Ulrich Schlüer - Wer organisiert die Rückschaffung der Illegalen? Drei Monate sind vorbei! 06.06.2011 00:02
Seit Monaten strömen Tunesier, unechte Flüchtlinge aus einem Land, in dem ein Befreiungs-Coup alle Fluchtgründe beseitigt hat, nach Italien.
Dort
erhalten sie Touristenvisa, die ihnen für drei Monate volle Bewegungsfreiheit
in ganz Europa sichern. Italien erreicht mit dieser Visa-Erteilung die rasche
Durchschleusung dieser illegalen Einwanderer in alle dem Schengen-Vertrag
angeschlossenen Staaten. Damit verletzt Italien das Dublin-Abkommen
der Europäischen Union aufs schwerste. Mit diesem auch von Italien
unterzeichneten Abkommen verpflichteten sich die EU-Staaten untereinander, dass
jenes EU-Land, das von einem Asylsuchenden als erstes betreten wird, für die
Registrierung des Neuankömmlings verantwortlich ist. Der Registrierung hat
gemäss Dublin-Abkommen die Prüfung des Asylantrags zu folgen. Fehlen
Asylgründe, muss der Gesuchsteller als illegaler Einwanderer zwingend in sein
Herkunftsland zurückgeschafft werden. So beschloss es die EU. Dazu verpflichtete
sich auch Italien, ohne je auch nur im entferntesten daran zu denken, das
Unterzeichnete auch vertragskonform umzusetzen.
Nagelprobe
Dass
Italien zu keinem Zeitpunkt gewillt war, den Dublin-Vertrag einzuhalten, beweist
es mit seiner Massenerteilung von Touristenvisa an Tausende mit voller Absicht
nicht registrierter illegaler Einwanderer aus Nordafrika, vorderhand vor allem
aus Tunesien - wo der Diktator hinweggefegt wurde und wo jetzt ein
freiheitlicher Staat aufgebaut wird. Die Schweiz ist Hauptleidtragende der
fortgesetzten Verstösse Italiens gegen das Dublin-Abkommen. Rund 600 Aufgriffe
illegaler Einwanderer gelangten dem Schweizer Grenzwachtkorps innerhalb der
letzten 30 Tage an der Tessiner Grenze zu Italien. Etwa 250 der Aufgegriffenen
wurden umgehend nach Italien rücküberstellt. Alle übrigen seien als
Asylsuchende registriert worden, sagt Bundesbern. Das, was Italien unter
vorsätzlichem Vertragsbruch unterlassen hat, übernimmt also die Schweiz, obwohl
sie - ganz klar kein «Erst-Asylland» für die Ankömmlinge - gar nicht dazu verpflichtet
wäre. Berlusconi reibt sich vergnügt die Hände: Sein vorsätzlicher
Vertragsbruch bewirkt, dass der Schwarze Peter der Schweiz zufällt.
Frankreich
- gegenüber dem vertragsbrüchigen Italien in gleicher Situation wie die Schweiz
- handelt anders: Präsident Sarkozy hat kurzerhand den Zugverkehr zwischen
Italien und Frankreich eingestellt. Per Federstrich des Präsidenten wurde der
freie Personenverkehr zwischen dem EU-Land Italien und dem EU-Land Frankreich
suspendiert. Frankreich ist damit für Tunesier mit von Italien ausgegebenen
Touristenvisa geschlossen! Die von Frankreich eigenständig auf Zeit verfügte,
dem Buchstaben des Schengen-Vertrags eigentlich aber widersprechende Wiedereinführung
von Grenzkontrollen unterbindet weitestgehend die illegale Einwanderung von
Tunesiern nach Frankreich. Diese kommen jetzt eben in die Schweiz, wo
Funktionäre und Manager sofort Zeter und Mordio schreien, wenn die in der Krise
schlicht nicht funktionierende Personenfreizügigkeit irgendwie in Zweifel
gezogen wird.
So »funktioniert« Dublin
Die drei
Monate, für welche die italienischen Touristenvisa an illegal eingewanderte
Nordafrikaner ausgestellt worden sind, laufen demnächst für die grosse Zahl der
früh eingereisten Tunesier ab. Fragen an Schweizer und EU-Asylfunktionäre, was
nach Ablauf dieser Frist geschehe, werden allen Ernstes dahingehend
beantwortet, dass die »illegalen Touristen« am Tag des Ablaufs ihres Visas wohl
nach Italien zurückkehren müssten, wo Italien sie dann zwecks Eröffnung
ordentlicher Asylverfahren gewiss ordnungsgemäss registrieren werde. Der
Tonfall, in dem solch treuherzige Antworten von Asylfunktionären erteilt
werden, verrät es: Niemand, wirklich niemand glaubt im Ernst daran, dass diese Illegalen
je wieder nach Italien zurückkehren werden. Zumal Italien alles
unternimmt, deren Rückkehr zu verhindern. Einmal nach Europa eingedrungen,
werden sie nicht mehr aus Europa zu vertreiben sein. Dublin ist wirkungsloser
Papiertiger. Das haben jene, die in der Schweizer Volksabstimmung den Beitritt
zu Dublin und zu Schengen ablehnten, längst vorausgesagt, auch wenn sie dafür
selbst aus bundesrätlichem Mund im Abstimmungskampf zu »Lügnern« gestempelt
worden sind. Die schweren Nachteile des voraussehbaren Nicht-Funktionierens des
Schengen- und Dublin-Abkommens tragen heute freilich die Schweizerinnen und
Schweizer. Der Bundesrat geht achselzuckend darüber hinweg. Lügner sind
immer die anderen.
Trostlose Entwicklung
In
Wahrheit ist die Lage trostlos: Sowohl an der Grenze zwischen der Türkei und
Griechenland als auch an jener zwischen Bulgarien und Griechenland findet seit
Monaten kaummehr eine nennenswerte Kontrolle der EU-Aussengrenze statt. Es gibt
dort Tage, an denen die von Schleppern in grosser Zahl herangeschafften
Illegalen in grossen Paketen ohne jede Kontrolle durchgewinkt werden. Jede
Polizeidirektion in ganz Europa weiss: Dort werden insbesondere Verbrecher in
grosser Zahl nach Europa eingeschleust - praktisch hindernislos. An der
Südgrenze, also an der Mittelmeergrenze foutiert sich Italien um alles, was je
in der EU bezüglich Schengen und Dublin beschlossen worden ist.
Hauptleidtragende ist die Schweiz. Brüssel unternimmt nichts.
Bleibt die
Ostgrenze, die Grenze zwischen den osteuropäischen Neumitgliedern der EU und
den ehemaligen Satelliten der Sowjetunion. Auch da findet nicht im
entferntesten ein systematischer Schutz der Grenze statt. Zwischen der Ukraine
und Polen wurde über die angebliche Schengen-Aussengrenze ein »kleiner
Grenzverkehr« eingerichtet. Wer beidseits der dafür vorgesehenen Grenze davon
profitieren will, benötigt selbstverständlich ein Papier, das ihn als im
Grenzraum wohnhaft ausweist. Entsprechende Recherchen liefern allerdings rasch
die Gewissheit, dass entsprechende Papiere mit gezieltem Einsatz von etwas Geld
leicht von jedermann - soweit hinlänglich zahlungsfähig - ergattert werden
können. Den Schleppern hat sich an dieser Grenze lediglich ein zusätzlicher
Markt geöffnet.
Weder
Schengen noch Dublin sind krisentauglich. Die Personenfreizügigkeit wird
zunehmend Spielball von Schleppern, denen fahrlässiges und vorsätzliches
Funktionärsversagen laufend neue Tätigkeitsfelder eröffnet. Der Bundesrat
stellt sich blind. Wortreiches Verdammen jener, die sich mit solchem Versagen
auf Kosten der Bevölkerung nicht abfinden wollen, ist bald alles, was von Berns
Migrationspolitik übrig geblieben ist.
http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Drei_Monate_sind_vorbei-198
Der aktuelle
Freitags-Kommentar der Schweizerzeit
vom 3. Juni 2011
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