Afghanistan - Wenig Friedvolles in Sicht

politonline d.a. Wir erleben nicht nur zwei Vernichtung und Tod über die Iraker und Afghanen bringende Infernos, sondern auch zahlreiche, immer wieder aufflackernde Kriege und Auseinandersetzungen ethnischer Natur in Afrika. Keines dieser Desaster hat jedoch die deutsche Commerzbank davon abgehalten, zusammen mit dem Verteidigungsministerium der BRD am 4. Juni eine Tagung in Celle zu eröffnen, deren Thema der Ausbau der Beziehungen zwischen Militär und Wirtschaft ist, was auf alles andere als friedliche Gedankengänge hindeutet.

Die auf dem »Celler Trialog 08« anwesenden Herren von der Commerzbank sowie die rund hundert hochrangigen Teilnehmer, die Parteien, Unternehmen und Streitkräften angehören, beschäftigten sich unter dem Motto »Wirtschaft und Politik an der Seite der Bundeswehr« mit deutschen Armeeeinsätzen. Mit dieser Veranstaltung setzt das zweitgrösste deutsche Kreditinstitut seine jahrelangen Anstrengungen fort, deutsche Firmen enger an das Militär heranzuführen 1. Wie aus Erklärungen des Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, hervorgeht, wird die Bundeswehr etwa zur Sicherung der Rohstoffeinfuhr der deutschen Industrie benötigt. Müller, zugleich Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, gehört zu den aktivsten Befürwortern einer engeren Kooperation zwischen Unternehmen und Armee. Hintergrund sind auch Bestrebungen, stets neue Bereiche der Bundeswehr für privatwirtschaftliche Aktivitäten zu öffnen. »Damit«, schreibt German Foreign Policy, »geraten neben den Kriegszielen auch die militärischen Handlungen selbst immer stärker in den Sog wirtschaftlicher Gewinnmaximierung: Zahl und Einfluss der Kriegsprofiteure nehmen zu.« Müller zufolge »stammen über die Hälfte der weltweit produzierten metallischen Rohstoffe aus politisch instabilen Ländern«. Der Grund für diese Situtation scheint ihn nicht weiter zu beschäftigen. Diese Instabilität, im Klartext Krieg, lässt sich im Prinzip allein schon der Tatsache zuschreiben, dass der mit Abstand grösste Zweig der Weltwirtschaft, die Rüstungsindustrie, mit allem, was an kriegsbedingten Nebengeschäften dazugehört, expandiert und auf Jahrzehnte hinaus vor gesichertem Absatz steht. Das gilt vor allem für die Vereinigten Staaten selbst; aber auch in Deutschland und in anderen mit der USA verbündeten Ländern profitieren viele Unternehmen dauerhaft von dem neuen »Dreissigjährigen Krieg«. Am stärksten an dessen Fortsetzung und Ausweitung sind die Unternehmen interessiert, die nur dann verdienen können, solange wirklich Krieg geführt wird. Traditionelle Rüstungskonzerne können grundsätzlich auch in Friedenszeiten riesige Profite einfahren. Lebenswichtig aber ist der Krieg für den stark expandierenden Sektor der »Sicherheitsunternehmen«, die Söldner, Hilfsdienste für das kriegführende Militär oder kriegsnahe »Beratung« anbieten. Es ist daher kein Zufall, dass viele führende Neokonservative gerade mit diesem aggressivsten Teil der Militärwirtschaft persönlich eng verbunden sind 2. Schon 2004 hatten die 191 UNO-Mitgliedstaaten rund 1.000 Milliarden $ für Rüstung ausgegeben, während sie ihre Beiträge an die Hilfsorganisationen der UNO kürzten. So hat allein die Regierung in Luanda durch die Erschliessung neuer Erdölfelder vor der Küste jährlich über eine Milliarde $ für die Rüstung zur Verfügung. Insgesamt befinden sich die Rüstungsausgaben derzeit auf einer neuen Rekordhöhe. Dass gerade die uns ständig um Hilfe angehenden Entwicklungsländer für ihre Verhältnisse zum Teil beträchtliche, sozusagen als pervers hoch anzusehende Summen für Waffen ausgeben, ist ein alter Hut. Dennoch kann dieser ohne Probleme weiter getragen werden, steht doch die Internationale Gemeinschaft unter grösster Bereitwilligkeit unserer Regierungen in immer besser koordinierter Form bereit, um uns die durch Aufrüstung und ethnischen Streit entstehende Misere aufzubürden. Von daher gesehen sind Kriege, wie sie in Sri Lanka, Somalia, im Sudan oder immer wieder im Kongo stattfinden, nebst den Schlächterein im Irak und in Afghanistan, für die Rüstungsindustrie geradezu ideal. Ob wir auf die Dauer so weitermachen wollen resp. ob diese Gangart für die Befindlichkeit unseres Globus nicht geradezu tödlich ist, steht nicht zur Debatte. Es läge, um ein altes Wort zu gebrauchen, an unserer Obrigkeit, hier eine Wende herbeizuführen, da die Stimme des Bürgers längst erstickt ist.
 
Abschliessend noch eine kurze Ergänzung zur Person von Klaus-Peter Müller, der auch persönlich als Reserveoffizier der deutschen Armee eng verbunden ist: Er erhielt im Juni 2005 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold. Es handelt sich dabei um die höchste Auszeichnung, die die Bundeswehr in Friedenszeiten verleiht. Müller erhielt sie in Anerkennung seines Engagements »für vertiefte Begegnungen zwischen Führungskräften der Bundeswehr und der Wirtschaft«. Verliehen wurde ihm die Auszeichnung in der Düsseldorfer Reitzensteinkaserne durch den Kommandeur der dort ansässigen 7. Panzerdivision. Anlass war der Verabschiedungsappell dreier Einsatzkontingente der Division, die wenig später mit über 2.300 Soldaten nach Bosnien, in den Kosovo und nach Afghanistan aufbrachen - auch zur Sicherung der von Müller eindrücklich beschriebenen Interessen der deutschen Wirtschaft. Mit anderen Worten: Er ist genau die richtigePerson.
 
Kein Entrinnen für Afghanistan
Inzwischen haben Berliner Regierungsberater entschiedene Massnahmen zur Aufstockung und Hochrüstung der deutschen Afghanistan-Truppen gefordert 3. Benötigt würden nicht nur mehr Personal, sondern auch neues Militärgerät für präzise Aufklärung, eine schnelle Truppenverlegung und tödliche Stosskraft (Präzisionswirkung). Dieses Land wird gnadenlos zermalmt. Die Aufrüstungspläne begleiten die Entsendung der Schnellen Eingreiftruppeder Bundeswehr, die Anfang Juli für Grossoffensiven in Nordafghanistan zur Verfügung stehen wird. Dort nimmt die Aufstandstätigkeit ungebrochen zu. Militärs sprechen von einem langfristig angelegten Marsch auf Kabul, bei dem die Rebellen Schritt für Schritt vorrücken und immer neue Gebiete der westlichen Kontrolle entziehen. Zwecks Verhinderung eines Scheiterns der Besatzung schlägt die SWP [Stiftung Wissenschaft und Politik] vor, in noch grösserem Mass als bisher ziviles Personal zu militärischen Zwecken heranzuziehen. Dies, legt GFP ferner dar, liefe auf eine weitere Unterordnung politischer Kräfte unter die Spitzen von Armee und  Verteidigungsministerium hinaus. Wenigstens wird hier das Wort Besatzung, das die Mehrheit unserer Politiker doch so gerne mit Aufbau und Demokratisierung des Landes ersetzt, unverblümt ausgesprochen. GFP zufolge hatten sich die Aufständischen letzten Herbst im nördlichen Einsatzgebiet der Bundeswehr deutlich konsolidiert. Der damalige ISAF-Kommandeur Dieter Warnecke begann daher einen Großangriff: die Operation Harekate Yolo II war die erste umfassende Bodenoffensive mit deutscher Beteiligung nach dem II. Weltkrieg, führte jedoch nicht zum Erfolg; schon im Frühjahr 2008 waren die Taliban in Badghis erneut präsent. Warneckes Nachfolger, Brigadegeneral Dieter Dammjacob, antwortete mit einer weiteren Großoffensive: Operation Karez. Über diese ist bis heute nur wenig bekannt, obwohl es dabei zu heftigen Kämpfen kam. Berichtet wird von Mörserattacken, Luftangriffen und dem Einsatz von Schützenpanzern. Der Operation kommt einige Bedeutung zu, weil sie sich in ähnlicher Form wiederholen könnte - dann jedoch unter Mitwirkung der gerade erst nach Afghanistan entsandten Schnellen Eingreiftruppe der Bundeswehr; die Kämpfe in Badghis halten an. In den letzten Maitagen kam es wiederum zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Rahmen die NATO erneut ihre Luftstreitkräfte einsetzte; Ein Abflauen der Kriegshandlungen in der Provinz ist nicht in Sicht. Das Geschehen in Badghis lässt erahnen, welche Eskalation droht, wenn es den Aufständischen tatsächlich gelingen sollte, sich in Kabul festzusetzen. Der folgende, GFP entnommene und von uns leicht gekürzte Absatz lässt die entmenschte Kaltblütigkeit erahnen, mit der man bei der Bekämpfung aufständischer Afghanen vorzugehen gedenkt.
 
Angriffswaffen
»Das Plädoyer für eine Aufstockung der Truppen in Afghanistan stösst in Berlin zunehmend auf offene Ohren; laut Presseberichten soll im Herbst die Entsendung weiterer deutscher Soldaten beschlossen werden. Wie es bei der SWP heißt, muss die Bundeswehr auch neues Militärgerät erhalten. Die Beschaffung zusätzlicher unbemannter Spionagedrohnen sei unumgänglich. Man könne ferner auf weitere Hubschrauber ebensowenig verzichten wie auf eine Optimierung der Durchsetzungsfähigkeit. Was mit Durchsetzungsfähigkeit gemeint ist, beschreibt der Düsseldorfer Rüstungsproduzent Rheinmetall. Dieser stellt unter anderem das Waffensystem Spike LR her, dessen Anschaffung die SWP empfiehlt. Wie das Unternehmen schreibt, kann der Schütze beim Gebrauch von Spike LR (Reichweite: 4.000 Meter) während des gesamten Fluges in den Bekämpfungsvorgang korrigierend eingreifen. Die Fähigkeit des punktgenauen Treffens lässt sich demnach auch bei der Bekämpfung von Bunkern nutzen, indem der Flugkörper gezielt auf Schwachstellen wie Türen oder Lüftungsöffnungen gelenkt wird. Daneben empfiehlt die SWP auch verstärkte Bemühungen zur Ausspionierung des Landes.« Bei all dem ist auffallend, dass die Erkenntnis, dass mit der offensichtlich angestrebten Vernichtung jeglichen afghanischen Widerstands das an diesem Volk verbrochene Unrecht weiter vergrössert wird,  im Gedankengut dieser »sauberen Stiftung« offenbar völlig ausgeblendet bleibt.
 
»Wir sind nach wie vor im Untergrund«
Wie einem Interview mit der RAWA-Aktivistin Zoya [Revolutionary Association of Women in Afghanistan] zu entnehmen ist 4, war zu Beginn tatsächlich angenommen worden, dass die US-Truppen konsequent gegen den Fundamentalismus vorgehen und den Menschen die Demokratie bringen würden. »Aber die Hoffnungen auf Freiheit und Frieden hätten sich schnell erledigt, als die USA alles tat, um die Kriegsverbrecher von der Nordallianz fest in das Besatzungsregime einzubinden. Damit hätten sie sich selbst dauerhaft kompromittiert. In dieser Regierung, so Zoya, sitzen Drogenbarone und Menschen, die ein Grossteil meiner Landsleute lieber vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal gesehen hätte. Nur 30 % Afghanistans werden faktisch von der Karsai-Regierung kontrolliert, 70 % von den Taliban, von Kommandanten der Nordallianz, von Stammesfürsten oder der Drogenmafia. Für die Mehrheit der afghanischen Frauen hat sich seit der Besatzung des Landes nichts verbessert. Jeder Warlord macht seine eigenen Gesetze. Nach wie vor werden im Namen der Ehre Frauen gesteinigt. Nicht einmal in Kabul sind Frieden und Stabilität zu finden. Der Alltag ist nicht leichter geworden, und wir haben es mit denselben Feinden zu tun wie vor der Besatzung. Ausländische Truppen sind da vollkommen überflüssig. Sie haben weder Demokratie noch mehr Elektrizität in unser Land gebracht. Sie verhindern auch nicht, dass Menschen verhungern oder an heilbaren Krankheiten sterben. Andere verkaufen ihre Töchter, weil sie sie nicht ernähren können. Demokratische Organisationen wie die RAWA sind sehr klein und schwach. Wir werden auch im besetzten Afghanistan verfolgt, können dort keine legale Öffentlichkeitsarbeit machen und haben keine Anlaufstelle. Wir sind nach wie vor im Untergrund und erhalten per Telefon oder e-mail fundamentalistische Drohungen. Wie die  Zoya ferner darlegt, bekommt die RAWA keine Unterstützung aus dem Ausland. Daher fordert sie von ausländischen Staaten, jede Hilfe für die fundamentalistischen Gruppierungen einzustellen und anstelle von Militäreinsätzen mit demokratischen Organisationen des Landes zusammenzuarbeiten.   
 
1 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57260 5.6.2008 Schulterschluss
2 http://www.jungewelt.de/2007/09-11/013.php 11. 9. 2007 Chaos als Plan Von Knut Mellenthin
3 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57261 6.06.2008 Human Intelligence
4Quelle: Auszug aus http://www.jungewelt.de/2008/06-05/049.php 5.6.08 »Wir sind nach wie vor im Untergrund« - Die Besatzer in Afghanistan arbeiten mit Drogenbaronen und Kriegsverbrechern zusammen. Das Gespräch mit RAWA-Aktivistin Zoya führte Claudia Wangerin. Zoya ist Aktivistin der afghanischen Frauenrechtsorganisation RAWA [Revolutionary Association of Women in Afghanistan - rawa.org] und wird an dem vom 7. bis 8. in Hannover stattfindenden Afghanistan-Kongress zugegen sein.