Die USA und das Schweizer Bankgeheimnis - Von Ulrich Schlüer

Was tut eigentlich die »Präsenz Schweiz«? Der Besuch sogenannter »Staffers«, also von Mitarbeitern amerikanischer Parlamentarier, ist ein sich in Bern alljährlich wiederholendes Ereignis.

Amerikanische Senatoren und Repräsentanten sind Berufsparlamentarier. Jeder verfügt über einen ansehnlichen staff, einen Stab von Mitarbeitern - Staffers genannt. Diese bereiten Voten vor, pflegen Kontakte, beschaffen Informationen, beraten Ratsuchende aus dem Wahlkreis ihres Chefs usw. Im allgemeinen sind diese Staffers eher überdurchschnittlich dokumentiert und informiert - interessante Gesprächspartner also. In der ersten Woche der Sommersession war es wieder einmal soweit: Rund zehn Staffers kamen mit einer kleineren Gruppe Schweizer Parlamentarier zusammen.

Bankgeheimnis: Zwiespältig beurteilt
Verschiedene Themen wurden angesprochen. Natürlich bald auch das Schweizer Bankkundengeheimnis. Vereinzelt wurde von Seiten der Amerikaner angesichts der Tüchtigkeit von Schweizer Banken bezüglich Vermögensberatung und Vermögensanlage für Privatpersonen aus aller Welt Respekt geäussert. Dank Bankgeheimnis habe die Schweiz gewiss Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Zu goutieren - merkten mehrere US-Staffers an - sei allerdings nicht, dass damit auch kriminelle oder aus Steuerhinterziehung resultierende Gelder einen »sicheren Hafen« in der Schweiz finden würden. Der Katalog der mit dem Schweizer Bankgeheimnis in Verbindung gebrachten Vorurteile und Gemeinplätze war bestens präsent. Nichts aber wussten die Staffers von der Geschichte des Schweizer Bankgeheimnisses. Folglich blieb die Gegenfrage ohne Antwort, ob in den USA überhaupt bekannt sei, zu welchem Zeitpunkt und auf dem Hintergrund welcher Ereignisse das Bankgeheimnis in der Schweiz zum Gesetz erhoben worden sei. Dazu weiss man in den USA offensichtlich gar nichts.
 
Historischer Zusammenhang
Die Mitteilung, dass das Bankgeheimnis kurz nachdem die Nazis in Deutschland an die Macht gelangt waren in der Schweiz 1934 gesetzlich abgesichert wurde, weckte jedenfalls grosses Erstaunen. Dieses wich sichtbarer Bestürzung, als die Gründe für die Schaffung dieses Gesetzes offengelegt wurden: Dass damit jenen in Deutschland von den Nazis verfolgten Juden, die wenigstens Teile ihres Vermögens in die Schweiz zu retten vermochten, die Sicherheit garantiert worden sei, dass deutsche Schergen nichts von ihrem Vermögen in der Schweiz erfahren würden. Das wusste keiner der in die Bankgeheimnis-Diskussion verwickelten US-Staffers. Die Information über diesen geschichtlichen Zusammenhang löste bei ihnen indes grosse Betroffenheit aus: diesen Zusammenhang zwischen Schweizer Bankgeheimnis und Judenverfolgung in Deutschland - davon habe man tatsächlich noch nie gehört. Das verleihe, meinten einige, der Auseinandersetzung ums Schweizer Bankgeheimnis eine ganz neue Dimension.
 
Wer informiert nicht?
Es ist Amerikanern, selbst Mitarbeitern von amerikanischen Parlamentariern, nicht zu verargen, einen Tatbestand nicht zu kennen, über den sie nie informiert worden sind. Dass ihnen also der in der Judenverfolgung durch das Naziregime wurzelnde Ursprung der gesetzlichen Festlegung des Schweizer Bankgeheimnisses nicht bekannt ist. Die Anklage, dass dieser Zusammenhang nicht verbreitet wird, trifft andere: Schliesslich existiert in Washington die grösste Schweizer Botschaft, die es weltweit gibt. Und in mehreren US-Städten gibt es Schweizer Generalkonsulate, welche die sträflich vernachlässigte Informationsaufgabe bezüglich Bankgeheimnis dringend übernehmen müssten. Ausserdem gibt es ein Organ namens »Präsenz Schweiz», das jährlich mit vielen Millionen ausgestattet wird, auf dass es damit Image-Werbung für die Schweiz im Ausland koordiniere und entfalte. Warum also dokumentiert »Präsenz Schweiz« die wichtigen US-Stellen über den Zusammenhang zwischen Bankgeheimnis und Judenverfolgung nicht? Warum hat die Schweiz in der USA noch nie - um nur einen konkreten Vorschlag zu äussern - eine Ausstellung organisiert, die den Zusammenhang zwischen Judenverfolgung und Bankgeheimnis dokumentieren würde? Kein Zweifel: Diese Zusammenhänge würden Amerikaner sehr stark interessieren - ist die USA doch bezüglich aller historischer Fragen, die mit der Judenverfolgung in Zusammenhang stehen, äusserst sensibilisiert.
 
Unbegreiflich, dass die Schweiz, die ihres Bankgeheimnisses wegen bekanntlich von allen Seiten auf die Strafbank gedrängt wird, diese Aufklärungsarbeit noch nicht begonnen hat. Aussenministerin Calmy-Reys Aussenposten verschlafen wichtigste Pflichten.
 
Quelle: Schweizerzeit vom 29. 5. 2009