Darbellays Giftpfeile sind fehl am Platz - Von Eros N. Mellini

Der Präsident der CVP Schweiz, Christophe Darbellay, hat Ueli Maurer wegen des desolaten Zustandes der Armee angegriffen.

Er hätte (einmal mehr) besser geschwiegen. »Er macht unsere Armee kaputt und demoralisiert Truppe und Kader« erklärte er in einem Interview mit dem Blick. Klären wir vorerst eines: Ueli Maurer hat die heutigen Probleme der Armee nicht verursacht. Er fand sie bereits vor - und dies in weitaus grösserem Ausmass als vorerst angenommen - und ist dabei, sie zu lösen. Dies trotz der Schwierigkeiten, die man ihm bereitet, um den Unsinn zu belegen, den die leider überaus zahlreichen Darbellays verbreiten, welche die schweizerische Politik heimsuchen. In seiner Ansprache vor dem SVP-Zentralvorstand vom  27. August in Baar hat der SVP-Bundesrat ein wahrhaft katastrophales Bild von dem Zustand unserer Armee gezeichnet. Der Zustand ist schlecht wegen der Finanzknappheit, aber vor allem wegen der Geldverschwendung der letzten 10 bis 15 Jahre und der Begierde, unsere Armee internationalen Standards anzupassen, von denen aber offenbar niemand weder die Funktionsweise noch, möchte ich beifügen, den effektiven Nutzen für eine territoriale Verteidigungsarmee wie der unsrigen begriffen hat.
 
Drunter und Drüber bei der Logistik - Wiederholungskurse in Frage gestellt
Die Ausrüstung unserer Truppen reicht nicht aus, um die normalen Aufgebote für die Wiederholungskurse unserer Soldaten zu garantieren. Warum? Weil man das Geld für den Kauf von oft nicht miteinander kompatiblen Informatiksystemen (man spricht von tausenden) verschwendet hat und deshalb nicht mehr genügend Geld für den regelmässigen Ersatz von Ausrüstung und Fahrzeugen hatte. Letztere werden beispielsweise nicht mehr so wie früher alle repariert und unmittelbar nach jedem Wiederholungskurs wieder eingesetzt. Nein, man repariert lediglich die für den nächsten WK unbedingt nötigen Fahrzeuge. Resultat: Es befinden sich riesige Mengen an nicht funktionstüchtigen Fahrzeugen in unseren Armeemotorfahrzeugpärken (AMP), mit Schäden, die von einer durchgebrannten Lampe bis zu einem komplett kaputten Motor reichen. Aber niemand denkt überhaupt daran, die Schwere der Schäden festzustellen, um mindestens die Fahrzeuge mit kleineren Schäden wieder funktionstüchtig zu machen. Und wie steht es mit der Überwachung von all dem mittels der Informatik? Man arbeitet daran (seit Ueli Maurer Chef des VBS ist), aber auch hier braucht es Zeit und Geld; mindestens drei oder vier Jahre, hat der VBS-Chef gesagt. Im Prinzip wird das Material, das am Ende eines Wiederholungskurses am Freitag ins Zeughaus zurückgeht, am Montag des nächsten Kurses wieder herausgegeben.
 
Schädliche Ausrichtung auf die internationalen Militärorganisationen
Die Begierde, NATO-kompatibel zu sein, hat dazu geführt, die Armee immer mehr darauf auszurichten, für unsere Milizarmee unangebrachte und zudem sogar ständig unsere Neutralität gefährdende Standards zu erreichen. So hat man beispielsweise für Millionen von Franken Informatikprogramme eingekauft, die für die Führung eines typischen Angriffs- und Besetzungsheeres konzipiert sind und von denen wir nicht einmal wissen, wie man sie einsetzt, da dies nicht die voraussichtlichen Szenarien für unsere Truppen sind.
 
Und die Flugzeuge?
Gemäss Maurer wären sie überaus nützlich und er würde sie gerne beschaffen. Aber angesichts der knappen Finanzmittel kann man nicht alles gleichzeitig tun. Dass man die Prioritäten zugunsten eines effizienten Heeres für die Wahrnehmung von dessen verfassungsmässigen Aufgaben setzt, ist sicher der richtige Weg. Dies im Wissen, dass die gegenwärtige Ausstattung mit Flugzeugen, die teilweise technisch überholt sind, unsere Luftverteidigung zwar nicht verunmöglicht, aber spürbar einschränkt. Es steht zu hoffen, aber dieses Szenario ist realistischerweise nicht naheliegend, dass wir mindestens in den nächsten vier bis fünf Jahren nicht in einen Konflikt im eigenen Land involviert werden, besser noch: gar nicht. Wenn man unseren Bundesrat in Ruhe seine Arbeit tun lässt und seinem Departement mindestens die unmittelbar benötigten Finanzmittel zuspricht, kann man an eine globale Sanierung der Gesamtsituation innert vernünftiger Frist denken.
 
Es braucht in jedem Fall mehr Geld
Es ist eine Tatsache: Wer seit Jahren die Finanzmittel für das VBS kürzt, darf sich nicht über das Hinausschieben der Flugzeugbeschaffung beklagen. Man darf durchaus fordern, dass das Geld besser zu investieren sei als es die Vorgänger von Maurer getan haben, Samuel Schmid an der Spitze (offenbar braucht es dazu nicht viel). Und hier möchte ich den «Caudillo» der CVP, Darbellay, daran erinnern - wenn er sagt, dass das VBS während 15 Jahren unter der Leitung der SVP stand, die nichts Vernünftiges hervorgebracht habe - dass Samuel Schmid, dessen weitaus grössere als vorerst angenommene Unfähigkeit just in jenem Moment bekannt wurde, als er zurücktrat, im Jahre 2000 gegen den Willen der SVP gewählt wurde, die effektiv zwei andere Kandidaten vorgeschlagen hatte. Und die BDP, von welcher der gute «Sämu» Gründungsmitglied ist, trägt zusammen mit der Fairplay-Meisterin Eveline Widmer-Schlumpf, welcher just die Machenschaften von Darbellay den Sitz in der Regierung brachten, eine weitaus grössere Verantwortung für die im VBS begangenen Fehler als die SVP, die jetzt dort mit Ueli Maurer recht erfolgreich versucht, die Fehler zu beheben. Also sollte man ihm etwas mehr Geld geben, um ihm die Arbeit zu erleichtern und die Dinge voranzubringen, statt ihn aus rein parteipolitischen Gründen zu kritisieren.
 
Eine Armee auch für den nationalen Zusammenhalt
Persönlich bin ich gegen die von mehreren Seiten, so auch vom CVP-«Caudillo» gewünschten Bestandesreduzierungen. Ich bin auch gegen die in den letzten Jahren zunehmend feststellbare Tendenz, all jene Leute nicht einzuziehen, die keine Lust haben oder sich nicht fähig fühlen, Militärdienst zu leisten, um dann bitterlich darüber zu klagen, dass dann die Kader für die Ausbildung fehlen. Ich stelle folgendes fest: Sobald drei Schweizer sich treffen: ein Deutschschweizer, ein Romand und ein Tessiner, vergeht keine Viertelstunde, bis sie auf den Militärdienst zu sprechen kommen und einander über Erfahrungen erzählen, an die sie sich trotz den erlebten Schindereien und Ärgernissen insgesamt mit Freude erinnern. Dies kann meines Erachtens nur eines bedeuten: Der Militärdienst ist eine allen Schweizern gemeine Erfahrung - bzw. war es das bis vor einiger Zeit - die, gerade wegen der gemeinsamen Dienstpflicht, ein Gemeinschaftsgefühl schafft, das Leute verbindet, die ethnisch nicht unterschiedlicher sein könnten. Das ist ein Zusammenhalt, der uns über jegliche charakterlichen Unterschiede hinaus im Hinblick auf die Abwehr von Gefahren von aussen einigen muss. Ein Zusammenhalt, der uns somit hoffentlich dazu führt, etwas von jenem Nationalstolz wieder zu erlangen, der aus der Schweiz den von allen anderen beneidete «Sonderfall» gemacht hat. Dies ist eine etwas andere, aber nicht minder wichtige Funktion unserer Armee als jene der Landesverteidigung.
 
Quelle: Il Paese, Ausgabe Nr. 17 vom 10. September 2010