Zwangswährung Euro: Keine Rettung, sondern ein Schrecken ohne Ende - Von Dr. Bruno Bandulet

Als die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im vergangenen Mai dem sogenannten Euro-Rettungsschirm zustimmten, ohne die Details

und ohne die endgültigen Kosten zu kennen, gaben sie sich noch der Illusion hin, mit dem blossen Vorzeigen der Instrumente erübrige sich deren Einsatz. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Krise der Einheitswährung damals mitnichten beigelegt wurde. Sie hatte gerade erst begonnen.
 
Bevor wir uns der Frage zuwenden, ob und wie der Euro die nächsten Jahre überleben wird, muss festgestellt werden, dass wir es seit dem Frühjahr 2010 mit einem anderen Euro zu tun haben, nicht mehr mit einem Ersatz für die frühere europäische Leitwährung D-Mark, sondern mit einem europäischen Notgeld, bestenfalls mit einem Wiedergänger des französischen Franc. In einem von den massgebenden Regierungen, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank inszenierten Putsch wurden die drei Pfeiler, auf denen ein stabiler Euro ruhen sollte, demoliert. Damit ist die im Vertrag von Maastricht vereinbarte Geschäftsgrundlage hinfällig. Europäisches Recht wurde skrupellos gebrochen.
 
Drei Prinzipien, auf denen der Euro beruhte
Die Idee eines starken Euro beruhte bekanntlich auf drei Prinzipien. Erstens darauf, dass klare Obergrenzen für die Staatsverschuldung eingehalten wurden, nämlich 3 % des Bruttoinlandsproduktes bezüglich der jährlichen Neuverschuldung und 60 % bezüglich der insgesamt aufgelaufenen Staatsschulden. (Unter Beachtung dieser Schuldenkriterien hätte der Euro funktionieren können, aber sie wurden schon 1999 bei seiner Einführung als Buchgeld nicht ernst genommen.) Zweitens enthielt und enthält der Vertrag die sogenannte No-bailout-Klausel, wonach kein Euro-Land für die Schulden eines anderen haftet. Und drittens sollte die Europäische Zentralbank völlig unabhängig von politischem Einfluss sein. Es war und ist ihr untersagt, Staatsanleihen aufzukaufen und damit frisches Geld in Umlauf zu bringen, d.h. zu drucken. Alle drei Prinzipien wurden der politischen Opportunität geopfert. Wären die Regierungen vertragstreu geblieben, dann wäre die Euro-Zone vermutlich schon im vergangenen Frühjahr auseinandergebrochen.
 
Die Legende vom 750-Milliarden-Rettungsschirm
Seitdem wird versucht, die Zwangswährung mit Hilfe eines grossen Bluffs über Wasser zu halten und Zeit zu gewinnen. Der Bluff ist leicht durchschaubar, wenn wir uns die Ausgestaltung des im Mai beschlossenen Rettungspaketes näher anschauen:
- Bis zu 60 Milliarden € kann die EU selbst beisteuern. Die Summe ist Teil des EU-Haushaltes und wird damit von allen 27 EU-Staaten getragen - nicht nur von den Regierungen der Euro-Zone. Bezeichnung: European Financial Stabilization Mechanism (EFSM).
- Zusätzlich wurde im Luxemburger Bankenviertel die European Financial Stability Facility (EFSF) unter Leitung des Deutschen Klaus Regling gegründet. Die EFSF ist eine Aktiengesellschaft mit den 16 Euro-Staaten als Aktionären. Sie ist befugt, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen und die Mittel anschliessend (gegen Verzinsung) etwaigen Pleitekandidaten weiterzureichen. Das hat sie bisher nicht getan, Irland ist der erste Fall. Anders als das Publikum glaubt, ist der Vertrag über die EFSF unbefristet. Die Laufzeit endet keineswegs 2013.
- Bewilligt wurden der EFSF zunächst 440 Milliarden €. Da die Zweckgesellschaft des Herrn Regling jedoch darauf achten muss, von den Rating-Agenturen die Bestnote AAA zu bekommen, und da sich unter den Garantiegebern auch die Schwachwährungsländer befinden (eigentlich ein Witz), müssen die auszugebenden Anleihen zu 120 % garantiert werden und ausserdem muss eine Barreserve vorgehalten werden. Somit stehen erheblich weniger als die 440 Milliarden zur Verfügung. Nach aktuellem Stand nur 255 Milliarden! Und wenn z.B. Irland oder Portugal oder Spanien als Garanten ausfallen, dann erhöht sich der auf die (noch) stabilen Länder entfallende Anteil. Weil das so ist, konnte der Bundestag im Mai gar nicht wissen, wie hoch er letzten Endes den Steuerzahler belastete. Falls auch Italien hinzukommt, muss Deutschland für etwa 226 Milliarden € bürgen - fast doppelt soviel, wie die Regierung die Bundestagsabgeordneten im Mai glauben machte.
- Mit von der Partie ist ausserdem der Internationale Währungsfonds. Er hatte bis zu 250 Milliarden € zugesagt. Da die USA im IWF eine Sperrminorität besitzen, haben sie damit erstmals ein Mitspracherecht in Angelegenheiten der Europäischen Währungsunion - ein peinlicher Befund, wenn man bedenkt, dass die Europäer mit dem Euro dem Dollar und damit der amerikanischen Finanzhegemonie Paroli bieten wollten. Problem: Da der IWF versprochen hat, auf die EU-Kredite die Hälfte draufzulegen (daher die ursprüngliche Kalkulation 500 + 250 Milliarden), da von der EU jetzt aber nur 315 Milliarden kommen (60 + 255), schrumpft auch der IWF-Beitrag zur Euro-Stabilisierung. Nämlich auf 157,5 Milliarden. Damit stehen insgesamt nicht 750 Milliarden zur Verfügung, sondern nur noch 472,5 Milliarden. Dass sie möglicherweise nur für zwei oder drei Jahre reichen, kann sich jeder selbst ausrechnen. Portugal wäre noch zu verkraften, wahrscheinlich auch Spanien, Italien jedoch nicht mehr.
- Unabhängig von EFSF und EFSM wurden bereits kurz vorher der griechischen Regierung zwecks Abwendung der Insolvenz Kredite zugesagt, die inzwischen fliessen und zu ungefähr 5 % verzinst werden müssen. Weitere 9 Milliarden für Athen werden die Finanzminister der Euro-Zone in Kürze bewilligen. Überwiesen wird dann Anfang Januar. Dafür opfert Griechenland seine Souveränität und unterstellt sich einer EU-Wirtschaftsdiktatur - eine Parallele zur Weimarer Republik, in deren Reichsbank die Vertreter der Siegermächte sassen, um den Deutschen auf die Finger schauen zu können. Wie Griechenland die Kredite jemals zurückzahlen soll, hat uns noch niemand erklärt.
 
Die Staatsdefizite sind nur Teil des Problems
Angesichts der Schuldenberge, die vor 1999 und seitdem in der Euro-Zone aufgetürmt wurden, sind die 472,5 Milliarden im Notfall nur ein Tropfen auf den heissen Stein, Ende 2009 war Irland mit 104,6 Milliarden € verschuldet, Griechenland mit 273,4 Milliarden, Spanien mit 559,6 Milliarden, Portugal mit 125,9 Milliarden und Italien mit 1.760,7 Milliarden - Tendenz überall steigend. Daran ändern auch die Hilfszusagen nichts. Mit dem am 28. November 2010 beschlossenen Rettungspaket für Irland in Höhe von 85 Milliarden (irischer Eigenbeitrag von 17,5 Milliarden) wird sich die irische Staatsschuld schlagartig verdoppeln. Explosiv auch die Staatsverschuldung Spaniens: Die fällig werdenden Altschulden und die laufenden Defizite zusammengerechnet, ergibt sich für 2011 ein Finanzierungsbedarf von nicht ganz 200 Milliarden (etwa 18 % des BIP) und für 2012 von geschätzt etwas weniger als 150 Milliarden. Spanien benötigt 2011 erheblich mehr Geld als Griechenland, Irland und Portugal zusammengenommen! Mit jedem Notkredit steigt der Schuldenstand weiter, und seine Bedienung wird schwieriger, nicht leichter. So wird die Insolvenz um so teurer, je länger sie verschleppt wird. Und dabei beziehen sich die genannten Zahlen nur auf die Staatsschulden, nicht auf die Schulden des privaten Sektors, einschliesslich der Banken, die in Ländern wie Irland oder Spanien das grössere Problem darstellen. Die Staatsschulden sind eben nur ein Teil des düsteren Bildes. Die Euro-Zone steckt längst nicht nur in einer Staatsschuldenkrise, sondern auch in einer Privatschulden- und Bankenkrise und (im Fall Irlands und Spaniens) in einer Immobilienkrise, die diejenige der USA in ihrer Brisanz noch übertrifft. Und immer wird gelogen, getäuscht und schöngeredet. Schon der europäische Banken-Stresstest im Sommer war unseriös und unvollständig. Er sollte zur Beruhigung der Märkte dienen, was für kurze Zeit dann auch funktioniert hat. Selbst die maroden irischen Banken haben den Stresstest bestanden! Als in Irland eine Bad bank eingerichtet wurde, die National Assets Management Agency (Nama), die den irischen Banken faule Immobilienkredite abkaufte, behaupteten diese, sie hätten durchschnittlich 77 % der Projektsummen beliehen. Jetzt stellte sich heraus, dass es um die 100 % waren. Die Anleger wiederum waren misstrauischer als die Nama. Sie ziehen seit Monaten ihr Geld von den irischen Banken ab, und damit trieben sie die Krise auf die Spitze. Es drohte ein ganz altmodischer Run auf die Banken und damit der Zusammenbruch des Finanzsystems.
 
Der Schuldenabbau als Mission impossible
Was ist das für eine Währung, die ständig gerettet werden muss! Und wie? Im wesentlichen bleiben folgende Möglichkeiten: Bereits angelaufen sind rigorose Sparmassnahmen in Irland und den europäischen Südstaaten. Beabsichtigt ist nicht, den Schuldenstand zu reduzieren, sondern ihn langsamer wachsen zu lassen, als er ohne die Eingriffe in das Sozialsystem und ohne die Steuererhöhungen wachsen würde. Aber auch so ist der Effekt deflationär und depressiv. Immerhin ist folgende Überlegung richtig: Normalerweise müsste z.B. Griechenland um 30 % abwerten, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Da dies nach Abschaffung der Drachme nicht mehr möglich ist, müssten - um dieselbe Wirkung zu erzielen - Löhne und Preise um 30 % fallen. Nur entsteht so ein Teufelskreis: Die Sparmassnahmen lassen die Wirtschaft noch stärker schrumpfen, damit sinken die Steuereinnahmen, und das Staatsdefizit wächst anstatt abzunehmen. In Reaktion darauf müsste die Regierung noch mehr sparen, aber das kann sie nur bis zu einem gewissen Grad, bis soziale Unruhen ausbrechen und eine revolutionäre Situation entsteht. Unter diesen Umständen sei ein Abbau der Schulden eine Mission impossible, schrieb die Neue Zürcher Zeitung am 22. November. Dem ist nichts hinzuzufügen. Allenfalls die Beobachtung, dass an der europäischen Peripherie die antideutschen Ressentiments schon jetzt zunehmen. Die Deutschen werden als Zuchtmeister gesehen, der die Schuldenländer zu jahrelanger Depression und Verelendung verdammt. Das Fatale am Euro ist, dass er soziale Spannungen ausgelöst hat, die jetzt zu zwischenstaatlichen Konflikten auszuarten drohen. Die frühzeitige Warnung der Euro-Gegner, er werde die EU spalten anstatt sie zusammenzuschweissen, hat sich als richtig erwiesen.
 
Die Kosten einer Transferunion sind unkontrollierbar
Die zweite Lösung, die von der EU-Kommission in Brüssel favorisiert wird, besteht in einem forcierten Ausbau der Euro-Zone (oder auch der gesamten EU) zu einer Transferunion mit einem Finanzausgleich, der dem zwischen den deutschen Bundesländern ähnelt. Eine solche Nivellierung des europäischen Lebensstandards entspräche durchaus der Logik des Europäismus, der Logik der Zentralisierung und Gleichschaltung. Dann müssen die noch zahlungsfähigen Steuerzahler in der Kernzone eben bluten, damit die Peripherie den Euro behalten kann. Die Kosten könnten gigantisch sein. »Wenn es in der Schuldenkrise zu Transferleistungen kommen sollte«, schrieb Holger Steltzner am 30. Oktober 2010 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, »gibt es keine Grenze und keine Kontrolle mehr.« Nicht ganz sicher ist, ob das Bundesverfassungsgericht da mitspielen würde - und ebensowenig, wie weit die Regierung Merkel zu gehen wagt. Denn eine wirkliche Transferunion impliziert den Ruin der deutschen Staatsfinanzen und damit auch den der künftigen Renten. Irgendwann würde der deutsche Michel rebellieren. Und noch vor ihm die Steuerzahler in den Niederlanden, in Finnland, Österreich und Frankreich. Gerade Frankreich, der zweitgrösste Garant des Euro-Rettungsschirms, neigt normalerweise nicht dazu, die Rechnungen anderer zu begleichen. Fazit: Zwecks Insolvenzverschleppung und Realitätsverweigerung wird gegenwärtig eine Mischung aus Austeritätspolitik (in Irland und in Südeuropa) und aus schwer rückzahlbaren Krediten praktiziert.
 
Italien wäre der absolute Ernstfall
Die dritte Lösung besteht darin, dass einige Euro-Mitglieder freiwillig ausscheiden, mit ihrer neuen Währung abwerten und im Zuge einer Insolvenz ihre Schulden zusammenstreichen. Genau dies befürchten die Finanzmärkte, daher der Ausverkauf griechischer und irischer Staatsanleihen, womit spiegelbildlich die Zinsen in unbezahlbare Höhe steigen. Richtig ist jedenfalls, dass mit einem Ausscheiden der Pleitekandidaten der Euro erst einmal Luft bekäme. Was aber, wenn Belgien und Italien wackeln? Die Regierung Berlusconi ist praktisch nicht mehr handlungsfähig, die dringend notwendigen Strukturreformen wurden nicht angepackt, und die Staatsdefizite müssen zunehmend vom Ausland finanziert werden, weil das inländische Sparaufkommen nicht mehr ausreicht. In den 90er Jahren, bevor der Euro übernommen wurde, stand Italien schon einmal vor dem Staatsbankrott. Italien und sein Schuldenberg sind heute erst recht zu gross, um gerettet werden zu können. Bleibt nur zu hoffen, dass die Finanzmärkte möglichst lange wegschauen und die sich sukzessive verschlechternde Situation Italiens noch eine Zeitlang ignorieren.
 
Ein heimtückischer Prozess, schreibt die NZZ
Der eleganteste, wenn auch gegenwärtig unwahrscheinliche Ausweg, wäre ein Ausscheiden Deutschlands aus der Währungsunion. Dann würde die neue Deutsche Mark umgehend aufwerten, und der Rest der Zone bekäme genau das, was er braucht: eine Abwertung und die Wiederherstellung seiner Konkurrenzfähigkeit. Da aber Berlin prinzipiell ungern ohne Paris handelt, müsste Frankreich mitziehen. Das Ergebnis wäre die Aufspaltung der Euro-Zone in einen Hart- und einen Weichwährungsblock und damit in einen Nord- und einen Süd-Euro. Der deutsche Export würde vorübergehend leiden, die deutsche Binnenwirtschaft würde gestärkt, der hohe Aussenwert der neuen Währung würde eine Art von Sozialdividende abwerfen. Ein Spaziergang wäre das freilich nicht. Die Aufspaltung des Euro würde die Börsen und die globalen Devisenmärkte schwer erschüttern. Nachvollziehbar ist also, dass die Regierungen eine solche Option scheuen. Ausserdem stellt sich die Frage, ob Frankreich eher zum Nord- oder zum Süd-Euro passen würde. Ein Patentrezept gibt es nicht, nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Übeln. So oder so bleibt die Lage auf absehbare Zeit extrem gefährlich und unkalkulierbar. Ein deprimierendes Experiment, nannte Beat Gygi die Europäische Währungsunion in der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. November - und den Euro ein unerprobtes Konstrukt. Nicht einmal mit einer Art Fiskalunion liessen sich die Konstruktionsfehler der Währungsunion korrigieren. »Wahrscheinlich sollte man sich darauf besinnen, dass die Länder des vormaligen D-Mark-Blocks eher eine sinnvolle Euro-Zone bilden könnten«, schrieb Gygi. So aber stünden zumal die schwächeren Länder vor einem langen Leidensweg, »der viel Kraft kostet«. Fazit: »Das Heimtückische am ganzen Prozess ist, dass er schleichend vor sich geht und dass die Zentralisierung immer wieder Scheinerfolge bringt.«
 
Die Stunde der Wahrheit ist nur verschoben
»Wenn der Euro scheitert, dann scheitert ­Europa«, verkündete Angela Merkel. Das ist Unsinn, weil die EU nicht identisch mit Europa ist und weil sich die Euro-Zone nicht einmal mit der EU deckt. Gerade die solidesten EU-Staaten sind nicht dabei: die Tschechische Republik mit einem Schuldenstand von 35,4 % des BIP oder Dänemark mit 41,6 % oder Schweden mit 42,6 %, ganz zu schweigen von Norwegen und der Schweiz, die sich ausserhalb der Zone und der EU sehr wohl fühlen. Alle diese Währungen werden den Euro überleben und kommen damit, neben Gold, für deutsche Anleger in Betracht, die das Risiko ihrer Portfolios reduzieren möchten. Dass unsere Analyse keineswegs zu pessimistisch ist, lässt sich auch aus einem ganzseitigen Beitrag von Professor Otmar Issing herauslesen, der am 11. November in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Als langjähriger Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank und der EZB ist Issing unverdächtig, den Euro schlechtreden zu wollen. Er schrieb, dass ein Transferbedarf weder sozial noch ökonomisch zu rechtfertigen sei; dass sich gegen eine schleichende Ausdehnung der Transfers bald Widerstand »innerhalb und ausserhalb des Parlaments« bilden werde; dass wenig Hoffnung bestehe, »dass die Gemeinschaft wirklich aus der Krise gelernt hat«; dass die aktuellen Diskussionen um die Reform des Stabilitätspaktes »nichts Gutes verheissen« und dass der Ausbruch einer neuen Krise »in nicht allzu ferner Zukunft« programmiert sei. Der Aufsatz endet mit der Warnung: »Die Stunde der Wahrheit ist nur verschoben.«
 
Ein schwarzer Sonntag für Berlin
Als am Sonntag, 28. 11. 2010, die Finanzminister der EU und der IWF das 85-Milliarden-Paket für Irland vereinbarten, wurden gleich auch noch andere Massnahmen zur Rettung des Euro beschlossen. Die Finanzmärkte reagierten skeptisch, obwohl die EZB ihre Käufe von Euro-Staatsanleihen gerade wieder ausgeweitet hatte. Was am 28. November beschlossen wurde, läuft auf eine schwere Niederlage der Regierung Merkel hinaus.
 
- Noch am 23. November hatte Angela Merkel die Beteiligung privater Gläubiger an eventuellen Umschuldungen gefordert. Sie werde kein Schlaraffenland für Banken zulassen, in dem das Risiko zu 100 % beim Steuerzahler bleibe. Fünf Tage später wurde in Brüssel beschlossen, dass die Gläubiger erst von 2013 an beteiligt werden können und dann auch nur im Extremfall, wenn ein Staat tatsächlich insolvent ist - nicht jedoch im Fall von Liquiditätsschwierigkeiten. De facto behält sich die EU vor, den Insolvenzfall nach eigenem Gutdünken zu definieren, also möglichst gar nicht. Keine Rede mehr davon, dass die Banken schon ab 2011 ins Risiko gehen müssen.
- Begraben wurde auch die Hoffnung deutscher Steuerzahler, dass es bei dem im Mai etablierten Rettungsschirm in Höhe von theoretisch 750 Milliarden bleibt. Er sollte angeblich im Juni 2013 auslaufen. Jetzt soll ein Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) genannter dauerhafter Krisenmechanismus eingeführt werden. Die Euro-Krisenbewältigung wird zum Dauerzustand, Berlin als Hauptfinanzier verliert die Kontrolle über den Prozess. Übrigens: In aller Hast beschlossen die Euro-Finanzminister am 28. November auch noch, die Laufzeit der Kredite an Athen (insgesamt 110 Milliarden €) von drei auf siebeneinhalb Jahre zu verlängern. Aus Angst, dass sie platzt, wird die Euro-Schuldenblase immer mehr aufgeblasen.
 
Worauf die Anleger achten sollten
Wir müssen uns das Euro-Drama als eine an- und abschwellende, jahrelange Krise vorstellen, bei der kein Ende in Sicht ist, die aber auch unvermittelt in einen Kollaps der Währung, des Finanzsystems und der Bondmärkte umschlagen kann. Im einzelnen:
 
- Irland wurde gezwungen, Finanzhilfe zu beantragen, obwohl die Regierung liquide war und somit kein akuter Finanzierungsbedarf bestand. Zweck der Übung war es, ein Übergreifen der Vertrauenskrise auf Portugal und Spanien zu verhindern. Das wird höchstwahrscheinlich nicht gelingen.
- Als nächstes Land dürfte Portugal in die Schusslinie geraten, mit der Gefahr, dass auch Spanien wackelt. Die Regierung in Lissabon ist nur noch bis Jahresende finanziert, danach muss sie zurück an den Kapitalmarkt. Portugiesische und spanische Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten (etwa über 2 Jahre) sollten gemieden werden. Folgende Länder geniessen immer noch einen AAA-Status mit stabilem Ausblick: Deutschland, Frankreich, Österreich, Finnland, die Niederlande und Luxemburg. Die Besitzer griechischer Regierungsanleihen müssen sich auf ein Moratorium und eine Umschuldung einstellen, bei der sie einen Teil des Kapitals verlieren werden, vielleicht zwischen 30 und 50 %.
- Zumindest an der Währungsfront wird 2011 sehr volatil verlaufen. Die Erholung des Euros im September und Oktober hat sich als trügerisch herausgestellt. Jetzt steht er wieder unter Druck. Die Akteure werden erst einmal den Ausgang der Neuwahlen in Irland Anfang des neuen Jahres abwarten. Dennoch bietet der US-Dollar keine überzeugende Alternative zur Einheitswährung. Er ist allenfalls das kleinere Übel. Gegenwärtig ist die Geldpolitik der Federal Reserve Bank expansiver als die der EZB. Wenn es nicht so wäre, wäre der Euro noch schwächer. Viel hängt davon ab, ob die zweite Runde der Geldmengenausweitung (quantitative easing) im kommenden Jahr beendet oder verlängert wird. Letzteres ist zu erwarten, falls die US-Konjunktur nicht anspringt. So oder so wird 2011 die Geldpolitik der US-Notenbank, d.h. das Ausmass des Gelddruckens, nicht nur für den Dollarkurs, sondern auch für den Goldpreis eine wichtige Rolle spielen.
- Zu Recht leiden europäische Bankaktien unter der Euro-Krise. Auch zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise ist das Bankensystem nicht saniert. Bankaktien bleiben eine riskante Anlage, solange unklar ist, wann und in welchem Umfang die Institute von Umschuldungen in der Euro-Zone betroffen sein werden. Die Geldbranche birgt somit ein Risiko auch für die stabileren europäischen Aktienmärkte. Dass die deutsche Börse relativ gut läuft, ist auch der unterdurchschnittlichen Gewichtung des Finanzsektors zu verdanken. Ungemütlich ist übrigens auch die Situation der Schweizer Nationalbank. Sie sitzt auf hohen Euro-Positionen. Falls der Euro zusammenbricht, drohen empfindliche Verluste, und die SNB kann nur darauf hoffen, diese dank steigender Goldpreise und einer entsprechenden Höherbewertung ihrer Goldreserven ausgleichen zu können. Über einen ähnlichen Risikoausgleich verfügen auch diejenigen Anleger im Euro-Raum, die sich einen grösseren Goldschatz zugelegt haben.
 
 
 http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2010/nr4950-vom-23122010/zwangswaehrung-euro-keine-rettung-sondern-ein-schrecken-ohne-ende/  Zeit-Fragen Nr.49/50 vom 23. 12. 2010
Quelle: G&M. Gold & Money Intelligence, Nr. 358, Dezember 2010 / Januar 2011