Abschiedsvorstellung eines Botschafters »Berliner Konsens« Von Ulrich Schlüer

Mitglieder des EWR - gezielt war die Bemerkung auf Liechtenstein - könnten in Steuer- und Finanzangelegenheiten bestenfalls noch beschränkte Souveränität für sich beanspruchen. Dies sagte kürzlich der demnächst altershalber aus seiner Funktion scheidende Botschafter der Bundesrepublik Deutschland an einer Veranstaltung in Zürich. Eine vom Europa-Institut in Zürich am 4. Juni 2008 veranstaltete Podiumsdiskussion befasste sich mit der «Steueraffäre Fürstentum Liechtenstein - Deutschland» [1].

Rechtslage
Eingangs erläuterte Liechtensteins stellvertretender Regierungschef, Dr. Klaus Tschütscher, die Position des Fürstentums in der Steueraffäre mit Deutschland. Er dokumentierte sorgfältig das geltende Recht: Den in der Liechtensteiner Verfassung festgehaltenen Schutz des Privateigentums, die internationalen Vereinbarungen bezüglich Finanztransaktionen und Steuerrecht, die als international verbindlich anerkannten Normen für korrektes Finanzplatz-Verhalten. Sachlich erläuterte er die Rechtswidrigkeiten in Zusammenhang mit dem Diebstahl von Datenträgern in Liechtenstein, welche zum Preis mehrerer Millionen Euro dem deutschen Bundesnachrichtendienst «verkauft» wurden. Mit Hilfe dieser gestohlenen Daten eröffneten die deutschen Steuerbehörden ihren Feldzug gegen mutmassliche Steuerhinterzieher. Liechtenstein habe zu diesem Datendiebstahl ein Strafverfahren eröffnet und dazu mehrere Staaten, auch die Bundesrepublik Deutschland, auf dem für solche Fälle in internationalen Vereinbarungen festgehaltenen Rechtsweg um Rechtshilfe gebeten. Antwort auf entsprechende Ersuchen stünden aus - wobei zu berücksichtigen sei, dass die Gesuchstellung erst vor relativ kurzer Zeit erfolgt sei.
 
Desinteresse gegenüber Rechtslage
Der kurz vor seiner Pensionierung stehende, in Bern residierende, für die Schweiz und für Liechtenstein akkreditierte Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Andreas von Stechow, zeigte sich an der vom Liechtensteiner vorgetragenen Rechtslage demonstrativ desinteressiert. Die mediale Aufbereitung des sogenannten «Fall Zumwinkel» - der deutsche Postchef Zumwinkel wurde im Angesicht der gesamten Medien-Korona im Morgengrauen verhaftet und abgeführt - tat von Stechow als übliche mediale Sensations-Häscherei ab, der Rede nicht weiter wert. Schon das ist eine Unverfrorenheit, die ihresgleichen sucht: Dass die gesamte Medien-Korona die Verhaftung Zumwinkels live mitverfolgen konnte, war Folge einer Vororientierung durch staatliche Stellen, faktisch eines Aufgebots: Zumwinkel sollte als Verbrecher - jede rechtsstaatlich vorgeschriebene Unschuldsvermutung missachtend - der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Ein Schauprozess, wie in totalitären Staaten üblich, nahm seinen Anfang. Der Öffentlichkeit wurde demonstriert, dass ein Vermögender, der der Steuerhinterziehung beschuldigt wird, vom Staat «fertiggemacht», niederträchtiger behandelt wird als ein des Massenmords Verdächtigter. Und der Herr Botschafter wollte seinen Zürcher Zuhörern allen Ernstes weismachen, die staatlichen Stellen hätten sich über das ihnen unerklärliche Vorgehen der Medien auch bloss gewundert . . . Auf Liechtensteins Rechtsauslegung ging Botschafter von Stechow gar nicht ein. Er berief sich auf einen in der OECD entstandenen «Konsens», wonach gemeinsam und international gegen «schädlichen Steuerwettbewerb» vorzugehen sei. Weil schädlicher Steuerwettbewerb den Staat bei der Ausführung ihm übertragener Aufgaben behindere.
 
Konsens oder Verträge?
Zutreffend ist, dass im Schosse der OECD solche Ideen diskutiert und Empfehlungen dazu formuliert wurden. Nur: «Empfehlungen» sind keine Verträge. Sie wurden nie von Mitgliedstaaten in ordentlichen Verfahren ratifiziert - im Nachgang zu parlamentarischen Beratungen und Beschlussfassungen. Empfehlungen und Verträge sind bezüglich Rechtsverbindlichkeit zweierlei Dinge - eine Unterscheidung, die den Vertreter der EU-Grossmacht mit Hauptstadt Berlin freilich nicht im entferntesten interessiert. Berlin verordnet den angeblichen «OECD-Konsens» anderen Staaten schlicht und einfach als verbindlich. Kleinstaaten, die rechtlich sorgfältig abgestützte Einwände anbringen, werden kurzerhand in die Ecke der Schurkenstaaten gestellt. Man wunderte sich als Zuhörer nachgeradezu, dass nicht auch bereits mit dem Einmarsch der Bundeswehr gedroht wurde . . .
 
Nackter Geldhunger
Der Zürcher Professor Markus Reich, Ordinarius für Steuer-, Finanz- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, verlegte - ohne die Rechtsverachtung des deutschen Gastes direkt anzusprechen - das Geschehen auf die politische Ebene: Es zeige sich jetzt, in was für Sachzwänge Staaten gerieten, welche Sozialwerke geschaffen und immer weiter ausgebaut hätten, die heute nicht mehr finanzierbar seien. Solche Staaten, mit dem Wasser bereits am Hals, gelangten fast zwangsläufig dazu, die sie erdrosselnde politische Realität wichtiger zu nehmen als international gültiges Recht. Eine Feststellung, die hoffentlich auch jene hiesigen EU-Anhänger gehört haben, die laufend in Versuchung geraten, irgendwelchen Brüsseler Regelungen generell Evangeliumscharakter zu verleihen.
 
Zwang aus der EWR-Mitgliedschaft
Botschafter von Stechow, vom liechtensteinischen Regierungsvertreter noch einmal ans geltende internationale Recht erinnert, doppelte nach: Liechtenstein sei schliesslich EWR-Mitglied. Damit sei der OECD-Konsens zur Schädlichkeit des Steuerwettbewerbs für Liechtenstein schlicht verbindlich - liechtensteinische Gesetze hin oder her, internationale Vereinbarungen hin oder her. Was die EU als «solidarische Verpflichtung» formuliert habe, gelte ungefragt und uneingeschränkt auch für EWR-Staaten: so wie Brüssel (und Berlin) dies wollen. Deutschland, führte der Vertreter Berlins weiter aus, habe bekanntlich gewichtige und entsprechend kostspielige internationale Verpflichtungen im Dienste des Weltfriedens auf sich genommen: Deutsche Truppen stünden in Afghanistan. Deutsche Truppen trügen auf dem Balkan eine Hauptlast. Deutsche Truppen hätten im Kongo eine kostspielige Friedensmission übernommen - alles im Dienste des Friedens auf der Welt. An die Opfer, welche Deutschland in «höherem Interesse» weltweit erbringe, hätten andere, welche zu gleichen Leistungen nicht fähig oder nicht willens seien, finanziell beizutragen. So wolle es, meinte der Vertreter Berlins, die in Europa geltende Solidarität. Egoistische Rechtsstandpunkte Einzelner, die auf solche Weise Steuervorteile für sich einheimsen und attraktive Steuerzahler anziehen wollten, hätten sich solcher Solidarität zu beugen. Lange darüber zu fackeln gäbe es da nichts mehr.
 
Vorbild Calmy-Rey
Die Schweiz liess Botschafter von Stechow anlässlich seiner Tarifdurchgabe an Liechtenstein ostentativ aus. Seiner herrisch-einseitigen Interpretation der Wirkungen der EWR-Mitgliedschaft lauschend, dürfte indessen einigen Zuhörern gedämmert haben, dass das Nein der Schweiz zur EWR-Mitgliedschaft im Jahr 1992 kaum die schlechteste Entscheidung gewesen sein dürfte……. Eine bestimmte Schweizerin wurde vom deutschen Botschafter immerhin mit sehr viel Lob bedacht: Bundesrätin Micheline Calmy-Rey zeige der Schweiz den «richtigen Weg», indem sie demonstrativ «internationale Verantwortung» übernehme und propagiere. Mit ihrem Werben für stärkeres Engagement der Schweiz im Kosovo und in anderen Krisenregionen der Welt habe sie die «zeitgemässen Botschaften» verstanden und der Schweiz «richtig vermittelt». Liechtenstein solle ihr Beispiel nachahmen. Dabei blieb keinem Zuhörer verborgen, wer aus Sicht des Berliner Vertreters das Sagen über die «richtige» Wahrnehmung internationaler Verpflichtungen hat. Wem dabei Führung zukommt und wer bloss Gefolgschaft zu leisten und Finanzen abzuliefern hat. Dass in demokratischen Staaten
ausser den Regierungen noch andere Gewalten - die Parlamente, in der Schweiz das Volk als Souverän - Entscheidungskompetenz besitzen, darüber verlor Herr Botschafter von Stechow indessen kein Wort. Er sieht Deutschland offensichtlich in der Rolle der in der EU tonangebenden Grossmacht, der Rest hat zu parieren - Einwände bezüglich vertraglicher Verpflichtungen und allenfalls existierender Grundrechte hin oder her.
 
OECD-Konsens, Berliner Konsens
OECD-Konsens heisst für Berlin: Der Bürger hat sich mit der Rolle des Ausbeutungs-Objektes, über das die Regierungen befehlen, abzufinden. Steuerwettbewerb, der den Steuerzahler entlastet, ist als «schädlich» auszumerzen. So will es Berlin - alle anderen haben’s zu schlucken. Gefällt es einer Regierung, die Verteidigung des eigenen Landes an den Hindukusch oder in den Kongo zu verlegen, so hat der Bürger und Steuerzahler das untertänigst zu akzeptieren - nicht bloss der eigene Bürger, vielmehr auch jener, der per EU oder EWR Deutschland «freundschaftlich verbunden» zu sein hat. Die Schweiz, das liess sich aus von Stechows Arroganz an der Zürcher Veranstaltung leicht ableiten, hat sich von Seiten Berlins im schwelenden Steuerstreit mit der EU noch auf einiges gefasst zu machen. Demonstriert wurde: Recht interessiert Deutschland nicht. Berlin baut auf seine Macht. Es wird diese Macht in die Waagschale werfen und Zwang ausüben. Deutschlands Vermögende haben diese Lektion bereits verstanden: Die Auswanderung vermögender Leistungsträger aus Deutschland nimmt weiter zu - vor allem Richtung Schweiz. Aus Zeitmangel fand eine Diskussion zum herrischen Auftritt des Tonangebers aus Berlin nicht statt. So bleibt offen, ob die unverblümte Arroganz des deutschen Botschafters gegenüber geltendem internationalem Recht auch bei andern Zuhörern immer hartnäckiger und bohrender jene Bräuche deutscher Aussenpolitik ins Gedächtnis zurückzurufen begonnen hat, die man eigentlich seit über sechzig Jahren als für ewig begraben wähnte.
 
Anmerkung politonline d.a. Es kann ja wohl kaum sein, dass sich Herr von Stechow ernsthaft in dem Glauben wiegt, dass die Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan im Dienste der Wahrung des Weltfriedens stünde. Und noch weniger sollte er annehmen, dass von dieser Vorstellung überhaupt noch irgend jemand zu überzeugen wäre: schliesslich gibt es über den Aufbau des afghanischen Dschihads in den 80er Jahren durch den Geostrategen Brzezinski nichts mehr zu verheimlichen. Brzezinski, Sicherheitsberater von James Carter, war nun einmal eine der Schlüsselfiguren beim Aufbau des Al-Qaida-Netzwerks durch die CIA anlässlich des Krieges zwischen der Sowjetunion und Afghanistan (1979–1989). Auch dass Richard Perle sowie der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig und Caspar Weinberger, unter Reagan Verteidigungsminister, an der Hochrüstung der afghanischen Mudschahedin federführend beteiligt waren, ist kein Geheimnis mehr. Ebenso dürfte niemand mehr ignorieren, dass der anschliessend erfolgte Aufbau der heute der Vernichtung preisgegebenen Taliban durch die USA, die CIA, Saudiarabien und Pakistan ausschliesslich zu ihren eigenen Zwecken bewerkstelligt wurde und somit ohne die geringste Beteiligung der Deutschen. Mit Blick auf Afghanistan von einer Wahrung des Weltfriedens zu reden dürfte für unsere Begriffe eher einer Verdummung gleichkommen, denn in Wirklichkeit spielt sich dort das ab, was Jürgen Rose ausgezeichnet zusammengefasst hat 2: »Nach sieben Jahren blutigen Kampfes - länger, als der Zweite Weltkrieg dauerte - dreht sich die Gewaltspirale in Afghanistan immer schneller. Ohne Rücksicht auf Verluste führen Besatzer und einheimische Widersacher einen menschenverachtenden Krieg. Immer eindrucksvoller erweist sich die ungeheure Einfältigkeit der regierungsamtlichen Parole, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Während die Chancen der NATO auf einen Sieg in Afghanistan von Monat zu Monat sinken, nimmt der Widerstand zu. Nicht nur im Osten und im Süden, wo schon seit Jahren erbittert gemordet wird, sondern jetzt auch im Nordwesten. Dort lieferten sich die Besatzungstruppen im Rahmen der »Operation Karez« heftige Gefechte mit der Guerilla. Kriegsminister Franz Josef Jung wollte dem Druck der Verbündeten nicht länger widerstehen und entsandte schließlich als Verstärkung 60 Mann. Nachdem der Ruf nach mehr »Germans to the Front« trotzdem immer lauter wurde, beschloß die Bundesregierung zusätzlich, die ISAF mit rund 250 Panzergrenadieren zu verstärken. »Mission Creep« heißt diese im Stil der Salamitaktik vorgenommene Verstärkung im NATO-Jargon - gemeint ist die schleichende Ausweitung des Einsatzes. Auf die nächste Erhöhung des Bundeswehrkontingents haben sich die regierenden Kriegsparteien bereits verständigt - der Bundestag soll die Entscheidung im Herbst abnicken. Regierung und Parlament wollen der NATO in Bündnistreue fest ins Verderben folgen - es wäre jedoch falsch zu erwarten, daß wenigstens die Fachleute an der Spitze der Bundeswehr davor warnen. Augen zu und durch lautet die Parole in Berlin. Bis auf weiteres darf unter tatkräftiger deutscher Beteiligung am fernen Hindukusch weiter krepiert und gemordet werden.« »Mit den fadenscheinigsten Argumenten«, schreibt Interinfo Linz 3 versucht die Regierung in Berlin auf Drängen der USA und gegen den eindeutigen Willen der deutschen  Bevölkerung die BRD weiter in die Kriegsbeteiligung in Afghanistan hineinzuzwingen. Laut Spiegel online fand am 7.3.08 in der BRD-Botschaft in Washington ein Abendessen statt, an dem der ehemalige Aussenminister der USA, Henry Kissinger (richtiger Name: Avraham Ben Alazar) teilnahm, um, wie es im Spiegel online hiess, seinen ehemaligen Landsleuten ins Gewissen zu reden. Nach dem Abendessen äusserte sich ein ranghoher Mitarbeiter der Deutschen und erklärte, er habe Verständnis für die Position der Amerikaner und die Position der BRD sei nicht mehr länger haltbar, denn gemessen an dem, was die Amerikaner (in Afghanistan) leisten, ist unser deutscher Beitrag lächerlich. Bei einem solchen Personal, so Interinfo Linz, das der eigenen Regierung bei jeder Gelegenheit in den Rücken fällt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die USA mit immer neuen Forderungen so unverfroren auftritt.«
 
Im Prinzip ist es alles andere als ersichtlich, was die BRD in Afghanistan zu leisten hätte. Und was die Leistung der USA und ihrer Verbündeten betrifft, so zeichnet sich diese in erster Linie durch anhaltende Massaker aus, wovon die Zahlen der getöteten Taliban und Zivilisten ein beredtes Zeugnis ablegen. Wie die Vorstellungswelt des deutschen Botschafters oder des vom Spiegel online erwähnten Mitarbeiter beschaffen sein muss, dürfte daher jedem Klarblickenden verschlossen bleiben.
 
Nun erklärt von Stechow darüber hinaus folgendes: »Egoistische Rechtsstandpunkte Einzelner, die auf solche Weise Steuervorteile für sich einheimsen und attraktive Steuerzahler anziehen wollten, hätten sich solcher Solidarität zu beugen.« Man muss einmal bestimmte Fakten in Zusammenhang bringen, um aufzuzeigen, wie einseitig die ganze Materie behandelt wird und wo sich der Egoismus manifestiert. Von Stechow übersiehthier offenbar die EU-Mitgliedländer Belgien und Irland, die beide nicht unerhebliche Steuervorteile für Unternehmen bieten 4. Seit 1990 besteht in Belgien für Unternehmen, die in mindestens vier Ländern tätig sind, die Möglichkeit, sogenannte Coordination Centres einzurichten. Dort können die Konzerne alle Arten von Dienstleistungen wie Werbung, Marketing, Rechtsberatung und vor allem ihre Finanzgeschäfte zentralisieren, müssen aber nicht die dabei erzielten Gewinne versteuern, sondern nur einen kleinen Teil ihrer örtlichen Betriebsausgaben. Was Irland betrifft, so schrieb die Basler Zeitung am 11. 7. 2006, dass die einst armen Iren gemäss einer in der London Times veröffentlichten Statistik der Bank of Irland innerhalb weniger Jahre zu den reichsten Europäern geworden sind. Im Pro-Kopf-Vergleich besitzen sie grössere Geld- und Sachvermögen als die Bürger aller anderen europäischen Staaten. Die persönlichen Vermögen der Iren hätten sich innerhalb des zurückliegenden Jahrzehnts mehr als verdreifacht, rechnete die Bank of Irland vor. Lokomotiven der Vermögensexpansion seien die inzwischen mehr als 30 000 Millionäre unter den rund vier Millionen Einwohnern der grünen Insel. Einer der Ursachen hierfür seien die 1990 eingeführten Reformen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wozu eine Senkung der Unternehmenssteuer auf 12,5 % gehörte, was Investoren in grosser Zahl anlockte. Irland liesse sich durchaus als Steuerfluchtort für fast 500 transnationale Unternehmen bezeichnen, deren Kleinfilialen ihre Finanzgeschäfte über ein Büro in den Dublin Docks laufen lassen können. Auch sonst wird Unternehmen in der EU einiges geboten: So war einem ARD- Report am 26. 4 .2004 folgendes zu entnehmen: »Nicht uninteressant ist auch ein Blick auf das, was sich gegenwärtig in Tschechien abspielt. Dort sind deutsche Großunternehmer wie Siemens, Bayer, SAP, Rodenstock usw., bereits bestens etabliert. Die Herren Vorstände sind sich offensichtlich darin einig, dass hier die Zukunft liegt. Denn schließlich gilt für sie eine Steuerfreiheit von vollen 10 Jahren. Der Begriff Infrastruktur, für die jedes Land ein bestimmtes Mass an Steueraufkommen benötigt, scheint sie nicht weiter zu beunruhigen. Hinzu kommt, dass 75 % aller Investitionen aus EU-Mitteln subventioniert werden. Von diesen Subventionen werden allein 25 % vom deutschen Steuerzahler aufgebracht. Die Mitarbeiter von Rodenstock verlieren also in Bayern ihre Arbeitsplätze, dürfen dafür jedoch mit ihren Steuern ihre Firma in Tschechien fördern. Sie verstehen die Welt nicht mehr.« Was den Steuerwettbewerb innerhalb der EU betrifft, so gilt es noch festzuhalten, dass die deutschen Unternehmen dem Staat nicht mehr als 0.60 % am BIP zahlen. Damit liegt das Heimatland von Stechows mit Litauen zusammen am niedrigsten, wobei der Durchschnitt für die EU bei 2.40 % liegt. Wenn also von kostspieligen Verpflichtungen die Rede ist, warum nimmt von Stechow an dieser Niedrigrate, die man doch als hochgradig egoistisch betrachten kann, offenbar keinen Anstoss? Oder glaubt er etwa, diese Fakten blieben der Öffentlichkeit verborgen?
 
Daneben gibt es für die Unternehmen noch ganz andere Möglichkeiten, »ihr Scherflein ins Trockene zu bringen«, und zwar in den bekannten, aber nie wirklich angetasteten Steueroasen dieses Globus. Hierzu Michael R. Krätke 5: »Seit Jahren wird dem Wahlvolk in Deutschland eine Serie von höchst einseitig ausgelegten Steuerreformen zugunsten der Großkonzerne und Vermögensbesitzer verordnet. Stets kursiert das Argument, ohne diese Steuerschenk-Aktionen würden das Kapital und seine Leistungsträger massenhaft ins Ausland flüchten. Allen Geschenken und Gaben zu Trotz schafften Vermögensbesitzer und Spitzenverdiener, Banken und Konzerne dennoch Geld in die Steueroasen, was das Zeug hielt. Für die Geschäfte der Steueroasen sind die Zumwinkels und die Politikaster der bürgerlichen Parteien mit ihren Schwarzgeldkonten nicht sonderlich interessant. Sie gehören eher zur tumben Sorte. Wirklich clevere Manager verfahren höchst legal, indem sie sich bei verschiedenen Tochtergesellschaften ihres Konzerns in verschiedenen Ländern anheuern und bezahlen lassen. Unter anderem zu diesem edlen Zweck machen sie von der Gelegenheit Gebrauch und gründen mit wachsender Begeisterung immer neue Schein- und Tochterfirmen (oft genug reine Briefkastenadressen). Allen voran die Manager der großen internationalen Banken und Finanzkonzerne. Sie sind es, die von der erbitterten Konkurrenz der Steueroasen, von einer absichtsvoll geschaffenen und kunstvoll manipulierten Ex-Territorialität profitieren. Weltkonzerne haben heute Hunderte von Tochterfirmen, und etablierte Steueroasen beherbergen Zehntausende von Scheinfirmen besonderen Rechts - jedes Jahr kommen Tausende hinzu. Auf den britischen Jungferninseln [Virgin Islands] geht die Zahl der Firmengründungen pro Jahr in die Zehntausende.« Hinzu kommt der US-Staat Delaware, wo mehrere der grössten Konzerne der Welt ihren Sitz haben 6. Natürlich gründet man in Wilmington/ Delaware keine Briefkastenfirma. Man gründet einen Trust. Ein Trust in Delaware ist mehr oder weniger dasselbe wie eine Stiftung in Liechtenstein. Er wird zwar in das Handelsregister von Wilmington eingetragen, aber - wie in Liechtenstein - ist aus der Eintragung nicht ersichtlich, wem der Trust gehört. Im Register wird lediglich die Treuhandgesellschaft vermerkt, die den Trust verwaltet. Das ist der Unterschied zu der in Rechtsstaaten üblichen Regelung. Zu diesem Vorteil kommen weitere Vorteile hinzu: Die Steuern auf die Gewinne sind konkurrenzlos niedrig, es gibt keine Publizitätspflicht wie sonst für Kapitalgesellschaften, die in einem Handelsregister in New York oder in Berlin eingetragen sind. Es werden keine Nachprüfungen vorgenommen, der Trust kann per Telefon, Fax oder Internet in einer Stunde eingerichtet (und auch wieder aufgelöst) werden. Das, was in der Öffentlichkeit als »Globalisierung« bezeichnet wird, hat drei wesentliche Merkmale, bei denen ein Delaware-Trust etwas Passendes zu bieten hat: die systematische Steuerflucht von Unternehmen, Grossaktionären und Topmanagern, die Aufspaltung der Unternehmen in eine Vielzahl von Tochtergesellschaften und die Geheimhaltung
 
Es mutet eher seltsam an, dass Fakten dieser Art bei Verhandlungen zu Besteuerungsfragen keine Erwähnung finden. Wer also heimst hier Steuervorteile ein? Jedenfalls ist abzusehen, dass die angestrebte Durchleuchtung sämtlicher EU-Bankkonten lediglich den kleinen Sparer treffen und ihn zum gläsernen Bürger machen wird. Und mit der dadurch ermöglichten  totalen Erfassung aller Guthaben ist es für den Staat ein Leichtes, die Möglichkeit eines immer festeren Anziehens der Steuerschraube zu praktizieren. Man erwarte ja keinen Einwand von Seiten der Abgeordneten oder aus Strassburg. Schliesslich war Hans-Gert Pöttering, der Chef des Strassburger EU-Parlaments, in diesem Jahr auf dem WEF in Davos zugegen, woraus sich wohl kaum ableiten lässt, dass sich dadurch etwa eine positivere Einstellung dem geschundenen Steuerzahler gegenüber ergäbe. Es ist ferner abzuschätzen, dass sich die Konzerne einer solchen Endkontrolle, die sämtliche Konten offenlegen wird, mit Bravour zu entziehen wissen werden. Jedenfalls verleiten die Ausführungen von Stechows sowohl in Bezug auf den Afghanistankrieg als auch die Steuerfrage in unseren Augen durchaus zur Irreführung. Man gewinnt ohnedies langsam den Eindruck, dass sich hinsichtlich dessen, was man der Öffentlichkeit so erzählen kann, eine Art Narrenfreiheit einschleicht, hat es Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble doch soeben fertiggebracht, zum Ausdruck zu bringen, dass die CIA grenzenloses Vertrauen geniesse! Sicherlich nicht bei denjenigen, die Opfer der verdeckten Operationen dieses Geheimdienstes waren und noch sind! Und ganz sicher ist, dass sich auf die Weise, wie in Afghanistan vorgegangen wird, kein Weltfrieden aufbauen lässt. Das dürfte auch Herrn von Stechow klar sein, obwohl seine Worte nicht in diese Richtung deuten, und obwohl auch er wissen muss, wer denselben immer wieder aufs neue ins Wanken bringt.
 
1 Erschienen in Schweizerzeit vom 6. 8. 08 Dr. Ulrich Schlüer ist deren Chefredaktor. Alle Hervorhebungen durch politonline
2 http://www.jungewelt.de/2008/06-25/067.php 25.06.2008  - auszugsweise -
Gastkommentar: In Bündnistreue fest Germans to the Front Von Jürgen Rose
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr und aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, dass er in diesem Gastkommentar nur seine persönlichen Auffassungen vertritt
3 Interinfo Linz Folge 353 vom Mai 2008
4 Quelle: Hans-Peter Martin, Harald Schumann - Die Globalisierungsfalle - Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand. Das überaus aufschlussreiche Werk wurde zum ersten Mal 1996 aufgelegt. Zu jenem Zeitpunkt waren beide Autoren Redakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Die Autoren warnen vor der Entwicklung einer so genannten 20:80-Gesellschaft. Das heisst: 20 % der Bevölkerung bestreiten mit guten Löhnen und Gehältern die materielle Produktion und die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung für den Rest der Gesellschaft. Alle anderen müssen sich mit Niedriglohn-Jobs zufrieden geben und werden von der privilegierten Elite im Rahmen des Tittytainment bei Laune gehalten. ISBN 3499604507 Taschenbuchausgabe ISBN: 978-3-499-60450-8
5 http://www.freitag.de/2008/09/08090601.php  29. 2. 08 Michael R. Krätke - Die Schurkenstaaten sitzen mit am Tisch - Michael R. Krätke lehrt als ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Volkswirtschaft an der Universität von Amsterdam
6 http://www.jungewelt.de/2005/05-11/003.php 11. 5. 05 Konzernmacht im Untergrund - Wilmington/Delaware: Wie Konzerne mit Firmensitz in der winzigen US-Finanzoase die Weltwirtschaft unterwandern. DaimlerChrysler, Deutsche Bank und deutsche Städte wandern mit - Von Werner Rügemer 
Was Fakten zu Steuerfluchtorten resp. zu Steuervergünstigungen betrifft, so sind diese in  dem offenen Schreiben an den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, vom 1.3.08 detailliert dargelegt:
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=875