Spannungen zwischen Japan und China und Washingtons Geopolitik in Asien - von F. William Engdahl

Am 22. April hat sich der japanische Premierminister Junichiro Koizumi in einer Rede am Asien-Afrika-Gipfel in Jakarta für die Vergangenheit entschuldigt: für «die gewaltigen Schäden und das gewaltige Leiden [....], eine tiefe Reue und eine aufrichtige Entschuldigung, die für immer im Bewusstsein eingegraben sein soll». Als Reaktion auf die unerwartete Geste des Japaners hat sich der chinesische Präsident Hu Jintao bereit erklärt, Koizumi zu treffen und mit ihm über die ärgste Verschlechterung in den bilateralen Beziehungen seit Jahrzehnten zu sprechen.

Die vorsätzliche Eskalation der Spannungen mit China in den vergangenen Monaten durch die Regierung Koizumi, die von der US-Regierung angeheizt wurde, hatte genausoviel mit der geopolitischen Agenda Washingtons wie mit japanischen Befürchtungen vor einer in Asien wirtschaftlich dominierenden Supermacht China zu tun. Die überraschende Stellungnahme Koizumis war ein deutliches Signal dafür, dass einige in Japan befürchtet hatten, der Konflikt drohe ausser Kontrolle zu geraten; deshalb die sorgfältig entworfene Entschuldigung Koizumis. Alle Anzeichen sprachen dafür, dass die wirtschaftlichen Interessen Japans in China durch den politischen Konflikt ernsthaft verletzt zu werden drohten. Dies führte zur japanischen Kurskorrektur.
Der folgende Artikel ist ein Versuch, den Konflikt in den grösseren Zusammenhang mit der globalen politischen Lage seit der Wiederwahl George W. Bushs im vergangenen November einzuordnen. Obwohl die Bemühungen um friedliche Lösungen von Streitigkeiten zu begrüssen sind, steht offensichtlich zwischen Japan und China und Washington viel mehr auf dem Spiel.
Zeitgleich mit der Wiederwahl von George W. Bush war in den USA ein wichtiger strategischer Wechsel in der Chinapolitik zu beobachten. Bestandteil dieser Veränderung ist eine starke Aufwertung der Beziehungen zwischen den USA und Japan im sicherheitspolitischen und militärischen Bereich. Diese Veränderung lässt ausserdem erhebliche Konsequenzen für den Dollar und das weltweite Wirtschaftswachstum erwarten. Es überrascht nicht, dass dieser Politikwechsel zeitlich mit den hektischen Anstrengungen Chinas zusammenfällt, seine Energieversorgung durch umfangreiche Verträge mit dem Iran, Russland, Kanada und Venezuela sicherzustellen - wie es scheint, eine Erweiterung des «BRIC-Bündnisses» (Brasilien, Russland, Indien, China; vgl. Zeit-Fragen Nr. 6 vom 7. Februar).
Der Besuch von Aussenministerin Condoleezza Rice in Tokio, Seoul und Peking im März dieses Jahres unterstrich diese Politik der neuen US-Regierung. Sie besteht im wesentlichen aus dem Versuch, Japan gegen den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss Chinas in der Region zu mobilisieren. Ein erneuter und vertiefter strategischer Gegensatz zwischen China und Japan kann erhebliche Konsequenzen für die wirtschaftliche und finanzielle Gesundheit der Welt mit sich bringen. Japan als Trojanisches Pferd der USA Am 21. März erklärte Rice in Tokio, dass die US-amerikanische Asienpolitik unter dem «Schirm» (besser gesagt: mit dem Trojanischen Pferd) Japans stattfinden werde, weil Tokio und Washington «sich bereits auf gemeinsame Werte und Auffassungen geeinigt haben» (sic). Im weiteren sprach sie vom «Aufstieg Chinas zu einem neuen Faktor in der Weltpolitik». Damit hat sie sicher recht, aber der Ton war im Vergleich zur bisherigen Chinapolitik der USA seit September 2001 ausgesprochen negativ. «Die innenpolitische Entwicklung Chinas ist noch immer ungewiss», fügte Rice hinzu und nannte «die Frage der Religionsfreiheit, der Menschenrechte, [...] sowie Taiwans besorgniserregende Angelegenheiten, die in eine falsche Richtung gehen könnten». Provozierend sagte sie: «Wir wollen China anstacheln, anschieben und überreden.» Die Tatsache, dass sie als Zeitpunkt für diese Äusserungen ihren Aufenthalt in Tokio wählte, wurde in Peking sicher sehr genau verstanden. Washington hat China ganz unverfroren als Ziel für mögliche «Regimewechsel» und andere hübsche Dinge auf seinen Radarschirm geholt.
Während ihrer Asienreise betonte Rice immer wieder, dass Washington Japan in der Region den Rücken stärken werde und unterstützte dessen Wunsch nach einem permanenten Sitz mit Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. In Tokio rief sie Japan und andere Länder in der Region dazu auf, sich zu vereinen und von China zu verlangen, «allmählich die Demokratie einzuführen». Sie trat offen dem Vorhaben der Europäischen Union entgegen, das Waffenembargo von 1989 aufzuheben, und warnte China, Taiwan erneut zu drohen.
Das Vorgehen Washingtons überrascht nicht: Im klassischen Stil sucht es das Gleichgewicht der Mächte herzustellen, indem es Japan, den schwächeren der beiden Rivalen, in Bewegung setzt, um ein Gegengewicht zu dem wachsenden Einfluss Chinas, des grösseren Rivalen, in der ungeheuer wichtigen pazifischen Region zu bilden. Letzten Dezember verabschiedete die Koizumi-Regierung, durch die USA «ermutigt», ihr 10-Jahres-Verteidigungsprogramm, in dem China zum ersten Mal unumwunden als potentielle Bedrohung genannt wird. Zwei Monate später, im Februar, stimmte Japan mit Washington ausdrücklich darin überein, dass die Meerenge von Taiwan ein «gemeinsames strategisches Interessengebiet» von Washington und Tokio darstelle. Japan - das «Grossbritannien des Fernen Ostens»
Dies ist das erste Mal, dass sich Japan in der Nachkriegszeit so direkt in der Taiwan-Frage engagierte, und es ist nicht verwunderlich, dass dies von Peking als freche Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten angesehen wird. Um noch weiter Öl ins Feuer zu giessen, kündigte Tokio am 9. Februar an, dass die japanische Küstenwache offiziell die Kontrolle über die Senkaku-Inseln (auf Chinesisch Diaoyo) übernehmen werde. Auch war Japan das einzige bedeutende Land neben den USA, das sich gegen die Pläne der EU wandte, das Waffenembargo gegen China aufzuheben.
Washington hat Japan verschiedentlich dazu gedrängt, sich wieder zu bewaffnen und militärisch mehr Stärke zu zeigen, und die USA haben Taiwan versprochen, an seiner Seite in einen Krieg einzutreten, wenn China Gewalt anwenden würde, um die Unabhängigkeit Taiwans zu verhindern. Kein Wunder, dass anti-amerikanische Ressentiments in der Region zunehmen.
Die Falken im Pentagon und die Neokonservativen nennen Japan das «Grossbritannien des Fernen Ostens», ein Verweis auf die «besondere Beziehung», die seit der Kriegszeit bis heute zwischen den USA und Grossbritannien in militärischen und anderen strategischen Angelegenheiten besteht. Wie von Grossbritannien sprechen sie auch gerne von Japan als einer geopolitischen «Inselmacht». Offensichtlich steckt der Gedanke dahinter, Japan als Stellvertretermacht gegen Nordkorea und China zu benutzen. Die Förderung der militärischen Ambitionen Japans durch die USA deckt sich mit Japans wachsendem Nationalismus und seiner Angst vor Chinas wirtschaftlicher Vorherrschaft. Das ist jedoch eine in jeder Hinsicht unbeständige Kombination.
Nicht nur wurde kürzlich die japanische Verfassung geändert, um «Out-of-area»-Militäreinsätze zu erlauben, Einsätze also, die nichts mit der Verteidigung Japans zu tun haben; es gibt ausserdem weit gediehene Verhandlungen zwischen Tokio und dem Pentagon über den Bau verbesserter Kommando- und Kontrollbasen der USA in Japan und über eine Zusammenarbeit auf den Gebieten Raketenabwehr und Truppeneinsatz. Washington möchte sein erstes Armeekorps unter dem Kommando eines Vier-Sterne-Generals vom Bundesstaat Washington weg in die Nähe von Tokio verlegen. Laut Carl Baker vom Asia Pacific Center for Security Studies «unternehmen die USA Schritte, um die Allianz mit Japan neu zu strukturieren; sie wollen eine erweiterte Allianz der Seestreitkräfte daraus machen. Was bisher stillschweigend betrieben wurde, findet jetzt offener statt.» Neue Atommacht Japan?
Wie man hört, ist Washington auch an japanischer Hilfe für sein stockendes Raketenabwehrprogramm interessiert und besonders an japanischem Geld. Es gibt Spekulationen, dass Japan mit wachsender militärischer Selbstbehauptung schon bald dem Club der Atommächte beitreten könnte, da es alle dafür wichtigen Technologien zur Verfügung habe. Ihm fehlt lediglich eine U-Boot-Flotte, die Atomwaffen tragen kann. Zum Koizumi-Kabinett gehört derzeit kein einziges Mitglied, das als «China-freundlich» gilt. Das ist bemerkenswert, wenn man die enorme wirtschaftlichen Bedeutung, die China für Japan hat, bedenkt. Koizumi wurde von Bush umworben, inklusive einer Reise zum Allerheiligsten, zur Crawford Ranch. Er hat Truppen in den Irak entsandt und Bushs Wiederwahl persönlich unterstützt. Auch nach Ansicht des Asienexperten Chalmers Johnson sind alle seine Kabinettsmitglieder entschieden «pro Taiwan» und «anti Peking» eingestellt.
Das ist der Hintergrund, vor dem China am 14. März sein neues Antisezessionsgesetz verabschiedete. Das war die ungeschickte chinesische Antwort auf eine Eskalation von Nadelstichprovokationen, die von Tokio zwar ausgeführt, aber von Washington heimlich unterstützt wurden. Der chinesische Schachzug spielte Washington in die Hände, weil er plötzlich die Position von Frankreich und Deutschland gegenüber der Aufhebung des Embargos als unhaltbar erscheinen liess und die Spannungen in der Region erheblich verstärkte, indem dadurch die Beziehungen zwischen Südkorea und China auf der einen und Japan auf der anderen Seite polarisiert werden. Dies ist ein herber Schlag, der die systematischen Bemühungen dieser Länder, den regionalen Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen, zum Stillstand bringt. Auch Korea im Fadenkreuz von Tokio und Washington
Es gibt weitere Provokationen, unter anderem ein japanisches Schulbuch, das japanische Kriegsverbrechen auf den Kriegschauplätzen Koreas und Japans verharmlost. Dieses Jahr ist formell das Jahr der koreanisch-japanischen Freundschaft. Aus südkoreanischer Sicht rief Japan absichtlich Spannungen hervor, als der japanische Botschafter in Seoul, Takano Toshiyuki, erklärte, dass Japan die Souveränität über die umstrittenen Takeshima-Inseln beanspruche. Das rief alte antijapanische Ressentiments in Korea wach.
Auch spielt Washington in der Auseinandersetzung über das nordkoreanische Atomprogramm keine ehrliche Vermittlerrolle. Die ganze Region von Korea bis Taiwan ist Teil eines strategischen Gesamtkomplexes, der droht, schnell und gründlich schiefzulaufen, was der ganzen Welt und ihren wirtschaftlichen und finanziellen Abläufen schaden wird. Als Antwort auf die neue japanisch-amerikanische Front gegen China in der Taiwan-Frage hat China kühl reagiert, als es gebeten wurde, bei einer Lösung der koreanischen Frage zu vermitteln. Gegen die «Taiwan-Karte» Japans und der USA spielt China im Moment offensichtlich die «Korea-Karte» aus. China kontrolliert den grössten Teil des Handels mit Nordkorea und hat dort entscheidenden Einfluss. Die Londoner «Financial Times» hat kürzlich angemerkt, dass Peking «ein vereinigtes Korea fürchte, das den USA freundlich gesonnen ist», und daher zufrieden sei, wenn der koreanische Status quo erhalten bliebe und sich die Gespräche über die Atomwaffen in die Länge zögen. Damit schlägt China eindeutig einen neuen Kurs ein, da es sich seit dem 11. September 2001 bei Versuchen, den Koreakonflikt zu lösen, mehr als kooperativ verhalten hatte.
Rice räumte Südkorea bei ihrem Besuch deutlich eine geringe Priorität ein und weigerte sich, den koreanischen Protest gegen Japan wegen des Streits über die Dokdo-Inseln zu kommentieren, was in Seoul als Demütigung betrachtet wurde. Diese Frage ist für Korea alles andere als nebensächlich. Am 23. März drängte Präsident Roh Moo-Hyun seine Landsleute, sich wegen der Inseln auf einen «diplomatischen Krieg» gegen Japan vorzubereiten, und beschuldigte Japan, dass es versäumt hätte, das in der Vergangenheit begangene Unrecht gegenüber den Koreanern wiedergutzumachen. Auch griff er Koizumi wegen dessen wiederholter Besuche des Yasukuni-Schreins für japanische Kriegsopfer an; denn dort sind auch General Tojo und andere hochrangige Kriegskommandeure begraben. Wechselt Südkora vom Dollar zum Euro?
Bezeichnenderweise erklärte Roh, «es könnte einen harten diplomatischen Krieg geben, [...] der den Austausch [das heisst den Handel] in verschiedenen Bereichen reduzieren und wirtschaftliche Schwierigkeiten hervorrufen könnte». Schnallt euch gut an, Hedge-Fund-Händler, es könnte für den Dollar eine holprige Abwärtsfahrt geben! Dieses Mal werden sie vielleicht wirklich handeln und nicht nur reden wie vor einem Monat, als die koreanische Zentralbank andeutete, vom Dollar zum Euro und zu anderen Währungen wechseln zu wollen, was jedoch am nächsten Tag gleich wieder «korrigiert» wurde.
Vor dem 11. September 2001 machten die Pentagon-Strategen der Bush-Regierung mit ihren strategischen Drohgebärden vor allem Druck auf China und Korea. Der Wahn, Saddam Hussein zu stürzen, der nach dem 11. September ausbrach, führte zu einer Verschiebung in Washingtons Prioritäten. Bis vor kurzem! Indem nun Koizumi mit Zuckerbrot- und Peitsche-Diplomatie angetrieben wird, entzündet Washington einen Brandherd, der jahrzehntelang geschlummert hat. Die meisten Chinesen erinnern sich noch gut daran, dass Japan während des Krieges mehr als 23 Millionen chinesische Opfer zu verantworten hatte.
Nach Ansicht des Japan-Experten Chalmers Johnson ist Shinzo Abe, Mitglied der liberaldemokratischen Partei, wahrscheinlich einer der Favoriten für die Nachfolge Koizumis Ende diesen Jahres. Abe, ein Enkel des ehemaligen Premierministers, hat sich als Falke gegenüber dem von Nordkorea ausgehenden Bedrohungsszenario gegen Japan profiliert. Seine politische Karriere hat er laut Johnson als Hardliner gegen Korea gemacht und Japans Ängste um seine Sicherheit immer wieder angefacht. Andere Kabinettsmitglieder von Koizumis Regierung, unter ihnen der Staatsminister für Verteidigung, Yoshinori Ono, und Aussenminister Nobutaka Machimura, sind klare Militaristen. Washington verlangte als Gegenleistung für seine Unterstützung einer Einladung Japans in den UN-Sicherheitsrat, dass Japan seine «pazifistische Verfassung» so ändern solle, dass sie militärische Einsätze ausserhalb Japans erlaube. Die Botschaft ist in China und Südkorea angekommen.
Wir sollten folgendes beachten: Vor diesen neuen japanischen Provokationen hatte Präsident Hu Jintao sich noch eindeutig darum bemüht, die Beziehungen zu seinem wichtigen Handelspartner Japan zu glätten. So ernannte Hu einen gemässigten chinesischen Diplomaten zum Botschafter in Tokio und rollte im September 2004 der Delegation des japanischen Repräsentantenhauses den roten Teppich aus. Noch bedeutsamer war, dass Hu eine gemeinsame chinesisch-japanische Erforschung der Ölvorkommen in der umstrittenen küstennahen Region zwischen den zwei Ländern vorschlug. Es gibt für Peking keine wichtigere wirtschaftliche Sicherheitsfrage als das Öl. Eurasisches Gegengewicht zu den USA?
Am jüngsten ASEAN-Gipfel bat Hu persönlich darum, dass Koizumi im Interesse der wachsenden Freundschaft mit China seine Besuche am Kriegsschrein beende. Koizumi, der kein politischer Anfänger ist, antwortete mit einer Beleidigung Hus: Er bemerkte, es sei an der Zeit, dass China sich aus dem Status eines Empfängers japanischer Entwicklungshilfe herausentwickle. Der von Koizumi beabsichtigte Gesichtsverlust war offensichtlich: Japan, der frühere Kriegsbesatzer, tritt heute als arroganter «Lehrer» auf, der China in Fragen der Volkswirtschaft Nachhilfeunterricht gibt. In seiner Rede an der ASEAN-Konferenz antwortete Chinas Premier Wen verärgert, dass China die japanischen Zahlungen stets als Entschädigungen für die von Japan angerichteten Kriegsschäden betrachtet habe.
Bei den Wahlen in Taiwan im vergangenen Mai wurde Chen Shui-bian mit knapper Mehrheit wiedergewählt, und ernannte (informell) Koh      Se-kai, der 33 Jahre lang in Japan gewohnt hat und eng mit den Tokioter Machtzirkeln verbunden ist, zum Botschafter in Tokio. Das Parlament in Taiwan blockierte im August Chens Versuch, die Verfassung so zu ändern, dass eine Unabhängigkeit möglich geworden wäre. Im Dezember gelang es Chen wieder nicht, eine Parlamentsmehrheit für einen Kauf von US-Waffen im Wert von 20 Milliarden US-Dollar zu bekommen, und dieser Plan ist jetzt mit seiner verlorenen Wahl wohl endgültig gescheitert.
Es ist wichtig, zu sehen, dass die Beziehungen zwischen Taiwan und China wahrscheinlich friedlich wären, wenn es keine äusseren Störungen geben würde. Laut Johnson hat Taiwan 150 Milliarden US-Dollar in Chinas Wirtschaft investiert, und unter Chen öffnete Taiwan für China Handel- und Transportwege über die Meerenge von Taiwan. China kann es sich nicht leisten, eine militärische Konfrontation mit Japan oder Washington zu riskieren, und Washington weiss das sehr genau. In einer Erklärung zur Verteidigungspolitik vom Dezember 2004 stellt Peking fest: «Solange die taiwanesische Regierung das One-China-Prinzip akzeptiert und ihre separatistischen Aktionen zugunsten einer taiwanesischen Unabhängigkeit aufgibt, können jederzeit Gespräche mit Taiwan geführt werden,  mit dem Ziel, die Feindseligkeiten offiziell zu beenden.»
Im Jahre 2004 wurde die EU anstelle von Japan und den USA Chinas grösster Handelspartner, eine Tatsache, die im Zusammenhang mit dem Vorstoss der EU steht, die Sanktionen gegen Waffenlieferungen nach China aufzuheben. Dieser Trend eröffnet eine sehr reale Möglichkeit für ein eurasisches Gegengewicht zum gewaltigen «800-Pfund Gorilla» in Washington. Chinas Handel mit der EU umfasste im Jahre 2004 177 Milliarden Dollar, während sich der Handel mit den USA nur auf 170 Milliarden und mit Japan auf 168 Milliarden Dollar belief. Japan in Bedrängnis
Auf lange Sicht sieht sich Japan einer besorgniserregenden demographischen Herausforderung gegenüber. Laut dem früheren Leiter der Abteilung China bei der Weltbank, S.J. Burki, wird China bis 2025 wahrscheinlich die grösste Wirtschaftsmacht der Welt sein. Gleichzeitig ist für Japan ein dramatischer Rückgang vorprogrammiert, mit einer drastischen Schrumpfung der Bevölkerung ab 2010, das heisst in fünf Jahren. Japans männliche Bevölkerung ging 2004 bereits um einen kleinen Prozentsatz zurück. Gleichzeitig stabilisiert sich laut Burki China demographisch bei 1,4 Milliarden Menschen und dank seiner Bevölkerungspolitik wird das Schwergewicht bei den Männern liegen. Verglichen mit Japan und den USA, ist China verhältnismässig schuldenfrei und seine Auslandschulden sind klein und durch Handelsbilanzüberschüsse gedeckt.
Der Grund für den Wechsel in der China-Politik Washingtons ist also nicht schwer auszumachen. Die jüngsten energiepolitischen diplomatischen Bemühungen Chinas gegenüber Indien, Russland und Brasilien sowie dem Iran und andere strategische Initiativen, die seine wirtschaftliche Sicherheit nach dem Irak-Krieg garantieren sollen, sind in Washington wohl bemerkt worden. Wie bereits gesagt, ist die Antwort bis jetzt die klassische Manipulation der Machtbalance: Japan wird gegen China und Korea eingesetzt, dabei spielt Washington auf der Klaviatur japanischer Ängste vor einer aufstrebenden chinesischen Supermacht.
Japan geht dabei ein nicht geringes Risiko ein. Im letzten Jahrzehnt, besonders in den letzten 5 bis 6 Jahren, hat die japanische Industrie massiv in das Outsourcing seiner Manufaktur (Verlegen von Produktionsstandorten) nach China investiert. Zwischen 2001 und 2004 stiegen die japanischen Exporte nach China um 70%. Gleichzeitig ist die Abhängigkeit Chinas von Japan kleiner geworden. Während der 1990er Jahre war Japan Chinas wichtigster Handelspartner. Seit 2004 hat die EU Japan abgelöst und dann erst kommen die USA. Japan steht jetzt an dritter Stelle. In den vergangenen Jahren haben die ASEAN-Staaten ihren Schwerpunkt in Handel und Investitionen eindeutig von den USA weg nach China verlegt.
Auch die Gefahr für die Vereinigten Staaten und die radikal-militaristische Bush-II-Regierung mit ihren Neokonservativen oder Falken in den meisten Schlüsselpositionen, vom Aussenministerium bis zum Uno-Botschafter John Bolton und Paul Wolfowitz in der Weltbank, ist nicht gering. Bolton, der früher mit Asien und Nordkorea vom Aussenministerium aus Verhandlungen führte, tritt öffentlich für die taiwanesische Unabhängigkeit ein und war vorher ein bezahlter Berater der taiwanesischen Regierung, alles keine Empfehlungen, die für Neutralität sprechen. Gefahren für die Weltwirtschaft
China besitzt eine Waffe, die es benutzen könnte, wenn der Druck aus Washington und Tokio grösser wird, was jetzt offensichtlich der Fall ist. Die Bank von China besitzt rund 610 Milliarden Dollar an US-Staatsanleihen. Japan besitzt noch mehr, rund 840 Milliarden, aber die Grösse von Chinas Anteilen ist strategisch bedeutsam: Heute ist der Dollar von riesigen täglichen Zuflüssen an ausländischen Investitionen abhängig, wenn ein Zusammenbruch verhindert werden soll. Wenn China, der zweitgrösste Dollarhalter der Welt, beschliessen würde, auch nur kurzfristig die Dollarkäufe zu boykottieren oder gar seine Dollarreserven zu verkaufen, dann würde Japan wie im März 2004 gezwungen sein, die inflationären Druckerpressen wieder anzuwerfen. Oder es bestünde die Gefahr des freien Falls für den Dollar. Aber Japan ist schlecht dafür gerüstet, seine herkulesartige Rettung des Dollars vom März 2004 zu wiederholen. Die jüngsten Bemerkungen der südkoreanischen Regierung über die Verschiebung von Dollar- zu Euro-Werten - selbst wenn sie am nächsten Tag wieder «zurückgezogen» wurde, legen nahe, dass Korea und China sich zu solchen drastischen Massnahmen durchringen könnten oder zur Androhung derselben, wenn der Druck grösser wird.
In diesem Licht betrachtet zeigt sich, dass der Handel zwischen Japan und China bereits gelitten hat. Im Februar schrumpfte Japans Handelsbilanzüberschuss mit China im zweiten Monat nacheinander. Er fiel um 22% auf 10 Milliarden Dollar, das ist dreimal weniger, als in Japan vorausgesagt wurde. Laut OECD-Daten geht heute mehr als ein Drittel aller japanischen Exporte nach China. Das japanische Wirtschaftswachstum sieht nicht robust aus, und man spricht immer öfter davon, dass eine neue Rezession kommen könnte.
Im Moment gehören diese Spannungen noch zu den Hintergrundfaktoren, aber der Trend zeichnet sich deutlich ab, so dass man sich in dieser Region berechtigterweise Sorgen macht. Eine Eskalation an irgendeiner Front könnte verheerende Auswirkungen auf das Weltwirtschaftswachstum und auch auf den Weltfrieden haben.


Artikel erschienen/aus Zeit-Fragen Nr.17 vom 25.4.2005, letzte Änderung am 26.4.2005