USA-willfähriger Bundesrat - Bewusster Rechtsbruch

Im Rechtsstaat sind Gerichtsurteile unangreifbar, auch für die Landesregierung. Andernfalls wird die Gewaltentrennung missachtet.

Eine eigentlich selbstverständliche rechtsstaatliche Grundregel scheint in der Schweiz nicht mehr zu gelten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem letztinstanzlichen Urteil entschieden, dass es für die zwischen der Schweiz und der USA getroffene Vereinbarung, die das Bankkundengeheimnis für 4'550 UBS-Kunden aufhebt, keine Rechtsgrundlage gibt. Es hat dem Bundesrat den Vollzug dieser mit Washington getroffenen Vereinbarung untersagt. Nicht nur der Gehalt dieser zwischenstaatlichen Vereinbarung widerspricht hier geltendem Recht. Auch die Idee, den Vertrag um nahezu 10 Jahre rückwirkend in Kraft zu setzen, hat mit rechtsstaatlichen Prinzipien nichts mehr zu tun. Die Herausgabe der von der USA apodiktisch geforderten, bei einer Schweizer Bank gespeicherten Vermögensdaten, ist in allen Teilen rechtswidrig.
 
Auswege
Es gäbe zwei Auswege aus dem Dilemma. Einerseits könnte oder müsste Bern versuchen, die USA zu Neuverhandlungen zu bewegen, wobei die zu erzielenden Verhandlungsergebnisse schweizerisches Recht zu respektieren hätten. Oder der Bundesrat beantragt dem Parlament, die heute fehlende Rechtsgrundlage für den beabsichtigten Vertrag mit der USA noch zu schaffen. Dagegen ist solange nichts einzuwenden, als das neu zu schaffende Recht nicht rückwirkend als gültig erklärt wird. Dem ersten Ausweg, Neuverhandlung des Vertragsinhalts, hat sich die USA verschlossen. Sie bestehen auf vollumfänglicher Datenherausgabe innert der ursprünglich vereinbarten Frist von einem Jahr. Die sich für die Schweiz daraus ergebenden Rechtsprobleme habe der Bundesrat zu lösen, sie beträfen die USA nicht.
 
Parlaments-Umgehung
So blieb dem Bundesrat, wenn er gegenüber der USA nicht vertragsbrüchig werden wollte, nur noch ein Ausweg: Antrag ans Parlament, die fehlende Rechtsgrundlage für den bereits ausgehandelten Vertrag nachträglich und rasch zu schaffen. Das Büro der Eidgenössischen Räte stimmte diesem Vorgehen zu. Das entsprechende Geschäft ist im Rahmen eines Dringlichkeitsverfahrens sowohl im Ständerat als auch im Nationalrat für die kommende Juni-Session traktandiert. Nun aber entschliesst sich der Bundesrat zu offenem, bewusstem Rechtsbruch: Einseitig beschloss er die sofortige Anwendung des Vertrags - bevor das Parlament die Beratung aufgenommen hat. Die blosse Traktandierung der Vorlage genügt der Landesregierung, den Vertrag bereits zu vollziehen.
 
Das bedeutet zweierlei: Das letztinstanzliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird von der Landesregierung kaltblütig übergangen. Sie wendet einen Vertrag an, für den gemäss Gerichtsurteil keine gesetzliche Grundlage existiert. Das Parlament wird gleichzeitig in eine »Hanswurst-Funktion« abgedrängt: Das Ritual einer Beschlussfassung zum vereinbarten USA-Vertrag darf zwar noch stattfinden, das Ergebnis der Parlamentsberatung nimmt der Bundesrat aber einseitig vorweg - zu einer Vereinbarung, die elementare Pfeiler unserer Rechtsordnung in Vermögensfragen betrifft. Das Parlament wird zum Abnicker-Gremium ohnmächtiger Ja-Sager degradiert. Echte, die bundesrätlichen Anträge gegebenenfalls korrigierende Beratung, echte Beschlussfassung mit der Freiheit, Ja oder Nein zum Vertrag zu sagen, wird dem Parlament durch die Landesregierung verunmöglicht. Das Parlament wird in die Rolle eines kläffenden Hundes gedrängt, der dem eigenmächtig handelnden Meister zwar noch hinterherbellen kann, dem verfassungsmässig garantierte Einflussnahme und Entscheidungsfreiheit zum Geschäft aber entzogen wird. Das ist offener Verfassungsbruch. Der Bundesrat setzt sich sowohl über die Judikative als auch über die Legislative hinweg. Er versucht, diesen Rechtsbruch zu kaschieren, indem er die Vereinbarung mit der USA zum »Staatsvertrag« erklärt - was weder am Gehalt noch an der getroffenen Vereinbarung auch nur das geringste ändert.
 
Auf dem Weg zur Bananenrepublik?
Konnte der Bundesrat im ersten Akt, als er die Vereinbarung mit der USA in aller Eile traf, allenfalls noch eine »andere Beurteilung« der Rechtslage ins Feld führen, konnte man ihm also höchstens »unabsichtlichen Irrtum« vorwerfen, so handelt die Landesregierung jetzt im vollen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens. Übrigens hat der Bundesrat, bevor er die vorzeitige Vertragsanwendung beschloss, die zuständigen Kommissionen beider Parlamentskammern konsultiert. Beide lehnten das jetzt vom Bundesrat gewählte Vorgehen kategorisch ab - als elementare Verletzung verfassungsmässiger Rechte des Parlaments. Der Bundesrat setzte sich auch darüber hinweg - im vollen Bewusstsein seines rechtswidrigen Handelns. Als wäre die Schweiz eine Bananenrepublik. Die Forderungen der USA stellt die Landesregierung der Schweizerischen Bundesverfassung voran. Der Bundesrat schützt damit die, denen die USA Verletzung amerikanischen Rechts anlässlich ihrer Geschäftstätigkeit in der USA vorwerfen, was von Kennern der Materie als »mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffend« beurteilt wird. Geschützt werden die, deren   verantwortungsloses Handeln ihre Bank in den Ruin getrieben hätte, wären ihr Bund und Nationalbank nicht mit insgesamt über 50 Milliarden Franken - Geld, das den Bürgern gehören würde - zu Hilfe gekommen. Die, die so verantwortungslos handelten, streichen übrigens bereits wieder Boni ein, während der Bundesrat die Verfassung massiv verletzt, um die Verantwortlichen der angerichteten Desaster vor Strafverfolgung zu bewahren.
 
Tödliche Krankheit?
Dieses Vorgehen der Landesregierung lässt die allmählich tödlich anmutende Krankheit sichtbar werden, welcher der Bundesrat verfallen zu sein scheint: Zwar legen Bundesräte, wenn sie gewählt oder wiedergewählt werden, einen Eid auf unsere Verfassung ab. Zwar schwören sie, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung unseres Landes zu verteidigen und zu bewahren. Tatsächlich aber scheinen sie den Glauben an die Unabhängigkeit unseres Landes verloren zu haben. Sie schicken sich in die Rolle von Bütteln fremden Rechts - von einer fremden Macht erzwungen. Einem Grossen dieser Welt dienstbar zu sein, ist der Landesregierung wichtiger als die Respektierung hiesiger Verfassungsregeln und schweizerischen Rechts. Das Schweizervolk, in seiner überragenden Mehrheit unbeirrt für die Eigenständigkeit der Schweiz eintretend, sieht seine Sache, seine Anliegen von einer Regierung vertreten, die den Willen zur Eigenständigkeit unseres Landes zu verlieren scheint. Bleibt diese Regierung im Amt, wird die Schweiz ihre Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit kaum mehr lange bewahren können.
 
Nationalrat Ulrich Schlüer, Chefredaktor der Schweizerzeit