Seit wann erlaubt die UNO-Charta den Amerikanern, ihren Staatsbankrott mit noch mehr Krieg zu lösen? Von Prof. Michel Chossudovsky

Die USA und die Nato unterstützen einen bewaffneten Aufstand im Osten Libyens und rechtfertigen dies als »humanitäre Intervention«.

Dieser stellt keine gewaltfreie Protestbewegung wie in Ägypten oder Tunesien dar. Die Bedingungen in Libyen sind grundsätzlich anders. Der bewaffnete Aufstand im Osten Libyens wird direkt von ausländischen Mächten unterstützt. Die Aufständischen in Bengasi hissten sofort die rot-schwarz-grüne Flagge mit dem Halbmond und dem Stern - die Flagge der Monarchie unter König Idris. Sie symbolisiert die Herrschaft der früheren Kolonialmächte [1]. Militärberater und Sondereinheiten der USA und der Nato befinden sich bereits vor Ort. Der Plan war, die Operation mit den Protestbewegungen in den benachbarten arabischen Staaten zusammenfallen zu lassen. Die Öffentlichkeit wurde glauben gemacht, die Proteste hätten spontan von Tunesien und Ägypten auf Libyen übergegriffen. Die Regierung Obama hilft in Abstimmung mit ihren Alliierten einem bewaffneten Aufstand, und zwar einem versuchten Staatsstreich: »Die Regierung Obama steht bereit, den Libyern Unterstützung jeglicher Art zu gewähren, um Muammar al Gaddafi zu vertreiben«, erklärte die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton am 27. Februar 2011. »Wir knüpfen gerade Kontakte zu vielen unterschiedlichen Libyern, die versuchen, sich im Osten zu organisieren, und wenn sich die Revolution nach Westen ausbreitet, auch dort. Ich denke, es ist noch viel zu früh, um zu sagen, was dabei herauskommt, aber wir werden bereit sein, jede Art von Unterstützung zu gewähren, die von der USA gewünscht wird.« In den östlichen Landesteilen, in denen die Rebellion Mitte des Vormonats begann, bemüht man sich um die Bildung einer provisorischen Regierung. Die USA, erklärte Clinton weiter, drohten dem Gaddafi-Regime mit weiteren Massnahmen, aber ohne zu sagen, worum es sich dabei handelt und wann sie angekündigt werden. Laut [dem früheren republikanischen Präsidentschaftskandidaten und Senator] John McCain sollte die USA »die provisorische Regierung anerkennen, die man bereits zu bilden versucht ….«. Ähnlich äusserte sich auch Senator Joseph Lieberman, der »handfeste Unterstützung, die Einrichtung einer Flugverbotszone, die Anerkennung der revolutionären Regierung, eine Bürgerregierung und deren Unterstützung durch humanitäre Massnahmen« forderte, und »ich würde sie auch mit Waffen versorgen« 2.
 
Die geplante Invasion
Die USA und die NATO erwägen derzeit eine militärische Intervention unter einem »humanitären Mandat«. »Die USA verlegen Marine- und Luftwaffeneinheiten in die Region«, um »das ganze Spektrum an Optionen einer Konfrontation mit Libyen vorzubereiten«; diese Ankündigung machte der Pentagon-Sprecher Oberst Dave Lapan am 1. März. Dann sagte er: »Präsident Obama hat das Militär gebeten, sich auf diese Optionen vorzubereiten, da sich die Lage in Libyen verschlechtere.« 3 Das Ziel hinter der Operation Libya ist aber nicht, demokratische Verhältnisse zu schaffen, sondern sich der Erdölreserven Libyens zu bemächtigen, die staatseigene National Oil Corporation (NOC) zu destabilisieren [diese sieht sich inzwischen bereits Sanktionen ausgesetzt; Anmerk. politonline] und letztendlich die Erdölindustrie des Landes zu privatisieren. Vor allem sollen die Kontrolle und  der Besitz des libyschen Erdölreichtums in ausländische Hand übergehen. Die NOC nimmt unter den hundert weltweit führenden Erdölkonzernen den 25. Platz ein 4; Libyen gehört mit etwa 3,5 % der weltweiten Erdölreserven, mehr als zweimal soviel wie die amerikanischen Lagerstätten, zu den führenden Erdöllieferanten.
 
Die sich bereits im Gang befindliche geplante Invasion ist Teil des umfassenderen »Kampfs ums Erdöl«. Die strategischen Einschätzungen hinter derOperation Libya erinnern an frühere Militäroperationen der USA und der NATO in Jugoslawien und im Irak. In Jugoslawien lösten amerikanische und NATO-Kräfte bekanntlich einen Bürgerkrieg aus. Dahinter stand die Absicht, politische und ethnische Spaltungen loszutreten, die dann letztendlich zur Aufspaltung des gesamten Landes führten. Dieses Ziel wurde unter anderem durch die verdeckte Finanzierung und Ausbildung bewaffneter paramilitärischer Einheiten zunächst in Bosnien (bosnisch-moslemische Armee, 1991- 1995) und anschliessend im Kosovo (Befreiungsarmee des Kosovos, UÇK, 1998 - 1999) erreicht. Sowohl in Bosnien als auch im Kosovo wurde eine gezielte Mediendesinformation (darunter Lügen und Fälschungen) eingesetzt, um die von der USA und der EU verbreitete Behauptung, die Regierung in Belgrad habe Kriegsverbrechen begangen, zu untermauern. Damit wurde eine militärische Intervention aus humanitären Gründen  gerechtfertigt. Ausgerechnet die Operation Yugoslavia wird von amerikanischen Aussenpolitikern nun als Vorbild herangezogen: Senator Lieberman verglich »die Lage in Libyen mit den Ereignissen auf dem Balkan in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts«, als er sagte, die USA hätte interveniert, um einen Völkermord an den Bosniern aufzuhalten. »Zuerst lieferten wir ihnen Waffen, damit sie sich selbst verteidigen konnten. Das, denke ich, sollten wir auch in Libyen machen.« 5 Das strategische Szenario besteht darin, auf die Bildung einer Übergangsregierung  in der abtrünnigen Provinz und ihre internationale Anerkennung zu drängen, was letztendlich zu einer Spaltung des Landes führen würde. An der Umsetzung dieser Option wird schon gearbeitet.
 
Die Invasion Libyens hat bereits begonnen. »Hunderte amerikanischer, britischer und französischer Militärberater sind in der Kyrenaika, der abtrünnigen östlichen Provinz Libyens, eingetroffen […] Die Berater, unter ihnen auch Mitglieder von Nachrichtendiensten, wurden am Donnerstag, 24. Februar, in den Küstenstädten Bengasi und Tobruk von Kriegsschiffen und Flugkörperschnellbooten aus abgesetzt.« 6 Sondereinsatzkräfte der USA und ihrer Verbündeten befinden sich bereits vor Ort und liefern den Rebellen verdeckte Unterstützung. Öffentlich wurde dies, als britische SAS-Sonderkommandos in der Region um Bengasi verhaftet wurden. Sie operierten als Militärberater der Oppositionskräfte: »Für acht Angehörige einer britischen Spezialeinheit, die sich auf einer geheimen Mission befanden, um britische Diplomaten mit führenden Oppositionellen gegen Oberst Muammar Gaddafi in Kontakt zu bringen, endete der Einsatz mit einer Demütigung, als sie von Aufständischen in Ostlibyen festgenommen wurden«, berichtete die Sunday Times am 6. März 2011. Die Männer, die in Zivilkleidung, jedoch bewaffnet waren, behaupteten, »sie sollten sich über die Bedürfnisse der Opposition informieren und dieser Hilfe anbieten.« 7 Die SAS-Angehörigen wurden verhaftet, als sie eine britischediplomatische Mission begleiteten, die illegal in das Land eingereist war (zweifellos von einem britischen Kriegsschiff aus), um mit führenden Vertretern der Aufständischen zu sprechen. Das britische Aussenministerium bestätigte, dass »eine kleine Gruppe britischer Diplomaten nach Ostlibyen entsandt worden sei, um Kontakte zu den Oppositionellen, die die Unterstützung der Aufständischen geniessen, zu knüpfen.« 8 Diese Berichte bestätigen nicht nur die militärische Intervention des Westens (darunter einige hundert Angehörige von Spezialeinheiten), sondern machen auch deutlich, dass die Aufständischen die illegale Anwesenheit ausländischer Truppen auf libyschem Boden strikt ablehnen: »Der SAS-Einsatz hat die libyschen Oppositionellen verärgert. Sie befahlen, die Soldaten sollten in einem Militärstützpunkt eingesperrt werden. Die Gegner Gaddafis befürchten, dieser könne alle Beweise für eine westliche militärische Einmischung ausnutzen, um eine patriotische Unterstützung für sein Regime wachzurufen.« 9  Bei dem verhafteten britischen Diplomaten, der von sieben SAS-Angehörigen begleitet wurde, handelte es sich um einen Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6. 10
 
Inzwischen bestätigen Stellungnahmen der USA und der Nato auch Waffenlieferungen an die oppositionellen Kräfte. Bisher nicht bestätigte Hinweise zeigen, dass den Aufständischen bereits vor den Angriffen [der libyschen Armee] Waffen geliefert wurden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit befanden sich Militär- und Geheimdienstberater der USA und der Nato schon vor den Unruhen im Land. Nach demselben Muster wurde in Kosovo vorgegangen: Sondereinheiten unterstützten und bildeten die UÇK 1999 in den Monaten vor den Luftangriffen und der anschliessenden Invasion Jugoslawiens aus. Nach jüngsten Berichten konnten die libyschen Regierungseinheiten allerdings einige von den Rebellen kontrollierte Positionen zurückerobern: »Die Grossoffensive der Pro-Gaddafi-Kräfte, die [am 4. März begann und] das Ziel verfolgt, die wichtigsten Städte und Erdölzentren den Aufständischen wieder zu entreissen, führte [am 5. März] zur Rückeroberung der wichtigen Stadt Sawija und der meisten der wichtigen Erdölstädte rund um den Golf von Sirte. In Washington und London erlitt die Forderung nach einem militärischen Eingreifen einen Dämpfer, als man erkannte, dass die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse vor Ort über beide Seiten des libyschen Konflikts zu lückenhaft war, um als Grundlage für Entscheidungen zu dienen.« 11 Die Oppositionsbewegung ist über die Frage einer ausländischen Einmischung stark gespalten. Dabei stehen sich die Graswurzelbewegungen einerseits und die von der USA unterstützten Führer des bewaffneten Aufstandes andererseits gegenüber, wobei letztere ein militärisches Eingreifen aus humanitären Gründen befürworten. Die Mehrheit der libyschen Bevölkerung, sowohl Gefolgsleute wie Gegner des Regimes, lehnen jede Einmischung von aussen ab.
 
Desinformation durch die Medien
Die weitreichenden strategischen Ziele, die der vorgeschlagenen Invasion zugrunde liegen, werden in der Berichterstattung der Medien nicht erwähnt. Nach den Vorgaben einer arglistigen Medienkampagne, in der Nachrichten und Meldungen buchstäblich ohne Bezug auf die realen Ereignisse vor Ort fabriziert werden, ist ein Grossteil der internationalen veröffentlichten Meinung auf eine unbedingte Unterstützung einer militärischen Einmischung aus humanitären Erwägungen eingeschwenkt. Diese Invasion wird in den Planungsstäben des Pentagon bereits ausgearbeitet. Sie soll ungeachtet der Forderungen der libyschen Bevölkerung durchgezogen werden, einschliesslich der Gegner des Regimes, die ihre Ablehnung einer militärischen Einmischung als Verletzung der Souveränität ihrer Nation deutlich gemacht haben.
 
Einsatz der Marine und der Luftwaffe
Sollte es zu dieser militärischen Intervention kommen, wäre die Folge ein offener Krieg, der als Blitzkrieg geführt werden soll, was Luftangriffe auf militärische und zivile Ziele einschliesst. In dieser Hinsicht drohte der Kommandeur des amerikanischen Zentralkommandos (Uscentcom), General James Mattis, unverhohlen, die Einrichtung einer Flugverbotszone schliesse praktisch umfassende Luftangriffe ein, die sich auch gegen die libysche Luftverteidigung richte: »Es würde sich um eine Militäroperation handeln, es ginge nicht nur darum, den Menschen zu sagen, sie sollten keine Flugzeuge mehr benutzen. Man muss die Luftverteidigungskapazitäten zerschlagen, um eine Flugverbotszone einzurichten, da darf man sich keine Illusionen machen.« 12  Massive Seestreitkräfte der USA und ihrer Verbündeten wurden vor der libyschen Küste eingesetzt. Das Pentagon verlegt weitere Kriegsschiffe ins Mittelmeer. Der Flugzeugträger USS Enterprise hatte bereits wenige Tage nach den ersten Unruhen den Suez-Kanal passiert. Auch die amphibischen Kriegsschiffe USS Ponce und  USS Kearsarge wurden in das Mittelmeer verlegt. Ferner wurden 400 Marineinfanteristen »im Vorfeld ihres Einsatzes auf Kriegsschiffen vor der libyschen Küste« auf die griechische Insel Kreta verlegt 13. Mittlerweile haben auch Deutschland, Frankreich, England, Kanada und Italien damit begonnen, Kriegsschiffe vor der libyschen Küste einzusetzen. Deutschland hat den Einsatz dreier Kriegsschiffe unter dem Vorwand, bei der Evakuierung von Flüchtlingen an der libysch-tunesischen Grenze helfen zu wollen, angeordnet. »Frankreich schickt seinen Hubschrauberträger Mistral, der nach Angaben des Verteidigungsministeriums die Evakuierung einiger tausend Ägypter unterstützen soll.« 14  Kanada entsendet seine Fregatte HMCS Charlottetown. Auch die 17. Luftflotte der USA [mit Namen US Air Force Africa, die auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Ramstein in Deutschland stationiert ist] soll bei der Evakuierung von Flüchtlingen helfen. Andere Luftwaffenstützpunkte der USA und der Nato in England, Italien, Frankreich und dem Nahen und Mittleren Osten sind ebenfalls einsatzbereit.

 
1 Siehe Manilio Dinucci, Libya - When historical memeory is erased, Global Research, 28. Februar 2011
2 »Clinton: US Ready to Aid to Libyan Opposition«, Associated Press, 27. Februar 2011
3 Manlio Dinucci, »Preparing for Operation Libya: The Pentagon is Repositioning its Naval and Air Forces …«, Global Research, 3. März 2011
4 The Energy Intelligence ranks NOC 25 among the world’s Top 100 companies,  Libyaonline.com
5 »Clinton: US Ready to Aid to Libyan Opposition«, Associated Press, 27. Februar 2011
6 DEBKAfile, »Amerikanische Militärberater in Kyrenaika eingetroffen«, 25. Februar 2011
7 »Top UK commandos captured by rebel forces in Libya«, Indian Express, 6. März 2011
8 »UK diplomatic team leaves Libya«, World CBC News, 6. März 2011
9 Reuters, 6. März 2011
10 The Sun, 7. März 2011
11 »Qaddafi pushes rebels back. Obama names Libya intel panel«, DEBKAfile, 5. März 2011
12 »U.S. general warns no-fly zone could lead to all-out war in Libya«, Mail Online, 5. März 2011
13 »Operation Libya: US Marines on Crete for Libyan deployment«, Times of Malta, 3. März 2011
14 »Towards the Coasts of Libya: US, French and British Warships Enter the Mediterranean«,  Agenzia Giornalistica Italia, 3. März 2011
 
Michel Chossudovsky, Insurrection and Military Intervention: The US-Nato Attempted Coup d’Etat in Libya 7. März 2011,
http://globalresearch.ca/PrintArticle.php?articleId=23548
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=56  Zeit-Fragen Nr. 12 vom 22. 3. 2011     
Übersetzung ins Deutsche durch Zeit-Fragen