Nach Georgien: Vorstoß für eine Krise in der Ukraine

Am 27. 8. hielt der britische Außenminister David Miliband in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eine hochprovokante Rede, worin er sich nachdrücklich dafür aussprach, daß die Ukraine und Georgien der NATO und der EU beitreten. Er wiederholte seinen zuvor schon in London gemachten Aufruf für »eine möglichst breite Koalition gegen russische Aggression«. Präsident Dmitrij Medwedjew versuche, »am Kaukasus die Landkarte neu zu ziehen«. Zwei Tage vorher hatte der Kolumnist Tony Barber in der Financial Times signalisiert, daß die Ukraine der nächste Krisenherd werden soll [1].

»Zu den Lehren, die aus dem russisch-georgischen Krieg zu ziehen sind, gehört die, daß das nächste Spannungsgebiet zwischen der EU und Rußland die Ukraine sein könnte.« Er fuhr fort: »Ein besonderes Risiko besteht hinsichtlich der Krim, der ukrainischen Halbinsel, wo ethnische Russen in der Mehrheit sind und wo die russische Schwarzmeerflotte einen 20-Jahres-Vertrag über die Nutzung von Stützpunkten hat, der 2017 ausläuft.« Die EU und die Ukraine täten gut daran, auf ihrem kommenden Treffen am 9. 9. 2008 im französischen Evian einen konkreten Plan zur Festigung ihrer Beziehungen aufzustellen. Ukrainische Regierungsvertreter haben erklärt, daß der Flottenvertrag nicht verlängert werden soll. Präsident Viktor Juschtschenko - der 2004 ebenfalls dank der Millionen des britischen Agenten George Soros an die Regierung kam - hat die Frage der Schwarzmeerflotte mehrfach angesprochen. Juschtschenko hat auch seinen Soros-Kollegen, den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, während eines Besuches in Tiflis ausdrücklich unterstützt. Im Umfeld des ukrainischen Unabhängigkeitstages am 24. 8. warb er in Reden und Schriften für einen NATO-Beitritt. In einem Gastkommentar der Washington Post am 25.8.08 schrieb er: »Das beste Mittel, die nationale Sicherheit der Ukraine und anderer Länder zu sichern, besteht in einer Beteiligung am kollektiven Sicherheitssystem freier demokratischer Nationen, welches heute die NATO verkörpert.« [Anmerkung politonline: Wie freiund demokratisch die EU in Wirklichkeit ist, haben wir gerade wieder im Zusammenhang mit dem EU-Reformvertrag erfahren!] Mit Rußlands Eingreifen auf Seiten Südossetiens »stelle sich die Frage der nationalen Sicherheit der Ukraine ganz akut. Angesichts der Aktivitäten der russischen Flotte mußte ich ein Dekret erlassen, das deren Arbeitsweise auf dem Territorium der Ukraine regelt», schrieb er, womit die russische Flottenbasis Sewastopol gemeint ist. Auch der von George Soros gegründeteEuropean Council on Foreign Relations, ECFR, trommelt für eine Konfrontation mit Rußland um die Ukraine. Der ECFR fordert in einem neuen, provozierenden Bericht die EU auf, gegen Rußland die Beziehungen zur Ukraine und die Unterstützung für Moldawien zu verstärken. Dies betreffe ein »stärkeres Engagement für Demokratie, Wohlstand und Sicherheit in der Großregion«, und man solle »harte Maßnahmen gegenüber Moskau auf dem Tisch haben, falls Rußland sich dagegenstellt.« Auf dem Gipfel mit der Ukraine am 9. 9. sollte die EU »besondere Verpflichtungen für die Ukraine eingehen….. Sie sollte das Recht auf eine zukünftige EU-Mitgliedschaft anerkennen, sich auf liberalere Visumsvorschriften einigen, eine [militärische] Solidaritätsklausel zur Wahrung der territorialen Einheit der Ukraine anbieten und darauf hinarbeiten, die Ukraine in den Energiemarkt der EU einzubinden.« Weiter heißt es, die EU solle auch Moldawien, das an die Ukraine grenzt, auf längere Sicht eine Mitgliedschaft in Aussicht stellen. Und die EU wird aufgefordert - das war noch, bevor Rußland Abchasien und Südossetien anerkannte - Soldaten für eine neue Friedenstruppe in den beiden Gebieten bereitstellen. Gleichzeitig soll sie, so der ECFR, eine internationale Untersuchungskommission zu den Ursachen des georgischen Konfliktes unterstützen. Es heißt zwar, ein hartes Vorgehen gegenüber Rußland wäre kontraproduktiv, doch tatsächlich ist das vorgeschlagene Vorgehen ebenso provokant, nur hinterhältiger - in typischer Manier der britischen Empire-Politik in der EU.
 
»Der Westen zeigt in Georgien wenig Augenmaß«
Die USA und die NATO wollen das Land wieder aufrüsten. Seit 2002 stiegen die Militärausgaben fast um das 50fache. Ein Gespräch mit Otfried Nassauer. Das Interview führte Peter Wolter
 
Nach der vernichtenden Niederlage gegen Rußland will die Nato Georgien jetzt wieder aufrüsten. Womit? Und wie lange würde das dauern?
Die Nato und die USA machen zur Zeit eine Bestandsaufnahme. Beschlüsse gibt es noch nicht. Die USA ist sicher bereit, viel zu liefern, die Bundesrepublik wird eher vorsichtig agieren. Die NATO selbst kann beim Wiederaufbau der Infrastruktur helfen, aber nicht mit Waffen.
 
Der Konflikt hat gezeigt, daß die Russen in der Lage sind, zupackend zu reagieren. Ist eine erneute Aufrüstung Georgiens nicht ein Spiel mit dem Feuer?
In der Tat. Bisher zeigte der Westen wenig Augenmaß. Man kann nur hoffen, daß bald politische Klugheit einkehrt und der georgischen Führung nicht signalisiert wird, daß sie für ihr Vabanquespiel auch noch belohnt wird.
 
Inwieweit wäre die Bundesregierung(der BRD) willens, mäßigend einzuwirken?
Begrenzt. Sie muß mit einem Fehler leben, den sie beim NATO-Gipfel in Bukarest gemacht hat: Sie stimmte zu, daß Georgien Mitglied werden soll. Nur der Zeitpunkt blieb offen. Dahinter kann sie nicht zurück. Deshalb spielt sie auf Zeit und versucht, einen Beschluß zu verzögern. Berlin will nicht, daß die NATO Staaten aufnimmt, die offene Grenzfragen haben. Wenn der Pakt Georgien jetzt aufnehmen würde, wäre das ein falsches Signal an andere Länder: »Riskiert und verliert ein Scharmützel mit Rußland und ihr seid bald drin.« Dann würde die NATO ein sehr destabilisierender Faktor sein.
 
Die russischen Truppen wollten die militärische Infrastruktur Georgiens zerdeppern. Wie weit ist das gelungen?
Die Bodentruppen haben die Stützpunkte in der Nähe Abchasiens und Südossetiens zerstört. Aus der Luft wurden entferntere Basen, z.B. bei Tbilissi, angegriffen. Rußland wollte Georgien signalisieren: »Das macht ihr so schnell nicht wieder!« Zurückgelassene Waffen wurden zerstört oder abtransportiert.
 
Der Konflikt mit Rußland war augenscheinlich von langer Hand geplant. Mit welchen Waffen ist Georgien versorgt worden?
Er kam jedenfalls nicht aus heiterem Himmel. Georgien hat unter Präsident Michail Saakaschwili massiv aufgerüstet. Der Verteidigungshaushalt lag 2002 noch ungefähr bei umgerechnet 20 Millionen US-$, in diesem Jahr betrug er 989 Millionen! Ausbildungshilfe und Geld kamen aus der Türkei, der USA und Israel. Georgien kaufte seit 2004 eine Vielzahl zusätzlicher Panzer, Raketenwerfer, und Artilleriegeschütze. Und Kleinwaffen. Im wesentlichen gebrauchtes oder modernisiertes Gerät aus der Ukraine, Tschechien und anderen Staaten. Modernere Ausrüstung wie Aufklärungsdrohnen und Raketenwerfer kam dagegen meist aus Israel.
 
Welche Absichten verfolgt Israel? Steckt eine Strategie dahinter oder ging es vorwiegend ums Geschäft?
Die israelische Industrie hat sicher gut und gerne verdient. Aber erklärt dies das starke Engagement? Sicher spielte eine Rolle, daß einige georgische Minister die israelische Staatsbürgerschaft und vielleicht Geschäftsinteressen haben. Es gibt allerdings auch Gerüchte, daß Israel für den Fall eines Luftangriffs auf den Iran hoffte, Luftwaffenstützpunkte in Georgien nutzen zu können.
 
Welche Rolle spielten deutsche Waffenlieferungen?
Anscheinend eine geringe, jedenfalls soweit sie in der Verantwortung der Bundesregierung liegen. Sie bestreitet, daß sie die Lieferung der in Georgien aufgetauchten G 36-Gewehre genehmigt hat. Die Ablehnung ist auch aktenkundig.
 
Ist es denn so schwer, herauszufinden, woher diese Gewehre kommen? Man braucht dazu nur einen Blick auf die Seriennummer zu werfen.
Richtig. Dann wäre es ein Leichtes, herauszufinden, wer Erstempfänger der Waffen war. Aber das Aufklärungsinteresse der Regierung ist offenbar sehr begrenzt.
 
Hat die russische Armee auch Waffen erbeutet, die die NATO lieber nicht in deren Händen sähe?
Im wesentlichen erbeutete sie Waffen, die die Russen kennen. Einige Beutestücke könnten aber spannend sein. Rußland fielen z.B. einige Hummer-Fahrzeuge des US-Marinekorps mit moderner Kommunikationselektronik in die Hände, die nach einem Manöver in Poti auf ihren Abtransport warteten. Da darf man gespannt sein, in welchem Zustand sie irgendwann zurückgegeben werden
 
 
1 Strategic Alert, Jahrgang 22, Nr. 36 vom 4. September 2008
2 http://www.jungewelt.de/2008/09-25/005.php Otfried Nassauer ist freier Journalist und Friedensforscher. Er leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)