Das Welthandelsrecht als rechtsfreier Raum für die Wirtschaft

Über Unternehmensethos, Marktzwänge und das Sozialprinzip - Von Karl Albrecht Schachtschneider

1. Den rechtlichen Rahmen der Wirtschaft unserer Welt bilden nicht allein, ja nicht einmal wesentlich, die Regelungen der Europäischen Union (EU) oder gar die Gesetze der Einzelstaaten, sondern die Verträge der Welthandelsorganisation (WTO) und die weltweite Kapitalverkehrsfreiheit. Die EU ist zu einer unselbständigen Region des Weltmarktes geworden. Die WTO-Übereinkommen der Uruguay-Runde von 1994 deregulieren weitestgehend den globalen Waren- und Dienstleistungsverkehr (GATT und GATS) durch den Abbau der Zölle und anderer Handelshemmnisse, sowie das Verbot von Diskriminierungen ihrer Mitglieder (Staaten). Leitprinzipien sind die Meistbegünstigung und die Inländerbehandlung. Dem Import und Export sind somit so gut wie keine Hindernisse in den Weg gelegt. Der Großteil der Staaten gehört der WTO an, die Europäische Union und alle ihre Mitgliedstaaten, auch China, nicht aber Rußland, mit dem die USA noch verhandeln. Die WTO kennt einige wettbewerbsrechtliche Schutzinstrumente wie das Antidumping- und das Antisubventionsübereinkommen, die nicht sehr wirksam sind.
 
Die Agrarmärkte sind freilich von der Deregulierung noch weitgehend ausgenommen. Vor allem die USA und die EU schützen ihre Landwirte und Agrarfabriken vor dem Weltmarkt, ja sie subventionieren den Export ihrer Agrarprodukte zum Schaden der weniger entwickelten Länder, insbesondere in Afrika. Das Welthandelsrecht kennt keine menschenrechtlichen und sozialpolitischen Vereinbarungen. Zwar sind die Mitglieder völkerrechtlich an die Menschenrechtserklärungen, welche auch soziale Rechte umfassen, gebunden. Deren Durchsetzung ist aber nicht erzwingbar, schon gar nicht durch einzelne Menschen, auch in der EU und in Deutschland nicht. Insbesondere gibt es im Rahmen der WTO keinerlei Arbeitnehmerschutzvereinbarungen. Das Lohndumping ist geradezu Prinzip der WTO, vermeintlich im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der weniger entwickelten Länder. Alle Versuche der Doha-Runde, Sozialstandards zu vereinbaren, sind bislang gescheitert. Die Ideologie der WTO ist die Freihandelsdoktrin, der sich die EU im Vertrag von Lissabon verpflichtet. Der gegenwärtige Welthandel beruht allenfalls im geringen Umfang auf komparativen Vorteilen, dem bestechenden Argument der klassischen Freihandelslehre, weil nicht alle Ressourcen der beteiligten Volkswirtschaften voll ausgelastet sind, allein schon wegen der Arbeitslosigkeit. Aber auch der grenzüberschreitende Kapitaleinsatz führt nicht zu gegenseitigen Vorteilen. Die international tätigen Unternehmen nutzen absolute Vorteile, welche ihnen die Länder mit geringen Arbeitskosten bieten, und vertreiben die dort gefertigten Produkte in den Ländern mit hohem Preisniveau. Die hohe Gewinnspanne ist das Geschäft.
 
Die Welthandelsordnung wird durch die nationale oder regionale Deregulierung des Kapitalverkehrs ergänzt, in der EU durch Art. 56 Abs. 1 EGV, der »alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verbietet«. Begrenzte Ausnahmen dienen dem Schutz der Wirtschafts- und Währungsunion vor schwerwiegenden Störungen (Art. 60 EGV). Auch Kapitaleigner aus dritten Ländern, also aus der ganzen Welt, können ihr Kapital unbeschränkt in der EU einsetzen, es aber auch unbeschränkt abziehen. Eine weltweit vereinbarte Steuer auf spekulativen Kapitalumsatz (Tobinsteuer) wäre vertragswidrig, nicht anders als eine entsprechende nationale oder gemeinschaftliche Steuer (Art. 58 EGV). Die Übereinkommen der WTO sind verbindlich, auch für die EU, wenn auch die Praxis den Bürgern und Unternehmen kein subjektives Recht auf deren Beachtung zugesteht.
 
Das Streitbeilegungsverfahren der WTO hat durchaus Wirkkraft. Wenn Vereinbarungen der WTO geändert werden sollen, müssen zur Zeit 153 Staaten zustimmen. Die EU beansprucht im übrigen entgegen dem Wortlaut des Gemeinschaftsvertrages die ausschließliche Zuständigkeit für die Handelspolitik (AETR-Doktrin). Auch der exportstärkste Mitgliedstaat hat keine Befugnis, Handelsabkommen zu schließen. Die Einheit der Welthandelsordnung und der weltweiten Kapitalverkehrsfreiheit macht die Rechtlosigkeit der Wirtschaftsordnung aus, welche den Völkern oktroyiert ist. Diese Ordnung hat weitestgehend rechtlich und allemal politisch höchsten Rang, schafft aber weltweit unvollständige Verfassungen, weil sich weder die Menschenrechte noch die sozialen Prinzipien gegen diese neoliberale Ordnung zu behaupten vermögen. Die Agenda 21 von 1992, in der die Vereinten Nationen eine sozialpolitisch und ökologisch ambitionierte Eine-Welt-Politik, freilich demokratiefern, propagiert haben, ist vielleicht nicht vergessen, aber verschwiegen.
 
2. Das Vertrauen in die sittliche Verantwortung des unternehmerischen Handelns ist die Rechtfertigung der weitgehenden Privatheit der Unternehmen. Kein Volk überläßt sein Schicksal ohne Not Unternehmern, die nicht dem gemeinen Wohl zu dienen versprechen. Privatheit ist das Recht zur freien Willkür. Freiheit aber ist Sittlichkeit, das Gesetz der Sittlichkeit das Sittengesetz, also das Liebesprinzip. Sittliches Handeln ist für die Agenten des Kapitals geradezu ausgeschlossen. Dafür fehlen alle institutionellen und materiellen Vorkehrungen im Welthandelsrecht. Soziale Verantwortung setzt den Staat und dessen Gesetze voraus. Freilich müssen die Staaten Republiken sein, die Staatsform der allgemeinen Freiheit, deren politische Form die Demokratie ist, die bewegende Kraft der sozialen Gerechtigkeit, wenn die Wahlen frei und gleich sind. Die gibt es wiederum nur im wirklichen Rechtsstaat. Unternehmen, welche die Sozialpflichtigkeit abschütteln wollen und können, genügen nicht der deutschen Eigentumsverfassung. Art. 14 Abs. 2 GG lautet nämlich: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen«. Keinem Staat kann die soziale Frage gleichgültig sein. Er muß dem Sozialprinzip genügen, wenn er ein Gemeinwesen der Freiheit sein will. Der Einzelstaat ist aber in der globalisierten Unternehmenswelt wirtschafts- und sozialpolitisch entmachtet. Wer auf das Ethos der Unternehmer hofft, verkennt die Zwänge des Marktes. Erst ein globaler Staat vermöchte die Kapitaleigner und die Unternehmen wieder dem Sozialprinzip zu verpflichten, aber es ist nach aller Erfahrung nicht zu erwarten, daß ein solcher Weltstaat auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegründet wäre. Der Weltstaat würde zu viele Menschen vereinen, als daß er mehr als formal demokratisch sein könnte. Solidarität ist nach aller Erfahrung eine Sache der Nähe, der kleinen Einheit und eines hinreichenden Maßes an Homogenität. Die Unternehmen dienen der Lebensbewältigung des Volkes und müssen darum dessen Gesetzen unterliegen. Die Gesetzlichkeit der Unternehmenshandlungen verwirklicht das Gemeinwohl. Darin haben die institutionell privaten Unternehmen ihre staatliche Funktion, die nichts anderes als Verwirklichung des allgemeinen Willens des Volkes und damit der Gemeininteressen desselben ist. Das unternehmerische Gewinninteresse soll sich im Rahmen des Gemeininteresses entfalten können. Soweit privates Unternehmertum höhere Effizienz als staatliche Lebensbewältigung für das Gemeinwesen verspricht, wird dessen Privatheit der dienenden Funktion der Unternehmen in der Republik gerecht. Auch die Veranstaltung des unternehmerischen Wettbewerbs ist Sache des Staates, sei es national oder in internationalen Ordnungen. Die Unternehmen aber sind eine Sache des Volkes; als res publica sind sie eine res populi. Sie sind zugleich eine Sache der Unternehmer, aber auch Sache der Beschäftigten und somit auch eine res privata. Die Staatlichkeit und die Privatheit sind wie bei allem Handeln in der Republik untrennbar verbunden, weil Handeln durch die Interessen der Allgemeinheit und die besonderen Interessen zugleich bestimmt ist. Unternehmerisches Handeln findet nur begrenzten Grundrechtsschutz in der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG, in der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG. Das Grundgesetz formuliert (im Gegensatz zur Grundrechte-Charta der Europäischen Union, Art. 16) keine allgemeine Unternehmensfreiheit. Eine Kapitalverkehrsfreiheit muß sich die Grenzen des Sozialprinzips gefallen lassen. Es gibt keine liberalistischen, sondern nur sozialpflichtige Grundrechte. Freiheit ist ohne Ausnahmen dem Sittengesetz, dem kategorischen Imperativ, verpflichtet.
 
3. Das Sozialprinzip ist wegen seines Verfassungsranges das bestimmende Prinzip der deutschen Wirtschaftsverfassung. Das Grundgesetz hat keine bestimmte Wirtschaftsordnung festgelegt, aber doch mit dem Sozialprinzip dem wirtschaftsordnenden Gesetzgeber die brüderliche Lebensbewältigung aufgegeben und durch die Grundrechte auch das Handeln am Markt geschützt. Die Wirtschaftsordnung muß nach dem Sozialprinzip die Selbständigkeit und damit auch die Selbstverantwortlichkeit der Menschen gewährleisten. Nicht die soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung, welche dem Grundgesetz bestmöglich genügt, sondern die marktliche Sozialwirtschaft. Die Wirtschaft trägt zur sozialen Realisation bestmöglich bei, wenn sie marktlich und wettbewerblich gestaltet ist, weil Markt und Wettbewerb der Erfahrung nach wirtschaftliche Effizienz gewährleisten, freilich nur, wenn der Staat dafür Sorge trägt, daß Markt und Wettbewerb sich dem Sozialprinzip fügen, wenn insbesondere die grundsätzlich gleichheitliche, durch Bedarf und Leistung, aber auch durch das Marktprinzip, modifizierte, Verteilung der Güter gewahrt bleibt, welche durch die Eigentumsgewährleistung geboten ist. In der Sozialwirtschaft darf die Beschäftigungspolitik keinesfalls vernachlässigt werden; denn Arbeit ist der allgemeinste und menschheitlichste Weg zu Eigentum und damit zu freiheitsgemäßer Selbständigkeit, ohne welche der Mensch kein Bürger ist. Die Eigentumsgewährleistung schützt nicht nur das Recht am Eigentum, sondern begründet ein Recht aller auf Eigentum. Die Arbeitsverhältnisse sind das Eigentum der Mitarbeiter der Unternehmen. Zugleich erwächst aus der Eigentumsgewährleistung ein Recht auf Arbeit, wie es die Menschenrechtstexte kennen. Nur eine dieser personalsozialen Eigentumslehre gemäße Eigentumsgesetzgebung genügt dem Sozialprinzip. Die hohe Arbeitslosigkeit und die millionenfachen menschenrechtswidrig unterbezahlten Arbeitsverhältnisse in Deutschland sind Ergebnis einer ebenso kapitalistischen wie internationalistischen Politik, die sich die Parteienoligarchien gefügig gemacht haben. Dafür benötigt man nicht mehr als Geld, notfalls ein wenig ideologischen Moralismus.
 
4. Das bestimmende Prinzip der global agierenden Kapitalanleger ist die Rendite (shareholder value). Sie bestimmt die Standortpolitik der Unternehmen. Das Kapital und damit die Unternehmen können so gut wie unbeschränkt in fast jeden Staat verlagert werden. Nicht nur Unternehmen sind global, sondern auch Produkte und Kunden. Die Verkehrs- und Transportverhältnisse erleichtern u.a. den Standortwechsel. Um der Erwerbsarbeit in ihrem Land eine Chance zu lassen, sind die Staaten zur Nivellierung ihrer Steuer- und Sozialpolitik, aber auch zur Deregulierung des Wirtschafts- und des Umweltrechts gezwungen. Der Wettbewerb der Staaten minimiert die staatlichen Pflichten der Unternehmen. Die privaten Maximen der Anteilseigner, meist deren Vorteil, bestimmen deren Handeln. Solidarische Verteilung des Volkseinkommens geht nun einmal zu Lasten der Kapitalrendite. Soziale Verantwortung der Kapitaleigner widerspricht geradezu der Logik des globalen Kapitalverkehrs. Die Vorteilsnahme ist die eigentliche Triebfeder der Globalisierung, nicht etwa das Bemühen um das Wohl der Völker, gar der armen Völker. Spezifisch die Internationalisierung des Kapitaleinsatzes ist der erfolgreiche Weg der Ausbeutung der Völker und der Unterwerfung der Staaten. Die Theoretiker und Praktiker der entstaatlichten Märkte versuchen, sich mit dem Wettbewerbsprinzip zu exkulpieren. Die Legitimation des Wettbewerbs wird (ist) zu einer Ideologie überhöht, welche dem Einzelstaat die Legitimation streitig macht. Die optimale Allokation der Ressourcen, welche ökonomische Theorien dem globalen Wettbewerb nachsagen, mag sich in gleichgewichtstheoretischen Modellrechnungen darlegen lassen. Mit der Wirklichkeit der oligopolistischen unvollkommenen Märkte haben diese Modelle wenig gemein. Aber der Wettbewerb, dessen Nutzen für die Effizienz  unbestritten ist, wenn er vom Staat sachgerecht veranstaltet wird, muß sich in das Gemeinwohl einfügen. Er kann nur Werkzeug der Bürgerschaften sein, wie die Unternehmen selbst auch. Weltweiter Wettbewerb legitimiert es nicht, die Lebensverhältnisse zu entdemokratisieren und zu desozialisieren. Dafür gibt es auch keinerlei ökonomische Zwänge. Marktlicher Wettbewerb setzt, wenn dieser fair sein und dem Recht genügen soll, hinreichende Gleichheit der Chancen voraus, welche die Rechtsordnung sichern muß, für einen weltweiten Wettbewerb das Weltwirtschaftsrecht. Für den globalen Markt gibt es (abgesehen von den genannten Teilregelungen) kein Wettbewerbsrecht. Freilich erübrigt auch ein solches nicht ein durchgreifendes Sozialrecht. Der Mißbrauch von Standortvorteilen zu Lasten der Völker muß ausgeschlossen sein. Menschenrechtswidrig produzierte Waren etwa sind rechtens nicht vertriebsfähig. Aber die Praxis kennt nicht einmal den Begriff der illegalen Ware. Wenn die Staaten in einen Wettbewerb treten, ist dieser nur rechtmäßig, wenn die Lebensverhältnisse in den Staaten derart homogen sind, daß die Unternehmer als die ›Nachfrager nach Staatlichkeit nicht die sozialpolitische Hoheit der Staaten unterminieren können. In der sozial heterogenen Welt führt die Globalisierung zu sozialen Verwerfungen, in denen auch die freiheitlichen Gemeinwesen zugrunde gehen können, jedenfalls in Not geraten. Das hilft auch den armen und unterdrückten Völkern nicht. Nur nachhaltige Förderung, vor allem Revolutionierung der politischen Systeme, verspricht Entwicklungschancen. Schon Montesquieu hat aber gesagt: »Gerade in den freiheitlichen Ländern stößt der Handelsmann auf Einreden und Widerstände ohne Zahl. Nirgends kommen ihm die Gesetze weniger in die Quere als in geknechteten Ländern« (Vom Geist der Gesetze XX, 12).
 
5. Die Arbeitsplätze, richtigerweise Eigentum der Arbeitnehmer, sind durch den Wechsel eines Unternehmensstandorts, über den durch Boni usw. systemisch korrumpierte Vorstände entscheiden, meist verloren. Die globalisierenden Unternehmer suchen die optimalen, meist die geringsten Arbeitskosten. Mit dem entlassenen, also enteigneten (expropriierten), Arbeitnehmer wird ein Mensch zurückgelassen. Der verlassene Staat muß die Kosten dieses Menschen und gegebenenfalls für dessen Familie übernehmen. Gewerkschaften und Arbeitnehmermitbestimmung vermögen, wie die Praxis erweist, derartige zur Massenarbeitslosigkeit oder, nicht weniger erbärmlich, zur Arbeitnehmerausbeutung beitragende Unternehmenspolitik des provozierten internationalen Wettbewerbs nicht wirklich zu be- oder gar zu verhindern. Kostengünstiger leben die Völker durch die Billigimporte nicht; denn die Gemeinwesen müssen die Transferkosten als Sozialleistungen finanzieren. Die Mittel dafür muß die Volkswirtschaft auch aufbringen. Die internationalistischen Unternehmen beuten sowohl die armen Völker (Sklavenarbeit) als auch die reichen Völker (Abschöpfung) aus, solange bis auch diese verarmt sind. Die Menschen sind in aller Welt Opfer der Globalisierung der Wirtschaft. Wenige aber werden unermeßlich reich. Menschliche Schicksale in Gegenwart und Zukunft interessieren diese Macher eher nicht.
 
6. Auch die Bürgerschaft hat Eigentum an den Unternehmen. Dieses Eigentum ist nichts anderes als die Hoheit des Staatsvolkes, welches durch seine Gesetze auf die Unternehmen einwirkt, gemäß seinen Gesetzen an deren Ergebnissen teilhat, aber auch die Verantwortung für sie trägt, jedenfalls für deren Beschäftigte. Die Wirtschaftskrise führt diese Verantwortung  deutlich vor Augen. Die Interessen der Bürgerschaft sind kaum noch durchsetzbar. Die Unternehmen können sich dem Gemeineigentum eines Staates entziehen und sich schwache Staaten für ihre Geschäfte aussuchen. Die Völker sind ›erpreßbar‹ geworden. Solidarische Bindungen der Anteilseigner an ein Gemeinwesen bestehen wegen deren Internationalität nicht mehr. Die liberalistische Wirtschaftsordnung hat den Bürgern ihr Eigentumweitgehend genommen, wie es der Logik des anti-etatistischen Neoliberalismus entspricht, der durch den Internationalismus eine Blüte erlebt, die einen extremen Kapitalismus nach sich gezogen hat, obwohl dieser kein Menschenrecht für sich hat, auch nicht das des Eigentums, welches mit der Persönlichkeit des Menschen verbunden ist. Aber die Krise des Kapitalismus ist auch die Krise der globalisierten Wirtschaft. Die nicht bezahlbaren Hilfsmaßnahmen der Einzelstaaten, international koordiniert, sind vielleicht das letzte Aufbäumen des kapitalistischen Systems, welches mit den Volkswirtschaften und vor allem den Währungen die politische Stabilität in Gefahr bringt. Sollte die Rettung gelingen, wird eine weitere Runde gespielt werden, bis zur nächsten Krise; denn die Krisen sind im Kapitalismus systemimmanent. Das ist das Gesetz des Zinses. Wegen der gigantischen spekulativen, nicht werthaltigen kreditären Geldmengen sind die Zyklen schneller und sind die Krisen schlimmer.
 
Wegen des Eigentums der Bürgerschaften und vor allem wegen des eigentumsgeschützten Rechts auf Arbeit dürfen die Unternehmen nicht aus den Staaten ausbrechen und sich nicht den Gesetzen des Volkes entziehen, ohne das Grundprinzip des gemeinsamen Lebens, die allgemeine Freiheit und das allein in der Freiheit aller Bürger gründende Recht zu verletzen. Sie stellen sich sonst gegen das jeweilige Volk und dessen Staat, vor allem aber gegen dessen Recht. Das aber ermöglicht ihnen die Republik, vor allem sozialwidrige Liberalisierung und Deregulierung des Kapitalverkehrs. Das Recht und damit das gemeine Wohl ist in der gegenwärtigen Welt noch immer Sache der Völker und deren Staaten, wenn und insoweit diese die elementaren Menschenrechte wahren. Res publica res populi.
 
7. Der internationalistische Kapitalismus verletzt die Bürgerlichkeit, weil die Bürger ihre  Freiheit gegenüber ihren Unternehmen nicht wirklich durch Gesetze des gemeinen Wohls verwirklichen können, weil die freiheitliche Verteilung der Güter, die das Gemeinwesen hervorbringt, unter den Bürgern erschwert, wenn nicht verhindert wird, weil die Anteilseigner, die außerhalb der Bürgerschaft stehen, die Erträgnisse weitestgehend in Anspruch nehmen, weil die Verwirklichung des demokratisch gestützten Sozialprinzips mangels hinreichenden Einflusses des Staates weitgehend verhindert wird. Das demokratische Prinzip verliert durch die Entstaatlichung der Unternehmen an Bedeutung; denn der (abgenötigte) Privatismus (funktionale Entstaatlichung) der Unternehmen mindert (durchaus bezweckt) die Relevanz der Wahlen, weil die Bürgerschaft und deren Vertreter in den Parlamenten auf Gesetze und mit den Gesetzen auf die Verwirklichung des Gemeinwohls verzichten müssen. Insgesamt wird die Republik relevant entstaatlicht, d.h. entdemokratisiert, entsozialisiert, entliberalisiert (liberal im Sinne der politischen Freiheit verstanden), fundamentaler: entrechtlicht, weil die Unternehmen der Republik entzogen werden. Die Unternehmensgesellschaften tun dies, weil es ihnen nicht verwehrt wird. Das haben die Politiker - von ökonomischen Effizienztheorien, insbesondere einer mißverstandenen Freihandelslehre, vielleicht auch durch die Ideologie des Großen verführt - ermöglicht.
 
Erneut muten die globalen Unternehmen den Völkern zu, ihnen zu dienen. Jetzt werden ihnen die Verluste der ebenso spekulativen wie inflationären Kreditierungen aufgebürdet. Das verkehrt den Nomos der Wirtschaft. Die Führer der globalen Unternehmen und der institutionellen Anleger geben sich als die neuen Herren der Welt, frei und reich (Kenichi Ohmae, Die neue Logik der Weltwirtschaft, 1992, S. 242 f.). Die Politik der  Welthandelsorganisation hat das Sozialdumping, eine krasse Fehlentwicklung des Freihandels, ermöglicht. Die Unternehmer nutzen die Möglichkeiten, welche die Politiker ihnen geschaffen haben.
 
 
Quelle: http://www.hintergrund.de/20090421393/wirtschaft/welt/das-welthandelsrecht-als-rechtsfreier-raum-f%C3%BCr-die-wirtschaft.html 6. 5. 09 Alle Hervorhebungen durch politonlineKarl Albrecht Schachtschneider ist Professor emer. für Öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg. Als Staatsrechtler vertritt Schachtschneider eine von Kants Freiheitslehre und den Ideen der europäischen Aufklärung ausgehende Freiheits-, Rechts- und Staatslehre. Prof. Schachtschneider hat eine Reihe von Verfassungsbeschwerden eingereicht, so auch gegen den EU-Reformvertrag.