Lügen im Wandel - Von Doris Auerbach

Man erinnere sich: Paul Wolfowitz, der als einer der »Architekten« des Irakkriegs 2003 gilt und den US-Angriff auf den Irak gemeinsam

mit John Negroponte »erfolgreich« vorbereitete, hatte im Nachhinein die Kaltblütigkeit, im US-Journal Vanity Fair zu erklären, dass die Massenvernichtungswaffen lediglich ein Vorwand waren, auf den sich alle Beteiligten einigen konnten, worin sich ein bodenloser Zynismus offenbart 1. Darüber hinaus wissen wir heute, dass ein von der englischen Regierung zwei Jahre vor dem Einfall im Irak ausgearbeiteter geheimer Plan vorsah, einen irakischen Putsch gegen Saddam Hussein zu fördern. Das als Vertrag mit dem irakischen Volk bezeichnete, als confidential UK/US eyes markierte Dokument signalisierte den Dissidenten, dass ein Sturz Husseins von England unterstützt würde und versprach Hilfe, Ölverträge, die Streichung von Schulden und Handelsabkommen, sobald der Diktator beseitigt wäre. Das Team von Blair sah darin einen Weg, einen Regimewechsel im Irak zu erreichen. Das Dokument war am 11. Juni 2001 fertiggestellt und von den Ministern gutgeheissen worden 2
 
Das war die Lüge im Irakkrieg. Die neue Lüge, die den Angriff auf Libyen deckt, kleidet sich in ein durchaus fortschrittlicheres, dafür aber umso perfideres Gewand, bedenkt man ihre Etikettierung als humanitäre Intervention. Auch wenn die Hinweise auf die wirkliche Beschaffenheit des libyschen Aufstands und die wirklichen Gründe, die den Überfall auf Libyen zu rechtfertigen suchen, nicht mehr ignoriert werden können, ist dies absolut kein Hindernis für die dafür Verantwortlichen, das humanitäre Vorgehen zum Kriegsgrund zu erheben. Arundhati Roy drückte dies in ihrer anlässlich des ihr 2004 verliehenen Sydney Peace Prices gehaltenen Rede wie folgt aus: Das Imperium bei der Arbeit - Wenn die Handschuhe ausgezogen werden: »Während sich der Kampf um die Kontrolle der Weltressourcen intensiviert, erfährt der ökonomische Kolonialismus durch formale militärische Aggression ein Comeback.« 3
 
Die Europäische Union, führt Chris Marsden aus, versucht das Schicksal der Einwohner in Misurata als humanitären Deckmantel für die Entsendung von Bodentruppen unter ihrem Kommando nach Libyen zu nutzen. Die EU hat am 1. 4. eine militärische Mission (EUFOR) gebildet, angeblich um humanitäre Hilfe für Libyen zu leisten. Die Dienste dieser Truppe stehen den Vereinten Nationen für einen Zeitraum von 4 Monaten zur Verfügung. Angela Merkels Pressesprecher Steffen Seibert sagte am 8. 4. 11 auf einer Pressekonferenz, dass deutsche Truppen für eine Beteiligung an einer solchen humanitären Missionder EU bereitstünden. »Wenn die Vereinten Nationen eine Anfrage an uns richten, werden wir unserer Verantwortung sicher nicht ausweichen«, sagte Aussenminister Westerwelle am 8. 4. vor dem Bundestag. Anfang April, so Marsden ferner, warnte General Carter Ham - bis zur  Übernahme durch die NATO Kommandeur des US-Afrika-Kommandos und Leiter der Militäroperation in Libyen - den Aussenpolitischen Ausschuss des US-Senats vor der Feindseligkeit, die der Angriff auf Libyen in Afrika provoziert hat. »In Afrika herrscht die verbreitete Auffassung vor, dass der Krieg in Libyen nichts mit humanitären Überlegungen zu tun hat, dafür aber umso mehr mit Öl. Selbst bisher gefügige Staatschefs bürgerlicher Staaten machen sich Sorgen, dass der neokoloniale Militarismus, der in Libyen und jetzt auch in der Elfenbeinküste sichtbar wird, für sie selbst eine unruhige Zukunft ankündigt. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union und Präsident Äquatorial-Guineas, Teodoro Obiang Nguema, hat sich offen zu Gaddafis Gunsten geäussert und ein Ende ausländischer Einmischung in den innerlibyschen Konflikt verlangt. Ich glaube, die Probleme in Libyen sollten in Libyen gelöst werden und nicht durch eine Intervention, die vielleicht nur wie eine humanitäre Intervention aussieht. Wir haben das schon im Irak gesehen, sagte er 4. Admiral Mike Mullen, der der Chef des Generalstabs, warnte vor einem Patt. Ein hin- und herwogender Kampf könnte in Libyen erst recht jene zivilen Opfer fordern, welche die Intervention der Alliierten angeblich verhindern wollte.
 
Die Kommunistische Partei Dänemarks hatte sich am 1. April vehement gegen die Angriffe der NATO auf Libyen ausgesprochen; ihr Argument: »Weil es wieder einmal einer der Raubkriege der USA und ihrer Verbündeten ist, wieder einmal unter dem Vorwand, es sei eine humanitäre Pflicht, dort einzugreifen. Die Wahrheit ist aber doch, dass Libyen riesige Erdölvorräte hat, über die sich der Westen die Kontrolle sichern will. Frankreich ist dabei besonders engagiert, weil der Erdölkonzern Total seine Interessen in Libyen durchsetzen will. »Nun war es ja gerade Sarkozy, der mit grossem Nachdruck deutlich gemacht hatte, dass er den Einsatz als eine rein humanitäre Massnahme versteht. ……. Es ist nicht das erste Mal, dass mit Hilfe der UNO ein imperialistischer Krieg angezettelt wird. Das UNO-Mandat ist in diesem Fall sehr elastisch ausgefallen, es sagt z.B. nichts darüber, wer diese Flugverbotszone durchsetzen und wie lange sie in Kraft bleiben soll. Das führt letztlich dazu, dass die USA und die wichtigsten EU-Staaten bestimmen, was gemacht wird. Die libyschen Städte werden auch nicht von UNO-Streitkräften bombardiert, sondern von NATO-Staaten!« 5 Dieser Sicht der Dinge entspricht auch die Aussage des Deutscher Freidenker-Verbands: Eine humanitäre Intervention ist erfahrungsgemäss die Tarnung für einen imperialistischen Raubkrieg. Die Angriffe, vorgeblich zum Schutz von Zivilisten, werden erfahrungsgemäss zuerst zivile Opfer fordern. Dies ist längst eingetreten.
 
Bezüglich eines möglichen EU-Militäreinsatzes erklärte Tobias Pflüger am 15. 4., dass, sollte ein Einsatz von EU-Battlegroups in Libyen erfolgen, dies der erste Einsatz der EU-Kampfgruppen überhaupt wäre. Auch hier fällt der Begriff humanitär: »Nicht nur Militärs weisen darauf hin, dass eine militärische Absicherung humanitärer Hilfe einen möglichen Bodentruppeneinsatz auch deutscher Truppen bedeuten würde. Dies wäre dann unstrittig ein weiterer Kriegseinsatz der Bundeswehr.« Die formale Voraussetzung für einen Angriff von EU-Truppen ist allerdings eine Anfrage von Seiten des UNO-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA). Damit würden diese »im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« der EU, auch humanitäre Hilfsaktionen zu unterstützen, sobald ein entsprechendes Ersuchen der UNO vorliegt, am Libyenkrieg teilnehmen. Hierzu ein statement des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen: »Wir sind uns alle einig, dass wir eine Verantwortung haben, die libyschen Zivilisten vor einem brutalen Diktator zu schützen. Die Vereinten Nationen haben dazu ihr klares Mandat gegeben. (...) Denn wir werden nicht untätig zusehen, wie ein in Misskredit geratenes Regime sein eigenes Volk mit Panzern, Raketen und Scharfschützen angreift.« 6  Kennt man die Zusammenhänge, so mag man einräumen, dass Worte dieser Art bei Lesern, die sich ausschliesslich an der Tagespresse orientieren, eventuell noch geglaubt werden. Ansonsten kommt man kaum umhin, dieser Aussage zu einem Regime, dessen Misskredit nachweislich provoziert wurde, allenfalls eine hemmungslose Dreistigkeit, die Tatsachen zu verdrehen, zuzuschreiben -  zumal die angeführte Klarheit des UNO-Mandats längst infrage gestellt ist. Eine auf die Strategie der Provokation hindeutende Bemerkung fällt für meine Begriffe in dem Interview mit Parag Khanna 7: Dort heisst es von Seiten des Interviewers: »Gaddafi war nie angeklagt.« Die Antwort: »Noch nicht. Aber man wusste, wie er auf die Aufstände reagieren würde
 
Unter Ausnutzung der durch die UNO-Resolution 1973 gestatteten notwendigen Massnahmenhat nun Obama die Nutzung unbemannter Fluggeräte für den Libyen-Konflikt genehmigt. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung Pakistans, die seit längerem unter dem Einsatz dieser Killer leidet - die letzte BBC-Meldung vom 24. 4. nannte mindestens 25 Personen, die in Nordwaziristan getötet wurden - hat nicht die geringste abschreckende Wirkung. Bezüglich des Einsatzes der Drohnen sprach denn auch Robert Gates am 21. 4. von einem bescheidenen Beitrag der USA für die NATO-Truppen. »Er sei wegen der humanitären Situation in Libyen notwendig geworden.« 8 Am 26. März hatte Obama den Militäreinsatz mit der Behauptung, dieser habe »eine humanitäre Katastrophe verhindert und das Leben zahlloser Zivilisten, unschuldiger Männer, Frauen und Kinder gerettet«, begründet. Man wird sehen, wie viele unschuldige Libyer in krassem Gegensatz zu ihrer Rettung nun den US-Drohnen zum Opfer fallen werden. Hierzu führt Bill van Auken 9 aus: »Die Implikationen sind klar, auch wenn sie nicht ausgesprochen werden. Die unbemannten Drohnen, die letzte Woche über Libyen im Einsatz waren, wurden bisher von der CIA und dem Pentagon eingesetzt, um in Pakistan, Afghanistan, im Jemen und anderswo vermutete Gegner amerikanischer Interessen aus der Luft zu ermorden. ›Noch‹ fliegen sie laut Pentagon nicht über Tripolis. Das kann sich aber ändern…...« Gemäss der New York Times fliegen die im Moment in Libyen eingesetzten bewaffneten Predator-Drohnen nur über Städten, die von den Rebellen gehalten und von Regierungstruppen angegriffen werden, aber nicht über der Hauptstadt.
 
Zur UNO-Resolution selbst erklärt Werner Pirker 10: »Die bewusst äusserst vage gehaltene UNO-Resolution hat es in sich, exzessiv ausgelegt zu werden. Sie ist deshalb als ein Verbrechen gegen den Weltfrieden zu verurteilen. Denn sie stellt einen Freibrief für das völkerrechtswidrige Eingreifen des westlichen Militärbündnisses zugunsten einer Bürgerkriegsseite dar. Die Gewalt, die sie zu stoppen vorgab, ist damit erst richtig entfesselt worden. Der Libyen-Krieg der NATO ist die praktische Umsetzung der »Responsibility to Protect«-Doktrin, gemäss der die »internationale Gemeinschaft« zum Schutz bedrohter Bevölkerungen verpflichtet ist, wenn deren Regierungen dieser Aufgabe nicht nachkommen. Sollte die Schutzverpflichtung zum völkerrechtlich verbindlichen Prinzip werden, würde das dem humanitär begründeten Interventionismus Tür und Tor öffnen. Das Völkerrecht als positives Recht wäre endgültig Vergangenheit. …..   Es ist undenkbar, dass jemand, der sein eigenes Volk massakrieren wollte, eine Rolle in einer künftigen Regierung spielt- so wird die Lüge als Propagandawaffe in Stellung gebracht; damit sich die Übernahme der »Schutzverpflichtung« als Verhinderung eines Genozids verkaufen lässt.«
 
Nach der neuen Doktrin der Schutzverantwortung, liest man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »geht diese Verpflichtung auf die Weltgemeinschaft über, wenn eine Regierung ihr nicht gerecht wird. Und das ist keine Theorie mehr - Gaddafi und Gbagbo können Lieder davon singen. In der Libyen-Krise beriefen sich Ban Ki Moon und danach der Sicherheitsrat früh auf die Schutzverantwortung; die Genehmigung aller nötigen Mittel war dann fast nur noch Formsache, als Amerika beschlossen hatte, den Regimegegnern zur Hilfe zu eilen. An der Elfenbeinküste waren es sogar UNO-Soldaten, die auf Bans Befehl an der Seite französischer Streitkräfte den Kampf für Ouattara entschieden.« 11
 
Unter dem humanitären Aspekt ist auch ein Tyrannenmord nicht ausgeschlossen
»Gaddafi«, erklärt Paul Craig Roberts 12, »hat zwei Fehler gemacht: Er blockierte den US Africa Command, indem er diesem nicht beitrat, und erlaubte stattdessen China, in Libyen beträchtliche Investitionen in die Energiewirtschaft des Landes zu tätigen.« Hinzu kommt, »dass er einen Teil der mediterranen Küste kontrolliert, die dadurch nicht in den Händen der Amerikaner ist.« Das dürfte sein Schicksal endgültig besiegelt haben. Auch Roberts bezeichnet den Aufstand als eine CIA-Operation und nicht als legitimen Protest des libyschen Volks. Es handelt sich um eine bewaffnete Rebellion, die keine Unterstützung in der Hauptstadt hat. So bezeichnet er auch die NATO-Staaten als Marionettenstaaten der Amerikaner: Grossbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland »sie alle gehören zum American Empire«.
 
Dass die Beseitigung Gaddafis von US-Präsident Barack Obama ganz klar als Kriegsziel genannt wurde, steht fest: Hierzu meint Werner Pirker ironischerweise: »Ein Friedensnobelpreisträger als Kriegspräsident, welch ein Glücksfall für die Anhänger humanitär begründeter Angriffskriege.« »Um aber zu siegen«, schreibt Pirker ferner 13, »hat die libysche Koalition aus Monarchisten, neoliberalen CIA-Gehaltsempfängern und versprengten Al-Qaida-Kadern ausländische Aggressoren zum Bombenterror gegen das eigene Land eingeladen. Offiziell wurde freilich der Schutz der Zivilbevölkerung als Interventionsgrund angegeben, der mit der Weigerung der regierungsfeindlichen Kräfte, einem Waffenstillstand zuzustimmen, endgültig ad absurdum geführt worden ist. Insofern ist Pirker vorbehaltslos beizupflichten, wenn er erklärt: »Doch ist die Welt keineswegs ein besserer Ort geworden, seit der Friedensnobelpreisträger den Bush-Krieger abgelöst hat.«
 
Die Intervention der USA und der europäischen Mächte in Libyen geht inzwischen in die 6. Woche. Wie des weiteren ersichtlich ist, schliesst das Humanitäre auch die Forderung von Stimmen in der USA ein, die sich vermehrt für die gezielte Tötung Gaddafis aussprechen. Am 26. 4. 11 trafen sich die zivilen und militärischen Spitzen der US- und der britischen Armee in Washington, um, wie Bill van Auken 14 berichtet, »eine deutliche Ausweitung der imperialistischen Intervention in Libyen auszuhecken. Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Ermordung des libyschen Herrschers Muammar Gaddafi durch einen Präzisionsschlag aus der Luft.« Im Pentagon anwesend waren der britische Verteidigungsminister Liam Fox, Generalstabschef General Sir David Richards und deren amerikanische Kollegen, Verteidigungsminister Robert Gates und Generalstabschef Mike Mullen. Auf beiden Seiten des Atlantiks wächst die Sorge, dass die wochenlangen Bombardierungen zur Unterstützung der Anti-Gaddafi-Kräfte im Osten Libyens nur zu einer militärischen Pattsituation geführt haben könnten. Am 25. 4. hatten Kampfflugzeuge der NATO einen Schlag gegen den Bab al-Azizyah-Komplex in Tripolis geführt, wo Gaddafi normalerweise lebt und regiert. Seine Büros, seine Bibliothek und Konferenzräume wurden in ein Trümmerfeld verwandelt. Libysche Sprecher verurteilten den Angriff als Mordversuch und Staatsterrorismus. Laut der New York Times sehen dies Pentagon-Berater natürlich völlig anders: »Es sei falsch, wenn die libysche Regierung die Luftangriffe vom Montag auf Gaddafis Gebäudekomplex als Mordversuch bezeichne. Es habe sich um ein legitimes militärisches Zielobjekt gehandelt.« Laut dem Bericht der NYT sollen die sich in Überlegung befindlichen Luftschläge »die Fähigkeit des Regimes, die Kommando- und Informationsstränge und Nachschublinien, die für die Aufrechterhaltung von Gaddafis militärischen Operationen notwendig sind, Schritt für Schritt reduzieren.«
 
Aus dem in der Basler Zeitung veröffentlichten Interview 7 mit dem, wie es heisst, aussenpolitischen Vordenker Parag Khanna, dem Direktor des Think tanks ›New America Foundation‹, geht ebenfalls hervor, wie unbekümmert der Gedanke einer Beseitigung Gaddafis ausgesprochen wird: Laut Khanna hätte man Gaddafi »aus humanitären Gründen längst liquidieren sollen.« Die Einstellung dieses Vordenkers, der einer Einladung an eine Konferenz des Gottlieb-Duttweiler-Instituts gefolgt war, ist durchaus erhellend: Auf die Frage, ob es richtig war, in Libyen zu intervenieren, meinte er: »Intervenieren heisst normalerweise alles oder nichts. Die Probleme sehen wir jetzt. Man hätte subtiler vorgehen können, etwa indem man das Kommunikationsnetz blockiert und die Flugverbotszone früher eingerichtet hätte. Mehr Sondereinheiten hätten den Widerstand stärken können. Und natürlich hätte man die Eskalation verhindern können, wenn man - was sehr kontrovers ist - vorher ein Attentat auf Gaddafi verübt hätte.« Mit einer Drohne?, fragt der Interviewer. Die Antwort: »Ja, zum Beispiel mit einer Drohne. Es hätte das  unvermeidliche Ableben Ghadhafis beschleunigt und den Weg für eine neue Ordnung frei gemacht. Ich glaube schon, dass man dies, subtil ausgeführt und mit der Opposition abgesprochen, geschafft hätte. Es wäre aus humanitären Gründen gerechtfertigt gewesen.« Um zu wissen, was man unter dieser neuen Ordnung versteht, genügt ein Blick auf den in einen Müllhaufen verwandelten Irak und ein ausgeblutetes Afghanistan.  
 
Fest steht aber: »Internationale Militäreinsätze mit humanitärem Anspruch verändern die moralischen Standards, an denen sich militärische Gewaltanwendung messen lassen muss. Darum plädiert der Völkerrechtler und Sprachwissenschaftler Gerd Hankel, Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, für eine Revision des humanitären Völkerrechts. Nicht nur sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Tötung von unbeteiligten Zivilisten zu weit gefasst, auch die Regelungen zum Widerstand gegen den Angreifer und Besatzer sowie die Vorschriften über die militärische Besatzung passen nicht mehr. In ihrer jetzigen Fassung tragen sie vielmehr zur Konflikteskalation und Festigung von Feindbildern bei, aus denen Tötungsbereitschaft entsteht. Damit laufen sie einer Entwicklung zuwider, deren wesentliches Kennzeichen die zunehmende Moralisierung des Kriegsrechts und das Entstehen einer humanitären Ethik ist15 
 
Einer Meldung vom 1. Mai zufolge 16 heisst es, dass bei dem NATO-Angriff auf ein libysches Regierungsgebäude in Tripolis der jüngste Sohn sowie drei Enkelkinder von Gaddafi getötet worden seien. Die NATO hat zwar einen Angriff auf ein libysches Regierungsgebäude in Tripolis, nicht aber den Tod von Saif al Arab Gaddafi bestätigt. Ziel sei ein Befehlszentrum im Bereich des Bab-Al-Asisija-Viertels gewesen. Zur Rechtfertigung dient das Altbekannte: »Alle Ziele seien dabei militärischer Art gewesen und hingen mit den systematischen Angriffen Gaddafis auf die Bevölkerung zusammen«, so die Allianz. Stunden zuvor hatte Gaddafi erneut eine Waffenruhe gefordert. Allerdings hat es nicht den Anschein, dass man bereit wäre, je einer solchen Forderung, die nicht zum ersten Mal ausgesprochen wurde, stattzugeben. Laut Regierungssprecher Mussa Ibrahim ist der Angriff ein Versuch gewesen, »den Führer dieses Landes zu ermorden« und habe gegen internationales Recht verstossen, womit er zweifelsohne die Wahrheit ausspricht.
 
Auch dieser Überfall vorausgeplant
Wie der jungen Welt vom 18. 4. zu entnehmen war 17, kommt der Ruf nach einer Beseitigung von Gaddafi nicht plötzlich. Sein Sturz ist offenbar von langer Hand geplant. »Alfred Ross, Vorsitzender der New Yorker Denkfabrik Institute for Democracy Studies, wirft der NATO und ihren Alliierten vor, die Weltöffentlichkeit einschliesslich des UNO-Sicherheitsrats belogen zu haben, was die Fakten im Zusammenhang mit der »humanitären Krise« und dem Militärangriff auf Libyen angeht. »Seit 1969, als Gaddafi das US-Militär zum Verlassen Libyens zwang, plant Washington seine Rückkehr und Gaddafis Sturz«, so Ross gegenüber dem unabhängigen Analysedienst InDepthNews (IDN). Als sich die 28 NATO-Aussenminister und ihre sogenannten Partnerländer vor dem Hintergrund ihrer Militäroperationen in Libyen am 14. April in Berlin trafen, hatten sie allen Grund, für den Aufstand in Bengasi gegen Muammar Al-Ghaddafi dankbar zu sein. Denn Bengasi hat den Falken der ehemaligen Kolonialmächte der Region, die auf eine »robuste« Präsenz der NATO in Nahost und Nordafrika aus sind, in die Hände gespielt. Ross wies darauf hin, dass der US-Geheimdienst CIA 1981 die ›Nationale Front zur Befreiung Libyens‹ (NFSL) gründete, um den libyschen Revolutionsführer zu stürzen. In den Jahren danach habe die NFSL mit einer Serie von Militäranschlägen begonnen und ihre eigene ›Libysche Nationalarmee‹ (LNA) gegründet. Ross unterstrich des weiteren, dass die von der CIA ausgerüstete NFSL und ihr Sprecher Ibrahim Sahad die Demonstrationen im vergangenen Februar, die dann zur »humanitären Krise« führen sollten, angeführt hatten. Dies erkläre auch, warum die Demonstranten in Libyen, anders als in Tunesien und Ägypten, so schnell bewaffnet waren. ….. Bereits am 2. November 2010 hatten Briten und Franzosen ein Militärabkommen geschlossen. Sie begannen Ende Januar 2011 mit der Planung der Angriffe, wie Ross etlichen militärischen Webseiten entnehmen konnte. Die Website-Inhalte deuten auf einen militärischen Plan hin, zwischen dem 21. und 25. März 2011 eine südliche Diktatur zu attackieren. Da Grossbritannien und Frankreich keine Absicht verfolgten, die südliche DiktaturÄgypten anzugreifen, konnte nach Ansicht von Ross nur Libyen gemeint sein. »Die USA, Grossbritannien und Frankreich versicherten den durch die CIA geschaffenen Widerstandskämpfern, im Fall eines Angriffs auf die libysche Armee über einen gut entwickelten Angriffsplan zu verfügen. ….. Die USA und ihre militärischen Verbündeten schufen eine ›humanitäre‹ Krise, um den geplanten Angriff zu rechtfertigen«, so Ross. Viele Beobachter, schreibt Ron Paul, behaupten, dass der kürzlich erfolgte Sturz von Regierungen im nördlichen Afrika und im Mittleren Osten zu mehr Freiheit für die Menschen in diesen Regionen führen wird. Es ist ironisch, aber die ewige Förderung von Demokratie durch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in Übersee verzerrt und untergräbt tatsächlich die Demokratie in den angepeilten Regionen. Die Einmischung einer fremden Macht unterminiert oft die wirkliche Selbstbestimmung. Aussenministerin Clinton betonte in der ersten Märzwoche vor dem Aussenpolitischen Ausschuss einige Male, dass hinsichtlich einer Antwort der USA auf die inneren zivilen Unruhen in Libyen, alle Optionen auf dem Tisch sind. Seit wann, fragt Ron Paul, sind wir verpflichtet, politischen Druck oder sogar militärische Gewalt einzusetzen, um jedes Problem in Übersee zu lösen?  Einige Militärführer, darunter Verteidigungsminister Robert Gates, haben zu Recht die enthusiastischeren Interventionisten gewarnt, dass die Kosten derartiger militärischer Operationen enorm hoch sein können, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf Menschenleben. »Wenn es nach den  Interventionisten geht, werden wir zweifelsohne bald für den Wiederaufbau der Infrastruktur bezahlen, die wir durch einen militärischen Einsatz in Libyen zerstören. Man muss kein Genie sein, um zu sehen, dass wir auf dem Weg in die Pleite sind, aber Washington verharrt in Verdrängung und macht weiter wie gehabt. Ich fürchte, wenn wir so fortfahren, werden wir bald überhaupt aus dem Geschäft sein.« 18  Das einzige, was dem westlichen Militärbündnis für seinen als »humanitäre Hilfe« deklarierten Truppeneinmarsch in das nordafrikanische Land noch fehlt, ist, wie bereits erwähnt, eine förmliche Aufforderung durch die UNO. Genauer gesagt: durch deren Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten, OCHA. Aber dieser »Hilferuf« scheint nicht zu kommen. Die Chefaussenpolitikerin der EU, Catherine Ashton, hatte deshalb mit einem Brief an Ban Ki Moon Druck zu machen versucht. Mittlerweile traf bei Ashton eine klar abschlägige Antwort der zuständigen UNO-Vertreterin Valerie Amos ein: Die Weltorganisation sei an dieser Sorte »Hilfe« nicht interessiert. »Wir dürfen unsere Fähigkeit, allen bedürftigen Menschen Hilfe zukommen zu lassen, nicht dadurch beeinträchtigen, dass wir mit laufenden militärischen Operationen in Verbindung gebracht werden.« 19
 
Bei soviel Zynismus ist es kaum erstaunlich, dass sich die Bündnispartner bei der Forderung nach einer politischen Lösung darin einig sind, dass es für Libyen keine Zukunft mit Gaddafi gibt. 20 Insofern ist es absehbar, dass wir uns schon alle auf die Geberkonferenz zu Libyen ›freuen‹ dürfen, die sich spätestens dann, wenn das Land flachgebombt ist und alle in meinen Augen eine schiere Idiotie darstellenden sinnentleerten Zerstörungen vollbracht sind, konstituieren wird. Sie wird die Steuergelder der hochverschuldeten EU-Mitgliedstaaten ein weiteres Mal in nicht zu verantwortender Weise zweckentfremden und Barroso erneut die Gelegenheit geben, uns, die geschundenen Steuerzahler, unter dem Aufhänger Internationale Gemeinschaft für die uns aufgezwungene Grosszügigkeit zu belobigen. Denn es ist kaum anzunehmen, dass für den Wiederaufbau auf die Guthaben der eingefrorenen Gaddafi-Konten zurückgegriffen wird, hatte Brüssel doch nichts Eiligeres zu tun, als für Tunesien, trotz des dort nach der Flucht von Ben Ali entdeckten unvorstellbaren Reichtums - Schmuck von unschätzbarem Wert, Banknoten in Höhe von mehreren Milliarden, bündelweise tunesiche Dinar und ägyptische Pfund - eine als Zusatzhilfe bezeichnete Summe von sagenhaften 140 Millionen € in Erwägung zu ziehen 21. Hillary Clinton ihrerseits wollte darum bemüht sein, in ihrem verarmten Land 20 Millionen $ für Tunesien aufzutreiben 22. Man kann nur noch konstatieren, wie wir ausgeplündert werden.
 
Noch ein kurzer Nachtrag zur US-Gedankenwelt: Am 28. April liess sich Donald Trump, der im kommenden Jahr US-Präsident werden möchte, wie folgt vernehmen: »Wenn ich verantwortlich wäre, würde ich mich nach der Absetzung Gaddafis nicht aus Libyen zurückziehen. Ich wäre hinter seinem Öl her.«
 
 
1 Pour Paul Wolfowitz, la présence d'armes de destruction massive en Irak n'était qu'un prétexte  LE MONDE | 30.05.03 | 13h28 MIS A JOUR LE 30.05.03 | 20h23 et La présence militaire américaine en Irak va devoir se prolonger LEMONDE.FR | 31.05.03 | 09h18   •  MIS A JOUR LE 31.05.03 | 09h22
2 http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/plan-to-oust-saddam-drawn-up-two-years-before-the-invasion-1885155.html   1. 2. 2010 Plan to oust Saddam drawn up two years before the invasion - Secret document signalled support for Iraqi dissidents and promised aid, oil and trade deals in return for regime change - By Michael Savage, Political Correspondent
3 Freitag 3608.09.2006 Arundhati Roy Sorry, diese Iraker tun uns leid
4 http://www.wsws.org/de/2011/apr2011/liby-a12.shtml   12. 4. 11
Europäische Union bereitet Bodentruppen für Libyen vor - Von Chris Marsden
5 http://www.jungewelt.de/2011/04-01/052.php  1. 4. 2011
»Wieder einmal ein Raubkrieg der USA« - Scharfe Kritik der Kommunistischen Partei an Beteiligung Dänemarks am Angriff auf Libyen. Ein Gespräch mit Jørgen Petersen - Interview: Freja Wedenborg - Jørgen Petersen ist Vorsitzender der dänischen Kommunistischen Partei
 6 http://www.jungewelt.de/2011/04-18/040.php  Sturz Ghaddafis von langer Hand geplant - Bengasi-Revolte kommt NATO gelegen - Von Jaya Ramachandran (IPS)
7 http://bazonline.ch/ausland/die-arabische-revolution/Libyen-ist-ein-schwarzes-Loch-/story/17037314?dossier_id=852   16. 4. 11  Libyen ist ein schwarzes Loch - Von Alain Zucker
8 http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/USA-setzen-ab-sofort-bewaffnete-Drohnen-in-Libyen-ein/story/12175197   21. 4. 11  jak/sda
9 http://www.wsws.org/de/2011/apr2011/liby-a28.shtml  28. 4. 11  USA und Großbritannien wollen Libyenkrieg ausweiten - Von Bill Van Auken
10 https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/04-16/035.php  Dreierbande - Sturz  Ghaddafis als Kriegsziel - Von Werner Pirker
11  F.A.Z. Nr. 88 vom 14. 4. 2011, Nr. 88 / Seite 1; Leitartikel: Ein New Yorker Frühling von Andreas Ross
12 http://alexandravaliente.wordpress.com/2011/04/18/paul-craig-roberts-on-libya/  18. 4. 11
Paul Craig Roberts on Libya
13 http://www.jungewelt.de/2011/04-12/043.php   War must go on Libyen - Libyen-Friedensplan abgelehnt - Von Werner Pirker
14 http://www.wsws.org/de/2011/apr2011/liby-a28.shtml  28. 4. 11  USA und Großbritannien wollen Libyenkrieg ausweiten - Von Bill Van Auken
 15 Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 73 vom 28. 3. 2011 / Seite 28 - Vom Tötungsverbot; Gerd Hankel: Das Tötungsverbot im Krieg. Ein Interventionsversuch. Hamburger Edition, Hamburg 2011. 131 S., geb., € 12.-
16 http://bazonline.ch/ausland/die-arabische-revolution/Juengster-Sohn-und-drei-Enkel-Ghadhafis-bei-NatoAngriff-getoetet/story/26096684?dossier_id=852  1. 5. 11
17 http://www.jungewelt.de/2011/04-18/040.php   18. 4. 11
Sturz Ghaddafis von langer Hand geplant - Bengasi-Revolte kommt NATO gelegen
Von Jaya Ramachandran (IPS)      
18 Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von www.antikrieg.com
http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=11798&title=Freunde+kaufen+schafft+mehr+Feinde+&storyid=1001299657722   9. 3. 11 Von Ron Paul
19 http://www.jungewelt.de/2011/04-15/053.php  Die Waffen nieder! - Von Knut Mellenthin
20 http://bazonline.ch/ausland/die-arabische-revolution/Schon-ueber-2000-Einsaetze-und-kein-Ende-in-Sicht/story/18115407?dossier_id=852   14. 4. 11
21 http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-13055153  12. 4. 11 EU demands Tunisia do more to stop illegal migration - José Manuel Barroso said the EU wanted ›strong and clear action‹ from Tunisia in return for the 140m euros (£124m; $202m) in extra aid it was considering.
22http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5ibDVhzo8KbVixAMOb4ebFVua04Cw?docId=CNG.9c024f6975002ea374ae27d6ace48f81.91  16. 3. 11   Clinton in Tunisia to back democracy transition By Lachlan Carmichael