Libyen: Cheerleader »humanitärer Interventionen«

d.a. Den nachfolgenden, die Lage in Libyen betreffenden Ausführungen seien die Worte der deutschen Bundeskanzlerin Merkel vorangestellt,

die einmal mehr aufzeigen, dass sie von der Forderung nach schärferen Sanktionen unausgesetzt »beseelt« sein muss, denn diese ertönen - wenn immer sich eine Gelegenheit dafür auftut - vor allem gegen den Iran. Merkel wies darauf hin, dass nicht zuletzt auf deutsche Initiative hin schärfere Sanktionen gegen das Regime von Machthaber Gaddafi greifen sollen. Wie muss man beschaffen sein, um angesichts der grauenhaften Folgen der im Irak und in Afghanistan angerichteten Infernos immer  noch nicht zu begreifen, dass jeder weitere Krieg einen unermesslichen Blutzoll fordert und die Verschuldung der sogenannten Internationalen Gemeinschaft gnadenlos vorantreibt. Was die Resolution beinhaltet, ist bereits im Gange: ein Angriff des Westens auf arabischem Boden mit allen möglichen Endfolgen, wie sie derzeit in Irak zu besichtigen sind. 
 
Cheerleader »humanitärer Interventionen« - Von Michael Wiesberg
Die Rollen sind einmal mehr klar verteilt: Hier der »verrückte« »skrupellose« Wüsten-Despot Gaddafi und sein raffgieriger Clan, und dort die hehren Rebellen, die den »Menschen in Libyen« nichts anderes als Freiheit und Demokratie bringen wollen. Hier das Dunkel, dort das Licht.
 
Diese manichäische Klippschulen-Hermeneutik verkünden westliche Politiker und Medien mit Blick auf die Vorgänge in Libyen rund um die Uhr. Manches indes spricht dafür, daß es sich hier um eine Art Recycling der Kosovo-Kriegspropaganda handeln könnte, wo das »sogenannte Abendland« nach den Worten des damaligen Außenministers Joschka Fischer für die »Menschenrechte eines muslimischen Volkes« (komfortabel in Flugzeugen) gekämpft haben soll bzw. ein »neues Auschwitz« zu verhindern suchte (Die Zeit, 16/1999). Es fehlt eigentlich nur noch, daß aus Gaddafi »Hitlers Wiedergänger« wird. Mit dieser wohlfeilen Wendung stempelte einst Hans-Magnus Enzensberger Saddam Hussein zum »Jabba the Hutt« es Mittleren Ostens.
 
Kreuzzüge im Namen der »Humanität«
Ganz vorne dabei im Chor derer, die eine westliche Intervention in Libyen fordern -schließlich könnte Gaddafi wie weiland Saddam ja Giftgas einsetzen - steht mit Daniel Cohn-Bendit eine Figur, von der nicht bekannt ist, daß sie irgendeine militärische US-NATO-Intervention der letzten Jahrzehnte nicht befürwortet hätte. Cohn-Bendit muß seinen Kopf schließlich nicht hinhalten, wenn es darum geht, die Kreuzzüge in Namen der »Humanität« vor Ort durchzufechten. Politiker wie er geben lieber die »passiven cheerleader von US-NATO-Kriegen«, wie es der streitbare theoretische Physiker Jean Bricmont pointiert ausgedrückt hat. Cohn-Bendit hat jetzt für seine Forderungen einen einflußreichen Befürworter gefunden, nämlich Frankreichs Staatspräsidenten Sarkozy, der in Libyen gezielte Bombardements (für die Menschlichkeit?) durchführen lassen möchte. Noch findet er mit dieser Forderung keine Mehrheit. Was nicht ist, kann indes noch werden, denn aus Sicht des Westens ist das Verschwinden Gaddafis mittlerweile eine Kardinalfrage; es kann nach all den humanitären Erregungs-Tsunamis der letzten Wochen keine Kooperation mit ihm mehr geben. Das nämlich ist, um ein Bonmot des oben bereits angesprochenen Jean Bricmont aufzunehmen, die Konsequenz eines »humanitären Imperialismus«, der ausschließlich mit moraltriefender Betroffenheit operiert und dies auch noch für Politik hält.
 
Folgen westlicher Interventionen
Diese Positionierung, vor allem von Politikern des linksliberalen bis linken Spektrums lautstark vertreten, konterkariert politische Lösungen, weil sie eben nur mehr eine Option zuläßt - alles andere wird als »Appeasement-Politik« denunziert -  nämlich die der »humanitären Intervention«. Die Beispiele Afghanistan, Irak und letztlich auch der Kosovo, wo zwielichtige Figuren wie der einstige UÇK-Führer Hasim Thaci, jetzt kosovarischer Premierminister, mit westlicher Hilfe nach oben gespült wurden, zeigen aber, welch  fragwürdige Folgen eine derartige Politik haben kann. Dessen ungeachtet stehen im Westen wieder alle Zeichen auf Intervention. Und man täusche sich nicht: Auch die Amerikaner, die sich in dieser Frage bisher sehr bedeckt gehalten haben, werden wieder mitmischen, wenn auch - folgt man z. B. den Berichten von Robert Fisk, rühriger Korrespondent der britischen Zeitung The Independent im Mittleren Osten - in einer eher indirekten Rolle. Laut seinen Recherchen sollen die Amerikaner Saudi-Arabien, das im übrigen mindestens so »despotisch« regiert wird wie Libyen, gebeten (besser wohl: aufgefordert) haben, die Aufständischen mit Waffen zu versorgen.
 
Erkenntnisse russischer Aufklärung
Interessant ist auch, was der von Moskau aus operierende internationale Nachrichtensender Russia Today (RT) letzte Woche berichtete: Er behauptete nämlich, mit Hinweis auf Erkenntnisse der russischen Militäraufklärung, daß die immer wieder verurteilten Luftschläge gegen die libysche Zivilbevölkerung in der behaupteten Form gar nicht stattgefunden hätten.
In Rußland seien die Vorgänge in Libyen mit Hilfe moderner Aufklärungsmittel, wozu auch die Satellitenbeobachtung gehört, von Anfang an verfolgt worden. Nun mag man dies als russische Propaganda gegen den Westen abtun; möglicherweise aber hat dieser Bericht doch auch einen wahren Kern, und wir befinden uns mit Blick auf Libyen einmal mehr in einer »Schlacht der Lügen«.
 
Der GAU für den Westen
Die Interventionspropaganda gegen Libyen verfolgt ein ganz konkretes Ziel, nämlich den GAU aus der Sicht des Westens mit allen Mitteln zu verhindern. Der worst case träte ein, wenn Gaddafi - dessen »unverzüglichen Rücktritt« die EU am vergangenen Freitag forderte -an der Macht bliebe: Was passiert dann mit den Erdölressourcen des Landes? Anfang März hatte Gaddafi in einer Rede bereits durchblicken lassen, daß er chinesische und indische Ölfirmen ermutigen werde, die Geschäfte der westlichen Ölfirmen zu übernehmen. Es steht kaum zu erwarten, daß der Westen, allen voran die USA, dabei zusehen werden, wie Gaddafi den libyschen Erdölkuchen an die neuen Emporkömmlinge aus Indien und China verteilt.
 
Quelle: Kommentar in der Zeitung JUNGE FREIHEIT vom 14. 3. 11
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