Rückblick auf das World Economic Forum [WEF] in New York - von Doris Auerbach

Anfang Februar 2002 wurde das 32. WEF statt wie üblich in Davos in New York abgehalten. In seiner Eröffnungsrede sprach sich Bundesrat Villiger für einen zivilisierten Dialog aus und signalisierte das Interesse der Schweiz an einer Rückkehr des WEF nach Davos. Ein gleiches Signal sollte auch der von der Schweiz gesponserte und vom Starkoch Anton Mosimann bestrittene Empfang unter dem ambitiösen Titel 'The Best of Switzerland' aussenden.

-Christoph Blocher hat einmal gesagt: 'Wir brauchen jedes Zehnernötli',  nämlich zum Abbau unserer Verschuldung. Diese Forderung sehe ich generell als nicht erfüllt an und schon gar nicht, wenn der Schweizer Steuerzahler ein Abendessen bestreiten muss, dessen sicherlich hohe Kosten ich als  unrechtmäßig vergeudeten 'Steuerbatzen' betrachte. Für Teilnehmer, die ihrerseits Millionen im Rücken haben und von denen viele zu denjenigen zählen dürften, die sich die Taschen in den Drittweltländern vollschaufeln, ist ein solches 'Goodwill Bankett' verfehlt,  auch wenn es  den 'public relations' der Schweiz dienen sollte. Ich sehe für Letztere  keinerlei Notwendigkeit, da die Wirtschaft- und Bankenwelt unseres Globus über die Schweiz bestens Bescheid weiss. Und bei den Gegnern des WEF dürfte diese Form des 'goodwills'  schon gar nicht auf Widerhall stossen. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund drei Bundesräte anreisten, da für sie keine eigentliche politische Funktion gegeben war.  Die Verlegung des WEF nach New York erfolgte, wie es hiess, auch deshalb, weil die Schweiz nicht genügend Sicherheit gewährleisten konnte. Trifft dies in den Augen der WEF-Teilnehmer zu, so kann man ihnen nur empfehlen, in Zukunft im UNO-Gebäude in New York zu tagen, das die  'Internationale Gemeinschaft' ohnedies Unsummen an Unterhalt kostet.  Ich bin im übrigen der Auffassung, dass man es den WEF-Teilnehmern absolut zumuten kann,  die Kosten für ihre Sicherheit vollkommen allein zu bestreiten. Es fragt sich ferner, ob der Steuerzahler darüber im Bilde ist,  dass der Bundesrat beschlossen hat, für die Durchführung des WEF  im Jahr 2003 in Davos volle  4 Millionen Schweizer Franken bereitzustellen. In Anbetracht des Haushaltsdefizits und der generellen Verknappung der Mittel lassen sich derartige Ausgaben aus meiner Sicht in keiner Weise rechtfertigen. Zieht man die eiskalte und arrogante Aussage von Claude Smadja in Betracht, die da lautet: 'Was in Davos ausserhalb des Kongresszentrums geschieht, geht uns nichts an',  dann ist für mich  jeder Franken für diese Leute in den Sand gesetzt. Der vor kurzem unrühmlich in die Schlagzeilen geratene ehemalige ABB-Chef Percy Barnevik, ein regelmässiger Teilnehmer an  den Bilderberger-Treffen, hat schon 1992 klar aufgezeigt, was der Geist von Davos  bedeutet,  als er im Zusammenhang mit dem sinkenden Anteil der Arbeitskräfte folgendes sagte: 'Wohin werden alle diese Leute gehen? Hinausgehen müssen Sie, weil wir sie nicht mehr brauchen, wenn wir Europa wirklich als einen Markt nützen werden.' Dies zeugt nicht nur von der erstaunlichen Einstellung, dass Europa als Markt lediglich von den Konzernen zu beanspruchen ist, sondern auch von der totalen Verleugnung jeglicher sozialer Verantwortung, die sich gegenwärtig in einer Millionenzahl an Arbeitslosen quer durch Europa ausdrückt.
 
Aus der Sicht von Bundesrat Villiger ist das  WEF als Forum des Dialogs ein Nährboden für den Sinn für Verantwortung. Eine solche ist für mich  nirgendwo erkennbar. Schon gar nicht, wenn es die Regierungen Chinas und Indien zulassen, dass die USA ihre ausgedienten, als Abfall anfallenden Computer und andere elektronische Geräte dorthin zur Entsorgung sendet. Hilfsarbeiter zerlegen diese  mit veralteten Methoden, wobei sie sich notgedrungen giftigen Stoffen aussetzen. Dieser 'E-Müll' hat bereits das Grundwasser verseucht. Die USA ist das einzige Industrieland, das sich nicht an das international respektierte Verbot, keine gefährlichen Abfälle in Entwicklungsländer zu senden, hält.* Der vielgepriesene Geist von Davos tagt seit Jahrzehnten,  ohne dass der Raubbau  an den Ressourcen ein Ende nähme oder das Los der Arbeitnehmer in den Schwellenländern verbessert würde. Er lässt sich vorwiegend dort nieder, wo er sicher sein kann, von Billigstlöhnen, niedrigen Steuern und minimalsten sozialen Verpflichtungen zu profitieren. Wo hätte im übrigen der Geist von Davos je wirklich an dem Faktor Korruption Anstoss genommen? Ohne Korruption ist die Plünderung der Dritten Welt durch multinationale Konzerne nicht durchführbar. Der  'Erfolg' dieses  Geistes lässt sich am besten an der Tatsache ablesen, dass sich die Anzahl der ärmsten Länder in den letzten 25 Jahren verdoppelt statt verringert hat. Das darf nicht verwundern, wenn man bedenkt, in welchem Ausmass asiatische und afrikanische Diktatoren ihren Ländern Milliarden entwendet haben, sozusagen unter den Fittichen der UNO und des Internationalen Währungsfonds. Es ist mir bislang noch kein Bericht in die Hände gekommen, der belegen würde, dass diese Summen nach ihrer Rückführung dafür verwendet worden wären, das Haushaltsdefizit respektive die Aussenschuld dieser Länder abzutragen. Angesichts der unermesslichen Ressourcen der Staaten Afrikas oder auch Indonesiens,  kann niemand an der Frage vorbeikommen, wieso die Profite der Wirtschaft ins Unermessliche steigen, während die Bevölkerungen dieser Länder in die Armut absinken. Indien hält beispielsweise  am Bau von nuklearen Sprengköpfen fest, weist aber immer noch die höchste Anzahl von Kinderarbeitern und Analphabeten sowie eine steigende Anzahl von in die Prostitution gezwungener Mädchen auf. In Nigeria sind die Ölkonzerne seit Jahren aktiv und paktierten somit ohne Skrupel mit der bis 1999 herrschenden Militärdiktatur. Der landeseigene Reichtum hat  offensichtlich nicht dazu beigetragen,  das Bildungsniveau der Nigerianer zu heben. Sonst könnte man davon ausgehen, dass sie sich  gegen die erst im Januar 2000 eingeführte Scharia mit ihrem harten Strafkatalog gewehrt hätten.  Zuvor gab es in Nigeria weder Auspeitschungen oder Steinigungen, noch die Amputation von Gliedmassen.  Was für ein Rückschritt! Die danach einsetzenden religiösen Auseinandersetzungen  zwischen Muslimen und Christen haben inzwischen in ganz Nigeria mehrere Hunderttausend Todesopfer gefordert.  Ist es zuviel verlangt, wenn man von den Wirtschaftsvertretern des Davoser Forums  erwarten  würde, hier Einfluss auf die Regierung zu nehmen, damit sich die Lage ändert, andernfalls auf die weitere Förderung von Öl zu verzichten? Erst dann liesse sich von einem Davoser 'Geist' sprechen.  Nigeria ist das zehntgrösste Exportland von Erdöl. Wie dort gewirtschaftet worden sein muss, lässt sich an der  Aussenschuld  des Landes ablesen, die im August des Jahres 2000  30 Milliarden US-$ betrug.  Der Diktator Abacha allein schaffte eine Summe von geschätzten 4 Mrd. US-$ ausser Landes. Sicher nicht ohne Kenntnis der Wirtschaftsvertreter in Davos und der Banken.
 
Die Ausbeutung der enormen Bodenschätze in Irian Jaya  [der  westliche Teil von Papua-Neuguinea] erfolgt durch die US-Firma Freeport, die dort seit mehr als 20 Jahren die weltweit grösste Gold- und die drittgrösste Kupfermine betreibt. Für die Eingeborenen fällt wie üblich nichts ab, ihre Entlöhnung bestand noch 1996 ausschliesslich in Naturalien.  Im Vorstand des US-Konzerns sass oder sitzt noch immer der berüchtigte Henry Kissinger, dessen Verbrechen inzwischen vollumfänglich dokumentiert sind **.  Irian Jaya ist  auch jetzt noch ein  von den Indonesiern widerrechtlich besetztes Gebiet. 600'000 Hektar des dort 1978 als Nationalschutzgebiet deklarierten Lorentz-Nationalparks wurden in der Folge einfach 'umgewidmet' und dem Bergbaugiganten Freeport zugeschlagen. Die Randgebiete des Naturparks gleichen Müllhalden, auf denen der Abraum der Minengesellschaft deponiert wird. Die Flüsse sind verseucht. 70% des Waldbestandes wurden für die Japaner zum Abholzen freigegeben. Der Widerstand der Eingeborenen ist vom indonesischen Militär mit der bekannten Brutalität niedergeschlagen worden. Ein Blick nach Kolumbien. Die Vertreibung und Ermordung der in Chocó  ansässigen Bevölkerung und die Einäscherung ihrer Dörfer, über die keine Zeitung berichtet, jedoch vom Südwestrundfunk Baden-Baden  im September 1998 bekanntgemacht wurde, dürfte vollzogen sein. Zur Freude der Davos-Apostel. Denn dort, an der Grenze zu Panama, vermutet man Kupfer, Nickel, Gold, Uran und Erdöl. Das Gebiet soll in Zusammenarbeit mit internationalen Firmen in eine Wirtschaftszone verwandelt werden. Alles unter dem Schlagwort Globalisierung. Die unter Clinton über den 'Plan Colombia' bereitgestellten 1.3 Mrd. $, die vor allem in die Militärausrüstung gehen,  haben keine Annäherung zwischen der Regierung und der Guerilla gebracht.  Human Rights Watch hat  erneut nachgewiesen, dass die  Zusammenarbeit der Armee mit dem das dreckige Geschäft des Völkermords betreibende und mit den Grossgrundbesitzern paktierende Paramilitär unvermindert anhält. Zum Auftakt der internationalen Konferenz der Indios in Panama im Mai 2001 verurteilten die kolumbianischen Ureinwohner die brutale Unterdrückung in ihrem Land. Allein in der westkolumbianischen  Region Naya, in der  Paramilitär und Guerilla seit letztem Juni um die Kontrolle kämpfen, sind bei 17 Massakern über 400 Indios ermordet worden. Erschreckend ist ferner die Meldung, dass das kolumbianische Militär bei den Bemühungen  um den Schutz der Erdölinfrastruktur eine 'unterstützende Funktion' ausüben wird. Da die  Erdölreserven des Landes  für die USA von strategischem Interesse sind, gehören die amerikanischen Erdölkonzerne als Mitglieder der 'US Colombia Partnership' zusammen mit der Rüstungsindustrie zu den Hauptförderern des 'Plans Colombia'.  So gesehen  hat der Geist von Davos allein in Kolumbien zur Folge, dass rund 1,2 Millionen Vertriebene in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind.
 
Die Privatisierung
Diese gehört zu den an erster Stelle stehenden Zielen  des Davoser Geistes. Sie  ermöglicht es den  Konzernen, sich sozusagen nach Belieben  in jedes Land einzukaufen,  wobei die der Bevölkerung gehörenden Ressourcen, die eigentlich unter staatlicher Regie bleiben müssten, von Aktiengesellschaften verwaltet werden. Man muss sich einmal vorstellen, dass heute  weltweit immer noch 1.2 Milliarden Menschen, also jeder Fünfte dieser Erde, keinen Zugang zu ausreichendem und sauberem Trinkwasser haben.  Bis zum Jahr 2015 soll dieser Anteil halbiert werden. Damit liegen volle l3 Jahre zwischen jetzt und dem Erreichen dieses Ziels. Das Ganze ist von einem ungeheuren Zynismus, denn die uns zur Verfügung stehende Technik würde es ohne weiteres erlauben, diese Zielgrenze um Jahre herabzusetzen. Indonesien zum Beispiel ist eines der Länder, die am meisten unter dem Verbund der Suharto-Diktatur mit dem IWF und der USA gelitten haben. Ausgerechnet in diesem geschundenen Land hat ein multinationaler Konzern die vormals öffentliche Wasserversorgung in Jakarta übernommen. So wird das Wasser, mit das kostbarste Element,  zunehmend in die Hände  privater Unternehmen wie Suez, Vivendi und RWE gelegt, die sich auf einen milliardenschweren Markt vorbereiten. Dazu verlautet, dass man mit traumhaften Renditen rechne, denn Wasser sei das Erdöl dieses Jahrhunderts. Ist Wasser, das den Bewohnern eines Landes gehört und niemandem sonst, dazu da, für eine Handvoll Aktionäre riesige Gewinne abzuwerfen, oder muss es der Bevölkerung unter sparsamster Haushaltung zu Niedrigstpreisen zugänglich gemacht werden?  Eine Studie der deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisation WEED hat jetzt offengelegt, dass auf Seiten der grossen Konzerne an einer Ausweitung der Infrastruktur für die Wasserversorgung in ländlichen Gebieten, also für die arme Bevölkerung, kein Interesse besteht. Bei jeder  Privatisierung dürfte in der Regel ein Teil des Profits in die Taschen korrupter Staatschefs gehen.
 
Der Internationale Währungsfonds   [IWF]
Fast überall dort, wo sich Korruption und Profit in die Hände spielen, ist auch der IWF nicht weit. Seine Kredite fliessen nach wie vor in Länder, die sich schwerster  Menschenrechtsverletzungen schuldig machen. Dazu gehören in erster Linie die Türkei, der strategische Bündnispartner der USA, ferner die Militärdiktatur Pakistan. Die Schere zwischen Arm und Reich geht zwangsläufig weiter auf, solange die Tätigkeit des IWF keiner Reform unterzogen wird.  An einer solchen sind die Davoser Teilnehmer ganz offenbar nicht interessiert, ist doch der IWF mit ein Garant dafür, dass die Auslagerung der Arbeitsplätze in die Billiglohnländer so reibungslos erfolgen kann. Der Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2001, Joseph Stiglitz, hat darlegt, dass die hohen Zinssätze, die der IWF den kreditnehmenden Ländern  im Namen der Stabilisierung empfiehlt, massenhaft zu Bankrott und Vernichtung von Kapital führen. Bei Antritt seines Amtes verlor Paul O'Neill, ehemaliger Finanzminister der Regierung Bush, keine Zeit, sein Evangelium zu verkünden:  <Der IWF und die Weltbank müssten ihre Methoden gründlich überdenken und ihre Kredit-Largesse bremsen. Es gehe nicht an, dass die beiden Finanzinstitutionen disziplinlose Drittweltregierungen mit immer neuen Rettungspaketen über Wasser hielten, dies auf Kosten des Steuerzahlers.   Denn solche Finanzpakete gefährdeten die Schuldnermoral.> Noch irritierender  ist die Tatsache, dass von jedem IWF-Hilfspaket zuerst die Spekulanten in den New Yorker Banken profitieren, die ihre Geschäfte in den Schwellenländern tätigen, was ganz auf der Linie des  Davoser Geistes liegen dürfte!  Der IWF hat sich  ferner im Juli  2000 nicht nur für 'bescheidenere Löhne' in Europa ausgesprochen, sondern darüber hinaus im Herbst 2001 verlangt, dass dort die Arbeitsschutzgesetze abgebaut werden. Letzteres hat er auch Berlusconi nahegelegt, was die Italiener jetzt dazu zwingt, massiv dagegen zu protestieren.
 
Ein Teil des Geistes von Davos ist unleugbar der  ungehemmte Fluss der Waffen, der sich über unseren Globus ergiesst. Die 'segensreiche' Wirkung der in der USA produzierten Rüstung entfaltet sich heute vor allem in den Drittweltländern, denn genau in diese armen Staaten gehen ca. 50% der US-Rüstungsproduktion, wo sie  sicherlich nicht der Stärkung der Demokratie dienen. Die massive Erhöhung der Militärausgaben Südasiens hindert 110 Millionen Kinder am Schulbesuch und bedingt, dass dort 500 Millionen Menschen in absoluter Armut leben. Viel mehr als die Dauerverschuldung der Schwellenländer hat der IWF nicht bewirkt.
 
Ob WEF oder IWF, keine der beiden Institutionen kann an einer demokratischen Entwicklung der Bevölkerungen der Drittwelt- resp. der Schwellenländer  interessiert sein, denn beide  arbeiten mit korrupten Regimes zusammen. Das Dargelegte ist nur ein ganz winziger Ausschnitt aus den herrschenden Verhältnissen. Diese werden seit Jahren von Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und anderen angeprangert, worüber sich die  WEF-Teilnehmer locker hinwegsetzen. Aber auch der Aktienbesitzer. Er ist mit die Triebfeder für die Jagd auf immer unverhältnismässiger werdende Profite. Solange dieser Geist keine Änderung erfährt, wird sich jede aufgestockte Entwicklungshilfe, auch die jetzt in Monterrey vereinbarte,  im Nichts verlieren. Man sollte die Davoser Teilnehmer endlich als das sehen, was sie sind, vielleicht ergäbe sich dann insofern ein Meinungsumschwung, als man sich diese nicht länger nach Davos zurückwünschte. Das WEF hätte es längst in  der Hand gehabt, Politik und Wirtschaft menschlicher zu gestalten. Wie bequem, diese Versprechen ständig weitgehend ergebnislos vor sich herzuschieben.
 
*     Studie der Umweltverbände Silicon Valley Toxic Coalition
       und Basel Action Network, San José, Kalifornien, 26.2.02
**   Christopher Hitchens 'Die Akte Kissinger', DVA (Deutsche Verlagsanstalt)
 Artikel in  'Zeit-Fragen'   Nr. 18 vom 29. 4. 2002 erschienen