Zum Tee bei der Hamas -Ohne uns kein Friede, sagt Palästinenserführer Meschal

Das von Christiane Hoffmann mit Hamas-Führer Khaled Meschal geführte Gespräch fand an einem geheimen Ort irgendwo in den Außenbezirken der syrischen Hauptstadt Damaskus statt.

Der schwarze Mercedes mit den abgedunkelten Scheiben kurvt durch Hochhaussiedlungen, durch Gassen, über Hinterhöfe. Im Eingangsraum des Hauses, vor dem er schließlich hält, passieren Besucher eine Sicherheitsschleuse wie an einem Flughafen. Gegenüber einer Frau ist die Kontrolle den Wachleuten fast peinlich: »Wir müssen das machen.« Meschal trifft eine Viertelstunde später ein. Blauer Anzug, offenes Hemd, gepflegter Vollbart. Seit der Ermordung von Scheich Yassin im Jahr 2004 ist der 53 Jahre alte Meschal der mächtigste Mann der radikalen Palästinenser-Organisation, die in der EU als terroristische Vereinigung gilt. Meschal ist in der konservativ-religiösen Welt des ländlichen Palästinas als Sohn eines Bauern aufgewachsen, der auch als Mullah in der örtlichen Moschee tätig war. Als der Krieg in sein Dorf kam, war er elf. Seitdem lebt er im Exil. Zur Begrüßung legt er die Hand aufs Herz, ein leichtes Kopfnicken, kein Händedruck für eine Frau. Aber als der Tee gebracht wird, läßt er es sich nicht nehmen, mich zu bewirten, gibt den erbetenen Löffel Zucker in die Tasse und rührt selber um. Es kann ein Zeitpunkt kommen, an dem uns Leute wie er als gemäßigt erscheinen werden.
 
An der Wand hängt ein meterhohes Plakat mit Porträts der getöteten Kämpfer der Bewegung. 45 Mitglieder der Führungsebene wurden von Israel getötet. Auch auf Meschal verübte der Mossad 1997 einen Mordanschlag. Als Touristen verkleidete Agenten verabreichten ihm in der jordanischen Hauptstadt Amman auf offener Straße eine Giftspritze. Er überlebte nur, weil die jordanische Führung amerikanischen Druck mobilisierte und die Israelis dazu brachte, das Gegengift zu liefern. Israels Ministerpräsident hieß zu jener Zeit Benjamin Netanjahu. Niemals weicht während des ganzen Gesprächs der freundliche Gesichtsausdruck, niemals zeigt sich ein Anflug von Nervosität, von Ungeduld oder Aggression. Meschal ist Physiker, und er argumentiert mit der Rationalität des Naturwissenschaftlers. Er spricht nicht wie einer, der überreden will, sondern wie einer, der verstanden werden will. Hin und wieder setzt er nach, wenn ihm noch ein weiteres Argument eingefallen ist.
 
In jüngster Zeit, schreibt Chrstiane Hoffmann ferner, gibt es Hinweise, dass der Westen seine Isolationspolitik gegenüber der Hamas, die im Januar 2006 die Wahlen im Gazastreifen gewann, überdenken könnte. Nachfolgend die von ihr an Meschal gestellten Fragen:
 
Was halten Sie von der neuen amerikanischen Regierung?
Obama spricht anders, und wir begrüßen das. Aber der wirkliche Prüfstein, nämlich konkrete Veränderungen der amerikanischen Politik, stehen noch aus. Bisher spüren wir den Wandel nicht.
 
Was sollten die Amerikaner tun?
Das Wichtigste wäre, Druck auf Israel auszuüben. Und: Wie will die amerikanische Regierung eine Lösung finden, wenn ihr Sondergesandter George Mitchell in der Region mit allen Parteien spricht – außer mit der wichtigsten, der Hamas?
 
Suchen die Amerikaner nicht auf anderer Ebene Kontakt mit Ihnen?
Bis heute gibt es keinerlei offizielle amerikanische Kontakte mit uns - auf keiner Ebene.
 
Europäische Delegationen geben sich aber in jüngster Zeit die Klinke in die Hand.
Das sind sehr positive Schritte, aber es ist nicht genug. Sie sollten sich zu offiziellen Kontakten entwickeln. Die Hamas hat die Wahlen gewonnen, sie hat eine große Anhängerschaft in der palästinensischen Bevölkerung. Wer die Hamas ignoriert, dessen Friedensbemühungen sind umsonst.
 
Werden Sie eines Tages mit dem Mann, der Sie umbringen lassen wollte, am Verhandlungstisch sitzen?
Es geht hier nicht um ein persönliches Problem, sondern um ein nationales. Und es ist nicht der einzige schwarze Fleck in der Karriere Netanjahus, daß er mich umzubringen versuchte. Viel schwerwiegender ist, daß er das palästinensische Volk umbringt - täglich. Netanjahu weigert sich, über einen palästinensischen Staat zu sprechen. Was könnte es da überhaupt zu verhandeln geben?
 
Was sind Ihre Bedingungen für einen Frieden?
Wir reden nicht von Bedingungen, wir reden von einer Vision. Die wäre, daß Israel bereit ist, sich auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser anzuerkennen. Alles andere sind Details.
 
Ist nicht die Hamas mit einer Zweistaatenlösung implizit bereit, Israel anzuerkennen?
Die internationale Gemeinschaft spricht von einer gerechten, auf den Grenzen von 1967 basierenden Lösung, und die Palästinenser haben diesen Vorschlag akzeptiert. Israel lehnt das ab. Das ist das größte Hindernis für eine Lösung.
 
In ihrer Charta fordert die Hamas die Zerstörung Israels. Warum sollte Israel Sie als Verhandlungspartner akzeptieren?
Wir glauben, daß einige Leute die Hamas-Charta als Vorwand benutzen. Es geht ihnen nicht darum, was wir wirklich tun. Es ist irrational, daß sich die internationale Gemeinschaft auf diese paar Sätze in der Charta fixiert, die vor zwanzig Jahren geschrieben wurden, und ignoriert, was Israel jeden Tag tut.
 
Im Gaza-Krieg gab es mehr als tausend palästinensische Tote. Wie kann sich die Hamas als Sieger sehen?
Der Krieg wird nicht nach Verlusten beurteilt, sondern nach den Ergebnissen. Israel hat keines seiner Ziele erreicht. Es hat die Hamas-Regierung nicht stürzen, den Raketenbeschuß nicht beenden und auch Gilad Shalit nicht befreien können. Stattdessen ist Israel bedingungslos aus Gaza abgezogen. Es gab schreckliche Verluste auf palästinensischer Seite, aber wir haben diesen Krieg nicht gewollt. Er wurde uns aufgezwungen.
 
Aber die Hamas hat doch den Waffenstillstand gebrochen.
Die Waffenstillstandsvereinbarung implizierte, daß die Blockade von Gaza aufgehoben wird. Das war durch die ägyptischen Vermittler vereinbart worden. Aber Israel hat sich nicht daran gehalten. Wir wären bereit gewesen, den Waffenstillstand zu verlängern, wenn wir Garantien erhalten hätten, daß die Grenzen geöffnet werden.
 
Welche Aussichten auf Erfolg haben die derzeitigen Gespräche zwischen Hamas und Fatah?
Leider gibt es keine Aussicht, daß diese Versöhnungsgespräche erfolgreich sein werden, und zwar wegen der Einmischung von außen, wegen der Bedingungen, die diesen Gesprächen von der internationalen Gemeinschaft aufgezwungen werden. Warum kann Netanjahu jede beliebige Regierung ohne äußere Einmischung bilden, während die Palästinenser sich bei der Bildung ihrer Regierung den Bedingungen des Nahost-Quartetts unterwerfen müssen?  
 
Wie wichtig ist für die Hamas die Unterstützung aus dem Iran?
Die Hamas wird von verschiedenen Seiten auf unterschiedliche Weise unterstützt, nicht nur vom Iran. Keine Unterstützung, die wir erhalten, ist an Bedingungen gebunden. Deshalb sind wir von keiner bestimmten Seite abhängig. Wir sind niemandes Stellvertreter.
 
Muß die Hamas nicht fürchten, Opfer einer möglichen Annäherung Washingtons an Iran und Syrien zu werden?
Wir haben keine Angst, daß wir den Preis zahlen müßten. Wenn sich die amerikanische Politik gegenüber dem Iran und Syrien ändert, ist das eine gute Sache. Es bedeutet, daß die Amerikaner ihre Politik gegenüber der Region, auch gegenüber der Hamas ändern werden.
 
Im Westen gilt die Hamas als islamistische Terrororganisation. Wie wichtig ist für Sie der Islam?
Die Hamas ist an erster Stelle eine nationale Befreiungsbewegung. Sie führt keinen Krieg jenseits der Grenzen Palästinas.
 
Welche Herrschaftsform schwebt Ihnen denn vor? Eine Islamische Republik Palästina?
Wir werden unserem palästinensischen Volk nichts aufzwingen. Es soll frei sein, seine soziale, politische und kulturelle Lebensweise zu wählen. Wir wollen keinen Zwang. Das gilt auch auf individueller Ebene; zum Beispiel sollen die Frauen selbst entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen.
 
Das hat Chomeini vor der Revolution auch gesagt. Wie können wir wissen, ob die Hamas Demokratie nicht nur so lange akzeptiert, wie sie ihr zur Macht verhilft?
Demokratie ist für die Menschen in der Region eine ernsthafte Wahl und keine Taktik. Das Problem der Menschen hier ist, daß sie ihrer demokratischen Rechte beraubt sind.
 
Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26.04.2009, Nr. 17 / Seite 7
Zum Tee bei der Hamas – Ohne uns kein Friede - Von Christiane Hoffmann