Niger

d.a. Das Land, eine ehemalige Kolonie Frankreichs, taucht selten in der Presse auf, auch wenn es als weiteres Beispiel dafür steht, wie die Konzerne, vermutlich ohne weitere Skrupel, in afrikanischen Ländern tätig sind,

in denen es um die Menschenrechte, welche die UNO uns, den Gebern, unermüdlich vor Augen hält, nicht zum besten steht. Diesbezüglich geht es um die dortige Sklaverei. Sie ist offensichtlich noch immer ein beträchtliches Problem, obwohl das Parlament sie bereits im Mai 2004 unter eine Gefängnisstrafe von 30 Jahren gestellt hat. Noch 2008 gab es in Niger laut Aussage einer für die Beendigung der Sklaverei kämpfenden Organisation mehr als 40.000 Sklaven. Niger  gehört zu den ärmsten Ländern. 63 % der 12 Millionen Einwohner leben mit weniger als 1 $ pro Tag. Grund für die dort herrschende mangelnde Bildung ist zum Teil einer bildungsfeindlichen Tradition des Islams zuzuschreiben, besonders was den Schulbesuch von Mädchen angeht. Im Juli letzten Jahres entzog die Regierung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF, Médecins sans Frontières), die seit 1985 in Niger tätig waren, die Arbeitserlaubnis im ganzen Land. Die Ärzte hatten im  Süden des Landes ein  Spital nebst einem Dutzend Gesundheitsstationen betreut und seit Anfang 2008 etwa 14 000 unterernährte Kinder behandelt. Trotz massiver Hilfe, die 2005 einsetzte, als die Ernte wegen anhaltender Dürre besonders mager ausgefallen war und dazu führte, dass schätzungsweise 3,6 Millionen Menschen nicht genug zu essen hatten, sind knapp 16 % aller Kleinkinder akut unterernährt. Der Grund für die Ausweisung der MSF besteht in dem Vorwurf, dass diese die Tuareg- Rebellen - die die Regierung als Banditen bezeichnet - unterstützten. Hingegen kämpft die Organisation Bewegung für Gerechtigkeit nach eigener Aussage um ihr Land, auf dem Uran abgebaut werden soll. Wie es sich damit verhält, geht aus dem nachfolgenden Artikel hervor [1]:
 
Von Uran, Atombomben und den Sorgen der Tuareg - Von Kurt Pelda
Die Nomaden im Norden von Niger sehen ihre Lebensweise durch die Ausbeutung von Uran bedroht. Der Regierung werfen sie vor, das Bodenrecht der Tuareg zu verletzen.
 
Pünktlich um sieben Uhr werfen die Rebellen ihre Motoren an. Abba, Baba und ich sind noch damit beschäftigt, die Benzinfässer und unser Gepäck auf der Ladefläche des Pick-up festzuzurren. Die drei Fahrzeuge des Mouvement des Nigériens pour la Justice (MNJ)  warten unterdessen in Sichtweite von unserem Nachtlager. Sie sind zur Tarnung mit Lehm oder Zement beschmiert. Anders als bei den Rebellen in Darfur handelt es sich um brandneue Toyotas in ausgezeichnetem Zustand. Zudem werden die Pick-ups vom MNJ nicht überladen: Auf der Ladefläche halten sich jeweils nur maximal vier Kämpfer auf und in der Kabine deren drei. Die meisten von ihnen tragen Tarnanzüge und schwarze Turbane. Auf der Pritsche sitzen die Freischärler auf Ersatzreifen, Benzin- und Wasserfässern, Munitionskisten und dergleichen mehr. Ihre Schlafutensilien haben sie in dicke Zeltplanen eingepackt und zu Bündeln verschnürt, die nun als Sitzpolster dienen. Zwei der Toyotas fahren voraus, dahinter kommt unser Pick-up, und als Nachhut folgt das dritte Rebellenfahrzeug. Die kleine Kolonne wird jedoch fast im Minutentakt aufgehalten, denn in jedem Auto fahren ein bis zwei Satellitentelefone mit und deren Antennen sollten während des Telefonierens auf den Satelliten ausgerichtet sein. Das ist schwierig, wenn man sich im Auto aufhält. Wenn das Telefon klingelt, halten die Fahrer deshalb meist an und lassen die Offiziere aussteigen. Zumindest in dieser Beziehung gleichen die MNJ-Kämpfern der Guerilla in Darfur: Es wird ständig telefoniert. Für jeden Geheimdienst, der mithört, muss das Gesprochene einen Wust von wertvollen Informationen enthüllen

Die Rebellen scheinen genau zu wissen, wo sich Minen befinden. Mancherorts sind zur Markierung verminter Stellen Steine über die Piste gelegt. Da machen wir einen kleinen Umweg. Baba, unser Fahrer, hält sich nun genau an die Reifenspuren der vorausfahrenden Toyotas. Zwischen den Felsen scheucht der Konvoi Gazellen auf. Amoumoune Kalakouwa, der Generalsstabschef, stoppt sein Auto abrupt und lässt sich von seinem Leibwächter ein Sturmgewehr geben. Es ist eine israelische Waffe vom Typ Galil, mit eingravierten hebräischen Schriftzeichen. Schüsse peitschen über den Wüstensand, eine richtige Ballerei, doch die Gazelle läuft mit eleganten Sprüngen über die Felsen davon. In all den afrikanischen Kriegsgebieten, die ich schon besucht habe - von Angola und Moçambique im Süden bis nach Niger, Darfur und Eritrea im Norden - habe ich es nur selten erlebt, dass Kämpfer nicht nur abdrücken, sondern auch treffen konnten. In einem engen Tal legt der Konvoi einen Halt ein. Die Rebellen parken unter Dornbäumen, und die Offiziere telefonieren. Nur wenige Schritte entfernt liegt ein Brunnen, etwa 8 m tief; das Wasser ist schmutzigbraun.
 
Mein Verständigungsproblem ist inzwischen gelöst. Unter den knapp zwei Dutzend Rebellen, die mich nun begleiten, sprechen einige Französisch. Einer von ihnen heisst Amoumoune Halil, ein Veterinär, der nach eigenen Angaben zu den Gründungsmitgliedern des MNJ gehört. »Niger ist keine richtige Demokratie«, sagt Halil. »Im Norden, in der Zone der Nomaden, erkennt der Staat kein Bodenrecht an. Dabei ist das unser Land. Wenn man hier nach Bodenschätzen gräbt, schränkt das die Weidegründe für unsere Tiere ein. Mit den Bergwerken verschwindet unsere Art zu leben. Das ist bereits bei der von den Franzosen ausgebeuteten Uranmine von Arlit passiert. Und das Gleiche wird sich in Imouraren wiederholen.« Mit dem nigrischen Uran baut Frankreich unter anderem seine Atombomben. Niger ist heute der fünftgrösste Uranproduzent der Welt, nach Kanada, Australien, Kasachstan und Russland (die Statistiken dazu variieren allerdings). Mit der vom französischen Areva-Konzern ausgebeuteten Mine von Imouraren, wird das Land wohl zum drittgrössten Produzenten aufsteigen. Areva wird in Imouraren insgesamt fast 1,5 Milliarden € investieren. Die Renaissance der Nuklearenergie wirkt sich positiv auf die Uranpreise aus. Areva zahlt dem nigrischen Staat inzwischen zwar deutlich mehr für jedes Kilogramm Uran, dennoch will sich Niamey unabhängiger von der französischen Umklammerung machen. Bisher war die Uranausbeutung nämlich praktisch ein französisches Monopol gewesen, doch in letzter Zeit hat Niamey mehr als 100 Explorationskonzessionen an Firmen aus aller Welt vergeben. So gesehen erstaunt es nicht, wenn sich die Tuareg im Norden von der Uranausbeutung bedroht sehen und zugleich ein grösseres Stück vom Kuchen haben wollen.
 
Wer profitiert von den Bergwerken?
Halil fährt fort: »Die Uranminen sollten uns Tuareg Arbeit geben, doch beschäftigt werden Leute aus dem Süden. Es sind immer andere, die von den Minen profitieren, und mit dem Erdöl, das man bei uns auch sucht, wird es das Gleiche sein. Das Friedensabkommen von 1995 zwischen den damaligen Tuareg-Rebellen und der Regierung hat diese Fragen eigentlich schon alle geregelt, doch es mangelt an der Umsetzung.« Halil wirft den Nuklearkonzernen, allen voran Areva, vor, mit dem nigrischen Präsidenten Tandja gemeinsame Sache zu machen. Tandja müsste Ende des Jahres seinen Posten eigentlich zur Verfügung stellen, denn Nigers Verfassung erlaubt einem Staatschef nur zwei Amtszeiten. Nachdem der Versuch, die Verfassung zu ändern, gescheitert ist, wollen Tandjas Anhänger - offensichtlich auf Geheiss des Präsidenten - nun eine Verlängerung des Mandats durchdrücken. Halil vermutet hinter diesen Bemühungen die lenkende Hand der Minengesellschaften, die an Kontinuität und damit an einer Fortsetzung der Regierung Tandja interessiert seien. Nach diesem politisch-ökonomischen Exkurs geht die Fahrt weiter nach Tezirzayt, einem Tal mit zwei gemauerten Brunnen und einer verwaisten Schule. Diese liegt auf einer Anhöhe, die einen schönen Ausblick bietet: Auf der einen Seite liegt die Wüste und auf der anderen, hinter ein paar Sanddünen, das Air-Gebirge. Dessen höchster Punkt, der Mont Tamgak, erreicht fast die Höhe von 2000 m über dem Meer. Es sind diese fast schwarzen Berge, die laut einer Theorie die ursprüngliche Quelle von Nigers heutigem Reichtum sind. Das Gestein des Gebirges enthielt Uran, das - durch den Regen ausgewaschen und oxidiert - später in den Sedimenten westlich der Berge abgelagert wurde.
 
Anmerkung: Die Aussagen, dass es immer andere sind, die von den Minen bzw. von den  Ressourcen eines Landes profitieren, trifft auch auf zahlreiche andere afrikanische Länder zu. Offensichtlich ist dies auch einer der Gründe, wieso sie immer gleich arm bleiben. Dafür hat man ja schliesslich die internationale Gemeinschaft, die gehalten ist, die Hilfsaktionen zu finanzieren. So wurden wir auch anlässlich der Hungersnot 2005 an unsere Pflicht erinnert, den Spendenaufrufen der UNO-Organisationen Folge zu leisten. Wie üblich, fiel kein Wort, das die Forderung ausgedrückt hätte, dass das uranschürfende Unternehmen angemahnt worden wäre, seinen Anteil zu leisten. Was das israelische Sturmgewehr betrifft, das die Tuareg benutzen, so beweist es einmal mehr, dass der Waffenhandel seit Jahren grenzüberschreitend funktioniert und vermutlich auch die Mehrheit der Embargos permanent unterlaufen wird. Es wäre ja sonst auch kaum möglich, dass die Rüstungsindustrie fortlaufend wachsende Einnahmen verbucht. Auch hinsichtlich des im Text zitierten »heutiges Reichtum Nigers« scheint keine angemessene Verteilung gegeben zu sein und inwieweit der Staatschef und seine Anhänger vom Uranabbau profitieren, ist nicht eruierbar. Die persönliche Bereicherung an den Ressourcen des Landes scheint eine ausgeprägte, nicht zum Erliegen kommende Ader afrikanischer Potentatenzu sein; dies ist etwa im Tschad oder in Nigeria besonders auffällig [siehe http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=530; Ursachen des Asylantenstroms].
 
Die Gewähr dafür, dass die Tuareg-Rebellen bei den jetzt vergebenen mehr als 100 Explorationskonzessionen ihre Lebensweise verteidigen können, scheint eher gering. So vermitteln auch die Ausführungen von Kurt Pelda den Eindruck, dass der Landesvater nicht unbedingt darauf versessen ist, sich das Wohlergehen seiner Untertanen angelegentlich zum Auftrag zu machen.
  
Quelle: http://www.nzz.ch/hintergrund/tagebuch/von_uran_atombomben_und_den_sorgen_der_tuareg__1.2466664.html  27.4.09; leicht gekürzt, Hervorhebungen durch politonline