»Volksinitiative Volkssouveränität statt Behördenpropaganda« und Gegenentwurf

Schreiben an den Schweizerischen Bundesrat Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren - In obigem Zusammenhang habe ich am vergangenen Samstag in Luzern eine Podiumsdiskussion verfolgt. In derselben sagte ein amtierender Nationalrat, er habe im Parlament gegen die Initiative und für den Gegenvorschlag gestimmt. Damit sei den Initianten auch gedient, denn die Revision des Gesetzes über die politische Rechte gebe ihnen eine Klagemöglichkeit, wenn sich jemand nicht an die im neuen Art. 10a PRG niedergelegten Richtlinien halte.

Ein anderer Votant  sprach sich gegen diesen Gegenvorschlag aus, weil damit dem Bundesrat jene Interventionsmöglichkeit gegeben werde, die er schon jetzt ohne Rechtsgrundlage beanspruche.
 
Über das, was da als Gegenvorschlag erwähnt wurde, soll aber am 1. Juni 2008 gar nicht abgestimmt werden. es handelt sich vielmehr um eine Gesetzesvorlage, die zwar von Nationalrat und Ständerat unter dem Titel »indirekter Gegenvorschlag « beschlossen wurde. Art. 139 Abs. 6 der Bundesverfassung sagt indessen deutlich: Volk und Stände stimmen gleichzeitig über die Initiative und den Gegenentwurf ab. In dieser Formulierung kommt auch klar zum Ausdruck, dass der Gegenentwurf als Alternative zu einer Verfassungsinitiative seinerseits für seine Annahme des Ständemehrs bedarf. Wenn die gesetzgebenden Räte glaubten, den Gegenentwurf auf der Gesetzesstufe ansiedeln und damit der gleichzeitigen Abstimmung von Volk und Ständen entziehen zu können, so ist das ein Irrtum, der jetzt korrigiert werden muss. Das Verfahren bei der Abstimmung über Initiative und Gegenentwurf regeln die am 1. August 2003 in Kraft getretenen Absätze 2 und 3 von Art. 139b BV. Auf diese Weise können die Stimmberechtigten Initiative und Gegenentwurf mit einander vergleichen. Selbstverständlich können sie sowohl Initiative als auch Gegenentwurf ablehnen, womit sie sich für die Beibehaltung des Status quo entscheiden. Das würde ihnen durch das nunmehrige Vorgehen verunmöglicht und sie müssten durch eine erneute Anstrengung, nämlich Ergreifen des Referendums,  sich zuerst die Möglichkeit zur Stellungnahme verschaffen, nachdem über die Initiative bereits entschieden wäre. Das vermeidet Art. 139 Abs. 6 BV, der übrigens (wenn es bei der Einführung der Allgemeinen Volksinitiative bleibt, auf die gemäss Bundesblatt 2008 S. 2823 bis 2908 zurückgekommen werden soll) im seinerzeit von Volk und Ständen angenommenen Art. 139b Abs. 1 seine Parallele findet.

Ich habe die Problematik früher schon zur Sprache gebracht, letztmals am 11. September 2007 gegenüber der damaligen Präsidentin der Staatspolitischen Kommission des Ständerats (Beilage). Sie schrieb mir, die Beratung der Vorlage im Plenum habe bereits begonnen und enthielt sich jeder materiellen Stellungnahme. Jetzt ist es am Bundesrat, die Weichen in der Richtung zu stellen, dass nicht ein Unglück passieren kann. Das lässt sich  nur durch eine verfassungskonforme Abstimmung von Volk und Ständen verhindern.

Ich verbleibe, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung  und mit freundlichen Grüssen  
Hans Ulrich Walder, Sempach, 7. Mai 2008   
 
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