Michael Parenti: Weltmachtpolitik der USA nach dem "Ende der Geschichte"

Michael Parenti gehört zu den angesehensten kritischen Stimmen in den USA. Nach Politikprofessuren an renommierten Universitäten und dem Erhalt zahlreicher internationaler Preise ist er heute vor allem als Publizist tätig. Er deckt die neokonservative Strategie der US-Oberschicht auf: den »Sozialismus im eigenen Land auflösen«. Gemeint ist damit die »Befreiung« von jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung bei gleichzeitiger Aneignung allen Reichtums. Parentis hier gekürzt abgedruckter Beitrag erschien zur Frankfurter Buchmesse in dem von dem Soziologen Michael Klundt herausgegebenen Buch »Kapitalismus versus Barbarei? Die Geschichtsschreibung der neuen Weltordnung«.


Größe und Gold als Zeichen des Überflusses und der Macht des Geldes und der Politik (Prometheus-Plastik vor dem Rockefeller Center in New York) Foto: wdr/dpa
Jahrelang sahen sich die politischen und ökonomischen Eliten der Vereinigten Staaten in einem tödlichen Kampf mit den kommunistischen Ländern um die Treue des Volkes sowohl im In- als auch im Ausland. Der Zwang, sich mit einem alternativen ökonomischen System in Konkurrenz zu befinden, setzte dem Grenzen, wie uneingeschränkt sich westliche Führer eine schlechte Behandlung ihrer Arbeiterbevölkerung erlaubten. In der Tat gaben sie sich große Mühe zu beweisen, wieviel schöner das Leben für die Arbeiter im Kapitalismus war. So kam der »historische Kompromiß« zustande. Immer wieder wurde argumentiert, daß die US-Arbeiter einen höheren Lebensstandard genießen würden als ihre Gegenspieler unter dem Joch des Kommunismus. Statistiken wurden geliefert, um zu zeigen, daß sich die sowjetischen Arbeiter viele Stunden mehr plagen mußten als die US-Arbeiter, um verschiedene Konsumgüter zu kaufen. Bezogen auf die medizinische Versorgung, die Miete, Wohnungsbeschaffung, Erziehung, Transportmittel und andere Leistungen, die in den USA so teuer sind, in kommunistischen Ländern jedoch stark subventioniert wurden, gab es keinen Vergleich.

Die Sorge über den Kommunismus half dem Bürgerrechtskampf. Da wir angeblich mit Moskau um die Herzen und den Verstand der Nicht-Weißen in Asien, Afrika und Lateinamerika konkurrierten, wurde es als Notwendigkeit gesehen, daß wir uns von Jim Crow1 befreiten und unseren farbigen Mitbürgern Ebenbürtigkeit zugestanden. Viele der Argumente gegen die Rassentrennung wurden mit genau dieser opportunistischen Rhetorik formuliert: nicht die Rassengleichheit um der Gerechtigkeit willen, sondern weil es das Image der USA im Kalten Krieg verbessern würde.


Sozialismus zurückgedrängt

Der Sieg über den Kommunismus in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern rief allgemeine Freude innerhalb der höheren Kreise in den Vereinigten Staaten und anderen westlich-kapitalistischen Ländern hervor. Bis auf ein paar geringfügig verteidigungsfähige Länder wie Kuba und Nordkorea schien der grenzüberschreitende Konzernkapitalismus nun den gesamten Erdball fest im Griff zu haben. Jedoch konnte bald eine ungeduldige Klage in konservativen US-Publikationen ausgemacht werden. Sie lautete etwa so: »Wenn der Sozialismus überall von der freien Marktwirtschaft zurückgedrängt wird, warum gibt es dann nicht auch seine Verdrängung in den Vereinigten Staaten? Warum müssen wir weiterhin alle Arten der kollektiven Regulierung und Dienstleistungen tolerieren?«

Bis 1992 wurde es vielen Konservativen klar, daß nun die Zeit gekommen war, sich von allen Einschränkungen freizumachen und dies der Arbeiterklasse überzustülpen. Der Konkurrenzkampf um deren Herzen und Verstand war vorbei. Wie Margaret Thatcher gesagt haben soll: Tina (There Is No Alternative – Es gibt keine Alternative) ist die neue Ordnung der Dinge. Es gab keinen anderen Ort, an den zu gehen die arbeitenden Massen sich hätten vorstellen können. Da es einen totalen Sieg errungen hatte, war das große Kapital nun in der Lage, die Verhältnisse ausschließlich nach eigenem Gusto zu gestalten – zu Hause und auch im Ausland. Es würde keine Rücksichten oder Gefälligkeiten mehr geben, nicht für die Arbeiter, nicht einmal für die angestellten Fachkräfte oder das mittlere Management.

Durch die Geschichte hindurch gab es nur eine Sache, die die herrschende Klasse gewollt hat – nämlich alles: die besten Ländereien, Wälder, Wild, Herden, Ernten, Rohstofflagerstätten und wertvollen Erdmetalle, all das Vermögen, die Reichtümer und profitablen Kapitalerträge; all die produktiven Anlagen, der gewinnbringende Ideenreichtum, die Technologien; all die Schaltstellen des Staates und der bedeutenden Institutionen; all die öffentliche Unterstützung und die Subventionen, Privilegien und Immunitäten; Schutz durch die Gesetze, jedoch ohne Einschränkungen durch sie; die ganzen Dienstleistungen, den Komfort, Luxusartikel sowie die Vorteile einer bürgerlichen Gesellschaft ohne all die Steuern und Kosten. Jede herrschende Klasse wollte immer nur dies: all die Vorzüge, aber keine der Lasten. Der operative Code lautete: Wir haben viel; wir können noch mehr kriegen; wir wollen alles.

Mit der Verdrängung des Kommunismus fühlten sich die politisch-ökonomischen Kreise, die über das Land walteten, nicht länger verpflichtet, irgendwelche »historischen Kompromisse« oder modus vivendi mit der Arbeiterklasse zu dulden. Anstatt sich über drohende Arbeitslosigkeit Sorgen zu machen, wie während des Kalten Krieges, strebte die Konzernelite nun danach, eine ausreichend hohe Arbeitslosigkeit zu erhalten, um die Gewerkschaften und bedrängten Arbeiter zu schwächen und ein Wachstum ohne Inflation zu erreichen. Ein Wachstum ohne Inflation klingt sehr gut. Aber mittlerweile erleben wir, was ich 1991 zuerst als sogenannte Verdrittweltlichung (Third Worldization) der USA bezeichnet habe: die ökonomische Herabstufung einer relativ wohlhabenden Bevölkerung. Die Konzernkreise sehen keinen Grund darin, wieso Millionen arbeitender Menschen in der Lage sein sollten, die Lebensstandards der Mittelklasse zu genießen, mit Hausbesitz, überschüssigem Einkommen und gesicherter Langzeitbeschäftigung. Auch sehen sie keinen Grund, wieso die Mittelklasse selbst so groß sein sollte, wie sie ist.

Wie es die Besitzenden haben wollten, muß das Volk seine Erwartungen senken, härter arbeiten und sich mit weniger zufriedengeben: Denn je mehr es bekommt, desto mehr wird es verlangen, bis wir bei einer sozialen Demokratie landen – oder noch Schlimmerem. Deshalb ist es besser, die Bevölkerung unten und hungrig zu halten und sie hart arbeiten zu lassen. Es ist Zeit, all die Fortschritte, die im 20. Jahrhundert erkämpft wurden, zurückzudrängen und zu den Standards des 19. Jahrhunderts zurückzukehren, wie sie gegenwärtig in der Dritten Welt herrschen – besonders einen unorganisierten arbeitenden »Pöbel«, der für seine schiere Existenz schuftet; eine Masse arbeitsloser, verzweifelter Armer, die dabei helfen, die Löhne zu drücken, und ein Ziel für den Frust derjenigen über ihnen bieten; ferner eine schrumpfende Mittelklasse, die sich mit ihren blutenden Fingern festklammert; und eine winzige, unverschämt reiche Besitzerklasse, die alles hat.

Die Herrschenden ziehen dabei alle Register. Für sie ist es Zeit, solchen »Luxus« wie öffentliche Bildung, bezahlbare medizinische Versorgung, öffentliche Bibliotheken, Massenverkehrsmittel sowie andere aus öffentlichen Geldern finanzierte Dienstleistungen drastisch zu kürzen, so daß »das Volk die Gelegenheit hat zu lernen, für sich selbst zu sorgen«. Demnach wird es Zeit, die Gewerkschaften, gesetzlichen Wirtschaftsregulierungen, Abgaben auf Kapitalgewinne, Gesetze für Mindestlohn, Sicherheit am Arbeitsplatz, Sicherheit der Verbraucher und den Umweltschutz abzuschaffen. All diese Dinge beschneiden den Profit. Jeder Dollar, der in den öffentlichen Sektor fließt, ist einer weniger für den privaten Sektor. Und die vermögende Klasse will das Ganze. Aus dem »Kapitalismus mit einem menschlichen Gesicht« wurde ein Kapitalismus »direkt in die Fresse« (»capitalism in your face«).

Der Rückschritt in den Vereinigten Staaten wird von fast dem gesamten westlichen Europa, Kanada, Australien und Neuseeland kopiert. Während der Sturz des Kommunismus in Osteuropa – nun vollständig mit der Zerstörung Jugoslawiens – und der Rückgang der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien in den westlichen Industrieländern von einigen Berichterstattern als »das Ende des Klassenkampfes« und sogar als »das Ende der Geschichte« bejubelt wurden, führt die weltumspannende Konzernelite tatsächlich einen entschlosseneren Klassenkampf (von oben) als jemals zuvor.



Abrutschen in die »Vierte Welt«
Gewerkschaften werden weltweit in ihrem Wirken behindert (Streik südkoreanischer Arbeiter in Seoul, 7.7.2005) Foto: AP
Parallel zum Rollback in den Vereinigten Staaten und in einigen westlichen Nationen gab es einen ökonomischen Zusammenbruch in vielen Dritte-Welt-Ländern. Auch er wurde beschleunigt durch den Zusammenbruch des Kommunismus. Während des Kalten Krieges versuchten die US-Politiker, den Kommunismus unter Kontrolle zu halten, indem sie das ökonomische Wachstum und die Stabilität der antikommunistischen Regime sicherten. Aber die Entwicklung in der Dritten Welt begann die US-Konzernprofite zu bedrohen. In den späten 70er Jahren riegelten die Regierungen in Brasilien, Mexiko, Taiwan, Südkorea und anderen Ländern ihre entscheidenden Industriezweige vor den Investitionen der Vereinigten Staaten ab. Zusätzlich konkurrierten Exporte aus diesen Ländern mit US-Firmen um die Märkte in Übersee und sogar innerhalb der Vereinigten Staaten selbst. Zur gleichen Zeit forderte eine steigende Zahl an Politikern der Dritten Welt eine koordinierte Anstrengung, um ihre eigenen Kommunikations- und Mediensysteme zu steuern, ihre eigenen Ressourcen, Märkte, ihren eigenen Luftraum und Meeresgrund zu kontrollieren.

In den 80ern wiesen diejenigen in den Vereinigten Staaten, die die Richtlinien der Politik bestimmten, die Sicht zurück, daß eine florierende, ökonomisch unabhängige Dritte Welt den Interessen des US-Kapitalismus dienen würde. Und sobald es keine konkurrierende kommunistische Welt mehr geben sollte, der sich die Führer der Dritten Welt als Drohung [gegen die kapitalistische Welt – d. Red.] zuwenden konnten, fühlten sich die Vereinigten Staaten freier als je zuvor, die Entwicklung im Trikont zurückzuschrauben. Eine Waffe dabei waren deren Schulden. Die Regierungen der Dritten Welt sind mit einem hohen Schuldenberg belastet. Um die Zahlungen zu begleichen und neue Kredite von der US-dominierten Weltbank und dem Internationalen Währungsfond (IWF) zu erhalten, mußten ihre Regierungen herzlosen Strukturanpassungsprogrammen (»structural adjustments«) wie der Kürzung der Sozialleistungen, Reduzierung der Löhne, Streichung der Importkontrollen, Aufhebung der Beschränkungen für ausländische Investitionen sowie der Privatisierung von Staatsunternehmen zustimmen.

Solche Maßnahmen sind angeblich dafür geschaffen, die Inflation zu bremsen, die Exporte zu erhöhen und die finanzpolitische Lage des Schuldnerstaates zu stärken. Indem sie weniger konsumieren und mehr produzieren, seien die Schuldner angeblich besser in der Lage, ihre Schulden zu begleichen. In der Tat zahlen sich diese strukturellen Änderungen wunderbar für transnationale Konzerne aus, indem sie die Löhne drücken, den Grad der Ausbeutung erhöhen und die Gewinnraten steigern. Aber sie lassen die Wirtschaft und mit ihr die Bevölkerung in einem meßbar schlechteren Zustand zurück. Es gibt einen generellen Industrieabbau in der Dritten Welt, indem die staatlichen Unternehmen auf der Strecke bleiben oder an private Eigentümer weitergereicht und für Gewinne ausgeschlachtet werden. Viele kleine Landwirte verlieren ihren wichtigen Einfuhrschutz, und Subventionen werden abgestellt. Arbeitslosigkeit und Armut nehmen zu, zusammen mit Hunger, Unterernährung und verschiedenen damit verbundenen Epidemien und Krankheiten.

Mit der Zeit rutschen Dritte-Welt-Länder wie die Philippinen, Brasilien und Mexiko immer tiefer in die vollkommene Armut, in das, was einst als Vierte Welt bezeichnet wurde, zu der bereits Länder wie Haiti und das ehemalige Zaire (Kongo) gezählt werden. (…)

Als einen weiteren Schlag beschlossen die Industrienationen, erhebliche Kürzungen der nicht-militärischen Hilfe für die armen Länder. Diese beinhalteten große Einschnitte in die Finanzierung der Erziehung, des Umweltschutzes, der Familienplanung und der Gesundheitsprogramme. (…)

Reformistische Regierungen, die versuchen, ihre Ressourcen zu schützen, ihre Wirtschaft zu entwickeln und ihre Mindestlöhne zu erhöhen, stellen fest, daß ihre Bemühungen vom GATT-Abkommen2 untergraben werden, während es die ununterbrochen prounternehmerischen Entscheidungen der Welthandelsorganisation transnationalen Konzernen erlaubt haben, die Souveränität einzelner Nationen in wichtigen Punkten zu umgehen. Nun wird nicht nur in die Wirtschaft der Dritten Welt eingedrungen, sondern auch die Regierungen selbst werden durch die WTO [World Trade Organization – die Red.] und den gesamten Prozeß der ökonomischen Globalisierung geschwächt und marginalisiert. Daher sind Versuche der Regierungen, einen Importschutz, öffentliches Gesundheits- und Sozialversicherungswesen, Verbraucherschutz und Umweltvorschriften einzuführen, von der WTO als »Beschränkung des Handels«, »unlauterer Wettbewerb«, »vergeudete Möglichkeiten des Marktes« und dergleichen zurückgewiesen worden.


Unbegrenzte Supermacht

Reformierende Regierungen wurden nicht nur ökonomisch angegriffen, sondern, wenn nötig, auch militärisch, wie im Falle einiger Dutzend revolutionärer Staaten im letzten Jahrzehnt geschehen. In einigen Fällen wurden diese vollkommen zerstückelt wie Jugoslawien oder unterdrückt und einverleibt wie Süd-Jemen. Jugoslawiens aufsteigender Industriebasis konnte nicht länger erlaubt werden, mit Deutschland und Frankreich zu konkurrieren. Abspaltung und Krieg erreichten, daß der Nationalstaat in kleine, rechts-orientierte Klientel-Staaten aufgelöst wurde, die unter die Oberherrschaft der westlichen Konzerne fielen.

Die Niederwerfung der Sowjetunion hat der einzig verbleibenden Supermacht der Welt vollkommen freie Hand gegeben, ihre Absichten mittels des Diktats und nicht durch Diplomatie zu verfolgen. US-Militäreinheiten sind über den Erdball ausgeschwärmt und halten über 350 größere Stützpunkte in Übersee; mit Nuklearwaffen ausgerüstete US-Flotten streifen in jedem Meer umher und legen in den Häfen Dutzender Länder an – alles im Namen von Frieden, Demokratie, nationaler Sicherheit und Humanität. (…)

Zusätzlich fordert die US-Regierung das Recht ein, einen »Präventivkrieg« gegen jede Nation zu beginnen, die sie nicht mag. Im internationalen Recht bezieht sich ein »Präventivkrieg« nur auf Situationen, in denen ein Land ernsthaft und unmittelbar von einer ausländischen Gewalt, die im Begriff ist, das Land anzugreifen, bedroht wird. So wäre beispielsweise Polen im September 1939, um sich Zeit und Vorteil zu verschaffen, im Recht gewesen, einen Präventivschlag gegen die geballten Nazi-Truppen an seinen Grenzen zu verüben. Aber so wie Präsident Bush davon Gebrauch macht, kann ein »Präventivkrieg« gegen praktisch jedes Land geführt werden (…).

Viele Mitglieder der US-Führungselite haben sich selbst davon überzeugt, daß das Fehlen jeglicher internationaler Kontrahenten, die in der Lage sind, sich der US-Militärgewalt zu erwehren, eine historisch beispiellose Möglichkeit bietet, eine Position der globalen Dominanz zu sichern, die über jeden Zweifel erhaben ist. Das Dokument über die »Strategie der nationalen Sicherheit« der Bush-Regierung vom September 2002 prahlt mit der »unvergleichlichen Stärke des US-Militärs und seiner bevorstehenden Präsenz« in der Welt, und nennt das Erfordernis, die Truppen stark genug zu halten, »um potentielle Widersacher davon abzubringen«, jemals »die Kraft der Vereinigten Staaten zu übertreffen oder ihr ebenbürtig zu sein«.

Kurz gesagt, es gibt, wie David North3 bemerkt hat, »eine deutliche und unleugbare Verbindung zwischen dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Arroganz und Brutalität, mit denen die Vereinigten Staaten ihre Ziele verfolgt haben«. Frühere Träume von einer weltumspannenden US-Vorherrschaft, einem »Amerikanischen Jahrhundert« wurden enttäuscht durch die Einschränkungen durch eine konkurrierende Supermacht. Heute jedoch behaupten die sogenannten Politikmacher in Washington und in den Ideenschmieden im ganzen Land, daß eine überwältigende und nicht zu bekämpfende militärische Übermacht eine weltweite US-Herrschaft begründen und »alle Barrieren zur Neuordnung der Weltwirtschaft auf der Basis der Marktgesetze, wie sie von den grenzüberschreitenden amerikanischen Konzernen interpretiert und dominiert werden, abbauen könnte.«

Das bedeutet nicht, daß US-amerikanische Entscheidungsträger die globale Vormachtstellung anstreben, einfach nur weil sie machtsüchtig sind. Es ist nicht einfach nur eine Frage von »Macht um der Macht willen«. Einige sehr reale wirtschaftliche Ziele gehen damit einher. Für die meisten Länder ist der Weg zur Entwicklung ein Weg hin zu wirtschaftlichem Nationalismus. Aber wirtschaftlicher Nationalismus wird in der Neuen Weltordnung nicht länger geduldet. Die Nationen der Welt stehen einer umfassenden, in sich geschlossenen Strategie gegenüber, die die politisch-ökonomische Elite der Vereinigten Staaten verfolgt. Deren Ziel ist es, eine Welt zu schaffen, in der kein Land einen anderen Weg außerhalb des globalen Systems des »freien Marktes« beschreiten kann, einem globalen System, in dem Profite unabhängig von den Kosten für die Menschen und die Umwelt erzielt werden können. Ziel ist es, die Welt vollständig sicher zu machen für den Kapitalakkumulationsprozeß, für internationales Finanzkapital und für transnationales Konzernkapital aus den Vereinigten Staaten im besonderen.

Unterdessen sind viele linke Intellektuelle in den Vereinigten Staaten immer noch damit beschäftigt, den Geist Stalins und des Realsozialismus zu bekämpfen. Sie geben sich noch immer mit den Revolverblatt-Berichten über die »Schrecken des Kommunismus« ab und befinden sich weiterhin im furchtlosen Kampf gegen die eingebildeten Horden »doktrinärer« Marxisten im eigenen Land sowie im Ausland, oder sie signalisieren ihren antikommunistischen Berechtigungsnachweis auf andere Art und Weise und unterstreichen so ihre Glaubwürdigkeit (gegenüber bürgerlichen Medien). Sie sind so beschäftigt damit, daß sie scheinbar nicht bemerkt haben, wie sich das Zentrum politischer Kräfteverhältnisse seit dem Umsturz des Kommunismus drastisch nach rechts verschoben hat. Andere Linke machen sich viel mehr Sorgen wegen der wahren Gefahren, denen wir gegenüberstehen, bewegt davon, wie die Rechte und Lebenschancen von Millionen Menschen auf der ganzen Welt aufs schlimmste verletzt werden, und wie wir dagegen angehen können. Mehr und mehr Menschen erkennen, daß der uneingeschränkte Imperialismus (insbesondere der US-Eliten) den größten Betrug in der Geschichte begeht und daß die Bedingungen, mit denen wir konfrontiert sind, nicht die Folge von Zufall sind, sondern das Ergebnis konzertierter und willentlicher Profitgier, die Erzeugung von Armut durch Reichtum, die Erzeugung von Machtlosigkeit durch die Machthaber darstellen – einen Zyklus, der eine immer größere Zahl von Menschen zu Opfern und zu Gegnern macht.


1 Laut Loïc Wacquant stammt die Bezeichnung »Jim Crow«, Jim, die Krähe, aus einem seit dem 19. Jahrhundert in England und den USA sehr populären Lied und einem Tanz gleichen Titels, in dem schwarz geschminkte weiße Schauspieler durch Tanz und Gesang afroamerikanische Sklaven in herabwürdigender Weise »nachäfften«.

2 Das »General Agreement on Tariffs and Trade« (Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen) war ein Vertrag zwischen 23 Staaten und trat am 1. Januar 1948 in Kraft (die Red.).

3 David North hat in den USA die »Workers League« gegründet und unterhält die »World Socialist Website« (die Red.). Aus dem Amerikanischen übersetzt von Nadine Roggow und Michael Klundt


 
Michael Klundt (Hg.), Kapitalismus versus Barbarei? Die Geschichtsschreibung der neuen Weltordnung. Köln PapyRossa, 240 Seiten, 15,90 Euro, ISBN 978-3-89438-363-3; mit Beiträgen von Domenico Losurdo, Eric Hobsbawm, Jacques Pauwels und Arno Klönne
 
Quelle: http://www.kominform.at  und www.seniora.org