Steigen Rußland und China aus dem Dollar aus? Von F. William Engdahl

Kurz vor dem mit viel Vorschußlorbeeren bedachten Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften der Welt, der sogenannten G-20, und unmittelbar nach der Bekanntgabe einer weiteren massiven Finanzspritze für die US-Banken durch die Regierung Obama

 - wobei auch dieser erneute »Bailout« nicht zur Lösung der eigentlichen Probleme der hoffnungslos verschuldeten US-Ökonomie beiträgt - denkt die übrige Welt jetzt laut über das bisher »Undenkbare« nach: einen entschlossenen und geordneten Ausstieg aus dem US-Dollar, was immer das an Konsequenzen mit sich bringt. Bereits vor einiger Zeit hatte Rußland andere Nationen aufgefordert, seinen Vorschlag zur Errichtung einer Alternative zum US-$, der seit 1944 als »Reserve«währung für die ganze Welt fungiert, aufzugreifen. Jetzt hat China, das die größten US-Dollarreserven der Welt hält, und zwar sowohl in Form von US-Wertpapieren als auch in Anleihen der inzwischen verstaatlichten Hypothekenfinanzierer »Freddie Mac« und »Fannie Mae«, angedeutet, die russische Forderung nach einer Abkopplung vom US-Dollar zu unterstützen. Diese Entwicklungen verdienen eine genauere Betrachtung.
 
Rußland hat andere Staaten dazu aufgerufen, eine Alternative zum US-$ zu entwickeln. Auf Grund der Rolle des Dollars als de facto Leit- und Reservewährung der Welt war ein einziger Staat, die USA, in der Lage, praktisch unbegrenzte Mengen seiner eigenen Währung zu drucken und damit seinen eigenen Finanzsektor auf Kosten aller übrigen Länder der Welt mit massiven Finanzspritzen zu versorgen, wodurch der Rest der Welt gezwungen ist, diese de facto inflationierten und zunehmend wertlosen US-Dollars zu akzeptieren. Rußlands Regierung hat den am G-20-Gipfel teilnehmenden Staaten einen Vorschlag übermittelt, wonach der Internationale Währungsfonds (IWF) die Einführung einer supranationalen Reservewährung prüfen soll  Außerdem schlägt Moskau vor, daß die Banken der verschiedenen Staaten und die internationalen Finanzinstitutionen ihre Devisenreserven diversifizieren, d.h., sich aus der gegenwärtigen nahezu vollständigen Abhängigkeit vom US-Dollar lösen. Derzeit bestehen weltweit etwa 60 % aller Währungsreserven der Zentralbanken aus US-Dollars.
 
In dem russischen Vorschlag heißt es: »Wir halten es in diesem Zusammenhang für notwendig, über die Rolle des IWF nachzudenken und auch die Möglichkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen in Betracht zu ziehen, durch die die Sonderziehungsrechte [die Special Drawing Rights des IWF: SDR] den Status einer international anerkannten Super-Reservewährung erhalten.« Wie ich in meinem gerade erschienenen Buch Der Untergang des Dollar-Imperiums darlege, wurden die SDRs in den 1960er Jahren im Zuge der ersten Dollarkrise der Nachkriegszeit eingeführt, um damals den US-Dollar aus seiner Anbindung an das Gold zu lösen. Der neue russische Vorschlag sieht eine andere Funktionsweise vor, da es heute nur noch recht wenige Überreste an Zentralbankgold gibt. Laut dem jetzigen Vorschlag sollen die SDRs die finanzielle Kontrolle des US-Dollarsystems über die Weltökonomie lockern, da dieses Dollarsystem in der gegenwärtigen Krise nahezu die ganze Welt mit in den Abgrund, den US-Banken mit ihren Billionenverlusten an toxischen Papieren erzeugt haben, zu reißen droht.   
 
Heutzutage werden die SDRs des IWF hauptsächlich anstelle des US-Dollars in gleichartigen Institutionen (wie auch z.B. in der Weltbank) als Verrechnungseinheit und damit als eine neue Reservewährung benutzt. Laut dem Finanzexperten Avinash Persaud, einem Mitglied der UN-Kommission für die Reform des internationalen Finanzsystems (UN Commission of Experts on International Financial Reform), läuft der neue russische Vorschlag darauf hinaus, etwas Ähnliches wie den alten ECU zu schaffen; also die Europäische Währungseinheit, die in der Europäischen Gemeinschaft vor der Einführung des Euros als Rechnungseinheit diente. Der ECU war eine »harte Währung«, die durch einen Währungskorb festgelegt war, der mit Hilfe von exakt spezifizierten Mengen der nationalen Währungen der damaligen EU-Mitgliedsstaaten definiert wurde. Vor der Einführung des Euros diente der ECU als Verrechnungseinheit zur Abwicklung des Handels innerhalb der EU bzw. zum Ausgleich der verschiedenen Handelsbilanzen. Damit ließ sich der zunehmende internationale Handel auch in Zeiten privater und öffentlicher Liquiditätsengpässe finanzieren. Derzeit werden die SDRs des IWF durch einen »Korb« der führenden Währungen der Welt gestützt, wobei der Dollar mit einem Gewicht von 44 % zu Buche schlägt. Auf den Euro entfallen 34 % und auf das britische Pfund sowie den japanischen Yen jeweils 11 %. Eine Abstufung der Dollaranteile im SDR-Währungskorb und die Erzeugung (Schöpfung) von mehr SDRs durch den IWF - auf dem gleichen Wege, wie eine Geschäftsbank Kundeneinlagen durch die Gewährung von Krediten multipliziert - wäre ein klares Signal für eine weitere Ausbalancierung der weltökonomischen Macht zugunsten Chinas. Ein solcher Schritt würde vermutlich mit einer Zunahme des chinesischen Stimmrechts im IWF einhergehen. Zur Zeit ist Chinas Stimmrecht, das jeweils proportional vergeben wird, ungefähr so groß wie das von Italien, obwohl China mittlerweile die drittgrößte Ökonomie der Welt ist, Italien hingegen die siebtgrößte.
 
Seit dem 15. August 1971, als die USA ihre in Bretton Woods eingegangene Verpflichtung aufgegeben hat, den Wert des US-Dollars an das Gold zu koppeln, ist die weltweite Menge an Dollarreserven geradezu explodiert; im Jahre 2007 war sie mehr als 2500 Prozent höher als 36 Jahre zuvor. Zu dieser Dollar-Inflation tragen auch noch zusätzlich - und zwar massiv - die vielen Billionen US-Dollars bei, die von den Geldschöpfungsmechanismen im US-Finanzministerium und in der Federal Reserve erzeugt wurden. Das setzt natürlich andere Volkswirtschaften, die an den US-Dollar angebunden sind, schwer unter Druck.
 
Rußland und China sind sich einig
Daß jetzt ein hoher chinesischer Funktionär den russischen Vorschlag aufgegriffen hat, verleiht dieser ganzen Idee ein großes zusätzliches Gewicht. Zhou Xiaochuan, der Gouverneur der Chinesischen Zentralbank, hat kürzlich den Status des US-Dollars als einziger Reservewährung der Welt mit den folgenden Worten kritisiert: »Der Preis wird immer höher, nicht nur für die Benutzer, sondern auch für die Emittenten der Reservewährungen.« Zhou fügte hinzu: »Nur aufgrund der begrenzten Anwendung und dem unzureichenden Umfang der Gebrauchsmöglichkeiten der SDRs wurde deren Rolle noch nicht voll ausgeschöpft. Allerdings sind die SDRs das Licht am Ende des Tunnels namens Reform des internationalen Währungssystems. Deshalb besteht das Ziel bei der Reform desselben darin, eine internationale Reservewährung zu etablieren, die von einzelnen Nationen abgekoppelt ist und auch langfristig stabil bleiben kann. Dadurch lassen sich die inhärenten Fehler, die beim Gebrauch von kreditgestützten nationalen Währungen auftreten, ausschalten.« Vor Kurzem hatte Chinas Premierminister Wen Jiabao nach einem Treffen mit US-Präsident Obama erklärt: »Wir haben der USA ungeheuer große Geldbeträge geliehen. Natürlich machen wir uns über die Sicherheit unserer Anlagen Sorgen. Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig besorgt und möchte ….. die Vereinigten Staaten auffordern, zu ihrem  Wort zu stehen und als Nation glaubwürdig zu bleiben und die Sicherheit der chinesischen Vermögenswerte zu garantieren.« Diese Erklärung hatte Wen abgegeben, noch bevor US-Finanzminister Geithner eine weitere Finanzspritze für die US-Banken bekanntgegeben hatte. Mit dieser sogenannten »öffentlich-privaten« Finanzspritze von einer Billion Dollar sollten also noch mehr Gelder der US-Steuerzahler in das marode US-Bankensystem gepumpt werden, was die ohnehin schon astronomisch hohen öffentlichen Schulden der USA noch weiter aufbläht. Russische Experten haben sich im Vorfeld des G-20-Gipfels mit Vertretern von China, Indien und Brasilien getroffen, den sogenannten vier »BRIC-Staaten« (Brasilien, Rußland, Indien, China)  - die vor der jetzigen Krise die Volkswirtschaften mit den größten Wachstumsraten waren - um die Diskussion über den obengenannten Vorschlag voranzubringen. In ihrem ersten gemeinsamen Kommuniqué überhaupt wurde zwar der Begriff einer »neuen Währung« nicht ausdrücklich erwähnt, doch das Thema wurde bei diesen Gesprächen angeschnitten. Indien hatte nichts gegen diese Debatte, war aber nicht darauf vorbereitet, bei dieser Frage die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Dem Vernehmen nach unterstützen auch Südkorea und Südafrika diese Idee. Andere Schlüsselstaaten des Entwicklungssektors sind nach russischen Angaben gegen diesen Vorschlag»nicht allergisch«. Die Sonderziehungsrechte und der alte ECU bestehen, wie bereits erwähnt, im Wesentlichen aus einer Kombination von Währungen, wobei in diesen Währungskorb das individuelle wirtschaftliche Gewicht einer Nation eingebracht wird, das sowohl gegen andere Währungen als auch gegen die Währungen in diesem Korb aufgewogen bzw. bewertet werden kann.
 
Eine Verlagerung hin zu den SDRs würde der weltweiten Macht der USA einen schweren Schlag versetzen. Seit Washington 1971 den Goldstandard aufgegeben hat, konnte sich die US-Regierung den Luxus unbegrenzter Handels- und sogar Zahlungsbilanzdefizite mit dem Rest der Welt erlauben. Bis zum jetzigen Zeitpunkt konnte die US-Regierung sich immer darauf verlassen, daß ausländische Zentralbanken aus Angst vor einem Dollarkollaps Schatzanleihen des US-Finanzministeriums im Wert von vielen Hundert Milliarden Dollar aufkauften, um den Dollar zu stabilisieren. Dieser Mechanismus wiederum hat es der USA ermöglicht, solche Dinge wie die Kriege im Irak und in Afghanistan, riesige Rüstungsausgaben sowie Rekorddefizite zu finanzieren und ihre Zinsraten auf einem viel niedrigeren Niveau zu belassen, als normal gewesen wäre. Da die eigene Währung der USA die Weltreservewährung ist, hatte diese Praxis für Washington keine politischen Konsequenzen. Tatsächlich haben die EU, Rußland und China durch diese Dollarabhängigkeit eine US-Außenpolitik und Militärpolitik finanziert, die diese Staaten ablehnen. Doch angesichts der Tatsache, daß China den russischen Vorschlag zu unterstützen scheint und auch führende Staatsmänner in Frankreich und anderen EU-Staaten die Idee mit den Sonderziehungsrechten attraktiv finden, stehen wir jetzt möglicherweise kurz vor einer gigantischen Veränderung im weltweiten Machtgefüge. Die Frage ist, was Washington dagegen tun kann, außer seiner ständigen Aufforderung, daß »Europa, und insbesondere Deutschland mehr zur Stimulierung tut«. Rußland hält ungefähr die Hälfte seiner Währungsreserven, immerhin die drittgrößten der Welt, in US-Dollars, den Rest in Euros und britischen Pfund.
 
Der IWF-Chef, ein Franzose, unterstützt Rußlands Vorschlag
Der französische Finanzexperte Dominique Strauss-Kahn, der jetzige Chef des IWF, also der Finanzinstitution, die von Washington kürzlich als »irrelevant« bezeichnet und weitgehend ignoriert wurde, sagte in diesem Zusammenhang: »Man kann so viele [Finanz-]Mittel zur Stimulierung einsetzen, wie man will. Sie werden wie Schnee in der Sonne schmelzen, wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, daß ein kleinerer Finanzsektor entsteht als vorher; allerdings ein gesunder Finanzsektor, der auch funktioniert.« Das ist natürlich genau das, was die mächtigen Wall Street-Banken und ihrer Interessenvertreter in Washington wie der Chef des Wirtschaftsrates des US-Präsidenten, Larry Summers, und US-Finanzminister Geithner  auf jeden Fall verhindern wollen. Auf dem G-20-Gipfeltreffen in London am 2. April soll wohl eines der wenigen konkreten Ergebnisse sein, daß der IWF wesentlich mehr Geld erhält – der Fonds soll offenbar von 250 auf 500 Milliarden Dollar aufgestockt werden – und zwar ohne die Stimmrechte neu auszutarieren. Die EU hat diesem Schritt im Prinzip in der letzten Woche zugestimmt.
 
Anmerkung politonline d.a. Erstaunlich. Wo bleiben die konkreten Angaben aus Brüssel, in welcher Form uns auch noch diese Wahnsinnssumme aufgebürdet werden soll?
 
Quelle: http://info.kopp-verlag.de/news/steigen-Rußland-und-china-aus-dem-dollar-aus.html
26. 3. 09