Israel, Israel über alles - Merkel vor der Knesset - Von Anis Hamadeh

Wäre es der deutschen Kanzlerin tatsächlich um die Sicherheit Israels gegangen, so wie sie es sagte, hätte sie eine solche Rede nicht halten können, wie sie sie der Knesset, dem israelischen Parlament, am 18.03.08 präsentiert hat. Israel ist einer der unsichersten Länder der Welt. Woran liegt das? Nach Merkels Rede scheinen die Hamas, die Hisbollah, Syrien und der Iran dafür verantwortlich zu sein. Diese werden von ihr wegen ihrer Haltung zu Israel kritisiert.

Israel kämpfe seit 60 Jahren gegen Bedrohungen und für Frieden und Sicherheit mit den Werten Freiheit, Demokratie und Menschenwürde, sagte die Kanzlerin. Stimmt das? Warum beklagen dann jüdische Intellektuelle in Israel und außerhalb - darunter Holocaust-Überlebende - vehement und zunehmend den moralischen Verfall, die Militarisierung der Gesellschaft und die selbstzerstörerische Politik des Landes? Leute wie Ilan Pappe, Uri Avnery, Gideon Levy, Amira Hass, Reuven Moskovitz, Uri Davis, Jeff Halper, Hajo Meyer, Hedy Epstein, Noam Chomsky, Felicia Langer, Ran Ha Cohen, Norman Finkelstein, Shulamit Aloni, Michael Warschawski, Tom Segev. Und Institutionen wie B'tselem, Gisha, Zochrot, Rabbis for Human Rights, The Israeli Committee Against House Demolitions, Jewish Voice for Peace. Die Liste ist viel länger, dies sind nur Beispiele. Es sind durchweg Menschen und Gruppen, die sich um die Sicherheit Israels sorgen und die aus ihrer Verantwortung heraus schreiben und protestieren.
 
Wir sind noch immer mit dem Phänomen konfrontiert, daß Kritiker des jüdischen Staates entweder als Antisemiten oder als sich selbst hassende Juden abgestempelt werden. Ein bequemer Weg, um sich inhaltlich nicht mit ihnen zu beschäftigen. Der Historiker Ilan Pappe etwa hat in seinem aktuellen Bestseller »Die ethnische Säuberung Palästinas« nachgewiesen, daß die Gründung Israels von Verbrechen gegen die Menschheit begleitet war. Ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung war brutal vertrieben - zum Teil umgebracht - worden, Hunderte von Dörfern wurden zerstört und Grundstücke enteignet. Welche Art Frieden kann man erreichen, wenn man solche Tatsachen ignoriert? Welche Art Frieden kann man anstreben, wenn man ignoriert, daß die Westbank und der Gazastreifen seit Jahrzehnten unter Besatzung sind? Daß ein Teil Syriens annektiert ist? Welche Art Frieden kann man erhoffen, wenn man eine Mauer nicht auf der Grenze, sondern auf dem Gebiet des Nachbarn baut? Wenn man völkerrechtswidrig Siedlungen in besetztes Gebiet stellt und bis heute immer weiter ausbaut? Wenn man Wasserreservoirs anzapft, die nicht auf dem eigenen Staatsgebiet liegen? Wenn man Bevölkerungen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit drangsaliert und gewalttätig behandelt? Wenn man demokratische Wahlen des Nachbarn aushebelt und damit einen Bürgerkrieg entfacht?
 
Frau Merkel sagte, daß Deutschland sich »entschieden« für »die Vision von zwei Staaten«
einsetze, aber das sagt Israel ebenfalls seit Jahrzehnten, während das palästinensische Gebiet durch Einverleibungen und Zerstückelungen immer kleiner wird. Es ist ein Hinhalte-Wort, das nichts besagt. Vor allem dann, wenn eine korrupte Fatah-Regierung am Leben erhalten wird, die sich von der eigenen Bevölkerung entfremdet hat. Der derzeitige deutsche Generaldelegierte Palästinas etwa, dem der Rang eines Botschafters verweigert wird, spricht weder deutsch, noch setzt er sich für sein Land ein. Er stammt aus der berüchtigten Tunis-Clique und kommt mit Olmert und Merkel besser zurecht als mit seinen eigenen Leuten. Einer der Berater von Mahmud Abbas wurde vor Kurzem dabei erwischt, wie er Tausende von Handys nach Jordanien schmuggeln wollte. Die Fatah wird mit Verrat und goldenen Wasserhähnen assoziiert und mit einer autoritären egoistischen Politik. Damit ist kein Staat zu machen.

»60 Jahre Israel - das sind 60 Jahre großartiger Aufbauarbeit der Menschen unter schwierigen Bedingungen«, sagte Merkel. Da fehlt doch wohl etwas. Kann es sinnvoll sein, dem offiziellen Israel Honig um den Mund zu schmieren und es in einer destruktiven Politik zu bestärken? Erst müsse die Gewalt der Menschen unter Besatzung aufhören, erst müsse der Besatzungsstaat anerkannt werden, so hören wir. Dies sei eine Bedingung. Doch selbst an Orten, wo gewaltlos demonstriert wird, wie in Bil'in, geht Israel mit militärischer Härte vor. Besatzung und Unterdrückung führen zu Widerstand und auch zu Terrorismus, das ist eine Binsenweisheit. In der großen Politik sind es leider nicht Fakten, die zählen, sondern Mythen. Israel und die Juden seien bis heute Opfer der Geschichte, so lernt es jedes Kind in Israel in der Schule. »Obwohl die Bundesrepublik Deutschland stets zum Staat Israel und seinem Existenzrecht gestanden hat, mangelte es in der deutschen Öffentlichkeit oft an Engagement und Empathie für den Staat, welcher der Wüste und einem feindlich-antiwestlichen Umfeld abgerungen worden ist. Umfragen zeigen immer wieder, daß viele Deutsche eine Menge Verständnis für die Palästinenser und deren Probleme haben - während sie zu Israel auf höchst kritischer Distanz bleiben und im Überlebensheroismus der Israelis eher eine aggressive Grundhaltung sehen«, schrieb der Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt, Thomas Schmid, am 16. 3. 08 sentimental in einem Beitrag auf Seite 1. Wenn Israels Gewalt als heldenhaft gepriesen wird, ist es kein Wunder, daß es keine Änderung gibt. Der Mythos des Opfers Israel, der Mythos des Sechs-Tage-Krieges, der Mythos von Oslo, der Mythos vom antisemitischen Islam/Arabertum, sie sind alle widerlegt und bilden doch die Basis westlicher Politik.
 
Perfide ist, daß Israel vorgibt, für alle Juden zu sprechen und zu handeln. Menschen- und Völkerrechtsbrüche explizit im Namen des Judentums - das führt zwangsläufig dazu, daß sich anti-jüdische Tendenzen bilden. Hier liegt ein großes Problem. Es sei ein antisemitisches Klischee, so hören wir, daß die Juden für Judeophobie selbst verantwortlich sind. Die Diskussion ist hier aber nicht zu Ende. Wenn alles so klar ist, warum handelt Israel dann gegen seine Interessen? Die israelische Gesellschaft ist von Beginn an durch den Nazi-Genozid an den Juden traumatisiert. Es liegt im Wesen des Traumas, daß die unbewältigte Situation immer wieder durchgespielt und unbewusst provoziert wird, letztlich, um zu verstehen, was damals in Deutschland und Europa geschah. Das ist der Grund, aus dem palästinensische, arabische und muslimische Führer immer wieder als Wiedergänger Hitlers konzeptionalisiert werden: Arafat, Scheich Yasin, Saddam, Ahmadinedschad usw. Das brutale Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung ist ebenfalls durch das Trauma zu verstehen: Es eine psychologische Binsenweisheit, daß Opfer leicht zu Tätern werden können, wenn sie ihr Trauma nicht überwinden. Das gilt natürlich auch für Palästinenser. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Israel dem Trauma verhaftet bleibt: Die zionistische Ideologie braucht den Antisemitismus als Legitimation. Er ist der Dreh- und Angelpunkt israelischer Politik, egal ob Likud oder Labor. Ohne die existentielle Bedrohung, sei sie echt oder Propaganda, fällt die israelische Identität in sich zusammen, jedenfalls solange sie zionistisch ist.
 
In den deutschen Mainstream-Medien und in der Politik werden die Nachrichten aus Israel und Palästina stark gefiltert und auch verfälscht. Ein flüchtiger Blick auf die täglichen Nachrichten auf www.theheadlines.org zeigt die enorme Diskrepanz zwischen dem, was bei uns thematisiert wird und dem, was nicht thematisiert wird. Deutschlands Israel-Politik kann so zusammengefasst werden, daß aus Antisemitismus Philosemitismus wurde: Aus dem bösen Juden wurde der gute Jude. Beides ist rassistisch und hilft niemandem. Beides trennt Juden von anderen Menschen ab, beides stellt eine Sonderbehandlung dar. Wir Deutsche haben verstanden, daßDeutschland, Deutschland über alles falsch war. Warum aber sollte das philosemitische Israel, Israel über alles richtig sein? Oder auch USA, USA über alles. George Bush hat einen Angriffskrieg im Irak begonnen. Wir erinnern uns daran, daß das Führen eines Angriffskrieges der Hauptanklagepunkt bei den Nürnberger Prozessen war. Was also kann unser Maßstab sein? Die Antwort ist ebenso leicht wie zwingend: das internationale Recht und die Menschenrechte. Ohne Wenn und Aber. Es ist schlicht verfehlt, in diesem asymmetrischen Konflikt zu verlangen, daßbeide Seiten aufeinander zugehen und Kompromisse machen müssen. Palästina hat im Vergleich zu Israel keine Macht, es hat keinen Staat, keine Armee, kein Geld, keine Infrastruktur, nicht einmal genug zu essen und zu trinken. Juristisch ist die Sache eindeutig und es gibt auch nichts zu verhandeln. Es gibt lediglich das Recht, das umzusetzen ist, das ist alles.
 
Wer nun denkt, daß von allen Ländern Deutschland wegen seiner Vergangenheit am wenigsten dazu geeignet ist, fundamentale Kritik an Israel zu üben, der irrt. Israel zerstört sich selbst und Freund Deutschland, der eine solche Selbstzerstörung selbst erlebt hat, sieht nicht nur dabei zu, sondern bestärkt Israel noch dabei, so weiter zu machen, und spricht vongemeinsamen Werten, wie Merkel vor der Knesset. Die These, daß sich Israel von niemandem in seine Politik hineinreden lässt, hat damit nichts zu tun. Sie stimmt auch nicht. Immer wieder berichten Internationale, daß die Anwesenheit von westlichen Zeugen Israel zur Zurückhaltung bewegt, auch wenn die Morde an Rachel Corrie, Tom Hurndall und anderen Aktivisten zeigen, daß es dabei nicht immer glimpflich zugeht. Deutschland hat es sich zu leicht gemacht, als es von einer absoluten Nazi-Solidarität zu einer absoluten USA- und Israel-Solidarität umgeschwenkt ist. An den Resultaten ist es mitschuldig.
 
Quelle:  http://www.anis-online.de/1/essays/22.htm   21. 3. 2008
Anis Hamadeh, Mainz, Email: anis@anis-online.de
Alle Hervorhebungen durch politonline