Warburg Bank: Eine Preisverleihung an Condoleezza Rice - Von Doris Auerbach

Soeben ist Condoleezza Rice mit dem Eric-M.-Warburg-Preis ausgezeichnet worden. Die Berichterstattung über den Anlass hält sich selbstverständlich fernab des von der anglo-amerikanischen Ölmacht im Irak und in Afghanistan angerichteten und unvermindert anhaltenden Infernos in rosaroten Tönen, wie sich das für die "Elite" so gehört und könnte einer wahren Menschenfreundin gebühren. »So schwer ist es gar nicht, der wichtigsten Frau der Vereinigten Staaten eine Freude zu machen: Da wären beispielsweise Robert Schumanns Fantasiestücke op. 12 Grillen und Aufschwung, gespielt von der 15jährigen Jugend musiziert-Preisträgerin Danae Dörken. Sehr andächtig lauschte die US-Außenministerin Condoleeza Rice deren Vortrag, schloß sogar die Augen, um keinen Ton zu missen. [Es war doch hoffentlich nicht etwa Müdigkeit?.] Rice spielt selbst Klavier, einige sagen, sogar in Konzertqualität. Schumann gehört zu ihren Lieblingskomponisten. Und dieser Schumann wurde auch noch in außergewöhnlichem Ambiente dargeboten - den Neuen Kammern im Park von Schloß Sanssouci in Potsdam.« Von der anderen Wirklichkeit, an der diese wichtigste Frau beteiligt ist, wird noch die Rede sein. Den Warburg-Preis erhielt Rice für ihre - mir bislang nicht bekannten - Verdienste um die deutsche Einheit und das deutsch-amerikanische Verhältnis. Jedenfalls vermerkt der Bericht der Tageszeitung Berlin, dass es Rice war, die, wie ihr Laudator, Altkanzler Helmut Kohl, enthüllte, als »Sowjetexpertin des Weißen Hauses» (so Rice über Rice) und eine der wichtigsten Beraterinnen von US-Präsident George Herbert Walker Bush in dieser Funktion »mit entscheidend für die deutsche Wiedervereinigung» war. Vielleicht hat sich Kohl des Begriffs "enthüllen" deswegen bedient, weil Berichte hierüber schlechterdings nicht zu entdecken sind. Bekannt ist, dass der Mentor der Aussenministerin an der Universität Denver Joseph Korbel war, der Vater Madeleine Albrights, der tscheschichstämmige Kenner des Ostblocks, und dass das Thema ihrer Dissertation der sowjetische Einfluss auf die tschechoslowakische Armee war. Das letzte Mal, so erfahren wir ferner, wurde der Warburg-Preis im Jahr 2002 an eben diesen Präsidenten, George Bush sen., verliehen. Etwa dafür, dass Saddam Hussein ein alter Bekannter von ihm war und in den Kreisen der amerikanischen und britischen Rüstungsindustrie, die Saddam in den 80er Jahren für seinen Krieg gegen die iranischen Mullahs ausgestattet hatten, gern gesehen war?

Nahezu eine Million Menschen starben  in dem 10 Jahre währenden, vom Westen finanzierten Gemetzel. 2 Oder erhielt Bush den Preis für den Befehl, den er 1989 zum Einmarsch in Panama gab, der 2000 Menschen das Leben kostete - aber dennoch den Namen  »Operation Just Cause« tragen durfte; oder wurde er gar für den gegen den ehemaligen Verbündeten Saddam Hussein geführten Zweiten Golfkrieg ausgezeichnet? Auch dieser wurde überaus geschickt inszeniert, u.a. deswegen, weil Saddam am Ende des Krieges gegen den Iran nicht gewillt war, Kissingers Aufforderung nachzukommen, die Ölquellen des Landes zu privatisieren. Bush könnte der Preis aber auch durchaus dafür verliehen worden sein, dass er am 11. September 1990 eine Rede hielt, in der er zum ersten Mal vor grossem Publikum über die für uns längst vorgesehene »Neue Weltordnung« sprach, zu einem Zeitpunkt, als Saddam bereits in Ungnade gefallen war. Jeder kann feststellen, dass Bush diese genau 11 Jahre vor dem 11. September 2001 in New York ausrief, nämlich am 11. 9. 1990, was sich schlecht als Zufall werten lässt, hat man einmal erkannt, wie - natürlich ohne uns - geplante Strategien mitunter zwar recht langsam, aber dennoch unerbittlich umgesetzt werden. Wie Bush verkündete, sollte die new world order als »Friedensdividende« des überwundenen Kalten Krieges reiche Früchte tragen. »Es war [dennoch] für jedermann offensichtlich, schreibt John Pilger 2, dass die neue Ordnung gewalttätiger war als die alte, denn die Zahl der Konflikte in aller Welt stieg rapide an.«
 
Ansonsten ist es ‚rührend’, welche Höflichkeiten ausgetauscht wurden. »Rice«, so der Bericht, »sagte denn auch, sie fühle sich ‚etwas seltsam’, hier auf der Bühne als Preisträgerin zu stehen, sie sei doch nur ‚zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen’- nämlich als Sowjetexpertin im damaligen Weißen Haus von Bush senior. Und angesichts der schönen Musik sei sie auch eher versucht, sich an den Flügel zu setzen. Da sie aber ‚nicht geübt’ habe, werde sie nun doch reden.« Was sie uns dann wissen lässt, ist im eigentlichen nicht neu. Sie formulierte zwei Ziele für die transatlantische Staatengemeinschaft: Zum einen, die Ernte dessen einzufahren, was die Vorgänger nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hätten - ein freies und geeintes Europa. Leider hat der EU-Bürger keine Möglichkeit, Frau Rice darüber aufzuklären, wie es inzwischen um diese Freiheit steht, die eine weitgehende Entmachtung der  nationalen Parlamente, eine verstärkte Kontrolle, eine fortschreitende Überwachung und die wachsende Beschneidung der Bügerrechte einschliesst. Das zweite Ziel sei, jetzt zu säen, was spätere Generationen ernten können. »In den Ländern von Marokko bis Afghanistan ist eine Zeitenwende im Gang, eine tektonische Verschiebung«, sagte Rice. Überall würden Reformer und Modernisierer danach streben, ihre Länder zu demokratisieren. Das kann offenbar nur sie entdecken. Der in London im Asyl lebende Rafic Khalifa, der ehemalige Führer der algerischen Khalifa-Gruppe, bezeichnet zum Beispiel Algerien als Diktatur und Bananenrepublik mit einem alle Macht auf sich vereinigenden Präsidenten; dort bildet die Folter noch immer ein System der permanenten Gewalt, die Generäle beherrschen das Land, die Regierung führt einen Krieg gegen das eigene Volk und der algerische Schriftsteller Mohammed Moulessehoul nennt sein Land einen Handlanger der USA. Den neuesten Einblick in die Vorgänge in Algerien gewährt der Bericht von German Foreign Policy »Folterpartner« vom 6. 6. 2007 *. Vielleicht betrachtet Rice auch die dort geplanten Privatisierungen, gegen die bereits im Februar 2003 ein Generalstreik erfolgt war, als Reformen. Der Generalsekretär der Gewerkschaft UGTA [Union générale des travailleurs algériens], Sidi Sad, der den Streik anberaumt hatte, sprach, unter gleichzeitigem Protest gegen die Verarmung der Bevölkerung, von einem Ausverkauf der nationalen Industrie, wobei die Opposition die Generäle bezichtigt, 90 % des algerischen Ölvorkommens zu behändigen. Aber das wäre ja, was die Privatisierung anbelangt, an sich nichts Neues.
 
Zu Marokko wäre zu sagen, dass es uns sozusagen ungestört mit Cannabis ‚versorgt’, dessen Vertrieb die spanische Schleppermafia europaweit organisiert. Laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vom Januar 2004 breiten sich die Hanfkulturen jetzt auch in bewässerten, landwirtschaftlich leistungsfähigen Zonen aus. Es wird vor wachsenden Monokulturen, vor der Übernutzung der allzu intensiv gedüngten Böden, der Abholzung der Wälder und zunehmender Erosion gewarnt. Rund 27 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in den fünf nördlichen Provinzen Chefchaouen, Taounate, AlHoceima, Larache und Tétouan dienen dem Hanfanbau, der einen geschätzten Handelswert von rund 12 Mrd. $ erbringt. Die UNO macht sich wie üblich grosse Sorgen, über die sie, wie wir das seit langem so gewohnt sind, offensichtlich nicht hinausgelangt. Weniger bekannt sind vermutlich die von Militäreinheiten der USA zwecks Bekämpfung des Terrorismus (!) mit den marokkanischen Truppen gemeinsam abgehaltenen Übungen. Dem Geheimdienst des Landes wird vorgeworfen, Gefangene auf systematische Weise zu foltern. Ein zugunsten Marokkos sprechender Lichtblick sind immerhin die Bestrebungen des jetzigen Königs Mohamed VI, auch wenn dieser an seinen Privilegien festhält, das Land mit seinen wirtschaftlichen, sozialen und bildungspolitischen Problemen voranzubringen. Dazu braucht er mehr Frauen in der privaten Wirtschaft, der öffentlichen Verwaltung und in anderen Schlüsselberufen. Inzwischen sind schon ein Drittel der Ärzte, ein Fünftel der Ingenieure, ein Viertel der Professoren und zwei Drittel der Apotheker Frauen. Zwecks Erreichung dieses Ziels ist das Gesetz über die faktische Gleichberechtigung der Frau, die neue »Mudawana« in Kraft getreten. Was Afghanistan betrifft, so dürfte die für dieses Land ins Auge gefasste Zeitenwende - wie man aus dem derzeitigen Vorgehen der Besatzungsmacht schliessen muss - aus nichts anderem als der totalen Unterwerfung bestehen, so, wie die angestrebte Vernichtung der Taliban und des Dschidhads - die beide von der USA aufgebaut wurden - leider als Teil des »tektonischen Elements« zu sehen ist. Der Fakt, dass wir den Dschihad und die Taliban der anglo-amerikanischen Ölmacht verdanken, kann gar nicht oft genug wiederholt werden, da die Presse selbst dann, wenn dies unabdingbar wäre, meistens darauf verzichtet, diesen zu erwähnen.
 
Gerade deshalb, so Rice, sei die Gegenwehr »einiger weniger Extremisten, die nichts, aber auch gar nichts Positives im Angebot haben« so stark. Und was hätte die USA für die sich ihr widersetzenden Länder an Positivem im Angebot? Genau besehen, denke ich, lediglich eine ganz eigene, von ihr  konzipierte Form der Demokratie, welche die Ausbeutung fremder landeseigener Ressourcen unter geringer Beteiligung der eigentlichen Besitzer mit einschliesst. Doch die Reformer und Modernisierer, so Rice, würden auf den Beistand der transatlantischen Staatengemeinschaft setzen - und »wir müssen nun ein Fundament aus guten Entscheidungen legen«, liess sie uns wissen. Dieser Beistand wird gerade in Afghanistan von vielen als Beihilfe zum Mord an der wehrlosen Bevölkerung ausgelegt, und was die guten Entscheidungen betrifft, so gäbe es nur eine einzige, die Washington natürlich nicht treffen wird: Der totale Truppenabzug aus den einer langsamen Zermalmung entgegengehenden Ländern Irak und Afghanistan.
 
Es genügt, sich einige, selbstverständlich nicht an der Preisverleihung erwähnte Aussagen von Condoleezza Rice vor Augen zu führen, um ermessen zu können, welche Art von Personen die ‚Elite’ unter sich auszeichnet. Zieht man die Nazizeit in Betracht, so ist man ständig mit dem Begriff des willigen Helfers konfrontiert. Es möge sich in der Folge jeder fragen, ob sich an dem Tatbestand dieser Funktion auf Regierungsebene inzwischen irgendetwas geändert hätte. Dass sich die Inszenierung sowohl des Afghanistan- als auch des Irakkriegs der unglaublichsten Lügen und Behauptungen »erfreute« ist hinlänglich bekannt. Aber erst am 8. 4. 2004 gab Rice endlich das öffentlich zu, was nicht länger zu verheimlichen war, nämlich dass Afghanistan in der Tat bereits vor dem 11. September ein Angriffsziel der USA war. Sie bekannte vor den Mitgliedern der unabhängigen Untersuchungskommission zum 11. 9. unter Eid, dass der Stab von Präsident Bush eine Woche vor dem Attentat seine Einwilligung zu einem Plan erteilt hatte, der dem Terrorismus in Afghanistan den Kampf ansagte. Es war allerdings auch bei dieser Gelegenheit nicht zu vernehmen, dass einer der Anwesenden darauf hingewiesen hätte, dass der uns praktisch täglich ins Bewusstsein gehämmerte Terror, dem sich insbesondere die USA ausgesetzt fühlt, mit - wie oben bereits dargelegt - dem Aufbau des Dschihads durch die eigene Nation seinen Anfang nahm. Damit wurde auch die Aussage des früheren pakistanischen Aussenministers Naiz Naik bestätigt, die ebenfalls belegt, dass der Angriff auf Afghanistan bereits vor dem 11. 9. 2001 geplant war. Dieser hatte an den lange geheim gehaltenen, im Jahr 2000 sowie Anfang 2001 in einem Berliner Hotel durchgeführten Afghanistan-Gesprächen teilgenommen. Laut Naik war der Krieg die Sanktion für den Abbruch der Verhandlungen zwischen den Taliban und der USA Mitte Juli 2001, welche die UNOCAL-Pipeline zum Gegenstand hatten. Damit widersprach Rice ihrer eigenen, früher gemachten Aussage, der zufolge die Invasion - ein milder Ausdruck für den brutalen Überfall - auf einer legitimen Basis erfolgt sei. Das Schicksal des Iraks war fast zum gleichen Zeitpunkt besiegelt, genauer gesagt: neun Tage nach dem 11. September, am 20. 9. 2001. Wer liesse sich hier noch täuschen, wie »günstig« das Element des 11. 9. für alle Kriegspläne war. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der in Ottawa lehrende Professor Michel Chossudowski darauf hinwies, dass das PNAC, das »Project for a New American Century«, ein Jahr vor dem 11. September von der Notwendigkeit »eines katastrophalen und klärenden Ereignisses, einem neuen Pearl Harbor« sprach, welches die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten für die Unterstützung eines Kriegsplanes mobilisieren könnte. Wenigstens ist die Wahrheit über Pearl Harbor endgültig offengelegt. Was die Moral der Verantwortlichen betrifft, so ist diese bereits dadurch charakterisiert, dass ein Mann wie Paul Wolfowitz, einer der Hauptarchitekten des Irakkriegs, an die Spitze der Weltbank treten konnte oder dass Tony Blair von Seiten der Wirtschafts- und Bankenauslese dieses Jahr in Davos hinsichtlich des unermesslichen Leids, das in den genannten Ländern herrscht, anscheinend mit keinerlei Vorhaltungen zu rechnen hatte. Zumindest drang nichts Derartiges in die Presse.
 
Der geschilderte Sachverhalt hinderte jedoch Rice nach Antritt ihrer Stelle als neue Aussenministerin nicht daran, die Entscheidung zum Krieg gegen den Irak im Januar 2005 im Senat zu verteidigen; sie erklärte, dass die Schwierigkeiten bei der Demokratisierung  des Zweistromlandes der Tyrannei Saddam Husseins vorzuziehen seien. Einer solchen muss aus der Sicht Washingtons offenbar eine flächendeckende Bombardierung des Landes vorausgehen. Ihrer Auffassung widerspricht allerdings die von Wesley Clark schon am 8. Februar 2004 in einem CNN-Fernseh-Interview erklärte Darstellung der Dinge, der nichts hinzuzufügen ist: »As to Saddam Hussein, we built him up, wie used him and we contained him. There was no reason to go to war against the Iraq« - was Saddam Hussein betrifft, so bauten wir ihn auf, benutzten ihn und zogen ihm seine Grenzen. Es gab keinen Grund, den Irak anzugreifen. Es ist durchaus denkbar, dass dem Land der zweite Überfall  erspart geblieben wäre, hätten Möglichkeiten für ein erneutes Zusammengehen von Saddam Hussein mit der USA bestanden. Jedenfalls war einer der Gründe für Saddams Untergang, dass er es gewagt hatte, das aus den Ölverkäufen resultierende Guthaben des Iraks bei der UNO in Euro umzutauschen.
 
Es ist bekannt, dass Rice ebenso wie Bush die weltweite Förderung von Freiheit und Demokratie als Priorität der US-Aussenpolitik bezeichnet. Angesichts des Vorgehens von Washingtons kann man dies allenfalls als eine hochgradige Verdummung ansehen. Gegen diese Erklärung spricht auch folgendes: Wie es heisst, haben das Carnegie Endowment for International Peace, der Fund for Peace sowie die CIA 2005 einen sogenannten »failed states«-Index vorgelegt, eine Rangliste für 20 gescheiterte Staaten, die u.a. Afghanistan,  Burundi, die Demokratische Republik Kongo, die Elfenbeinküste, Guinea, Irak, Jemen, Liberia, Ruanda, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Tschad und die Zentralafrikanische Republik einschliesst, die zum Teil über erhebliche und wertvolle Rohstoffvorkommen verfügen. Zur Sicherung der Erdöl- und sonstiger Ressourcen schlug der Direktor für politische Planung im US-Aussenministerium, Prof. Dr. Stephen D. Krasner - derzeit Leiter der Abteilung Politische Planung im Aussenministerium - der NATO und der EU folgendes vor: Militärische Niederwerfung und Dauerbesetzung, Einsetzen einer besatzerhörigen Regierung und zivile Zwangsverwaltung; Ausbeutung der Ressourcen bis zur letzten Neige 3. Auf dieser Linie scheint auch die von dem rechtskonservativen Cambridgeabsolventen John Casey noch vor dem US-Angriff auf den Irak im Jahr 1991 im Evening Standard vom 20. August 1990 ausgesprochene Ankündigung zu liegen, dass es den Westmächten nun freistehe, in der Dritten Welt »zu tun und zu lassen, was ihnen beliebt.« 2
 
Die demokratischen Richtlinien der USA verheissen eher ein fortschreitendes Verhängnis für den Nahen Osten. So war auch der vorjährige Libanonkrieg unter der Bezeichnung »A Clean Break« bereits 1996 konzipiert worden und stellte gemäss den Worten von Rice für die Theoretiker des »konstruktiven (!) Chaos« lediglich die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens dar, dessen Umformung sich die USA entsprechend ihrer Masstäbe ganz offensichtlich vorbehalten kann, da nicht festzustellen ist, dass Brüssel oder ein anderes Land den ins Auge gefassten Plänen entgegenträte. So empfehlen amerikanische Armeekreise eine ethnische Neuordnung fast sämtlicher Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Territorialverluste und neue Grenzziehungen betreffen unter anderem die Türkei, Syrien, den Libanon, Saudi-Arabien, Irak, Iran und Pakistan. Durch Auflösung ganzer Staatenverbände sollen neue Völkerrechtssubjekte entstehen, die nach Stammes- und Religionszugehörigkeit gebildet werden. Demnach soll auf dem Boden der heutigen Osttürkei und des Nordiraks ein Flächenstaat von der dreifachen Grösse Syriens mit dem Namen »Freies Kurdistan« entstehen, der restliche Irak geteilt und die Hauptstadt Bagdad zerschlagen werden. Der Iran verliert weite Teile seiner Küsten sowie die an Pakistan grenzenden Gebiete, wo ein  »Freies Baluchistan« gegründet werden soll. Mekka und Medina, bisher in Saudi-Arabien gelegen, steigen zu Hauptstädten eines muslimischen Gotteslandes auf, das an die Südgrenzen Jordaniens stösst - bei Verdoppelung des haschemitischen Territoriums (Grossjordanien). Die Ethno-Neuordnung ist in mehreren US-Karten festgehalten, die von dem französischen Historiker Dr. Pierre Hillard veröffentlicht wurden 4.
 
Auch der von Rice im Oktober 2005 an der Universität Princeton gehaltenen Rede, in der sie die von der USA gegen den Irak und Afghanistan geführten Angriffskriege verteidigte, lässt sich entnehmen, dass der Wille der USA zur gewaltsamen »Befreiung« weiterer Länder im Mittleren Osten ungebrochen ist. Die Verbreitung von Demokratie und Freiheit - auch mit Waffengewalt - sei »die einzige Garantie für wahre Stabilität und anhaltende Sicherheit«, so Rice, wobei jedermann klar sein dürfte, dass den von einer derartigen Befreiung betroffenen Bevölkerungen ein hartes Schicksal bevorstehen dürfte. »Wenn Sie glauben, wie ich und Präsident Bush es tun, dass die Grundursache für den 11. September der gewalttätige Ausdruck einer weltweiten extremistischen Ideologie war, eine Ideologie, die auf der Unterdrückung und Verzweiflung des modernen Mittleren Ostens beruht, dann müssen wir versuchen, genau die Quelle dieses Terrors zu entfernen, indem wir die ganze Region umformen«, so Rice. Die Möglichkeit, eine derartige »Fassade« weiterhin ohne Risse bestehen zu lassen, dürfte vermutlich noch eine Weile andauern, sehe ich diese doch soeben durch die erfolgte Preisverleihung gestützt. So schreckte Rice am 15. 5. 2005 bei ihrem Besuch in Bagdad auch nicht davor zurück, zu erklären, dass der Irakkrieg auf die USA zukam und nicht [etwa] umgekehrt: »This war came to us, not the other way around«. Es ist schon erstaunlich, wie es Rice gelingt, zu übergehen, dass sie sich auf diese Weise nicht nur in den Augen zahlreicher ihrer Mitbürger, sondern auch unzähliger Europäer unglaubwürdig, um nicht zu sagen lächerlich macht, da bereits vor 2005 alle Fakten auf dem Tisch lagen.
 
Schon zuvor, am 8. Februar 2005, hatte Rice bei ihrem Antrittsbesuch in Frankreich in einer Grundsatzrede in Paris ihr flammendes Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie darlegt. Offenbar gelten diese jedoch in Wirklichkeit nur für ihr eigenes Land und - vorsichtshalber möchte man ‚noch’ hinzufügen - für die US-Verbündeten. So erklärte sie u.a., dass nach dem Streit um den Irakkrieg nun »ein neues Kapitel« in den Beziehungen aufgeschlagen werden müsse. »Amerika ist bereit, mit Europa an unserer gemeinsamen Agenda zu arbeiten, und Europa muss sich bereit halten, mit Amerika zu arbeiten«, hiess es. Ich denke, dass die Mehrheit der Europäer genauso wie ich in den oben offengelegten Plänen der USA mitnichten irgendwelche Gemeinsamkeiten entdecken können. Amerikaner und Europäer seien stets am erfolgreichsten, wenn sie sich auf Grundlage ihrer gemeinsamen Werte »für die Sache der Freiheit einsetzten«, wird uns erklärt. Meiner Auffassung nach decken sich allerdings die Werte und die Freiheit der Aussenministerin in nichts mit dem, was wir hier in Europa darunter verstehen.  
 
Wenigstens wurde Rice an der Universität Bosten im Juni 2006 von etwa hundert Studenten und Lehrern der Rücken zugekehrt, um damit gegen ihre Rolle bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs zu protestieren. Diese trugen Armbinden mit der Aufschrift »Nicht in meinem Namen«. Rice war an der Universität eingetroffen, um die Ehrendoktorwürde  entgegenzunehmen. Direkt vor ihrer Ankunft überflog ein Flugzeug mit dem Banner »Ihr Krieg ist eine Schande« drei Mal das Stadion Auf einem grossen Transparent, das jedoch rasch von einem Polizisten entfernt wurde, war zu lesen: »BC (Boston College) ehrt die Lüge und die Folter«. Rund 200 der etwa tausend Dozenten hatten eine Petition gegen die Visite unterzeichnet. Der Anglistik-Professor Steve Almond kündigte. Der Student James Hamilton, der am selben Tag sein Abschlussdiplom in Empfang nahm, nannte Rice eine Kriegsverbrecherin. Weil sie gelogen habe, hätten unschuldige Menschen sterben müssen. Dennoch wurde die Aussenministerin von den meisten der an der Zeremonie teilnehmenden Gästen beklatscht. Hochgradig bedenklich stimmt, dass die Ehrendoktorwürde von einer Universität verliehen wurde, die dem Jesuitenorden gehört.
 
Helmut Kohl, der nur noch sehr selten in der Öffentlichkeit auftritt, hielt die Laudatio: »Wenn eine diesen Preis verdient hat, dann Sie«, sagte Kohl. Da die Presse in der Regel eher dazu neigt, sich in Lobeshymnen als in weniger angenehmen Tatsachen zu ergehen, seien hier einige der Leistungen des von Kurt Schumacher als »Kanzler der Alliierten« bezeichneten Altkanzlers angefügt, die von Joachim Nolywaika in seinem Buch ‚Die Ära Kohl’ dokumentiert und von Hermann Franzis in seinem eigenen Werk ‚Die Falschspieler - Amerika, die grosse Zumutung’ wiedergegeben wurden 5:
 
»Kohl machte mehr Schulden als alle Kanzler vor ihm zusammen. Und das in den meisten Fällen nicht zugunsten Deutschlands und seiner Interessen [es wird, möchte ich hier einfügen, leider immer noch zu wenig bedacht, dass kein verschuldetes Land in seiner Politik frei und unabhängig sein kann]. Er machte Deutschland faktisch zum Einwanderungsland im Sinne des »Hooton-Plans« zur Umvolkung der deutschen Nation. Kohl war ein Verzichtspolitiker. Im Zug der Teilvereinigung verschenkte er ganz Ostdeutschland an die ehemaligen Vertreibergenerationen. Er unternahm nicht den leisesten Versuch, historisches deutsches Siedlungsgebiet dem deutschen Volk zu erhalten. Die Teilvereinigung der beiden deutschen Staaten betrieb Kohl, will man den inzwischen vorliegenden Dokumenten glauben, auf Veranlassung der USA, weil diese mit der NATO dichter an die sowjetischen Rohstoffquellen vorzurücken beabsichtigte und dafür erst einmal Mitteldeutschland in die NATO einbeziehen musste, ohne allerdings Deutschland dadurch zu stärken. Im Sinne der Trilateralen Kommission bemühte sich Kohl in Mitteldeutschland mit Erfolg, ein Wirtschaftswunder nach westdeutschem Vorbild zu verhindern, und zwar unter anderem durch die Sanktionierung kommunistischer DDR-Verstaatlichungen. Zu diesem Zweck trug er Sorge, das in den Westen Deutschlands geflüchtete unternehmerische Potential von der Rückkehr in die mitteldeutschen Betriebe abzuhalten, während altgediente Funktionäre gleichzeitig im Amt und als Seilschaften weiterwursteln konnten. Kohl betrieb die Auflösung Deutschlands und seiner Währung zugunsten eines multikulturell deformierten, globalisierten europäischen US-Protektorats mit Festschreibung besonderer Tributpflichtigkeit der von ihm vertretenen Bevölkerung.« Zusammengefasst, schreibt Franzis, lässt sich sagen: Kohl agierte unter massiver Verletzung seines Amtseids als 100 %iger »Insider«-Vasall. Daher konnte auch Zbiginiew Brzezinski im Juli 1999 in Wien auf einem vom Institut für Human-Wissenschaft zum Thema ‚Zehn Jahre nach 1989’ veranstalteten Seminar folgendes verkünden: Europa ist zum grossen Teil ein amerikanisches Protektorat.   
 
Sicherlich wird jeder dazu neigen, der von Rice abschliessend dargebotenen optimistischen Prognose zu folgen: »Der Tag wird kommen, an dem unsere Nachfahren zurückschauen und sich fragen, wie wir jemals daran zweifeln konnten, dass Afghanistan ein blühendes Land, der Irak ein geeintes Staatswesen und die Israelis und die Palästinenser in zwei Staaten Seite an Seite leben.« Dennoch bleibt die beklemmende Frage: Zu welchem Preis?
 
In der Idylle des Schlosses Sanssouci ertönte kein Schrei der im Verlauf des Afghanistan- und Irakkriegs zutode Gefolterter - deren Zahl wir nicht kennen - der Verschleppten, der weiterhin der Folter ausgesetzten Gefangenen, noch ein Entsetzensschrei der durch die Bomben der Besatzungsmacht Zerfetzten, kein Wehklagen der auf Grund der Kriegsverhältnisse im Winter erfrorenen Afghanen oder der aus ihrem Land flüchtenden Iraker, noch ein Hauch der Verzweiflung der Mütter der jetzt im Irak geborenen grauenhaften Missgeburten, die die von Vietnam bei weitem in den Schatten stellen. Es störte auch kein Aufschrei der willentlich in immer grösserer Zahl erschossenen afghanischen Taliban die gegenseitig ausgesprochenen Nettigkeiten. Vermutlich hätte sich auch kaum einer der Anwesenden dadurch betroffen gefühlt. In meinen Augen werden alle diese Kriegsopfer durch diese Preisverleihung unendlich verhöhnt. Aber: das ist die ‚Elite’ unter sich. Vergessen wir nicht, dass es jeweils die ‚Elite’ ist, die die Kriege macht, die abzuwenden uns trotz der vielzitierten, bei jeder Gelegenheit beschworenen Demokratie nicht möglich ist.
 
Quelle: http://www.welt.de/politik/article910771/ 1. Juni 2007„Wenn eine diesen Preis verdient hat, dann Sie"
1 http://www.freace.d<e/artikel/200510/011005a.html; Umformung der ganzen Region
2 John Pilger ‚Verdeckte Ziele’, Seite 273, 279, 283
3 Prof. Dr. Christoph Zürcher: ‚Gewollte Schwäche’, September 2005, in ‚Zerfallende Staaten’, Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) e.V, Berlin
4 Der GFP-Gesamtbericht ‚Schmutziges Geheimnis’ ist auf politonline resp. auf http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56504  vom 8. 9. 06 einsehbar
5 Hermann Franzis, Die Falschspieler - Amerika: die grosse Zumutung, Hohenrain-Verlag Tübingen, 2002, ISBN-Nr. 3-891 180-066-5; Joachim Nolywaika, Die Ära Kohl - Wende abwärts 1982-1998, ISBN-10: 3887410289
* Siehe: ‚Folterpartner’ [http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56873] sowie ‚Der Krieg im Irak - ausgedacht in Israel’, von Stephen J. Sniegoski, [zuerst in Zeit-Fragen Nr. 5 / 10. 2. 2003 publiziert / http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_101c/INDEX.HTM] auf politonline