Bundesrat zu kohärenter Aussenpolitik unfähig - Die Krankheit

Die Libyen-Mission von Bundespräsident Merz ist definitiv gescheitert. Die Schweizer Geiseln bleiben Gaddafis von unberechenbaren Launen diktierter Willkür ausgeliefert. Auch das Schweizer Bankgeheimnis geht verloren - vom ziellos handelnden Bundesrat verspielt.


Mit der Libyen-Krise Konfrontiert, liess die Schweizer Landesregierung jegliches Konzept vermissen. Die Mission Merz, vom Gesamtbundesrat als «letzte Anstrengung zur Geiselbefreiung» beschlossen, wurde unaufschiebbar, weil die einjährigen Versuche des EDA zur Geiselbefreiung im Sumpf desaströser Inkompetenz feststeckten.
 
Zurück zu Calmy-Rey
Nichts könnte die Planlosigkeit der Landesregierung augenfälliger dokumentieren als der Entscheid, das Libyen-Dossier ausgerechnet an Bundesrätin Calmy-Rey zurückzugeben, deren Sucht zur Selbstdarstellung die Hauptursache des Scheiterns aller Schweizer Bemühungen ist. Den schwersten, schlicht unverzeihlichen Fehler beging Calmy-Rey mit der überstürzten Entlassung Botschafter Daniel von Muralts, ihres Spezialisten für Libyen, in den «Ruhestand». Als ausgewiesener Afrikakenner verfügte allein er über jenes Beziehungsnetz, dessen überlegte Nutzung unabdingbare Voraussetzung für einen diplomatischen Erfolg im Geiseldrama gewesen wäre. Eindringliche Warnungen an die nach Selbstdarstellung dürstende Bundesrätin gingen der Entlassung von Muralts voraus. Statt auf ihren Botschafter zu hören, inszenierte Calmy-Rey hinter dem Rücken des libyschen Diktators am Rande des WEF in Davos ein Komplöttchen mit dem zweiten Sohn Gaddafis. Die Geiselbefreiung gelang damit nicht, sie weckte bloss den unauslöschbaren Zorn des sich übergangen fühlenden Wüstenpotentaten. Anstelle des erfahrenen Schweizer Botschafters Daniel von Muralt nahm Calmy-Rey ihren besonderen Günstling Jean Ziegler in ihren «Beraterkreis» auf, dessen unstillbare Schwadroniersucht alsbald Verschwörungstheorien verbreitete, wonach hinter der Genfer Polizei-Aktion gegen Sohn Hannibal Gaddafi - des Verprügelns von Bediensteten beschuldigt - der israelische Geheimdienst gestanden habe. Eine Nebelgranate, die im Wüstenzelt des Diktators ausgeheckt worden sein könnte. Ins Kapitel gescheiterter Selbstinszenierung gehört auch der Mai-Ausflug Calmy-Reys nach Tripolis. Als Staffage für die geplante «Befreierin-Feier» liess sie voreilig auch die beiden Ehefrauen der in Libyen zurückgehaltenen Geiseln mitfliegen. Zur Siegesfeier kam es bekanntlich nicht. Die Mission scheiterte kläglich. Nur der Zorn des unberechenbaren Tyrannen wurde weiter angeheizt.
 
Tatenlose «Völkergemeinschaft»
So erfolglos die allein auf sich selbst fixierte Calmy-Rey in Libyen blieb, so unbeirrt pries und preist sie jene internationalen Organisationen der «Völkergemeinschaft», deren Funktion eigentlich darin bestünde, den Menschenrechten und dem Völkerrecht weltweit Nachachtung zu verschaffen: Den UNO-Menschenrechtsrat, die UNO insgesamt, den Völkerrechts-Gerichtshof in Den Haag - Organisationen und Institutionen, an welche die Schweiz bekanntlich erhebliche Geldbeträge leistet.
 
Die Geiselnahme verstösst aufs schwerwiegendste gegen Menschenrechte und Völkerrecht. Das Departement Calmy-Rey kam nicht einmal auf die Idee, diese wesentlich von Schweizer Steuergeldern lebenden Organisationen an ihre Pflicht zu erinnern, also zu konkreten Taten zugunsten dieser Rechte aufzufordern. Nichts Derartiges geschah. Der libysche Gewaltherrscher kann sich aufführen wie er will, die für die Einhaltung internationalen Rechts zuständigen Organisationen beschränken sich auf unendliche Palaver luxuriös gehaltener Funktionäre. Rechtsverletzungen werden gegebenenfalls katalogisiert und administriert. Tätiger Einsatz gegen Diktatoren, die beides mit Füssen treten, ist - weil zu anstrengend - nicht vorgesehen. Das politische Bern nimmt dies achselzuckend zur Kenntnis.
 
Gefallsucht
Unsere Landesregierung leidet offensichtlich an einer schweren Krankheit, die sie unfähig macht, kohärente Aussenpolitik zur Durchsetzung schweizerischer Interessen auf internationaler Ebene zu entwickeln. Die Krankheit heisst Gefallsucht: Den von Bern so bewunderten internationalen Gremien mittels bedingungsloser Anpassung und Unterwerfung zu gefallen - dieser Trieb ist weit stärker als der Wille, für elementare schweizerische Interessen auf internationaler Ebene zu kämpfen. Verheerend dabei ist, dass das Parlament - jedenfalls seine Mitte-Links-Mehrheit - von der genau gleichen Krankheit ereilt ist. Damit existiert in unserem Land kein Organ, welches den Bundesrat energisch an seine elementaren Pflichten auch auf internationaler Ebene erinnern würde. Dabeisein - in Brüssel, in New York, wo auch immer diese angebeteten Organe tagen: Das bedeutet den Gefallsüchtigen alles. Der Wille zur Verteidigung der Interessen des Landes, der Wille zur Eigenständigkeit geht dabei verloren - restlos verloren, Verfassungsauftrag an Parlament, Verwaltung und Landesregierung hin oder her.
 
Verlust des Bankgeheimnisses
Der internationalen Gefallsucht opfert - unter Verrat elementarer Interessen von Land und Volk - die Classe politique der Schweiz gegenwärtig auch das Bankkundengeheimnis. Hinter dem Rücken des Parlaments handelt der Bundesrat mit einer ganzen Reihe von Ländern ein gutes Dutzend Abkommen zur Doppelbesteuerung aus. Das Prinzip der doppelten Strafbarkeit, elementares Fundament unserer rechtsstaatlicher Ordnung, wird darin schnöde preisgegeben. Aus Gefallsucht der OECD und Brüssel gegenüber. Es gilt fortan nicht mehr, dass in der Schweiz gerichtlich nur verfolgt werden kann, wer eines Verbrechens beschuldigt wird, das in der Schweiz tatsächlich strafbar ist. Fortan genügt ein diffus begründeter «Anfangsverdacht» irgendeiner sich der Jagd auf Vermögende hingebenden Regierung irgendeines Landes, auf dass Daten von Personen oder Personen selbst ausgeliefert werden. Privatsphäre für Vermögende? Das ist «Schnee von gestern». Unter dem Diktat aggressiv auftretender fremder Regierungen hat der Bundesrat das Bankkundengeheimnis liquidiert - ohne Volksentscheid!
 
Unhaltbare Ausflüchte
Die Landesregierung wiegelt ab: Für Schweizer, für in der Schweiz wohnhafte Personen blieben Bankkundengeheimnis und doppelte Strafbarkeit intakt. Welch durchsichtige Heuchelei! Sollten vermögende Ausländer zusammen mit ihrem ehrlich Ersparten vor dem masslosen Fiskus ihrer in Milliardenschulden regelrecht ersaufenden Regierungen in der Schweiz Zuflucht suchen, werden Steinbrück, Obama und Co., die Architekten der vor dem Einsturz stehenden Schuldentürme, nicht ruhen, bis sie dieser pauschal zu Verbrechern gestempelten Vermögenden habhaft werden. Ob mit legalen oder auch mit illegalen Mitteln: über alle Landesgrenzen hinweg.
 
Warum weigert sich Bern, der Frage, wie die USA eigentlich an die Daten von zunächst 250, inzwischen von rund 4550 angeblichen amerikanischen Steuersündern mit Konten bei der UBS gelangt sind, endlich sorgfältig nachzugehen? Woher weiss Washington, dass die UBS 52'000 Konten von Amerikanern führen soll? Pro Memoria: Die Server, über welche die Vermögensverwaltungssysteme aller weltweit tätigen Banken laufen, stehen in den USA. Der Bundesrat flüchtet sich in die pauschale Ausrede, er könne sich «illegale Einbrüche» in diese Datenwelt «schlicht nicht vorstellen». Neue, gehässige Attacken geldsüchtiger Regierungen auf die Schweiz stehen bevor. Die Schweiz wird erneut einbrechen. Solange das Schweizervolk eine Mehrheit in Parlament und Landesregierung belässt, welche aus Gefallsucht gegenüber internationalen Organisationen allen Selbstbehauptungswillen preisgibt, kann der Ausverkauf elementarer schweizerischer Interessen gewiss nicht gestoppt werden.
 
Ulrich Schlüer, Chefredaktor «Schweizerzeit»
Erschienen in der Schweizerzeit vom 4. 9. 09; Hervorhebungen durch politonline