Ultimative Waffe für demokratische Verlierer: Das Völkerrecht - Von Barbara Steinemann

Es gibt in einer Demokratie keine andere Institution mit höherer Legitimation als das Volk selber

und somit dessen Entscheide. Soweit staatliche Vertreter Tätigkeiten in Abweichung des Volkswillens entwickeln und Ausreden erfinden, um unsere direkte Demokratie einzuschränken, tun sie dies aus Eigeninteresse, Lobbyismus oder ideologischen Gründen. Und genau das ist in letzter Zeit des öfteren der Fall - zum Schaden von uns allen. Am Modell der Schweizer Demokratie wird seit geraumer Zeit erheblich Kritik geübt, die sich letzte Woche in einem neuen Anlauf bemerkbar machte. Ohnehin erklären uns seit geraumer Zeit linke Gruppierungen, von gleichgesinnten, hochdekorierten Juristen mit elitärem Auftreten flankiert, dass sie zur Gruppe der wenigen gehörten, die die Zeichen der Zeit erkannt hätten und deshalb der tumben Masse der grauen Durchschnittsbürger geistig weit überlegen seien, so dass die direkte Demokratie in ihrem Sinne einzuschränken sei. Und offenbar gibt es Politiker, die den eingebildeten Besserwissern auch noch tatkräftig unter die Arme greifen, allerdings ist man sich in diesen abgehobenen Kreisen über die Form der Demokratie-Beschränkung noch etwas uneinig: Der Ständerat will einen Rat der Weisen aus einer kleinen Gruppe von selbsternannten Experten über die Zulassung von Volksinitiativen bestimmen lassen, andere möchten ein Verfassungsgericht installieren, wo dann ein Richtergremium die populistischen Volksinitiativen der SVP mit pauschalem Verweis auf ihre angebliche Völkerrechtswidrigkeit - und vor allem nicht mehr anfechtbar - für ungültig erklären kann. Professoren und ihre Entourage stellen Forderungen, wonach Volksabstimmungen über Menschenrechte verhindert werden sollen, weil die richtige Balance zwischen rechtlicher Expertise und politischer Verantwortung› gefunden werden müsse.
 
Eine solch offene Formulierung führt in die Irre, tatsächlich geht es um das Durchsetzen anderer politischer Bewertungen. So wird ein an sich edler Begriff, derjenige des Völkerrechts, als Freipass zu einer neuen Bevormundung im Sinne abstrakter und linker Ideologien missbraucht. So verkündete auch Islamverbands-Präsident Farhad Afshar: »Das Argument, das Volk dürfe alles, ist vollkommen falsch! Das Volk steht nicht über den Grundwerten.«  Und Staatsrechtsprofessor Walter Kälin meint: » Insgesamt läuft die Entwicklung des modernen Völkerrechts heute in Richtung vermehrter Zwangsdurchsetzung von oben.« Und wer bestimmt dann, was ein Grundwert ist und »von oben« kommen muss? Natürlich die Moslems und die Staatsrechtler ……
 
Politjustitieller Faktor, um sozialistisches Gedankengut durchzudrücken
Aber ist die eingebildete Weltkenntnis und Qualifikation der Rechtsgelehrten und anderer sich derartig anmassend Einmischenden dem Urteilsvermögen der Bevölkerung überlegen? Das Völkerrecht wurde nicht von einer unantastbaren Instanz mit unbezweifelbaren Motiven geschaffen, wie uns die Gilde der Rechtsprofessoren und Verwaltungsjuristen, die von dessen Interpretation lebt, glaubhaft machen will. Dahinter stehen handfeste Interessen: Grundrechte, die in der Französischen Revolution und nach den beiden Weltkriegen als Utopie der Menschheit wahrgeworden waren, sind in den letzten 65 Jahren friedlichen Zusammenlebens nicht mehr auf ihre ursprüngliche Aufgabe als Abwehrinstrumente gegen die willkürliche Staatsmacht beschränkt, sondern zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung uminterpretiert worden. Jeder, der sich vom Leben ungerecht behandelt fühlt, besinnt sich auf seine Grundrechte und hält sie dem Staat als Forderung entgegen: In einem Urteil von 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, die obligatorische Krankenkasse müsse eine Geschlechtsumwandlung bezahlen. Auch deutlichen Volksentscheiden wird kein Respekt gezollt: Die vom Volk 2006 beschlossene Asylgesetzrevision, wonach renitente Antragssteller bis zu 24 Monaten in Ausschaffungshaft verbringen müssen, wurde auf Druck von aussen auf 18 Monate nach unten korrigiert. Linke und ihnen wohlgesinnte Juristen denken auch schon laut über ein nächstes Kampffeld nach, wonach uns eine europäische Sozialcharta, die mit einheitlichen Sozialleistungen die ganze Bevölkerung des Kontinents über einen Kamm scheren will, beglücken sollte. Die Hüter des Völkerrechts, vom Rechtsprofessor über den Europarat bis hin zur UNO, sind immer weniger bereit, den wirklichen Menschrechtsverletzungen ins Auge zu schauen und nehmen stattdessen mustergültige Rechtsstaaten wie die Schweiz ins Visier, um sie zu ausländerfeindlichen Sozialparadiesen umzuformen.
 
Ein Argument macht Karriere
Erstmals tauchte das Argument der angeblichen Völkerrechtswidrigkeit bei der ersten Asylinitiative der SVP 1996 auf, sodann bei der zweiten, später nach Annahme der Verwahrungsinitiative, 2006 bei der Abstimmung zum neuen Asyl- und Ausländergesetz, 2009 bei der Unverjährbarkeit von Kindsmissbrauch, im Rahmen der Minarettverbots-Initiative und schliesslich momentan bei der Ausschaffungsinitiative. Jedes Mal blieb der Eindruck schlechter Verlierer, die sich mit der Selbsteinbildung trösteten, dass vor allem die Dummen ein Ja auf den Stimmzettel geschrieben hätten. Das ist nichts anderes als die eigene Rechtsauffassung verabsolutiert. Passt den Besserwissern das geltende Recht nicht, sollen sie sich zur Durchsetzung ihrer eigenen Vorstellungen Mehrheiten an der Urne suchen. Unschwer zu erkennen ist, dass die schärfsten Angriffe aus der sozialistischen Ecke kommen, während die politische Mitte die Niederlagen stets in völliger Selbstverständlichkeit akzeptiert hat und zum Alltagsgeschäft überging.
 
Kein Machttransfer an eine übergeordnete Instanz
Direkte Demokratie ist eine äusserst wertvolle Errungenschaft; sie garantiert, dass sich die gewählten Politiker gezwungen sehen, ihre Entscheide und ihre sachpolitischen Ansichten zu rechtfertigen und in Abstimmungskampagnen zu erklären, anstatt irgendein übergeordnetes Recht herbeizusehnen, das angeblich die innerstaatliche Lösung überragen soll. Gewinner in der Demokratie schweizerischer Prägung ist, wer über die plausibelsten Argumente verfügt. Diese herausfordernde Art des Politisierens wirkt Staatsverdrossenheit entgegen und stellt hohe Ansprüche an ihre Bürger, die im Gegenzug mehr Stabilität, bessere Kostenkontrolle und ein System mit grösserer Glaubwürdigkeit erhalten. Völkerrecht entzieht sich dieser Legitimation. Kein anderes Land auf diesem Planeten knausert so mit der Übertragung von Befugnissen an eine internationale, anonyme Instanz. Das hat die Schweiz und ihre Bürger stark gemacht. Die Abgesänge auf angebliche Widersprüchlichkeit mit internationalen Regeln sind ohnehin schon inflationär gebraucht und werden sich irgendwann noch vollständig abnutzen. Reife Demokratien steigen in Diskussionen ein, unreife verhängen Verbote und Beschränkungen.
 
Jede Volksabstimmung ist ein Gewinn
und stärkt die nationale Souveränität gegenüber schleichenden Abhängigkeiten und Einflussnahmen von aussen. Einschränkungen der direkten Demokratie nützen daher Politikern, dem Staat selber, den Lobbyisten, und diese tummeln sich auf internationalem Parkett zuhauf. Eines Tages landen dann deren Interessen, in Richtlinien und Staatsverträgen verpackt, auf den Schweizer Beamtenpulten, die auf die Umsetzungspflicht verweisen. Auf diese Weise stehlen sich Tausende von Politikern in Europa und in aller Welt aus ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Bürgern: Mitgliedstaaten werden einfach zu Vollstreckern degradiert. Das soll der Schweiz nicht noch in verstärktem Masse passieren. Solche Gebaren sind als das zu demaskieren, was sie sind, nämlich sozialistisches Wunschdenken einer politischen Expertokratie, allesamt natürlich aus der gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten, geschützten Werkstätten stammend. [1]
 
Zum gleichen Thema führt Ulrich Schlüer in seinem Artikel Direkte Demokratie im Visier -
Die neue Breschnew-Doktrin [2] folgendes aus:
 
Im Landhaus zu Solothurn fand kürzlich eine Konferenz statt. Wortführer waren Giusep Nay, Georg Kreis, Andi Gross. Eine Volksinitiative zur Entmachtung des Volkes, zur Knebelung der direkten Demokratie sollte aus der Taufe gehoben werden. Auf dass Minarettverbot, lebenslange Verwahrung brutaler Sexualstraftäter resp. die Ausschaffung krimineller Ausländer nie mehr per Volksinitiative verlangt werden können. Ein kleines Häufchen lauschte eher lustlos der elitären Schmähung der direkten Demokratie als einer gemeinen, dem Volk gewährten Gunst; letzteres glaube heute, sich durch das Sammeln von 100'000 Unterschriften den Segnungen des Völkerrechts entziehen zu können.
 
Weil dieses schüttere Grüppchen zu vergleichbarer Sammelleistung gewiss nicht fähig ist, verbreitete sich Resignation. Doch Trost wusste Andi Gross, der seinerzeit als mediengehätschelter Armee-Abschaffer in die Politarena gehievt wurde und heute der skrupelloseste Spesenabzocker unter der Bundeskuppel ist. Ihm sei, verriet er, der Direktzugang zum federführenden Justiz-Departement zugesichert. Als Sprecher einer weitsichtigeren Welt, liege ihm die Verwaltung zu Füssen, sich lieber an Brüssel statt am Schweizervolk, am Völkerrecht der Funktionäre als am vom Volk gestalteten Schweizer Recht orientierend. Zumal die vom Funktionärs-Totalitarismus so faszinierte Solothurner Elite inzwischen auch die Schweizer Geschichte auf ihrer Seite zu glauben weiss. Der Tell, schwadronieren die Völkerrechtsexperten, sei, auf die heutige Welt übertragen, eigentlich bloss ein gewalttätiger Terrorist gewesen. So? Nur: Wenn Tell ein gewissenloser Rechtsbrecher gewesen sein soll, wer war denn zu seiner Zeit der Repräsentant des Rechts? Gessler? War die Grusspflicht für Gesslers Hut, die brutale Blendung des alten Melchthal, das Zutode-Reiten einer unschuldigen Frau mit hungernden Kindern damals gleichsam Völkerrecht?
 
Danke für diese Aufklärung! Sie lässt den Hass der Herren Gross, Kreis, Nay und Konsorten auf die Demokratie besser einordnen: Eine neue Breschnew-Doktrin soll uns aufgeschwatzt werden. So, wie Kremlherr Breschnew in der kommunistischen Diktatur den gewaltsam unterdrückten sozialistischen Bruderstaaten nur beschränkte Souveränität zugestand, weil alle verbindlichen Regeln von Moskau ausgingen, will die demokratie-ferne Landhaus-Elite Brüssel das alleinige Vorrecht zur Rechtssetzung zuschanzen: Funktionärs-Recht statt vom Schweizervolk per Mehrheitsentscheid in demokratischer Ausmachung geschaffenes eigenständiges Recht. Die elitäre Aufklärung ist wertvoll. Sie erinnert daran, dass sozusagen jede Diktatur, jede Unterdrückung aus derart selbstgefälligem, selbstherrlichem elitärem Dünkel entstanden ist.
 
 
1 Quelle: Zürcher Bote, Ausgabe Nr. 41 vom 15. Oktober 2010 
Barbara Steinemann ist Kantonsrätin der SVP in Watt-Regensdorf
2 Der aktuelle Frontseitenkommentar von Ulrich Schlüer, Chefredaktor der Schweizerzeit Nr. 21 vom 22. Oktober 2010