die Logik der weltweiten Einsätze. Das ist eingerechnet.«
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56807 15.04.2007
 
[1], [2] Factsheet Navigationsflüge; Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS 13.04.2007
[3] Schweizer Luftwaffe am Nordic Air Meet 2006 in Norwegen; Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS 25.09.2006
[4] Fragen nach Nato-Einsätzen und der Zuständigkeit; Jungfrau Zeitung 13.04.2007
[5] Verkommt die Schweiz zum Kriegstrainingslager für Afghanistan?; oraclesyndicate.twoday.net/stories/3569888/
[6] Geschichte der 1./JaboG 32; www.321tigers.de/
[7] s. dazu Kriegsbeihilfe
[8] Das Jagdbombergeschwader 32; www.luftwaffe.de