GFP - Neue Kriege in Afrika

politonline d.a. In Ergänzung zu den von Engdahl in seinem Artikel »USA errichten AFRICOM« dargelegten Fakten veröffentlichen wir hier Auszüge aus Berichten von German Foreign Policy, die aufzeigen, daß im Kampf um die Kontrolle der Ressourcen auch auf Seiten der EU resp. der NATO die Bereitschaft besteht, aktiv in mögliche Kampfszenarien einzugreifen.

So hatte die NATO Response Force (NRF) bereits Ende Juni 2006 eine Kriegsübung in Kap Verde durchgeführt [1]. Es war die erste, die das westliche Kriegsbündnis auf afrikanischem Territorium abhielt. Bestandteil des Manövers war u.a. die militärische Erstürmung einer Insel vor der westafrikanischen Küste unter deutscher Führung. Als voraussichtlich erste Einsatzorte der Kampftruppe gelten Ressourcengebiete in Afrika. An der Konkurrenz um die dortigen Rohstoffe beteiligt sich Deutschland seit geraumer Zeit an führender Stelle. Als Manöver-Szenario dienten fiktive Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen, die um die Kontrolle von Energieressourcen Krieg führen. Nach NATO-Angaben wurde dieser Hintergrund rein willkürlich ausgewählt und steht angeblich in keinem näheren Bezug zu realen Entwicklungen. Der damalige Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) des westlichen Kriegsbündnisses, James L. Jones, hatte hervorgehoben, die NATO müsse in der Lage sein, Öltanker und Öllagerstätten in Westafrika zu sichern. Jones nannte als Beispiel das Niger-Delta in Nigeria, wo Aufstände beinahe an der Tagesordnung sind. 
 
Deutschland hat sich von Anfang an mit umfangreichen Beiträgen am Aufbau der NRF beteiligt. Die Aufstellung der Kampftruppe war auf dem Prager NATO-Gipfel im November 2002 beschlossen worden. Sie soll innerhalb von nur fünf Tagen mit ersten Verbänden an jedem beliebigen Einsatzort weltweit verfügbar sein. Bis zu 25.000 Soldaten werden in einem ersten Zugriff bis zu 30 Tage lang autark im Kampfgebiet operieren können. Der Aufbau der NRF vollzog sich bisher in mehreren »Phasen« (NRF 1-6), an denen die Bundeswehr mit jeweils zwischen 1.200 und 5.000 Soldaten teilnahm - zusätzlich zu den gleichzeitigen Einsätzen in Südosteuropa, in Afghanistan, vor der ostafrikanischen Küste etc. Als Militärdrehkreuz für NRF-Großwaffen (Hubschrauber, Raketen, Panzer) ist unter anderem der Flughafen Halle/Leipzig vorgesehen. Es besteht der Verdacht, daß tatsächlich küstennahe afrikanische Erdölvorkommen im Blick des westlichen Kriegsbündnisses stehen. Diese gibt es außer in Nigeria auch in Angola; beide Staaten kooperieren in zunehmendem Maße mit der Volksrepublik China. Mit chinesischen Interessen kollidiert auch ein eventueller NRF-Einsatz in Darfur, den NATO-Experten für wahrscheinlich halten. 
 
Weltmacht-Theorie
Neue Theorien zur Legitimation von Aufstandsbekämpfung und Krieg werden auch in außen- und militärpolitischen Führungszirkeln in der deutschen Hauptstadt diskutiert [2]. Dabei handelt es sich um Erklärungsmuster, die Armutsrevolten und Aufstände gegen Besatzungsherrschaft mit Hilfe der Demographie zu deuten suchen. Demnach sei die Ursache für Unruhen in der islamischen Welt und in Afrika in der Altersstruktur der dortigen Bevölkerung zu finden, die einen relativ hohen Anteil junger Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren aufweist. Konflikte seien in den betroffenen Ländern unvermeidlich und könnten allenfalls mit militärischen Eingriffen regional begrenzt werden. Entsprechende Theoriemodelle - wie etwa das Denkmodell ›Youth Bulge‹ - sind Gegenstand von Tagungen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der bedeutendsten außen- und militärpolitischen Einflußbehörde der Bundesrepublik. [Anmerkung: Unter Youth Bulgeist das starke Anwachsen der jungen Jahrgänge zu verstehen, also ein Boom der jungen Generation] Sie werden zunehmend auch in Analysen weiterer deutscher Polit-Institute angewandt. In zugespitzter Form lassen sie Kriege als sinnvoll und notwendig erscheinen. In die Debatte eingeführt wurden sie 1995 in Washington.
 
»Nahezu zwangsläufig«
Demographische Theorien finden in zunehmendem Maße Anklang im außen- und militärpolitischen Establishment Berlins. Der Begriff ›Youth Bulge‹, der mit ihnen verbunden wird, bezeichnet die Ausstülpung einer Alterspyramide bei einem überproportionalen Anteil männlicher Jugendlicher zwischen 15 und 25 Jahren. Das ›Youth Bulge‹-Denkmodell will einen Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil junger Männer an der Gesamtbevölkerung eines Staates und Gewalteskalationen erkannt haben. »So führen hohe Geburtenraten in Verbindung mit der strukturellen Knappheit von Ressourcen und dem Mangel an sozialen Aufstiegschancen nahezu zwangsläufig zu breiten gesellschaftlichen Krisen, da aufgrund der zumeist vorherrschenden Tradition der Primogenitur lediglich den (männlichen) Erstgeborenen die Chance zur Erlangung einer gesellschaftlich annähernd befriedigenden Stellung eröffnet wird«, faßt das Berliner Institut für Europäische Politik den theoretischen Ansatz zusammen. Weiter heißt es in einer Studie des Instituts, die das Modell des ›Youth Bulge‹ zur Analyse der kosovarischen Gesellschaft und der dortigen Unruhen anwendet: »Die restlichen (überschüssigen) Nachkommen finden hingegen keinen adäquaten Platz in der Gesellschaft und neigen in Reaktion auf die große  Diskrepanz zwischen dem individuellen Anspruchsniveau und der gesellschaftlichen Realität zu Gewalt und Radikalität.« [1]
 
Sechs Optionen
Krisenhafte Zustände treten nach Ansicht des maßgeblichen deutschen Vertreters dieser Theorie, des Bremer Genozidforschers Gunnar Heinsohn, immer dann ein, wenn der Anteil der 15- bis 24-jährigen Männer an der Gesamtbevölkerung eine bestimmte Quote übersteigt. Heinsohn zufolge liegt sie bei mehr als zwei Söhnen pro erwachsenem Mann. Die Konkurrenzkämpfe des männlichen Nachwuchses um Macht und Prestige lassen angesichts begrenzter Ressourcen angeblich nicht viele Handlungsmöglichkeiten zu. »Im wesentlichen gibt es nur sechs Optionen für überzählige (!) Söhne«, schreibt Heinsohn:
 
»1. Gewaltkriminalität, 2. Bürgerkrieg, 3. Revolution, 4. Auswanderung, 5. Völkermord und 6. Eroberungskrieg beziehungsweise Kolonisation.« [2]
 
Heinsohn hat die Theorie des ›Youth Bulge‹ nicht erfunden. Zur Debatte gestellt wurde sie im Oktober 1995 vom US-Geheimdienst CIA. »The Demographic Backdrop to Ethnic Conflict: A Geographic Overview« lautete der Titel eines Aufsatzes, der damals von der CIA veröffentlicht wurde. »Die amerikanische Strategie kennt das ›Youth Bulge‹-Problem«, urteilt Heinsohn und beruft sich auf den damaligen Direktor des National Intelligence Council, der im April 2002 erklärte: »Große Jugendbevölkerungen werden sich für US-Interessen am zerstörerischsten (!) in Afghanistan, Kolumbien, Irak, Mexiko, Pakistan, Saudi-Arabien, der Westbank und Gaza auswirken.«  
 
Bundesakademie für Sicherheitspolitik
Die Theorie des ›Youth Bulge‹ wird in zunehmendem Maße von Institutionen und Think Tanks der Berliner Außen- und Militärpolitik rezipiert. Sie findet sich nicht nur in Studien des Instituts für Europäische Politik, sondern unter anderem auch in Analysen des Bundeskriminalamts und parteinaher Stiftungen. Zuletzt war sie Gegenstand einer zweitägigen Konferenz der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Die Bundesakademie, eine zentrale Institution der Berliner Außen- und Militärpolitik, symbolisiert wie kaum eine andere Einrichtung die zielgerichtete Rückkehr Berlins zu imperialer Großmachtpolitik. Unter den Referenten der Tagung befanden sich Wissenschaftler, Regierungsberater und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Es ging um »ausgewählte Aspekte des demografischen Wandels« in der Bundesrepublik und im Ausland; diese wurden »in Relation zu Handlungsfeldern globaler bzw. nationaler Sicherheit« gesetzt. Neben Erwägungen, die sich um die künftige Rekrutierung von Personal für Militär und Polizei angesichts stagnierender Geburtenraten drehten, stand ein Thema im Mittelpunkt der Konferenz: Die Debatte über die kriegslegitimierende Weltmacht-Theorie des sogenannten ›Youth Bulge‹, die der immer weiter ausgreifenden Militärexpansion Berlins eine neue Rechtfertigung verschafft.
 
So standen anhaltende Positionsverluste gegenüber Beijing beim Kampf um die Rohstoffe Afrikas im Mittelpunkt einer Botschafterkonferenz, die Anfang September 08 in Berlin stattfand [3]. Wie das chinesische Handelsministerium mitteilte, wird die Volksrepublik ihr Afrika-Geschäft dieses Jahr um fast die Hälfte steigern; damit erreicht sie bei weiterhin starken Wachstumsraten das Doppelte des deutsch-afrikanischen Handelsvolumens, das praktisch stagniert. Der immer größere deutsche Rückstand, der die bisherigen Maßnahmen Berlins als unzulänglich erweist, veranlaßt das Auswärtige Amt zu neuen Schritten, darunter die Fokussierung der deutschen Anstrengungen auf den Energiesektor des Kontinents. Exemplarisch sind die Berliner Bemühungen in den Erdölstaaten am westafrikanischen Golf von Guinea, so in Angola. Das Land, das von Washington wegen seines Rohstoffreichtums als direktes US-Interessengebiet eingestuft wird, sucht sich zwischen den Großmächten hindurchzulavieren und verteilt seine Ressourcen gleichmäßig an China und die Vereinigten Staaten. Berlin verlangt Anteile, stichelt gegen Beijing - und intensiviert seine Aktivitäten in dem Land, das zum Schauplatz westlicher Rivalitäten gegenüber der Volksrepublik zu werden droht. Der afrikanisch-chinesische Handel boomt ungebrochen und erzielt neue Rekorde.
 
Die nachgewiesenen Erdöl- und Erdgasreserven Afrikas sind in den vergangenen zehn Jahren um 15 % gewachsen, während sich der Durchschnitt weltweit auf  8 % beläuft. Berlin richtet seine Aufmerksamkeit vor allem auf Algerien, Libyen und Nigeria, die bislang bedeutendsten Förderländer Afrikas. Mit Abuja unterhält die Bundesrepublik eine »Energiepartnerschaft«, die ihr spürbaren Einfluß auf die nigerianischen Ressourcen sichern soll. Was Angola  betrifft, so wachsen dessen Ressourcenbranchen seit mehreren Jahren rasant; das Land ist 2007 der OPEC beigetreten und fördert inzwischen eine größere Menge Erdöl als Nigeria, der bis vor kurzem bedeutendste Erdölproduzent südlich der Sahara. Die weltpolitische Bedeutung Angolas enthüllt ein im vergangenen Jahr von namhaften US-Regierungsberatern publiziertes Strategiepapier. Darin heißt es, Angola gehöre zu den nicht allzu zahlreichen Ländern weltweit, die für die Vereinigten Staaten »bedeutende Energielieferanten« seien. In der Tat ist Luanda bereits heute sechstgrößter Öllieferant Washingtons - mit steigender Tendenz. »Wenige afrikanische Länder sind für US-Interessen wichtiger als Angola«, heißt es in dem US-Strategiepapier. Die Autoren führen dies nicht nur auf die angolanischen Ressourcen zurück, sondern auch auf die Bedeutung des Landes für den gesamten westafrikanischen Golf von Guinea. Die dortigen Öl- und Gasvorkommen (Nigeria, Äquatorial-Guinea, Angola) sollen künftig einen erheblichen Teil des US-Bedarfs decken, weil Washington seine Abhängigkeit vom Mittleren Osten reduzieren will. Umso schwerer wiegt aus westlicher Sicht der starke Einfluß Chinas in Angola. Beijing ist frühzeitig in Luanda aktiv geworden und hat sich dort wichtige Positionen gesichert, unter anderem den Zugriff auf das Öl. Angola liefert heute jeweils 35 bis 40 % seiner Erdölproduktion an die beiden großen Konkurrenten: an die USA und an die Volksrepublik. Ähnliche Rivalitäten zeichnen sich auch in den zwei weiteren bedeutenden Ressourcenstaaten am Golf von Guinea ab, in Äquatorial-Guinea und in Nigeria: Beide beliefern nicht nur die USA (Nigeria exportiert mehr als 40 % seiner Produktion dorthin), sondern in wachsendem Maße auch Beijing. Angola ist inzwischen zum größten Erdöllieferanten Chinas aufgestiegen. Die unmittelbare Konkurrenz der beiden Weltmächte in den westafrikanischen Ressourcenstaaten läßt bereits jetzt künftige westliche Offensiven erahnen, die, fügen wir hinzu, für die Bevölkerungen vermutlich wenig Gutes verheißen.   
 
1 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56410  22. 6. 06
Neue Kriege in Afrika
2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57151 6. 2. 08 Weltmacht-Theorie
3  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57328 9.09.2008
Umkämpfter Golf