Obama - ein Feind der Spekulanten? Von Wolfgang Effenberger

Am 21. Mai 2010 stimmte der US-Senat einem umfassenden Gesetzesentwurf zu, der die Banken zur Verhinderung riskanter Finanzgeschäfte besser kontrollieren

und damit den Verbraucher besser schützen soll. Barack Obamas Finanzreform scheint in greifbare Nähe gerückt. Mit dem Gesetzespaket soll eine Wiederholung der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 vermieden werden. Versuche der Finanzindustrie, das Gesetz zu blockieren, seien nach Ansicht von Obama gescheitert: »Die Reform wird die Kräfte des freien Marktes nicht unterdrücken. Sie wird einfach berechenbare, verantwortliche und vernünftige Regeln auf den Markt bringen«, lautet das Credo des US-Präsidenten 1. Dieser Optimismus wird nicht von allen Kongreß-Mitgliedern geteilt.
 
Schon im Vorfeld hatten die Senatoren Maria Cantwell (D-WA), John McCain (R-AZ), Ted Kaufman (D-DE), Tom Harkin (D-IA), Russ Feingold (D-WI) und Bernie  Sanders (D-V) parteiübergreifend weiterführende Verschärfungen im Sinne des von Franklin D. Roosevelt verabschiedeten Glass-Steagall-Gesetzes verlangt 2. Dieses Gesetz wurde am 16. Juni 1933 erlassen, um für die Banken mehr Sicherheit zu gewährleisten und sie vor riskanten Spekulationen zu schützen. In der Folge bewahrte dieses Gesetz die Zivilisation vor der drohenden Gefahr eines Zusammenbruchs der USA und rettete die USA und viele Nationen Europas ebenso wie andere Länder vor einer allgemeinen planetaren Katastrophe jener Art, wie sie heute die ganze Welt zu erfassen scheint. [Quelle: http://www.badidea.co.uk/wp-content/uploads/2009/03/glass-steagall-act-390x400.jpg]
 
Zusammen mit dem Vorsitzenden des Banken- und Währungsausschusses des Senats, Ferdinand Pecora, war Roosevelt gewillt, die negativen Einflüsse der Wall Street auf die Realwirtschaft zu minimieren. Pecora leitete die Untersuchungen des Ausschusses über die Hintergründe der Spekulationsblasen der Wall Street. Dazu lud Pecora Jack Morgan, Sohn des legendären J.P. und inzwischen Chef des Bankenimperiums sowie andere Spitzenmanager Morgans und weitere führende Vertreter der Wall Street vor den Ausschuß. Die dort gemachten Aussagen enthüllten, wie die Wall Street gezielt finanzielle Kartenhäuser geschaffen und Spitzenpolitiker bis hin zum früheren Präsidenten Coolidge bestochen hatte! Als Ergebnis dieser Anhörungen entstand das Glass-Steagall-Gesetz von 1933. Es trennte Investment- und Handelsbanken streng voneinander und untersagte Insiderkredite von Banken an ihre Partner. Damit sollte verhindert werden, daß Banken zuerst bei einem Unternehmen investieren und dann im Gefährdungsfall diesem Unternehmen unverantwortlich hohe Kredite geben würden. Zugleich wurde die Bundeseinlagenversicherung FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) ins Leben gerufen. Damit waren erstmals die kleinen Sparer versichert. Wenige Monate später unterband das Wertpapier- und Börsengesetz verschiedene Wall-Street-Spekulationen. Zur Kontrolle wurde die Börsenaufsicht SEC geschaffen.
 
Nach 66 Jahren hob der demokratische US-Präsident Bill Clinton unter Beifall der US-Finanzelite Roosevelts Vermächtnis wieder auf und ersetzte es durch den Gramm-Leach-Bliley Financial Services Modernization Act3. Mit diesem Gesetz zur Modernisierung der Finanzdienstleistungen wurde die Bankenkontrolle  weitgehend abgeschafft und an eine Gruppe privater Großbanken übertragen. Es entstand eine Spaltung zwischen der reellen Arbeit und Produktion und dem virtuellen Geldkapital, wobei das Finanzkapital über das Realkapital der Industrie triumphierte! Die Welt-Geldmenge in ihren unterschiedlichen Formen hat sich in den vergangenen 3 Jahrzehnten vervierzigfacht (!)‚ die Gütermenge jedoch (auch nominell) nur vervierfacht
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Jubelstimmung am 12. November 1999 nach Aufhebung von Roosevelts Glass-Steagall-Gesetz von 1933
Finanzminister Robert Rubin strahlte. Von 1964 bis 1992 hatte der gelernte Wirtschaftswissenschaftler bei der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet. Nun hatte er die Fesseln des Glass-Steagall Acts abstreifen und die Trennung von Kredit- und Investmentbanken aufheben können. Diese Reform ermöglichte unter anderem die Fusion der Traverlers Group und der Citicorp zur Citigroup. Heute repräsentiert dieser Bankengigant all das, was im amerikanischen Finanzwesen falsch läuft. Unmittelbar nach Aufhebung des Gesetzes wechselte Rubin als Berater bzw. Direktor zur Citigroup und war dort bis zum Januar 2009 tätig. Dort  nutzte Rubin die nach der Aufhebung des Glass-Steagall Acts einsetzende völlige Liberalisierung des Bankensystems. Er wußte: Der amerikanische Staat würde am Ende alle seine Verluste tragen und nicht einfach die Bank implodieren lassen, denn sie war too big to fail - zu groß um unterzugehen. Dafür erhielt der ehemalige Finanzminister über 126 Mio. Dollar 4. Zu Rubins Schützlingen gehören Timothy Geithner und Lawrence Summers. Beide waren bereits 1997 im Namen des US-Finanzministeriums aktiv in der Asienkrise involviert: War es die Generalprobe für die kommenden Dinge? Während dieser Rettungsaktion wurde offiziell mit dem IWF verhandelt, während die großen Wall-Street-Banken - einschließlich Chase, Bank of America, Citigroup und JP Morgan sowie die Big Five Merchant Banks - Goldman Sachs, Lehman Brothers, Morgan Stanley und Salomon Smith Barney - hinsichtlich einer Schuldenübernahme durch Dritte konsultiert wurden.
 
Sind Geithner und Summers in der Lage und willens, den außer Kontrolle geratenen Finanzsektor zu bändigen? Zweifel scheinen angebracht. Diese Zweifel werden durch einen Blick auf den engeren Kreis der wirtschaftspolitischen Berater des demokratischen Präsidenten Barack Obama nicht weniger: Robert Rubin, Paul Volcker, Austan Goolsbee und Jason Furman 5. Von dieser Riege ist die notwendige Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken kaum zu erwarten. Ein weiterer Hauptakteur des damaligen Beerdigungsaktes war der FED-Präsident Alan Greenspan. Heute muß sich der ehemalige Chef der US-Notenbank vor der Financial Crisis Inquiry Commission verantworten. Nach dem Vorbild der sogenannten Pecora-Kommission aus den 1930er Jahren führt nun der Demokrat Phil Angelides den Vorsitz. Es geht um Ramsch-Hypotheken (Subprimes), der Verbriefung solcher Kredite sowie der Rolle, die etwa die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac spielten. Bereits wurden hochrangige Manager einiger Wall-Street-Banken vor das Komitee zitiert, darunter Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs, sowie Ex-Citigroup-Chef Chuck. Angelides gibt den harten Inquisitor: »Warum, angesichts vieler Anzeichen und Indizien, haben Sie nicht gehandelt«, herrscht er Greenspan mit Blick auf die rapide Zunahme von Subprime-Hypotheken in den Jahren vor der Krise an. »Ich will hier nachhaken«, knarrt er, als ihm eine Antwort des ehemaligen Fed-Chefs nicht ausreicht. Angelides hat auch keine Scheu davor, Greenspan ins Wort zu fallen. »Das werden wir später klären müssen«, bügelt er dessen Ausführungen an einer Stelle weg 6. Auch hier versucht Obama an die historischen Vorbilder anzuknüpfen. Aber es scheint  fraglich, ob die Pecora-Nachfolger die teils  kriminelle Finanzkrise ebenso spektakulär enthüllen wie es deren Vorgänger bei ihrer Untersuchung zum großen Wall-Street-Crash von 1929 taten. Hier führten die Ergebnisse zum Gesetz, während heute über das Gesetz bereits noch vor dem Ende der Untersuchungen abgestimmt wird.
 
Im engeren Kreis der wirtschaftspolitischen Berater des demokratischen Präsidenten Barack Obama fehlt der sachkundige weitsichtige und mutige demokratische Senator Byron Dorgan aus North Dakota. Er hatte nur wenige Tage vor Clintons Schachzug im Parlament gewarnt: »Wenn wir in 10 Jahren zurückblicken, werden wir sagen, daß wir es nicht tun sollen hätten. Aber wir haben es getan, weil wir die Lehren der Vergangenheit vergessen und ebenso, daß das, was in den 1930er Jahren galt, auch im Jahr 2010 gelten wird.« Aus seiner eigenen Erfahrung über den Ausbau der Spar-und Darlehenskassen in den 80ern hält er fest: »Wir haben nun im Namen der Modernisierung beschlossen, die Lehren aus der Vergangenheit, der Sicherheit und der Solidität zu vergessen.« 7. Am 30. März 2009 wies Dorgan in der Haushaltsdebatte des US-Senats darauf hin, daß jede Diskussion über den Haushalt angesichts der Finanzkollapses hinfällig sei. Zugleich erinnerte er daran, daß er einer von nur acht Senatoren gewesen war, die 1999 gegen die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes  gestimmt habe. Er habe damals gewarnt, die Folge werde ein gewaltiges, steuerfinanziertes Rettungspaket für ein zusammenbrechendes, von Derivaten zerrüttetes Bankensystem sein. So bleibt nur die Hoffnung, daß der mutige Senator Byron Dorgan gehört und dem weltweit kriminellen Treiben des virtuellen Finanzkapitals Einhalt geboten wird und ein Konkurs wieder zum Tagesgeschäft gehört. Deshalb darf Obamas Reform nicht zu einem too big to failführen; damit wird die Vorstellung beschrieben, daß Unternehmen ab einer bestimmten Größe allein auf Grund ihrer Größe de facto davor geschützt seien, insolvent zu werden, weil sie rechtzeitig vom Staat oder internationalen staatlichen Organisationen durch eine Staatsintervention im Rahmen eines Bail-out (engl. aus der Klemme helfen) gerettet würden, um nicht die gesamte Volks- oder gar Weltwirtschaft zu gefährden. Dies gilt insbesondere für den Bankensektor, aber auch für große Industrieunternehmen. Für Elizabeth Warren ist der Konkurs im Kapitalismus mit der Hölle im Christentum vergleichbar. Damit die Menschen nicht über die Strenge schlagen, müssen gelegentlich auch die Folterwerkzeuge gezeigt werden.
 
  
 
1 http://www.news.ch/Der+US+Senat+billigt+die+Finanzmarktreform/441034/detail.htm
vom 21. Mai 2010
2 Namensgeber dieses Bundesgesetzes waren der Senator Carter Class und der Repräsentantenhaus-Abgeordnete Henry B. Steagall;
3 Bill Clinton: »I should have better regulated derivates«, unter http://edition.cnn.com/2009/POLITICS/02/16/bill.clinton.qanda/ [22. Mai 2010]
4 Dash, Eric / Story, Louise: Rubin Leaving Citigroup; Smith Barney zum Verkauf  http://www.nytimes.com/2009/01/10/business/10rubin.html?_r=2&hp New York Times vom 9. Januar 2010
5 Vgl. Ingar Solty (2008): Das Obama-Projekt: Krise und charismatische Herrschaft. Hamburg: VSA
6 Vgl. Mai, Christine/ Bayer, Tobias: Finanzkrisenkommission: Wie Greenspan mit dem Aufklärer ringt, http://www.ftd.de/politik/international/:finanzkrisenkommission-wie-greenspan-mit-dem-aufklaerer-ringt/50097678.html [22. Mai 2010] sowie  http://www.ftd.de/politik/international/:aufarbeitung-der-krise-auf-den-spuren-des-grossen-wall-street-anklaegers/50059180.html
7 Solomon, Deborah/ Philipps, Michael  M.: Summers and Geithner, Two Contenders for Treasury Job, Have Close Career Ties http://online.wsj.com/article/SB122610208024210087.html#printMode
Siehe auch
http://www.thedailyshow.com/watch/wed-april-15-2009/elizabeth-warren-pt--2
Barth et al. (2000): »Policy Watch: The Repeal of glass-Steagall and the Advent of Broad Banking« (PDF) Journal of Economic Perspectives 14 (2): 191–204. http://www.occ.treas.gov/ftp/workpaper/wp2000-5.pdf sowie http://www.thedailyshow.com/video/index.jhtml?videoId=224262&title=elizabeth-warren-pt.-2&byDate=true
Conway, Edmund: The cost of mopping up after the world financial crisis has come to $11.9 trillion (£7.12 trillion); enough to finance a £1,779 handout for every man, woman and child on the planet, unter http://www.telegraph.co.uk/finance/newsbysector/banksandfinance/5995810/IMF-puts-total-cost-of-crisis-at-7.1-trillion.html vom 8. August 2009