Kirchtürme oder Minarette

Die SVP hat eine Initiative anlaufen lassen, die den Bau von Minaretten verbieten sollte. Ich habe Verständnis dafür, aber genügt das, um den kulturellen Frieden in diesem Lande zu erhalten bzw. zu vertiefen?

Was hilft es der abendländischen Kultur, wenn sie die Minarette aus ihrer Welt schaffen, aber selbst keine eigene Ethik mehr pflegen kann. Immer mehr Menschen kehren den bedeutenderen christlichen Kirchen den Rücken, weil diese unglaubwürdig geworden sind. Vor allem die Jugend hat keine ethischen Vorbilder mehr, an die sie sich halten könnte. Wenn ein Papst nach dem erzkatholischen Brasilien reisen muss, um die Austritte aus der Kirche zu stoppen, sagt das alles. Noch nachdenklicher stimmt mich, wenn der Papst sagt, dass alles getan werden muss. Vielleicht nach dem Motto »der Zweck heiligt die Mittel«? Der Leitfaden für die Christen sollte die Bibel sein, die als Gottes Worte gelten. Aber diese Bibel enthält allzu menschliche Interpretationen, die in der heutigen aufgeklärten Zeit immer weniger ernst genommen werden. Vergleicht man die verschiedenen Religionen, stellt man fest, dass alle eines gemeinsam haben: Sie sind das Werkzeug, um Macht auszuüben, indem sie die Menschen mit Hilfe ihrer Glaubensvorschriften am freien Denken hindern. In der westlichen Hemisphäre hat man mit der Psychologie versucht, die Menschen von den christlichen starren Glaubensvorschriften zu befreien. Diese Befreiung führte nicht zu freiem Denken, sondern einfach in eine neue geistige Abhängigkeit. Der Hintergrund ist immer der Gleiche: Macht und Materialismus.
 
Der Mensch ist ein Geschöpf der Natur, genauso wie Pflanzen und Tiere. Er gebärdet sich so, als wäre er das Höchste und Beste, das die Natur hervorgebracht hat. Er benimmt sich aber seinen Artgenossen gegenüber mieser als jeder Rudelführer unter den Tieren: Verantwortungslos, egoistisch, ohne jede Rücksicht -bis zur Selbstzerstörung. Dabei würde uns die christliche Ethik - wenn wir sie auch nur annähernd befolgten - beinahe das Paradies auf dieser Erde bescheren. Nächstenliebe, Ehrlichkeit und Verantwortung gegenüber den Artgenossen und der Natur als Ganzes würden ausreichen, damit alle in Frieden ohne zu hungern leben könnten. Die Frage ob Kirchtürme oder Minarette, wäre irrelevant.
 
Die ganze Natur fusst auf dem Prinzip von fressen und gefressen werden. Auch Tiere und Pflanzen üben Macht aus und streiten. Wenn es um Neid um Eifersucht geht, vergessen auch sie, wann sie satt sind.  Mit Ausnahme des Menschen muss jeder mit den Mitteln kämpfen, die ihm von der Natur gegeben sind. Der Mensch allein ist in der Lage, Techniken zu entwickeln, um sich gegenseitig umzubringen und ganze Landstriche zu zerstören; mit den modernen Möglichkeiten sind wir kurz davor, die ganze Erde in Chaos und Elend zu stürzen. Alle Materie auf der Erde und im ganzen Weltall besteht aus positiv und negativ geladenen Elementarteilchen, wobei sich gleiche Ladung abstösst und ungleiche anzieht. Es geht also im weitesten Sinn um das Gleichgewicht der Energien. Solange sich die verschiedenen Ladungen in etwa Paroli bieten, ist alles einigermassen im Gleichgewicht, andernfalls kommt es zu Störungen. Im übertragenen Sinne betrachtet könnte das bedeuten, dass das Gute und das Böse - einmal aus dem Gleichgewicht geraten - Chaos, Not, Elend, wenn nicht sogar die totale Zerstörung zeitigen. Sind Materie und Leben im Endeffekt einfach Energien in dauernder Wechselwirkung? Betrachten wir die Erdgeschichte, so stellt ein Menschenleben doch nur einen Moment dar. Warum können wir in diesem Moment nicht leben und leben lassen? Warum streben wir immer nach Macht und Besitz, also nach Dingen, die wir sowieso nach kurzer Zeit hinter uns lassen müssen? Wäre es nicht sinnvoller der nächsten Generation einfach Nächstenliebe, Verantwortungsbewusstsein und den Willen zu Eigenständigkeit mit auf den Weg zu geben?
 
Johanna Haidvogl-Werder, Gelterkinden
www.haidvogls-sperberauge.ch