Die G-20-Staaten und die Hierarchisierung des internationalen Kapitals - Von Jean-Claude Paye

Der Artikel von Paye, schreibt »Zeit-Fragen« einleitend, macht deutlich, dass es bei den Angriffen der USA sowie der BRD auf die Schweiz und das Schweizer Bankgeheimnis nicht um die Steuergerechtigkeit geht.

Die Abschaffung des Bankgeheimnisses wird die Steuerflucht nicht beeinflussen, denn es gibt dazu weit effizientere, angelsächsische, Finanzwerkzeuge, mit denen die Reichen der Welt ihre Gelder dem Fiskus entziehen können. Jean-Claude Paye sieht die Angriffe auf das Schweizer Bankensystem vielemehr als Versuch der USA sowie amerikanischer und britischer offshore-Zentren, das internationale Finanzsystem zu ihrem Vorteil zu reorganisieren. Die Operation »Kampf gegen den Steuerbetrug« - von SPD-Finanzminister Peer Steinbrück so willfährig vorangetrieben - dient ganz anderen Interessen, nämlich der Zentralisierung des weltweiten Finanzsystems unter angelsächsischer Führung. Wenn sich die Welt das bieten lassen sollte, ist die zu Beginn der Krise geforderte Neuordnung des Weltfinanzsystems im Sinne von mehr Transparenz, Gerechtigkeit und Ethik weiter entfernt denn je und die deutsche Sozialdemokratie schuldet der Welt eine weitere Erklärung für einen weiteren Verrat. 

Die G-20-Staaten und die Hierarchisierung des internationalen Kapitals  
Der G-20-Gipfel in London im April 2009 hat ein Programm von 1100 Milliarden Dollar beschlossen, das dazu bestimmt ist, die Finanzmärkte zu stützen. Es wurde jedoch keinerlei Plan für eine koordinierte globale Wiederankurbelung der Wirtschaft angekündigt. Wie in der Wirtschaftspolitik der meisten Staaten ist das Ziel nicht, den Wirtschaftsapparat durch eine erhöhte Nachfrage der Haushalte wieder in Schwung zu bringen, sondern eine Umverteilung der Einkommen zu fördern, in erster Linie zugunsten des Bankensektors. Dieser Prozess wird von einer zunehmenden Hierarchisierung des internationalen Finanzsystems begleitet.
 
Willkürliche Listen - Werkzeuge des Wirtschaftskrieges
Diese zweifache Bewegung wird durch das Studium der »Ergebnisse« des Gipfels erkennbar. Im wesentlichen ging es um die »Bekämpfung der Steuerparadiese«. Diese Aktivitäten stützen sich auf drei Listen, die durch die OECD erstellt worden sind. Die erste, die schwarze Liste, enthielt nur vier Staaten, so zum Beispiel Costa Rica und Uruguay, Länder, die auf internationaler Ebene keinerlei Gewicht haben. Die zweite, die graue Liste, enthält die Länder, die »im Bereich der Kooperation in Steuerfragen weitere Bemühungen unternehmen müssen«, dazu gehören die Schweiz und Luxemburg, aber auch Belgien. Die dritte, die weisse Liste, ist diejenige der kooperativen Staaten und beinhaltet Grossbritannien, das mit der Londoner City eines der wichtigsten Offshore-Zentren der Welt besitzt, sowie vier seiner »abhängigen Territorien«: Jersey, Guernsey, die Isle of Man und die Jungferninseln, die British Virgin Isles. Die USA steht natürlich auch auf dieser weissen Liste und dies ohne irgendeinen Hinweis auf die undurchsichtigen Praktiken von Staaten wie Delaware oder Wyoming. Die Offensive konzentrierte sich auf das Bankgeheimnis, das als bevorzugtes Mittel der Steuerflucht dargestellt wurde. In ihrer Schlusserklärung haben die G-20-Staaten sogar »das Zeitalter des Bankgeheimnisses als beendet« erklärt.

Angelsächsische Trusts - das wichtigste Werkzeug der Steuerhinterziehung

Doch heutzutage konzentriert sich die Hälfte des Offshore-Marktes in den Trusts, diesen angelsächsischen juristischen Schöpfungen, die kein Bankgeheimnis benötigen, um sich vor dem Fiskus zu schützen. Es geht nicht mehr um einen Markt, der auf der Diskretion der Banken beruht, sondern auf juristischen Strategien und steuerlicher Planung. So hat sich die Steuerflucht nach und nach in Richtung dieser legalen Strukturen verschoben. Die Trusts sind das wichtigste Werkzeug der Steuerhinterziehung geworden, der wirksamste Ersatz für das Bankgeheimnis. Der Trust ist eine Einrichtung des angelsächsischen Rechts, die es einer vermögenden Person ermöglicht, ihr Vermögen abzutreten, um es einem »discretionary and irrevocable trust«, einem nicht widerrufbaren Trust, bei dem der Nutzniesser frei bestimmbar ist, anzulegen, wobei die Bank beim Eröffnen des Kontos die Identität des Nutzniessers nicht zu verlangen braucht. Jemand, der einen solchen Trust im Ausland errichtet hat, kann nicht besteuert werden, denn er wird nicht mehr als Eigentümer seiner Vermögenswerte betrachtet. Der Nutzniesser des Trusts, der grundsätzlich steuerpflichtig wäre, bleibt unbekannt, da seine Identität bei der Kontoeröffnung nicht verlangt wird. 

Die britischen Kanalinseln Jersey und Guernsey haben sich auf Grund ihrer gesetzlichen Regelungen auf die Errichtung von Trusts spezialisiert. Dies gilt auch für Delaware und die Karibik, die beide als Zufluchtsorte für das »graue« Geld aus den Vereinigten Staaten dienen, ebenso wie Miami, das in der USA die lateinamerikanischen Gelder aufnimmt, die den Steuerbehörden ihrer Länder entzogen werden sollen. Singapur hat in bezug auf asiatische oder europäische Vermögen dieselbe Funktion. Die grossen Schweizer Banken haben sich ebenfalls auf den Handel mit Trusts eingelassen. Sie verlangen wenig Informationen über die Nutzniesser eines solchen »discretionary and irrevocable trusts«, aber sie behalten [wenigstens, sei hier eingefügt] die Identität des Errichters des Trusts. Die angelsächsischen Banken sind weniger streng, da sie allein Informationen über den Vertragspartner, den »trustee«, das heisst die Treuhänder- und Verwaltungsgesellschaft des Trusts, verlangen. Dies erlaubt es ihnen, die Identität der Person, die dem Fiskus entkommen will, völlig im Dunkeln zu lassen. So erreichen sie eine noch grössere Verschwiegenheit, ohne eigentliches Bankgeheimnis. Selbst wenn Ermittlungen diese Finanzplätze bei bestimmten administrativen Vorgängen gesetzlich verpflichtet sind, Informationen über ihre Kunden offenzulegen, können sie keine Auskunft liefern, da sie über eine solche nicht verfügen. Somit besitzt das angelsächsische Rechtssystem im Falle der Abschaffung des Bankgeheimnisses gegenüber der Schweiz einen substantiellen Vorteil: Die Undurchsichtigkeit ihrer Trusts ist vollkommener. 

Ziel des G-20-Gipfels- Zerstörung des Finanzplatzes Schweiz
Die Schweiz, einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt, war das zentrale Ziel des G-20-Gipfels. Es handelte sich in Wirklichkeit um einen Versuch, das internationale Finanzsystem zu deren Nachteil zu reorganisieren. Dies war bereits durch die UBS-Affäre offensichtlich geworden. Die Offensive der US-Administration gegen diese Schweizer Bank hat das vordergründige Ziel, gegen die Steuerhinterziehung ihrer Staatsangehörigen vorzugehen. Das hintergründige Ziel ist jedoch, die Funktionsregeln des weltweiten Bankensystems zum eigenen Vorteil zu verändern.
 
Eine Hierarchisierung des Finanzsystems 

Die Vereinigten Staaten und ihr Satellit, die Karibischen Inseln, sowie die Offshore-Zentren unter britischer Flagge, kontrollieren jeweils einen »Graugeld«-Markt, der fast gleich bedeutend ist wie derjenige der Schweiz. Als Folge der US-amerikanischen Offensive könnte die Schweiz, die noch 27 % des weltweiten Marktes an Spargeldern verwaltet, welche ausserhalb des Wohnsitzstaates gehalten werden, bald Boden an ihre wichtigsten Konkurrenten verlieren: Grossbritannien und seine Kanalinseln, die Isle of Man und Dublin, welche zusammen 24 % dieser Gelder verwalten, sowie New York, Miami, die Karibischen Inseln und Panama, die 19 % der 7300 Milliarden $ verwalten, die ausserhalb der Grenzen plaziert sind. Die Hälfte dieser Summe soll nicht deklariert sein. Auf Grund der Drohung, auf die Liste der Steuerparadiese der OECD gesetzt zu werden, hat die Schweiz eine Bresche in ihr Bankgeheimnis geschlagen. Sie wird die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung aufgeben und dem Informationsaustausch zustimmen - von Fall zu Fall und auf konkrete und begründete Anfragen von Steuerbehörden aus Drittstaaten. Luxemburg und Österreich, die beiden letzten Mitgliedstaaten der EU, die ihr Bankgeheimnis bewahren möchten, haben ebenso gehandelt wie die Schweiz. Indessen war nie die Rede davon, zum Beispiel amerikanische Gliedstaaten wie Delaware in diese Liste aufzunehmen, deren LLC (Limited Liabilities Companies) jeder Form von Besteuerung entzogen sind.

Im Zusammenhang mit der Finanzkrise scheint diese unter US-amerikanischer Hegemonie stehende Operation der »Bekämpfung des Steuerbetrugs« ein Versuch der Staaten zu sein, die zum Teil als Hilfsmassnahmen für Banken und Versicherungen gedachten Geldmittel zurückzuholen. Es sind jedoch nicht alle Steuerbetrüger gezwungen, ihren Beitrag zu leisten: die reichsten werden immer die Möglichkeit haben, von den spezifischen Steuervorteilen der Trusts zu profitieren, um ihrer Steuerpflicht zu entrinnen. Diese Operation der

Steuerhinterziehung ist am einfachsten, wenn die verfügbaren Gelder in die US-amerikanischen oder britischen Offshore-Zentren gebracht werden, das heisst in Territorien, die direkt der Kontrolle der herrschenden Macht unterstehen.  


Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2009/nr23-vom-862009/die-g-20-staaten-und-die-hierarchisierung-des-internationalen-kapitals/ Zeit-Fragen Nr. 23 vom 8. 6. 09

Jean-Claude Paye ist Autor des Buches »Das Ende des Rechtsstaats? Demokratie im Ausnahmezustand«, Zürich 2005. ISBN 3-85869-294-8