Zu den Unruhen in Xinjiang

d.a. Dem Bericht über das Geschehen in Xinjiang sei eine Zeitungsmeldung der »Neuen Zürcher Zeitung« Nr. 208 vom 9. 9. 2002 vorangestellt, die zeigt, inwieweit sich gerade die Einstellung der USA in der Zwischenzeit geändert hat und welche Art von Absprachen immer wieder hinter den Kulissen erfolgen:

»Peking lehnt Gewalt gegen den Irak weiter ab. Dennoch hat die USA in Peking Pluspunkte gesammelt: So hat das Weiße Haus erneut klargestellt, daß es eine Unabhängigkeit von Taiwan nicht unterstützt. Ebenso hat Washington kürzlich die Islamische Bewegung Ostturkestan auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt. Damit geben die USA den chinesischen Behörden freie Hand im Vorgehen gegen die Uigurengruppen in Xinjiang, die sich gegen die Überfremdung ihrer Heimat durch Hanchinesen wehren.«  
 
Die Zukunft Ost-Turkestans
Wie German Foreign Policy 1 berichtet, nutzt Berlin die Unruhen in der westchinesischen Region Xinjiang zu scharfen Attacken gegen Beijing. Die Volksrepublik müsse »eine schnelle und vorbehaltlose Aufklärung" der blutigen Auseinandersetzungen in die Wege leiten, fordert die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Claudia Roth. Einflußreiche deutsche Medien erklären die Minderheitenpolitik Beijings für gescheitert und sehen China vor der Explosion. Die uigurischen Separatisten, die mit ihrem antichinesischen Pogrom die mörderischen Unruhen in Gang gesetzt hatten, unterhalten bereits seit Jahren enge Verbindungen zu Deutschland. Federführend ist der World Uyghur Congress mit Hauptsitz in München, der im Westen um Unterstützung für die uigurische Sezessionspolitik wirbt. Die Organisation hat im Mai auf ihrer jüngsten Generalversammlung in Washington ihre nächsten Schritte festgelegt. Sie findet auch im Auswärtigen Amt der BRD Gehör.
 
Bei den Uiguren handelt es sich um die in Xinjiang lebende muslimische Minderheit, die eine Turksprache spricht; manche von ihnen möchten Xinjiang als Ost-Turkestan an andere turksprachige Territorien Zentralasiens anschließen, wofür die Sezession von der Volksrepublik als Voraussetzung gilt. Die Spannungen in dem Gebiet hatten schon seit geraumer Zeit zugenommen und sich Ende Juni nach gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Uiguren und anderen Chinesen in Südchina, bei denen zwei Uiguren umgebracht worden waren, verschärft. Bei den Unruhen in Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang in Westchina, am 4. und 5. 7. 09 waren mindestens 150 Menschen ums Leben gekommen. Uiguren in Urumqi hatten im Verlauf eines antichinesisches Pogroms Nicht-Uiguren und deren Immobilien und Fahrzeuge mit Knüppeln, Steinen und Messern angegriffen. Wie viele Uiguren durch chinesische Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung der Angriffe zu Tode kamen, ist bislang nicht bekannt.
 
Im September steht nun der 60. Jahrestag der Wiedereingliederung Xinjiangs in die Volksrepublik China bevor, wogegen uigurische Separatisten protestieren wollen.  In die Eskalation der Spannungen und möglicherweise auch in die Aufrufe zu dem antichinesischen Pogrom vom 4./5.7. ist der  › ‹World Uyghur Congress involviert. In Verbindung mit der bereits genannten Washingtoner Generalversammlung  führte er gemeinsam mit dem National Endowment for Democracy der USA (NED) eine Menschenrechtskonferenz durch, die auch Lösungen für die Zukunft Ost-Turkestans erarbeiten sollte. Auf der Rednerliste der Konferenz wird ein Abgesandter der deutschen Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) genannt. Wirkte bereits die Teilnahme von US-Parlamentariern an der Veranstaltung auf die uigurischen Separatisten motivierend, so rief der World Uyghur Congress im Anschluß daran Anfang Juli zu weltweiten Kundgebungen vor den Botschaften Chinas auf - mit der Begründung, gegen den Tod der beiden Uiguren bei den Auseinandersetzungen Ende Juni in Südchina protestieren zu wollen. Laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua folgten auf die Demonstrationsaufrufe via Internet verbreitete Appelle, jetzt noch tapferer zu sein und etwas Großes zu tun - Floskeln, die als verklausulierte Aufforderungen zu gewalttätigem Vorgehen in Xinjiang verstanden worden seien. Berichten aus China zufolge trägt er die Verantwortung für die blutige Gewalt am Wochenende des 4. und 5. 7. 09.  
 
Der World Uyghur Congress basiert auf Strukturen jahrzehntelanger deutsch-US-amerikanischer Kooperation gegen China. An seiner Gründung wirkte der prominente Sezessionist Erkin Alptekin maßgeblich mit; seine Familie genießt in uigurischen Kreisen hohe Anerkennung. Alptekin hatte im Jahr 1971 seinen Wohnsitz in München genommen und dort als Senior Policy Advisor den Direktor des US-Senders Radio Liberty beraten - zu einer Zeit, als der US-Geheimdienst CIA mit dem Aufbau von Kontakten zu uigurischen Sezessionisten begann. »Einige von ihnen, wie Erkin Alptekin, die für den Münchner CIA-Sender Radio Liberty gearbeitet hatten«, schreibt der Analytiker B. Raman, ehemals Kabinettssekretär der indischen Regierung, »befinden sich inzwischen in der vordersten Reihe der Sezessionsbewegung« Alptekin war Gründungspräsident des World Uyghur Congress, der im April 2004 in München ins Leben gerufen wurde und nach Auskunft Beijings Kontakte zu terroristischen Milieus unterhält.
 
Alptekins Nachfolgerin Rebiya Kadeer, die Ende der 90er Jahre die reichste Geschäftsfrau der Volksrepublik China geworden war, lebt seit 2005 in den Vereinigten Staaten im Exil. Im November 2006 wurde sie in München zur Präsidentin des World Uyghur Congresses gewählt und besuchte aus diesem Anlaß zum ersten Mal auch Berlin. Nur ein Jahr später, im Oktober 2007, traf sie mit Vertretern parteinaher Stiftungen und dem Ausschuß des Bundestages für Menschenrechte zusammen und konferierte zudem im Auswärtigen Amt. Systematisch wird sie zur PR-Figur für die Außendarstellung der Uiguren aufgebaut - nach dem Vorbild des Dalai Lama, der Sympathiewerbung für den tibetischen Separatismus betreibt *. Rebiya Kadeer (Mutter der Uiguren) war schon mehrfach Kandidatin für den Friedensnobelpreis, ihre Biographie wurde an einer Bundespressekonferenz vorgestellt und damals in den deutschen Medien mit entsprechender Aufmerksamkeit bedacht.
 
Drei Völker  
Das von den Sezessionisten bedrohte Gebiet Xinjiang besitzt eine erhebliche Bedeutung für China, da es eine geostrategische Brücke zu Zentralasien bildet und reich an Bodenschätzen ist, so auch Gold und Uran; ferner werden dort insbesondere umfangreiche Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet. Die uigurischen Separatisten sind keineswegs isoliert. Sie unterhalten neben ihren Kontakten zu Regierungskreisen im Westen auch gute Beziehungen zu Abspaltungsbefürwortern aus den Autonomen Regionen Tibet und Innere Mongolei. »Unsere drei Völker sind durch Geographie und Geschichte miteinander verbunden, und in diesen Tagen auch noch durch die chinesische Besatzung«, behauptete der Dalai Lama Ende der 1990er Jahre: »Ich bleibe optimistisch, daß sich in nicht allzu ferner Zukunft das wahre Sehnen der Völker Ost-Turkestans, der Inneren Mongolei und Tibets erfüllen wird.« In der Hoffnung, den strategischen Rivalen VR China durch Abspaltung riesiger Landesteile von Tibet über Xinjiang bis zur Inneren Mongolei empfindlich schwächen zu können, liegt die Ursache für die Sympathie, die Berlin den uigurischen Sezessionisten entgegenbringt.   
 
Zu dem Geschehen in Xinjiang führt Domenico Losurdo folgendes aus:   
Im Jahre 1999 ist die in der Region Xinjiang herrschende Situation vom italienischen General Fabio Mini in der Zeitschrift »Limes. Rivista italiana di geopolitica« folgendermaßen beschrieben worden 2: Eine außerordentliche Entwicklung sei im Gange, und die chinesische Zentralregierung »finanziert, ohne sich um die Wiedererlangung der Investitionen zu sorgen, ungeheure Ausbauten der Infrastrukturen«. Wie es scheint, geht die ökonomische Entwicklung mit der Anerkennung der Autonomie einher: »Die lokale Polizei ist zum Großteil aus Uiguren zusammengesetzt.« Trotzdem gibt es eine separatistische Agitation, »die zum Teil von islamischen Extremisten, wie den afghanischen Taliban« finanziert werde. Es handle sich um eine Bewegung, die »sich mit der gewöhnlichen Kriminalität vermischt« und »Schandtaten« begehe. Die Attentate scheinen in erster Linie, wie wir gesehen haben, die »toleranten Uiguren oder ›Kollaborateure‹« bzw. die »Polizeireviere« ins Visier zu nehmen, die von Uiguren kontrolliert werden. Jedenfalls – resümiert der General, der im übrigen seine Sympathien geopolitischer Art für den Separatismus nicht verheimlicht – »sollten die Einwohner Xinjiangs heute zu einer Volksbefragung über die Unabhängigkeit einberufen werden, so würden sie wahrscheinlich in der Mehrheit dagegen stimmen« (Limes 1/1999).
 
Und heute? In der italienischen Tageszeitung »La Stampa« (vom 8. Juli 2009) berichtet Francesco Sisci aus Peking: »Viele Han von Ürümqi beklagen sich über die Privilegien, die die Uiguren genießen. Denn diese haben, als muslimische nationale Minderheit, bei gleichem Lohnniveau, viel bessere Arbeits- und Lebensbedingungen als ihre Han-Kollegen. Im Büro hat ein Uigure die Genehmigung, die Arbeit mehrmals am Tag zu unterbrechen, um die fünf täglichen traditionellen muslimischen Gebete zu verrichten (…) Außerdem brauchen sie am Freitag, dem muslimischen Feiertag, nicht zu arbeiten, was sie, theoretisch gesehen, sie am Sonntag nachholen müßten. Aber am Sonntag sind die Büros verlassen (…) Ein weiteres schmerzliches Thema ist für die Han, die der harten Politik der Familienvereinheitlichung, die das Einzelkind vorschreibt, unterworfen sind, die Tatsache, daß die Uiguren zwei oder drei Kinder haben dürfen. Als Muslime erhalten sie außerdem eine Extravergütung zusammen mit ihrem Gehalt, weil sie wegen des Schweinefleischverbots auf Lammfleisch ausweichen müssen, das teurer ist.« Es macht also keinen Sinn, die Regierung in Peking anzuklagen – wie es die proimperialistische Propaganda tut – sie wolle die nationale und religiöse Identität der Uiguren auslöschen.
 
Zusammen mit der Gefahr, die Minderheiten darstellen, die zum einen in bestimmten Sektoren vom Fundamentalismus vergiftet sind und zum anderen vom Westen aufgehetzt werden, muß man natürlich auch die Gefahr des Chauvinismus der Han berücksichtigen, die sich auch in diesen Tagen verspüren läßt: Ein Problem, auf das die kommunistische Partei, von Mao Zedong bis Hu Jintao, immer aufmerksam gemacht hat. Aber die in der Linken, die dazu neigen, den Separatismus der Uiguren zu verklären, täten gut daran, das Interview zu lesen, das Rebiya Kadeer, die Führerin der uigurischen separatistischen Bewegung, ein paar Wochen vor den jüngsten Ereignissen gegeben hat. Aus ihrem US-amerikanischen Exil drückt sie sich im Gespräch mit einer italienischen Journalistin so aus: »Siehst du, du gestikulierst wie ich, du hast die gleiche weiße Haut wie ich: du bist Indoeuropäerin, möchtest du von einem Kommunisten mit gelber Haut unterdrückt werden?« (»La Stampa«, 8. Mai 2009) Wie man sieht, ist das entscheidende Argument nicht die Verurteilung der »Invasion« der Han und nicht einmal der Antikommunismus. Vielmehr bringt die arische bzw. »indoeuropäische« Mythologie ihren ganzen Abscheu für die Barbaren mit der »gelben Haut« zum Ausdruck.
 
Wie Strategic Alert schreibt 3, hat das Britische Empire seine terroristischen Netzwerke in ganz Süd- und Südwestasien, von der westchinesischen Provinz Xinjiang über Pakistan und Afghanistan bis zum russischen Nordkaukasus aktiviert. Die Hauptziele der Angriffe sind China, Rußland und Indien, aber sie könnten auch nur ein Vorspiel für noch schwerwiegendere Angriffe sein, etwa einen israelischen Nuklearschlag gegen den Iran. In letzter Zeit haben die Angriffe der pakistanischen Armee Tausende von Kämpfern, die in der pakistanischen Grenzregion operierten, gezwungen, ihre Basen aufzugeben und zurück nach Zentralasien zu gehen. Es gibt mehr als 10.000 solcher Kämpfer, und verschiedene Gruppen, die von saudischen Geldern und Rekrutierungsoperationen unterstützt werden.  Nur wenige Regierungen sind in der Lage, mit diesen Kräften, die von den Opiumhandelsnetzwerken, die im Fergana-Tal und auf anderen Routen arbeiten und von saudischem Geld unterstützt werden, umzugehen. Insbesondere Kirgisistan und Tadschikistan sind sehr arm, und es ist fast unmöglich, in diesen riesigen Gebirgsregionen die Grenzen zu kontrollieren. Die größte Aufmerksamkeit weltweit unter dieser britisch geförderten Terrorwelle erhält dabei der Aufstand in China. Rund 1000 der aus Pakistan vertriebenen Kämpfer sind Uiguren, die nun gegen die chinesische Regierung kämpfen, um ein unabhängiges Ost-Turkestan zu schaffen. Unterdessen ist auch die Kaukasus-Region unsicher, wo Rußland aufgrund des aus Zentralasien hereinströmenden Opiums mit einem stets wachsenden Rauschgift-Problem konfrontiert ist. Die verrückte Entscheidung Präsident Barack Obamas, ohne Aussicht auf einen Erfolg vermehrt Truppen nach Afghanistan zu schicken, entwickelt sich zu einem Alptraum für alle Nationen in der Region, ganz zu schweigen von den ausländischen Truppen, die dort als wandelnde Schießscheiben dienen.
 
 
1 Quelle: Eigener Bericht von GFP vom 7. 7. 09
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57570
2 http://www.jungewelt.de/2009/07-13/022.php  13. 7. 09 Was passiert in Xinjiang? - Von Domenico Losurdo. Domenico Losurdo ist Professor für Philosophie und lehrt an der Universität Urbino; eine aktualisierte und erweiterte Neuauflage seines Buches »Flucht aus der Geschichte? Die russische und die chinesische Revolution heute« erschien im Juni im Neue Impulse Verlag;  Bezug: www.jungewelt.de/shop
3 Strategic Alert, Jahrgang 23, Nr. 29 vom 15. Juli 2009 – auszugsweise -
London versucht, den eurasischen Krisenbogen in die Luft zu jagen
 
Zu Tibet siehe http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=894
Die Unruhen in Tibet und die Rolle der Stiftungen
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=905
Tibet: Wie alles gesteuert wird - nicht ohne das Zutun der Stiftungen
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=927
Die Unruhen in Tibet