USA - Krisenzeiten

Wie es in der USA im einzelnen aussieht, geht aus einer Schilderung von Frank Weissmann hervor:

Hier im Norden spürt man die Krise in den Staaten am meisten. Illinois ist bankrott, ebenso die grossen Städte. Die Arbeitslosigkeit wächst enorm und die Menschen sind immer hoffnungsloser. Oft, so hört man, werden Arbeiter per Telefon oder SMS gekündigt. Es gibt keine Kündigungszeiten, so dass diese Menschen von heute auf morgen auf der Strasse stehen. Hoffnung auf einen neuen Job gibt es nicht. Sollte der seltene Fall eintreten und eine Arbeitsstelle ausgeschrieben werden, so gibt es oft einige Tausend Bewerber. Ganze Stadtviertel stehen leer. Dort können sie für wenig Geld ganze Strassenzüge kaufen. Meistens schliessen auch die Geschäfte noch bevor die Menschen wegziehen, weil diese ihre Häuser nicht mehr bezahlen können. Es gibt dann keine Infrastruktur mehr. Wenn es wirklich noch Familien gibt, die dort wohnen, müssen sie oft bis zu 30 km fahren, um einen noch nicht geschlossenen Supermarkt oder eine Shopping Mall zu finden. Viele der leerstehenden Häuser werden von Obdachlosen, Drogensüchtigen - die bei uns ein Riesenproblem sind - und Asozialen besetzt und meist auch verwüstet. Man kann fast stundenlang mit dem Auto zwischen aufgelassenen Industrie- und Gewerbeanlagen fahren, wo Fabriken, Lagerhallen, Shopping Malls und Einzelgeschäfte verfallen. Es ist ein trauriges Bild, das die Hoffnungslosigkeit unterstreicht.
 
Es ist ein Kommen und Gehen. Viele Familien, die ihr Haus nicht mehr halten können, geben es einfach auf, schicken die Schlüssel per Post zur Bank und ziehen hoffnungsvoll in einen anderen Bundesstaat. Doch die Lage ist überall gleich hoffnungslos. Vor Chicago gibt es viele Zeltstädte, wo ganze Familien in Zelten und Wohnmobilen, auch alten Vans leben. Mit viel zu wenig sanitären Einrichtungen. Wasser wird mittels Gartenschläuchen hingeleitet oder es sind mit Glück Hydranten vorhanden. Nicht selten sieht man primitive, selbstgebaute Latrinen und Dusch- bzw. Waschvorrichtungen. Es sind alles Lebensmittelkartenempfänger, kaum jemand von ihnen hat noch einen Job, ausser tageweise irgendwo auszuhelfen. Die Kriminalität explodiert richtig, die Polizei ist völlig überfordert und reagiert oft auch sehr brutal. Nach dem alten Gesetz des Wilden Westens: »Zuerst schiessen, dann fragen!« Die Stimmung dreht sich immer mehr und vor allem immer offener gegen Obama und seine Politik. Man traut ihm nicht mehr zu, die Lage in den Griff zu bekommen. In den Städten, auch in Chicago, liest man permanent von Verkauf, die Geschäfte geben hohe Rabatte und doch sind kaum Menschen drinnen, die wirklich kaufen. Nur in Gegenden, wo die Besserverdiener leben und arbeiten, merkt man von der Krise noch wenig. Aber auf dem Land und in den kleineren Städten versuchen die Bürgermeister alles, was sich irgendwie zu Geld machen lässt, zu verkaufen: Parkhäuser, Gemeindeflächen. Überall liest man ­­­›zu vermieten, zu verkaufen … … Und Gemeindebetriebe wie Polizei (Sheriff) und Feuerwehren werden auf ein Minimum reduziert. Niemand glaubt mehr die offiziellen Arbeitslosenzahlen, weil mittlerweile jede Familie davon betroffen ist. Selbst sicher geglaubte Jobs werden wegrationalisiert. Hat man das seltene Glück, einen neuen Job zu bekommen, so ist die Bezahlung sehr sehr schlecht.
 
Wir haben südlich von Chicago viel Landwirtschaft, es wird hauptsächlich Mais und Sojabohnen angebaut. Viele der Landwirte kämpfen mittels genmanipuliertem Saatgut und extremen Spritzmitteln gegen das sich immer stärker ausbreitende Superunkraut, die superweeds, die gegen alles Bekannte resistent sind. Viele Felder müssen aufgegeben werden, weil sie nicht mehr bearbeitet werden können. Entlang der 55er von Chicago nach Springfield, sind rund ein Viertel aller Ackerflächen aufgegeben, dort wächst Unkraut wie ein riesiger dichter Wald. Ich habe selbst mit meiner Frau ein kleines Lokal an der Peripherie Chicagos. In unserer Strasse waren vor einigen Jahren mehr als 20 kleine Kneipen, Pizzarias und Cafes. Heute sind nur noch drei geöffnet. Wir selbst leben hauptsächlich von anderen ehemaligen Österreichern, meist Burgenländern, die mein Lokal als Treffpunkt benutzen. Das Geschäft ist zurückgegangen, aber ohne meine Stammkunden hätte auch ich schon zusperren müssen.
 
Zwei riesige Probleme sind Drogen und Kriminalität. Abends auszugehen, kann gefährlich sein. Mein Lokal wurde im letzten Jahr zweimal überfallen, jedesmal wegen ein paar hundert Dollar. Die Menschen bewaffnen sich wieder. Ein Freund, ebenfalls aus dem Burgenland und ebenfalls seit über 30 Jahren in Chicago ansässig, hat einen Waffenshop. Er erzählt von Rekordumsätzen! Übrigens: die österreichische Glock-Pistole ist eins der Lieblingsspielzeuge der Amerikaner, die gehen weg wie warme Semmeln. Wer es sich leisten kann, deckt sich mit Lebensmitteln ein. Auch in meinem Lokal ist das Gesprächsthema die Krise und wie es weitergehen wird. Überlebenskurse und -camps sind ausgebucht, viele wollen lernen, wie man Gemüse und Obst anbaut, wie man Kleintiere zur Nahrungsmittelversorgung züchtet und wie man sich schützen kann. Wir sind endgültig in der Depression gelandet, wenn das Volk nur mehr Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit verspürt. Ich habe in den letzten Monaten oft darüber nachgedacht, wieder nach Österreich zu gehen. Aber ich habe all meine Freunde hier und kenne niemanden mehr im Burgenland. Vor 5 Jahren habe ich meine Heimatstadt das letzte Mal besucht. Euch geht es, wie ich aus den österreichischen Medien herauslesen kann, ja, noch ganz gut. Scheint Kreisky mit dem Ausspruch ­­­›Österreich ist eine Insel der Seligen! doch recht gehabt zu haben. Ihr würdet einfach nicht glauben, welche Zustände hier in Illinois herrschen! Gott schütze Euch! Uns, Amerika, glaube ich, hat er schon verlassen!
 
Anmerkung d.a.: Ungeachtet dieser Situation genehmigte das US- Repräsentantenhaus Mitte Mai dieses Jahres zusätzliche Milliarden für die Kriege: 96,7 Milliarden $ (71,4 Mrd. €) vor allem für die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan sowie für den Verbündeten Pakistan; Ende Juli bewilligte der Kongress weitere 33 Milliarden $ für den Krieg in Afghanistan, womit vor allem die von Präsident Obama angeordnete Truppenaufstockung finanziert wird. Die Ausgaben für die Kriegseinsätze am Hindukusch und im Irak stiegen damit auf insgesamt mehr als 1.000 Milliarden $ an. Inzwischen sind in der USA schätzungsweise 3,5 Millionen Kinder von Hunger bedroht und die Zahl der Amerikaner, die regelmässig zu wenig zu essen haben - wovon 2008 fast 50 Millionen Menschen  betroffen waren - hat deutlich zugenommen.