Das Schweigen der Juristen - Gideon Levy

Unter allem anderen schändlichen Stillschweigen war das Stillschweigen der Juristen besonders laut zu vernehmen. Die 41 000 Anwälte im Staat Israel haben die Aufgabe übernommen, dessen Image als das eines Rechtsstaates zu schützen.

Und diese ausgedehnte und große Armee hat wieder einmal ihre Aufgabe verfehlt. Es gibt in aller Welt den schwerwiegenden Verdacht, daß Israel eine Reihe von Kriegsverbrechen begangen hat und die Juristen unseres Landes darüber ihren Frieden - also Stillschweigen - bewahren. Wo z.B. war Aharon Barak, als wir ihn wirklich brauchten? Wo sind seine Kollegen, die früheren Richter am Obersten Gerichtshof, die sehr wohl wußten, wie man die Stimme laut werden lassen kann, als der Justizminister Daniel Friedmann damit drohte, ihren Augapfel zu verletzen, und die sich jetzt hinter feigem Stillschweigen verbergen? Wo ist Mishael Cheshin, der  jedem damit drohte, die Hand abzuhacken, der sie gegen den Obersten Gerichtshof erhob, und jetzt wohl einen großen Schatten vor uns wirft, aber kein Wort sagt.
 
Wissen sie denn nicht, daß einer zivilen Bevölkerung unverhältnismäßiger Schaden zugefügt wurde, auch den Konvois mit Versorgungsgütern und den Sanitätern gegenüber, daß weißer Phosphor mitten in Bevölkerungszentren abgeworfen wurde und willkürliche  Bombardements erfolgten, und daß dies alles als Kriegsverbrechen angesehen wird? Welche Antworten geben sie ihren wütenden Kollegen in aller Welt? Sind sie davon überzeugt, daß Israel diese Verbrechen begangen hat oder nicht? In beiden Fällen wäre ihre Stimme  wichtig und ihr Schweigen ist entsetzlich.
 
Dieser Krieg kam nicht auf die Agenden der Mehrheit der Juristen Israels. Ein Blick auf die (hebräischen ) websites der israelischen Juristenvereinigung zeigt, daß die letzten Themen, mit denen sie sich beschäftigt haben, folgende sind: Der Reservesoldat und seine Rechte, Discounts und Gewinne für Geschäftsbesitzer im Süden‹, Bezahlen von Mitgliederbeiträgen - jetzt über den Anwalt (?)  und Blumendesign, ein Workshop im Süden für Juristen, der Spaß macht‹. Kein Wort über das Problem von Verbrechen. Die israelischen Juristen können sich nicht damit befassen. Abgesehen von einigen mutigen Anwälten stört sich keiner an den  besorgniserregenden rechtlichen Aspekten des Krieges. Daß Hunderte von Kindern getötet wurden, scheint nicht Grund genug zu sein, um aufzuschreien, wenn man mit Blumendesign beschäftigt ist. Es gibt nur eine Gruppe, die sich jetzt mit dem Krieg beschäftigt: die Mitglieder der IDF-Völkerrechts-Division, die ihren Bossen weiter gehorsamst dient und jeden kriminellen Akt legitimiert. Sie haben z.B. schon bestätigt, daß das kriminelle Bombardement auf die Vereidigungszeremonie der Polizeiakademie nach dem Völkerrecht akzeptabel sei. Sie haben auch entschieden, daß das Anrufen von Leuten, deren Haus gleich zerstört werden soll, ausreicht, um diese grausame Form kollektiver Bestrafung, die ebenfalls ein Kriegsverbrechen ist, zu rechtfertigen.
 
Nun ist ihre Kommandeurin, Oberst Pnina Sharvit-Baruch, dabei, sich dem Dozentenstab der juristischen Fakultät der Tel Aviver Universität anzuschließen, wo sie ihre Doktrin der trickreichen Jurisprudenz vorstellen wird, die das Massentöten erlaubt, und zwar in den Worten des Juristen Prof. Haim Ganz zu Studenten, die glücklich sein werden, wenn sie hören, daß Israels schmutzige Hände so sauber sind wie die eines Säuglings. Es geht nicht um die Meinung eines ( weiblichen) Anwalt-Oberst, wie der Fakultätsdekan demagogisch behauptet, sondern um ihre Taten. Es wird befürchtet, daß sie Komplizin der Kommission von Kriegsverbrechern ist und als solche von ihrem Lehramt suspendiert werden müßte. Ihre Aufnahme in die Juristische Fakultät wird diejenigen ermutigen, die für einen akademischen Boykott gegen Israel sprechen. Ihre zukünftigen Studenten werden weiter entsprechend der  unrühmlichen Tradition des Schweigens und der Legitimierung erzogen. Die Juristen Israels sind immer bereit, still zu sein und jede militärische Operation zu legitimieren. Das juristische Establishment ist gewonnen worden, oder, um genauer zu sein, es hat sich selbst gemeldet und wirkt mit.
 
Jeder, der den Ereignissen des (Gaza-) Krieges ehrlich folgte, weiß, daß es nicht um die Frage geht, ob Kriegsverbrechen begangen wurden, sondern wer die Verantwortung für sie trägt. Juristen aus aller Welt bereiten jetzt sorgfältig die Rechtsfälle vor und gehen ins Detail der angeblich begangenen Verbrechen. Wie ist es möglich, daß die bedeutendsten Juristen aus aller das Welt sehen, was unsere Juristen verborgen haben? Gibt es kein unmißverständliches, universales Gesetz zu diesem Problem? Hat Israel seinen eigenen Standard? Kann alles legalisiert werden? Kann das Völkerrecht gedreht und gewendet und mit einem Heftpflaster bis zu dem Punkt zugeklebt werden, an dem dem Massenmord und der Massenzerstörung von unseren führenden Leuchttürmen der Justiz ein Stempel der Rechtfertigung aufgedrückt werden kann? Man kann annehmen, daß die gehirngewaschenen Offiziere und Soldaten, die Medien und die öffentliche Meinung und alle davon überzeugt waren, es sei alles erlaubt.  Aber um Gottes willen, wo sind denn die Verteidiger des Gesetzes?
 
Quelle: Haaretz vom 1. 2. 09; Übersetzung von Ellen Rohlfs [von uns leicht gekürzt]