Kenia

politonline d.a. Kaum ein Land, von Palästina abgesehen, ist zur Zeit so ununterbrochen Gegenstand von Pressemeldungen wie Kenia, das seit seiner Unabhängigkeit von Grossbritannien am 12. Dezember 1963 unter ethnischen Spannungen leidet, wobei auch der Streit um den Zugang zu Wasser und die Nutzung von Weideland eine Rolle spielen. Die auf Grund der Anklage der Wahlfälschung ausgebrochenen blutigen Auseinandersetzungen haben nicht nur zahlreiche Todesopfer gefordert, sondern auch schwere ethnische Vertreibungen ausgelöst. Die meisten Menschen sind infolge von Kämpfen zwischen rivalisierenden Volksstämmen sowie bei Plünderungen und Zusammenstössen zwischen der Polizei und Demonstranten umgekommen.

Le Figaro 1 berichtete am 3. Januar, dass in Eldoret, einer Stadt im Osten des Landes, mindestens 35 Bewohner, darunter viele Kinder, bei einem willentlich gelegten Feuer in der Kirche, in die sich geflüchtet hatten, verbrannten. 42 Personen mit schweren Verbrennungen wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Ein hoher Polizeibeamter formulierte dies wie folgt: »Eine Ethnie nimmt eine andere als Zielscheibe - in einer Auseinandersetzung, die in Wahrheit als ethnische Säuberung zu bezeichnen ist.« Laut Aussage eines sich in Eldoret aufhaltenden amerikanischen Forschers sind die Kikuyus - die grösste Volksgruppe des Landes und die Ethnie, der Mwai Kibaki angehört - von Anhängern des Oppositionsführers Raila Odinga vom Stamm der Luo aus ihren Häusern verjagt worden. Letztere hatten die Hetzjagd in einem von Gerüchten genährten Klima des Hasses organisiert. Seit den Wahlen sind infolge der Unruhen allein in Eldoret 300 Tote zu verzeichnen. In der ebenfalls im Osten liegenden Stadt Kisumu, einer Bastion der Opposition, wo die Polizei den Befehl hat, auf die Demonstranten zu zielen, wurden Anfang Januar 55 Kadaver, deren Mehrheit Schusswunden aufwiesen, ins Leichenschauhaus gebracht. Luftaufnahmen des Gebiets zeigten, dass Hunderte von Häusern und Hütten brannten. Alle 10 km waren Sperren auf den Strassen errichtet worden, die jedoch laut Abbass Gulled vom Roten Kreuz, der sich an den Ort des Aufruhrs begeben hatte, nur die Angehörigen der »richtigen Ethnie« überwinden konnten. Die jetzt in Kenia vor sich gehenden Gewaltausbrüche sind die schlimmsten, die das Land seit dem fehlgeschlagenen Versuch eines Staatsstreichs im Jahr 1982 zu verzeichnen hat. Insgesamt geht die kenianische Polizei mit Brachialgewalt gegen die Demonstranten vor, wobei Tränengas, Schlagstöcke und scharfe Munition zum Einsatz kommen. Wie BBC am 21. 8. 07 berichtete, stellt die kenianische Polizei das korrupteste Regierungsdepartement dar. Richard Leakey von Transparency International erklärte, dass die Polizisten trotz Reformen noch immer Bestechungsgelder verlangen.  
  
Samuel Kivuiti,  der Vorsitzender der kenianischen Wahlkommission gestand, vom Apparat des Präsidenten Mwai Kibaki genötigt worden zu sein, diesen zum Sieger zu erklären. »Sollte es«, schrieb Werner Pirker 2 am 3. 1. 08, »tatsächlich zu einem »Regimewechsel« in Kenia kommen, dann dürften ihn die überseeischen Meister des »Regimewechsels« nicht auf ihrer Rechnung gehabt haben. Andernfalls wäre die Abstimmung noch vor ihrer Durchführung als allen demokratischen Standards widersprechend gewertet worden. Daraus lässt sich unschwer ermitteln, auf welchen der beiden Kandidaten die Wahl Washingtons gefallen ist. Obwohl die Proteste gegen den falschen Sieger vom Westen nicht vorgesehen waren, finden sie statt. Nicht als »friedliche Revolution« - dazu lässt es ein sich der US-Unterstützung sicher wähnendes Regime nicht kommen - sondern als blutiges Gemetzel, in dem sich sozialer Aufruhr und ethnische Konflikte wechselseitig hochschaukeln. Oppositionsführer Raila Odinga hat einen Wandel angekündigt, zu dem er von den USA nicht ermächtigt worden war. Das macht ihn, obwohl er linker Herkunft ist, noch zu keinem linken Politiker. Doch allein sein Versprechen, eine »soziale Marktwirtschaft« zu installieren, was angesichts der afrikanischen Wirklichkeit ohnedies eine Leerformel ist, lässt ihn in den Augen der westlichen Geldgeber bereits als »gefährlichen Populisten« erscheinen. Odinga hat der Bestechlichkeit einen entschiedenen Kampf angesagt. Doch das hatte auch sein Vorgänger getan, bevor er selbst die zur Korruptionsbekämpfung vorgesehenen Mittel in die eigene Tasche wirtschaftete. Typisch Afrika?«
 
Mwai Kibaki, der noch amtierende Präsident, war Ende 2002 mit dem Versprechen angetreten, der grassierenden Korruption, die den ostafrikanischen Staat mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr kostet, den Kampf anzusagen. Kibaki wird zwar das stete Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre zugute gehalten, dennoch haben die ärmeren Schichten davon weniger profitiert, was insgesamt ein unveränderliches Markenzeichen der meisten afrikanischen Länder zu sein scheint, denn die Mehrheit der Afrikaner bleibt trotz der unermesslichen Ressourcen ihres Kontinents ewig gleich arm. Einer Mitte 2007 durchgeführten Umfrage zufolge sind 39,9 % aller Kenianer der Meinung, ihre wirtschaftliche Lage habe sich unter der gegenwärtigen Regierung verschlechtert, und nur 21,5 % sagen, sie sei besser geworden. Ähnliches ist auch aus Südafrika zu vernehmen, wo Thabo Mbeki zwar zur Freude des internationalen Kapitals ein starkes Wirtschaftswachstum vorweisen kann, von dessen Früchten jedoch die arbeitende Klasse wenig sieht.
 
Die von Kibaki eingeleitete Kampagne zur Bekämpfung der Korruption gilt als gescheitert. Schon 2003, im ersten Amtsjahr Kibakis, trugen die Minister, anstatt die drängendsten Probleme zu lösen, Fehden und Machtkämpfe aus und Korruption und Filz schienen ungebrochen. Damals meinte ein indischstämmiger Unternehmer des Landes: Wenn unter der alten Regierung 90 % der staatlichen Gelder gestohlen wurden und es jetzt vielleicht nur noch 60 oder 70% sind, dann ist das ja auch schon ein Fortschritt. Noch immer gilt Kenia als eines der korruptesten Länder weltweit. Mitte 2004 hiess es, dass Kenias Kleptokraten wieder fest im Sattel sässen und sich Minister und hohe Beamte wie zu Zeiten des Diktators Arap Moi aus der Staatskasse bedienten. Dazu gehörte das Geld, das man für Limousinen der überdimensionierten Regierung und die Diäten der fürstlich entlöhnten Parlamentarier verschleuderte, was das Loch im Staatshaushalt ausweitete. Allein zwischen Januar 2003 und November 2004 waren 57 Luxuslimousinen made in Stuttgart und 87 allradgetriebene Prestigekarossen im Wert von mehr als 12 Millionen Dollar angeschafft worden. Für die während der auf den Amtsantritt Kibakis folgenden drei Regierungsjahre für den Kauf von privaten Luxusautos aufgewendeten Summen hätte das Land 25'000 Kinder acht Jahre lang zur Schule schicken oder 147'000 HIV-Infizierte ein Jahr lang behandeln lassen können. Wie die NZZ Nr. 159 vom 12. 7. 2003 festhielt, versickern in Kenia öffentliche Gelder zur Aids-Bekämpfung vor allem in der Bürokratie. Dessen ungeachtet wird die Auflage für den Westen, gerade auf diesem Sektor ununterbrochen finanzielle Mittel bereitzustellen, unvermindert aufrechterhalten. Die kenianischen Parlamentarier gelten bereits als die bestbezahlten Volksvertreter Afrikas: Monatlich kommen sie auf rund 880'000 Kenia-Schillinge (9.500 €). Das durchschnittliche monatliche Einkommen in Kenia hingegen liegt nur bei rund 34 €. Im Februar 2005 hiess es: Wie schon unter dem Diktator Moi ist der Staat zum Selbstbedienungsladen der politischen Elite verkommen, während die Mehrheit des Volkes darbt. Der britische Botschafter Edward Clay hatte einmal die korrupten Regierungsvertreter ganz undiplomatisch als arrogante und gierige Vielfrasse bezeichnet, die sich nicht nur um die armen Kenianer, sondern auch um die Geberländer foutierten. Clay schätzte 2004 die jährlich in Kenia bezahlten Schmiergelder auf umgerechnet nahezu eine Milliarde Franken, immerhin etwa 8% des Bruttosozialproduktes.
 
Dennoch: Wie gewohnt und wie schon bei der Anfang 2006 infolge grosser Dürre eingetretenen Hungersnot ist die Internationale Gemeinschaft bereits wieder gefordert: Die UNO hat zu Spenden in Höhe von 42 Millionen $ aufgerufen, die unsere Regierungen, dessen darf der Leser sicher sein, bereitwilligst zur Verfügung stellen werden. Selbstverständlich ist auch jetzt keine Rede davon, auf die in den Taschen korrupter Angehöriger der kenianischen »Elite« versickerten Unsummen zurückzugreifen resp. diese zur Hilfe für die eigene Bevölkerung aufzurufen. Man mag Gedankengänge dieser Art ruhig belächeln, bis man begreift, dass der offensichtlich nicht auszurottende Faktor Korruption gerade die westlichen Staaten eines Tages selbst ins Armenhaus bringen kann, da deren Rolle, unausgesetzt als Geber für alles und jedes zu fungieren, über die UNO fest verankert ist, auch wenn sich die Milliardenschulden auf den Häuptern ihrer eigenen Bevölkerungen türmen. Dann wird es in meinen Augen auch zu spät sein, sich der Mühe zu unterziehen, von unseren Volksvertretern, die hierzu ohne Unterlass Hand bieten, Rechenschaft zu fordern. In dieses Kapitel fällt auch die in der UNO selbst aufgedeckte hohe Anzahl von Betrugs- und Korruptionsfällen sowie anderen Rechtsverstössen. Derzeit werden 250 Fälle, darunter auch 80 Verdachtsfälle sexueller Ausbeutung und Missbrauchs, untersucht. Macht man sich dann noch bewusst, dass der UNO-Etat für Friedenseinsätze für 2007/08 5 Milliarden Dollar beträgt, während die Rüstungsproduktion ständig wächst, dann sollte doch einmal eingeräumt werden, dass dieser unsere Steuergelder verschleudernde Leerlauf nur noch als hochgradig verantwortungslos zu betrachten ist. 

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt auch hier, in welchem Ausmass das eigentliche Volk schon zuvor der Leidtragende war. So liest man bei John Pilger, dass die Briten in Kenia Konzentrationslager unterhielten, in denen die Lebensbedingungen so hart waren, dass im Juni 1954 innerhalb eines einzigen Monats 402 Insassen starben. Folter, Auspeitschen, Zwangsarbeit, Essensentzug und die Misshandlung von Frauen und Kindern waren an der Tagesordnung. Pilger zitiert den britische Historiker V. G. Kieman: »Die Sondergefängnisse waren vermutlich keinen Deut besser als vergleichbare Einrichtungen der Nazis oder der Japaner.« Ein ehemaliger Sanitätsoffizier berichtete von »japanischen Foltermethoden«, die unter einem britischen Lagerkommandanten angewendet wurden. Dieser Terror war durch Kolonialgesetze gedeckt, die nach dem Ende der Kolonialherrschaft unter Jomo Kenyatta und Daniel arap Moi in ihrer Doppelrolle als Gegner einer Volksdemokratie und »Freunde des Westens« aufrechterhalten und strengstens ausgelegt wurden. Die Registrierungspflicht für Einheimische, die den infamen Passgesetzen der Apartheidregierung in Südafrika entsprach, wurde verschärft. Aus der Masters and Servants Verordnung wurde das Masters and Servants Gesetz; aus der drakonischen Verordnung zur Anwendung ausserordentlicher Massnahmen wurde das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit. Heute ist Kenia von politischen Unruhen beherrscht, weil die demokratische Bewegung des Landes im Grunde immer noch gegen den Kolonialismus ankämpft. Zur Person Jomo Kenyattas hält A. Ralph Epperson interessanterweise fest, dass dieser an der London School of Economics studiert hatte. Er war es, der später die Terroristengruppe Mau-Mau gründete, die Tausende seiner afrikanischen Landsleute umbrachte.
 
Unter der afrikanischen Erdkruste lagern umfangreiche Schätze, darunter zwischen 16,6 und 88,5 % der Weltvorkommen an Uran, Bauxit, Diamanten, Gold, Phosphat, Kobalt und Platinmetallen. Zugleich befindet sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen auf dem globalen Niedrigststand von 1.946 $ (2004). Daher sei abschliessend nochmals Werner Pirker zitiert, der die Lage in Afrika ausgezeichnet zusammenfasst: »Das Elend auf diesem Kontinent wird gemeinhin mit »korrupten afrikanischen Eliten« erklärt. Doch die, die sich Macht und Einfluss zur Ausplünderung des rohstoffreichen Erdteils und zur Sicherung ihrer Absatzmärkte erkaufen, bleiben meist unerwähnt. Dass Wahlen mit Versprechungen gewonnen werden, deren Einhaltung nie vorgesehen war, haben afrikanische Politiker nicht erfunden, sondern von ihren Vorbildern in den reichen Ländern abgeschaut.« Es sei hinzugefügt, dass man in der Annahme, dass sich unter diesen »Käufern« auch zahlreiche Teilnehmer des WEFs in Davos befinden, die von der Presse so gern als »illustre« Manager verbrämt werden, gewiss nicht fehlgeht.     


1 http://www.lefigaro.fr/international/2008/01/02/01003-20080102ARTFIG00190-le-kenya-au-bord-de-la-guerre-interethnique.php  3.1.07 Le Kenya au bord de la guerre interethnique par Thierry Oberlé
2 http://www.jungewelt.de/2008/01-03/002.php Zweierlei Irrtum - Die USA und die Unruhen in Kenia - Von Werner Pirker
John Pilger, Verdeckte Ziele, Verlag Zweitausendeins Frankfurt am Main, 2004 ISBN 3-86150-632-7;
A. Ralph Epperson, The Unseen Hand -  Deutsche Ausgabe: Die unsichtbare Hand - Der Einfluss geheimer Mächte auf die Weltpolitik; Jochen Kopp Verlag, Rottenburg 2004, ISBN 3-930219-72-7