Blick auf Bertelsmann, eine der zahlreichen steuerbefreiten und daher äusserst vermögenden Stiftungen, was ihrer Einflussnahme entgegenkommt

»Bertelsmann ist weder wähl- noch abwählbar« Der Konzern aus Gütersloh ist Drahtzieher bei Privatisierungen öffentlichen Eigentums - Ein Gespräch mit Harald Klimenta

Sie verfolgen seit Jahren die Einflußnahme der Bertelsmann-Stiftung auf die Kommunalpolitik. Was hat der Konzern mit Privatisierungen bei der öffentlichen Hand zu tun?
In den 90er Jahren sind die »Produkte« einer Kommune kommerzialisiert worden. Daran hat nicht zuletzt die Bertelsmann-Stiftung gearbeitet. Dazu gehörten zum Beispiel die
Budgetautonomie kommunaler Abteilungen, betriebswirtschaftliche Kostenrechnungen und die Maßgabe, möglichst ständig die Effizienz zu steigern und sich mit anderen zu vergleichen. Wenn eine Kommune ihre Daseinsvorsorge dementsprechend gestalten will, ist es zu Privatisierungen nur noch ein winziger Schritt.
 
Das heißt, die Stiftung hat »nur« den Boden bereitet?
Die Stiftung wirkt über zahllose Kongresse, Fachforen oder Themendialoge zur Politikberatung, die sie gemeinsam mit Entscheidern der Kommunen durchführt. Die Stiftung stellt Software bereit und begleitet Projekte, unter anderem zur Bewältigung des demographischen Wandels in den Kommunen, zum Komplex »Wirtschaft und Arbeit« oder zu Integration, Gesundheit oder Bildung. Die entsprechenden Schriften der Stiftung lesen sich über weite Strecken wie wohlklingende Parteiprogramme - und natürlich sind nicht alle Projekte abzulehnen. Das Problem ist: Bertelsmann ist keine Partei, keiner wählt die Stiftung, keiner kann sie abwählen.
 
Wie lassen sich denn die unterschiedlichen Kommunen von Gütersloh aus erfassen?
Ein Merkmal der Stiftungsarbeit ist die Arbeit mit Kennziffern. Gemäß dem Weltbild von Reinhard Mohn, dem Konzernpatriarchen und Stiftungsgründer, ist die ganze Gesellschaft mit Kennziffern erfaßt. So wird der Leistungsvergleich zwischen Finanzämtern ausgewertet oder die Zufriedenheit von Jugendlichen mit Angeboten der Jugendarbeit.
 
Das klingt doch fast bürgernah?
Einige Punkte mögen auf Bürgerinteressen gerichtet sein. Insgesamt gehe ich aber davon aus, daß die Auswertung in erster Linie die finanziellen Aspekte herausfiltert. Zum Beispiel bei der Erwägung, wie ein Bürgerbüro organisiert werden sollte. Im Vergleich zwischen Kommunen wird das Bürgerbüro mit den geringsten Kosten ermittelt, das dann zum Vorbild wird und von den anderen Kommunen zu kopieren ist. Damit wird die Vielfalt abgeschafft und durch eine »Best Practise« mit ideologischer Schlagseite ersetzt.
 
Aber das letzte Wort wird doch in den Rathäusern gesprochen.
Theoretisch schon, doch die Freiräume für Mitbestimmung werden kleiner. Die Berater der Bertelsmann-Stiftung, Politiker und hohe Verwaltungsbeamte diskutieren in den Fachforen und bilden sich eine »vernünftige« Meinung. Die Meinung der Basis stört dann höchstens noch. So steht inzwischen alles unter Effizienzvorbehalten. Ein Beispiel: In Braunschweig wollen gewählte Ratsherren ein zentrales Spaßbad anstelle von vier bevölkerungsnahen, aber zuschußträchtigeren Bädern betreiben. Das zeigt: Bevölkerungsnähe ist ein untergeordnetes Kriterium geworden.
 
Die Bertelsmann-Stiftung versteht sich als gemeinnützig.
Sie berät Kommunen stets so, daß etwas für die Bertelsmann AG rausspringt. Die Gemeinnützigkeit müßte sofort aberkannt werden. In England hat Arvato, ein Tochterunternehmen der Bertelsmann AG, die öffentliche Verwaltung der Gebietskörperschaft East Riding schon komplett in die Hand genommen. Auch in Würzburg hat Arvato schon kommunale Aufgaben übernommen. Dort soll eine E-Gouvernment-Plattform eingeführt werden, so daß an einem Terminal alle Belange, von der Hundemarke bis zur KfZ-Zulassung, betreut werden können. Datenschutz wird so fragil. Arvato ist eine der größten Adreßdatenbanken der Welt. Auch vernachläßigt die Kommune die eigene Entwicklung von IT-Kompetenz. Vor allem: Das ist erst der Anfang, Würzburg ist ein Leuchtturmprojekt.
 
Was erwarten Sie von der Bertelsmann-kritischen Tagung in Frankfurt/Main an diesem Wochenende?
Daß ein paar mehr Menschen begreifen, daß Bertelsmann mehr als ein Buchclub ist. Und daß etwas bekannter wird, daß die Bertelsmann-Stiftung der größte Think Tank der Republik ist.
 
Das Interview führte Birgit von Criegern; Harald Klimenta ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC. Sein Vortrag auf der Tagung betrifft die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.
 
Inzwischen haben über 220 Gäste aus Gewerkschaften, Personalräten, sozialen Bewegungen, ferner Studierende und Einzelpersonen aus ganz Deutschland an der Bertelsmann-kritischen Tagung »Das Schattenkabinett aus Gütersloh« teilgenommen. Die Bertelsmann-Stiftung, eine der mächtigsten Denkfabriken der BRD, berät die politische Macht und greift selbst auf zahlreichen Ebenen aktiv in die Politik ein. Dabei versucht sie, wesentliche Bereiche der Gesellschaft nach betriebswirtschaftlichen Modellen und mit Hilfe managerialer Motivationstechniken zu optimieren. Die soziale Umverteilung von unten nach oben - wie Hartz IV, die Gesundheitsreform, die Einführung von Studiengebühren, Abwälzung gesellschaftlicher Kosten auf den Einzelnen, Unterstützung von undemokratischen kostenträchtigen Privatisierungsvorgängen - sind von der Bertelsmann-Stiftung mitentwickelt worden. Ebenso greift das Bertelsmann-Instiut CAP mit Vorschlägen zur verstärkten Militarisierung und mit kriegerischen Denkschablonen für den außereuropäischen Einsatz deutschen Militärs in die internationale Politik ein. Wirklich demokratisches Denken ist diesem Elite-Netzwerk fremd. Die Mittel für ihre überaus umtriebigen Aktivitäten erhält die Stiftung durch den Status der Gemeinnützigkeit, der es ihr erlaubt, die Millionengewinne des Bertelsmann-Konzerns der Steuer vorzuenthalten. Es wurde ein Aufruf verabschiedet, Bertelsmann die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Parteistiftungen, Gewerkschaften und Hochschuleinrichtungen sollen die Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung beenden.
 


Quelle: http://www.jungewelt.de/2007/10-25/064.php; siehe auch Transformation Thinkers; Stiftungen in der Politik; Mit deutschem Beistand

Stiftungen - Bericht über ein von Alexandra Nogawa in Reinach gehaltener Vortrag auf politonline