EU-Reformvertrag - Joschka Fischers Kritik an Karlsruhe

politonline d.a. Es war sozusagen zu erwarten, daß der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer als Mitglied des »European Council on Foreign Relations« in die Reihe der Kritiker einzufügen sein würde:

Im Oktober 2007 hatte der Finanzier und von vielen als Megaspekulant betrachtete George Soros, dessen Aktivitäten sich vorzugsweise auch auf der politischen Bühne abspielen, zusammen mit Joschka Fischer die paneuropäischeDenkfabrik, das European Council on Foreign Relations (ECFR), den Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen, gegründet. Dieser hat in sieben EU-Hauptstädten Niederlassungen: in Berlin, London, Madrid, Paris Rom, Sofia und Warschau, und trachtet danach, eine neue strategische Kultur im Herzen der europäischen Außenpolitik zu verankern, obgleich nichts weiter darüber bekannt ist, ob eine solche der Auffassung der EU-Bürger überhaupt entspricht 1. Nach dem irischen Nein zum EU-Reform- resp. Lissabon-Vertrag hatte der ECFR eine Erklärung veröffentlicht, in der eine Fortführung des gefährdeten EU-Projektes verlangt wurde. Diese legt dar, daß die EU jetzt nicht zu einem Symbol der Schwäche oder des Abstiegs werden dürfe; man könne keine Ungewißheit über den Lissabon-Vertrag gebrauchen, die Europas frischgebackene Außenpolitik schwächen würde. Deshalb müsse man trotz aller Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der institutionellen Reform Europas weitermachen. Der mit letzterer einhergehende  massive Demokratieverlust, Gegenstand zahlreicher Einwände, wird nicht angesprochen. Sodann wird, gewissermaßen unvermeidbar, mit der Angsterzeugung fortgefahren: »Nur so könne man der Drohung eines nuklearen Irans begegnen, dem Risiko von Krieg im Nahen Osten sowie dem Extremismus in Afghanistan, den Herausforderungen des angeblichen Klimawandels und der mißlichen Lage in Afrika.« Hier ist alles versammelt, was ein geschlossenes Bedrohungspotential liefern kann. Die Haltlosigkeit der Argumente dürfte für jeden ersichtlich sein. Gleich danach kommt das, was Fischer offensichtlich unter der bereits zitierten strategischen Kultur versteht, ins Spiel: Die neue US-Regierung brauche ein starkes Europa, um das moralische Ansehen der Atlantischen Allianz wieder herzustellen. Von einer Wiederherstellung derselben kann allenfalls in den Augen von Fischer, Soros und Gleichgesinnten die Rede sein - wobei diesen kein geringes Ausmaß an Selbsttäuschung zugute gehalten werden muß. Denn was sich unter den vorzugsweise mit dem Mantel des Humanitären verbrämten Einsätzen in Wirklichkeit verbirgt, ist nicht länger zu verdecken. Im übrigen hatte der ECFR kurz vor dem georgischen Angriff auf Südossetien im August 2008 eine Studie vorgelegt, in der gefordert wird, die EU auf weltweite, offensichtlich ebenfalls ein Bestandteil der strategischen Kultur bildende Militäraktionen vorzubereiten. Es ist ferner ersichtlich, daß die EU inzwischen kaum mehr dazu dient, ihren Bürgern Gelegenheit zu geben, ihr Land und ihr Wohlergehen nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sondern vielmehr als Truppenlieferant und unermüdliche Zahlstelle für die Infernos gebraucht wird, in denen die NATO impliziert ist. Was Fischer der USA selbst als Moral zubilligt, ist bereits in Afghanistan - Die Unterwerfung als unverändertes Ziel http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1274 erfaßt.
 
Unverändert häufig taucht das Ziel der Unterwerfung auch in den Aussagen führender Politiker auf. Wie bekannt, spielte Fischer als deutscher Außenminister 1999 eine wesentliche Rolle beim Zustandekommen der NATO-Bombardierung Jugoslawiens, die Blair in seiner berüchtigten Chicagoer Rede als Meilenstein für eine neue Politik lobte, welche die alten Prinzipien der nationalen Souveränität abschaffe. Vielleicht versteht man jetzt, wieso gerade er dazu ausersehen ist, als erster EU-Präsident zu fungieren. Seine positivenSeiten werden in der Presse bereits gewürdigt, seine Rolle bei der Heraufbeschwörung des Irakkriegs ist offenbar schon in die Schublade des Vergessens versenkt.
 
Schützenhilfe erhält Fischer von Jürgen Rüttgers, der nach dem Vorbild der USA für die Errichtung der »Vereinigten Staaten von Europa« plädiert, was ihm die Überschrift »Rüttgers will Deutschland abschaffen« eingetragen hat 2. Er ist offensichtlich für mehr Macht für Europa, also für mehr Macht für die EU-Kommission. Auf dem Weg zu solch einer supranationalen Staatlichkeit sei der Vertrag von Lissabon nur ein Anfang. »Nur weil die Europäische Union heute noch ein Demokratiedefizit hat, dürfen wir uns den Weg zu einem demokratisch gestalteten europäischen Bundesstaat nicht verbauen«, gibt der CDU-Politiker zu bedenken; wo er bei letzterem eine demokratische Gestaltung ausmacht, bleibt sein Geheimnis. Zu dem Karlsruher Urteil meint er, daß dies »Wasser auf die Mühlen all jener sei, die immer noch der Nationalstaatsidee des 19. Jahrhunderts anhängen.« Nun geht es Karlsruhe in keiner Form darum, einen solchen auferstehen zu lassen, sondern lediglich darum, das in dem Lissabon-Vertrag nachweislich vorhandene Demokratiedefizit zu korrigieren. Rüttgers hat überhaupt seltsame Ansichten: Die EU vereine nicht Staaten, sondern Völker. Denn »eine Gleichsetzung von Volk, Nation und Staat beruht auf einem überholten Denken.« Hierzu schreibt Deutschlandpolitik: »So klar hat ein hochrangiger Politiker das Ziel der Christdemokraten bislang noch nie formuliert. Jetzt, da das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesprochen ist, lassen sie endlich die Katze aus dem Sack. Es geht also inzwischen ganz offen um nicht weniger als die Abschaffung Deutschlands und aller unserer europäischen Nachbarn als souveräne Staaten und unsere Herabstufung auf die Existenz von Bundesstaaten unter der Brüsseler Diktatur. ….. Um die seiner Meinung nach durch das jüngste Urteil aus Karlsruhe entstandenen Unklarheiten zu beseitigen, müsse das Grundgesetz geändert werden, fordert Rüttgers gar. Mittlerweile bekommen wir Bürger diese ungeheuerlichen Pläne, welche vermutlich manch verblendeter Ignorant immer noch als Verschwörungstheorie abtut, von unseren Politikern ganz dreist ins Gesicht gesagt.«
 
Das Endziel tritt in den folgenden Worten Rüttgers wohl am deutlichsten zutage 3: »Weltwirtschaftskrise, Klimawandel, Terrorismus - die großen Herausforderungen der Gegenwart sind nicht mehr auf nationaler Ebene zu lösen. Wir können sie nur noch in einer neuen Weltordnung bewältigen. Die Europäische Union muß dabei vorangehen - und sie wird es nur können, wenn sie in der Lage ist, mit einer Stimme zu sprechen. Gelingt ihr das nicht, wird sie in Bedeutungslosigkeit versinken.« Ohne Rückgriff auf Bedrohung und Angst  scheint effektiv nichts mehr zu funktionieren. Daß wir in der angestrebten neuen Weltordnung überhaupt nichts mehr zu sagen haben werden, sondern daß diese uns nur noch die Funktion eines entmachteten, lediglich zum Arbeiten und Zahlen abgestellten Subjekts zubilligen wird, ist kein Thema.
 
Nun ist auffallend, daß Hillary Clinton in ihrer Rede, die sie soeben am 15. 7. 09 vor dem US Council on Foreign Relations hielt, ihre Vision einer »weltweiten Agenda« skizzierte und darlegte, wie ein »internationaler Konsens« aussehen müßte, um eine »globale Architektur« zu formen. Natürlich weiß die Außenministerin um die Kritik in der Öffentlichkeit in Bezug auf die Verflechtungen des CFR mit der Politik. Um dieser entgegenzutreten, verklausuliert und relativiert sie in ihrer Rede den Einfluß des Councils: »Wir bekommen zwar viele Ratschläge vom Council, was aber nicht heißen soll, daß ich mir sagen lasse, was wir machen sollen und wie wir über die Zukunft nachzudenken haben.« Da mag sich jeder Leser sein eigenes Urteil bilden. Fakt ist, daß der Einfluß des CFR auf die amerikanische Politik nicht zu unterschätzen ist 4. Ganz eindeutig ist indessen, daß diese globale Architektur mit nichts anderem als der aufzubauenden neuen Weltordnung gleichzusetzen ist. Insofern überrascht es nicht, daß Joschka Fischer seinerseits darum bemüht ist, uns davon zu überzeugen, daß mit der institutionellen Reform Europas, die mit Sicherheit dazu gedacht ist, in die Institution einer neuen Weltordnung zu münden, fortzufahren sei.
 
Nun hat Fischer bekanntlich einen neuen Job in der Gas-Branche: eine beratende Funktion beim Pipelineprojekt Nabucco. Dieses beinhaltet wie vermeldet die Aufgabe, vor allem die Türkei freundlich zu stimmen, die einem Bericht zufolge das Nabucco-Projekt als eine Art Faustpfand zum EU-Beitritt betrachtet. Nabuccosoll die Gasversorgung Westeuropas von Rußland unabhängiger machen. Was den Beitritt der Türkei betrifft, so findet dieser nach wie vor keine oder nur eine hauchdünne Zustimmung unter der Bevölkerung. Es ist dies jedoch keineswegs Fischers einziger Beraterjob, da er in der Beratungsfirma Albright Group LLC seiner ehemaligen US-Amtskollegin Madeleine Albright einen Top-Job einnimmt, über den er allerdings nicht reden möchte 5. Seit dem Kosovo-Krieg 1999 verbindet Albright und Fischer eine enge persönliche Beziehung. Fischer huldigte der Amerikanerin mit den Worten: »Madeleine, Du bist die letzte verbleibende Supermacht«. Die gelernte Professorin war ihrerseits von der schillernden Vita des Studienabbrechers und Ex-Steinewerfers begeistert *. Auch Fischer arbeitet mit längst widerlegten Phrasen, wie sein in der Zeit Mitte Mai erschienener Artikel belegt 6. Darin erklärte er das iranische Atomprogramm zum entscheidenden dynamischen Faktor, der das strategische regionale Gleichgewicht endgültig zu kippen drohe. »Ein Iran, dessen Präsident nicht müde wird, Israels Auslöschung und Verschwinden laut zu verkünden, der zudem faktisch militärisch an Israels Süd- und Nordgrenze steht und Stellvertreterkriege gegen das Land massiv fördert und der dann noch eines Tages über Trägerraketen mit nuklearen Sprengköpfen verfügt, ist für Israel der sicherheitspolitische Albtraum schlechthin.« Es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, daß     eine Redaktion wie die der Zeit, die im Prinzip die Verantwortung für den faktengemäßen Inhalt von ihr zur Publikation freigegebener Aufsätze trägt, Fischer nicht darauf hinwies, daß     er im Zusammenhang mit der Rede Ahmadinedschads die nachweislich falsche, einwandfrei widerlegte Version bringt. Aber: solches ist natürlich ideal dazu geeignet, um die Hetze gegen diesen Staat, der sich nicht unterjochen läßt, am Köcheln zu halten. Irans Präsident hatte jedoch wörtlich gesagt: »in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad.« Das bedeutet: »Dieses Besatzerregime muß von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden.« Oder, weniger blumig ausgedrückt: »Das Besatzerregime muß Geschichte werden.« Das ist keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden. Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist, daß jeweils auch ein Redaktionsmitglied der Zeitseit Jahren auf den Bilderberger-Konferenzen vertreten ist.
 
Der israelische Vize-Ministerpräsident und Minister für regionale Zusammenarbeit, Silwan Schalom, sagte jetzt am 23. 7. 09 vor Journalisten in Tel Aviv, daß Israel nach dem vollständigen Abzug der US-Truppen aus dem Irak mit einem iranischen Einmarsch in das geräumte Gebiet rechne. »Der Iran will eine schiitische Kontinuität in der Region schaffen.« »Wir vergeuden wichtige Zeit damit, darauf zu warten, daß der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Iran verhängt.« Er rechne nicht mit der Unterstützung Rußlands und Chinas für einen solchen Vorstoß. »Es ist notwendig, Schritte gegen den Iran zu unternehmen. Die Zeit läuft ab.« Israel könne eine Aufrüstung des Irans mit atomaren Waffen nicht akzeptieren, betonte Schalom. Nun ist erstere Behauptung, die des Einmarschs, für meine Begriffe eher in das Reich der Phantasie zu verlegen, die zweite. die atomare Aufrüstung, ist so abgenützt - da vielfach widerlegt – daß man hierauf nicht mehr einzugehen braucht.
 
Die Vernetzung auf der Ebene der Stiftungen und think tanks ist beträchtlich. Die Absichten des ECFR-Projektes kann man leicht erkennen, betrachtet man die Gründungsmitglieder, ein  wahres Who’s Who der britischen liberalen Freihandels- und Empire-Fraktion. Exekutivdirektor des ECFR ist Mark Leonard, der unter der Patronage von Tony Blair in London das Foreign Policy Centre geleitet hatte. Unter den Gründungsmitgliedern des ECFR finden sich u.a. Mister Empire persönlich, Robert Cooper, Generaldirektor für außen- und politisch-militärische Fragen der EU; Sir Chris Patten, früherer EU Kommissar, letzter britischer Gouverneur von Hongkong; Sir Stephan Wall, früherer EU-Berater Blairs; ferner der frühere italienische Ministerpräsident und Innenminister Guiliano Amato, der die EU nach dem Vorbild des Feudalismus gestalten will; des weiteren Etienne Davignon, Ehrenvorsitzender der Bilderberger-Gruppe; der jetzige und der frühere WTO-Chef, Pascal Lamy und Renato Ruggiero: der IWF-Direktor Strauss-Kahn sowie Caio Koch-Weser, vormals Vizepräsident und Managing Director der Weltbank, jetzt Vizepräsident der Deutschen Bank Gruppe und Mitglied im Kuratorium von Bertelsmann. Aus dem militärischen Bereich kommen George Robertson, früher Generalsekretär der NATO, Wolfgang Ischinger, jetzt Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und Ivan Krastev vom Center for Liberal Studies in Bulgarien. Auch dabei ist Martti Ahtissari, der für die Unabhängigkeit des Kosovos von Serbien verantwortlich zeichnet.


Siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1273  10. 7. 09 Der Vertrag von Lissabon - Das Bundesverfassungsgericht zieht Grenzen   
* Diese ist auf http://www.spatzseite.de/20000312.htmin in Dr. Helmut Böttigers Spatz im Gebälk festgehalten 
1 Strategic Alert Jahrg. 22,  Nr. 28 vom 10. Juli 2008 George Soros und das EU-Empire-Projekt
2 http://deutschlandpolitik.wordpress.com/2009/07/15/ruttgers-will-deutschland-abschaffen/
15. 7. 09 - Rüttgers will Deutschland abschaffen
3 http://www.sueddeutsche.de/v5x38X/2967268/Mehr-Macht-fuer-Europa.html 15. 7. 09
Mehr Macht für Europa - Warum das Bundesverfassungsgericht mit seiner Betonung nationaler Vorrechte einen schwierigen Weg beschritten hat - Von Jürgen Rüttgers
4 http://info.kopp-verlag.de/news/zieht-der-cfr-die-strippen-der-us-regierung.html  19.7.09
Zieht der CFR die Strippen der US-Regierung? – Von Michael Grandt
5 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,580872,00.html  27. 9. 2008
Joschka Fischers neuer Beraterjob - Die grüne Raupe Nimmersatt - Von Ralf Beste und Gregor Peter Schmitz
6 http://www.zeit.de/online/2008/21/kolumne-fischer-iran-israel 19. 5. 08
Israels Albtraum - Von Joschka Fischer | © ZEIT online  19.5.2008
7 http://www.da-imnetz.de/nachrichten/politik/israel-iran-wird-nach-us-abzug-irak-uebernehmen-420359.html  23. 7. 09 und FAZ F.A.Z., 24. 7. 2009, Nr. 169 / Seite 6
Israel: Iran wird nach US-Abzug Irak übernehmen