NATO-Drang nach Osten - Von Rainer Rupp

Einen Tag vor Beginn des »Informellen Treffens« der NATO-Verteidigungsminister am 19. Februar in der polnischen Stadt Krakau ließ der britische Verteidigungsminister John Hutton eine Bombe platzen. Vor seinem Abflug erklärte er gegenüber der »Financial Times«,

er werde von seinen NATO-Kollegen die Schaffung einer ständig einsatzbereiten Truppe von 3000 Soldaten fordern, die in den osteuropäischen NATO-Mitgliedsländern stationiert werden soll. Damit komme man deren erhöhtem Sicherheitsbedürfnis nach dem russischen Einmarsch in Georgien im vergangenen August entgegen. Die Absicht, Rußland westliche NATO-Truppen vor die Nase zu setzen, kann im Kreml nur als weiterer Beweis für die Fortführung der NATO-Expansions- und Einkreisungspolitik gesehen werden. Hutton verfolgt aber noch einen anderen Plan: In Osteuropa soll mehr Kanonenfutter für Afghanistan mobilisiert werden. Denn, so Hutton gegenüber der britischen Finanzzeitung: wenn westliche NATO-Truppen in Osteuropa stationiert sind, könnten die dortigen Regierungen problemlos mehr Truppen an den Hindukusch schicken. Und noch ein weiterer, unausgesprochener Grund mag dahinter stehen: Die erst beginnende Wirtschaftskrise hat jetzt schon die osteuropäischen Länder besonders fest im Griff [Anmerkung: wie uns auch!] Da liegt es nahe, daß die britische Initiative auch auf die innenpolitische Absicherung der neoliberalen osteuropäischen Regierungen abzielt. Deren Autorität ist bereits teilweise durch massive Unruhen von ungeahnter Stärke herausgefordert. Noch vor Beginn des NATO-Rats in Krakau schworen deutsche Medien die Öffentlichkeit auf eine härtere Gangart der USA gegenüber den Verbündeten ein. So sprach die Tageszeitung Die Welt gestern vom »Ende des (US)-Schmusekurses gegenüber Europa«, und beim Spiegel online hieß es, daß »die US-Regierung ihren Kuschelkurs beendet und weitere europäische Soldaten für den Krieg in Afghanistan fordert«. US-Verteidigungsminister Robert Gates erklärte auf dem Flug zum polnischen Tagungsort: »Die Botschaft der neuen Administration ist, daß sie bereit ist, mehr in Afghanistan zu tun, aber es auch klare Erwartungen gibt, daß die Verbündeten ebenfalls mehr tun müssen«. Zugleich machte Gates klar, daß dies nicht unbedingt mehr Militär
bedeuten müsse. Die Bundesregierung allerdings ist zu einer Truppenaufstockung bereit. BRD Verteidigungsminister Franz­Josef Jung (CDU) erklärte in Krakau, die Bundeswehr werde weitere 600 Soldaten zur Absicherung der am 20. August in Afghanistan stattfindenden Wahlen entsenden. Es gehe aber auch um einen »zusätzlichen Schutz für unsere Soldaten«. Nach Jungs Angaben könnten 400 Soldaten längerfristig stationiert werden und unter anderem die Schnelle Eingreiftruppe (Quick Reaction Force, QRF) im Norden des Landes verstärken. Die von den USA angekündigte Truppenverstärkung von 17000 Mann nannte Jung einen »richtigen Schritt« und behauptete: »Dies erhöht die Sicherheit.« Auf die USA kommen dabei allerdings erhebliche praktische Probleme zu: Der für die Versorgung der US-Streitkräfte in Afghanistan wichtige Luftwaffenstützpunkt Manas in Kirgistan soll geschlossen werden. Das beschloß das kirgisische Parlament am 19.2.09 mit nur einer Gegenstimme. Gates warf Rußland vor, Druck auf Kirgistan ausgeübt zu haben 1.
 
Anmerkung politonline d.a.: Inzwischen sind 19 bis 20 Länder dazu bereit, ihr Afghanistan-Engagement aufzustocken, wozu Gates meinte, daß dies ein guter Anfang sei. Zu welchem wirklichen Ende bleibt offen! Die neuen Zusagen kommen nach Angaben von Gates nicht nur von den Nato-Mitgliedern, sondern von den gut 40 Truppenstellern der Internationalen Afghanistan-Truppe Isaf. Die Anzahl gibt zu denken: Es gibt also nur noch wenige bedeutendere Nationen, die an diesem Inferno nicht beteiligt wären. »Wir stehen in Afghanistan vor einer harten Prüfung«, ließ sich Gates vernehmen. Daß keineswegs er selbst, sondern lediglich die unablässigen Massakern ausgesetzten, den Widerstand aufrecht erhaltenden Taliban, die immer höhere Verluste erleidende Zivilbevölkerung sowie die dort kämpfenden Soldaten Opfer dieser Prüfung sein werden, darüber läßt er kein Wort verlauten. Eigentlich ist es - und nicht wäre es - an der Zeit, daß die Gesetzgebung dafür sorgt, daß sämtliche Kriegsgurgeln als erste an die Front einrücken müssen. Nur das könnte dem Planeten noch Ruhe verschaffen. Auch in dem Artikel von Rupp ist zu konstatieren, mit welch absurd einfältigen Bezeichnungen, sei es der Schmusekurs oder der Kuschelkurs, die Redaktionen im Zusammenhang mit diesem blutigen Kriegsgeschehen hier einmal mehr antreten. Was den von Hutton zur Sprache gebrachten Einmarsch der Russen in Afghanistan betrifft, so fehlt auch hier das Wesentliche: Dieser hätte gar nicht zu erfolgen brauchen, hätte Georgien, man ist versucht zu sagen, in seinem Grössenwahn, den Krieg in der Nacht zum 8. 8. 08 nicht selbst begonnen *. Was die Schnelle Eingreiftruppe (Quick Reaction Force, QRF resp. Nato Response Force, NRF) betrifft, so schreibt die Neue Zürcher Zeitung 2, daß diese mit dem Problem kämpft, »daß die rotierenden Kontingente eigentlich nie vollständig aufgefüllt werden können, wobei die üblichen Schlüssel-Komponenten, wie z.B. der Lufttransport, im Vordergrund stehen.« Gates hätte mit der Erklärung, daß diese endlich einsetzbar sein müsse, bei etlichen Mitgliedstaaten Unruhe ausgelöst, »sicher auch darum, weil er als möglichen Einsatz die Verstärkung des Sicherheitsdispositivs in Afghanistan für die Wahlen im August nannte.« Jedenfalls soll die weitere Zukunft der NRF als Ganzes nach Möglichkeit an einem formellen Ministertreffen im Juni auf der Tagesordnung stehen.
 
1 http://www.jungewelt.de/2009/02-20/001.php  20.2.09
2 http://www.nzz.ch/nachrichten/international/usa_russland_1.2052964.html vom 20.9.09
* siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1005 Georgische Opposition verurteilt Soros