Die »Freunde Libyens« im Gewand der Zerstörung - Von Doris Auerbach

»In der vergangenen Woche«, vermerken die »Nachdenkseiten«, feierten die Kriegsbewunderer mal wieder ihren Sieg

über die öffentliche Meinung in Deutschland. Am 31. August 2011 erschien unter der Dachzeile Libyen-Einsatz und Völkerrechteine sogenannte Analyse von Thomas Darnstädt im Spiegel online mit dem Titel Glückwunsch, Nato! Aber bitte leise jubeln»Daß ein Gewaltverzicht ein entscheidendes Mittel zur Lösung von Konflikten ist«, so die Nachdenkseiten, »scheint wie weggeblasen: durch massiven Einsatz von Mitteln der Propaganda getilgt. In seinem Artikel kommt Darnstädt auf völkerrechtliche Bedenken zu sprechen. Aber das hat eher den Charakter von Zierrat für eine eindeutige Botschaft. Kriege sind ein Mittel der Politik. Von ähnlicher Wirkung dürfte die Überschrift des Nachfolgerartikels vom 1. September bei Spiegel online sein: Libyen-Konferenz in Paris - Westen zelebriert Sieg über Gaddafi1   

Was die Berichterstattung betrifft, so fällt auf, dass gerade die westliche Presse diesbezüglich vielfach von einer nicht zu übersehenden Einseitigkeit ist, will man ihr dies nicht als bewusstes Verschweigen von Fakten und gezielter Darbietung von Halbwahrheiten unterstellen. »Die Perversion der US-amerikanischen und europäischen Nachrichtenagenturen und ihrer Untergebenen weltweit, die Ereignisse in Libyen als Bürgerkrieg zu bezeichnen, belegt, wie aus einer kolonialen Intervention gegen ein Land, das sich die USA und ihre Partner aus diversen Gründen aneignen wollen, eine innere Rebellion gemacht wurde, die humanitär unterstützt werden mußte. Die Wahrheit ist, daß das libysche Volk seit Mitte März die ungezügelten Bombenangriffe der NATO gegen ein Land mit 6 Millionen Einwohnern, von dem ein Großteil Wüste ist, ertragen muß. Die Bombardierungen haben im ganzen Land Tod und Zerstörung verursacht, um den Söldnern, die von Anfang an der Motor der angeblichen Rebellion des Volkes gegen Muammar Ghaddafi waren, den Weg zu ebnen. 2 

Über die moralische Verwahrlosung deutscher Medien

äussert sich Frank W. Haubold 3 wie folgt: »Unerträglich und für mich bis vor kurzem unvorstellbar sind der Zynismus und die Unverfrorenheit, mit der einige NATO-Staaten aus einem mittels Propagandabehauptungen [Bomben gegen friedliche Demonstranten] ergaunerten UN-Mandat für eine Flugverbotszone ein Mandat für einen uneingeschränkten Krieg gegen ein souveränes Land machen. Und die Medien stehen nicht etwa dagegen auf oder üben auch nur verhaltene Kritik, sondern kämpfen in der ersten Reihe in der Propagandafront mit! …. Das [der Krieg in Libyen] ist für mich kein Volksaufstand, wie uns die Medien weismachen wollen, es ist ein von der NATO, Al-Kaida-Rebellen und den islamistischen Steinzeitregimes der Region (Katar!) gezielt herbeigeführter Umsturz aus niedrigen Motiven. Ja, und ich gebe es zu, ich bin fassungslos und angewidert von einem Medienkartell, das nicht nur gleichgeschaltet und völlig verantwortungslos agiert, sondern sich, ob nun bewußt oder aus Feigheit, zum Komplizen von mutmaßlichen Kriegsverbrechern macht. In Tripolis und Libyen gehen jetzt nicht nur im Wortsinn die Lichter aus. Bewaffnete Banden durchkämmen unter der Regie des Al-Kaida-Mannes Abdul Hakim Belhadj (resp. Abdel Hakim Belhadsch, Kommandeur des Militärrates von Tripolis) plündernd und mordend die widerspenstigen Wohnviertel in Tripolis und anderswo. Und die Strichjungen in den bundesdeutschen Redaktionsstuben verkaufen das dem Publikum als Befreiung von einem Terror-Regime.« Wie Haubold weiter ausführt, hat der Sky News-Reporter Alex Crawford im britischen Independent  folgendes berichtet: »Als erster Reporter, der Livematerial des vorrückenden Rebellenkonvois übertrug, wurde Crawford Zeuge des Blutvergießens, als die Rebellen Zawiyah zurückeroberten: Es wurden Menschen mit halb abgeschossenen Köpfen eingeliefert und Menschen mit abgeschossenen Beinen. Einer von ihnen war im selben Alter wie mein Sohn. Wir machten uns bereit, zu sterben. .… Wir geben es wieder, wie wir es sehen. Wir haben Gaddafi-Kämpfer gesehen, die gefesselt und hingerichtet wurden. Das ist Krieg. Das ist es, was vorgeht. Die Gegenschläge der Rebellen hier sind wirklich erschütternd. Und fast exakt zur selben Zeit sprechen führende Mitglieder der Bundesregierung den NATO-Angreifern, die die Massaker von beiden Seiten erst möglich gemacht haben, ihren Respekt aus. Respekt für die Zerstörung eines Landes und die tätige Mithilfe bei der Ermordung Zehntausender zumeist Unschuldiger! In dieses Bild der völligen moralischen Verwahrlosung paßt auch, daß die hiesigen Medien heute fast ausnahmslos das Asyl für die Familienangehörigen Gaddafis in Algerien bedauern und unisono die haßerfüllten Tiraden eines Rebellenführers nachplappern, der sich um sein wohlverdientes Schlachtfest betrogen sieht. Nein, man kann wirklich nicht soviel essen, wie man k ..…en könnte!«             

Anlässlich der internationalen Libyen-Konferenz in Paris am 1. 9. hatte der polnische Regierungschef Donald Tusk beabsichtigt, den Krieg in Libyen am Antikriegstag, dem 1. September - an diesem jährt sich der deutsche Einmarsch in Polen zum 72. Mal - mit einer entsprechenden Erklärung zu beenden. Man hätte voraussagen können, dass ein Vorstoss dieser Art nicht von Erfolg gekrönt sein würde, da die NATO offensichtlich nicht beabsichtigt, sich aus dem Land zurückzuziehen, was mit neuerlichen Zerstörungen gleichzusetzen. Wie André Scheer in der Jungen Welt 4 berichtet, »flogen die NATO-Kampfflugzeuge allein am 29. August erneut 120 Einsätze über Libyen. Davon seien 42 Angriffe gewesen, die sich vor allem auf die Umgebung der Stadt Sirte konzentrierten. Der Ort wird seit Tagen von den Aufständischen belagert, die Bevölkerung darf ihn Medienberichten zufolge nicht verlassen. Gegenüber dem russischen Onlinemagazin Argumenti.ru sagte ein früherer sowjetischer Offizier, der sich dem Bericht zufolge in der Stadt aufhält, alle Männer, die versuchten, die Stadt zu verlassen, würden verhaftet und erschossen. Ihre Familien werden zurück in die Stadt unter die Bomben geschickt. Die NATO übernehme für die Rebellen dort die Aufklärung der gegnerischen Stellungen.Die Aggressoren berufen sich hingegen noch immer auf die im März verabschiedete UNO-Sicherheitsratsresolution 1973. Ihr Sprecher Roland Lavoie kündigte am 30. 8. an, trotz der allmählichen Rückkehr der Sicherheit wolle die Allianz den Druck aufrechterhalten, bis die Gefahr für die Zivilbevölkerung gebannt sei. Die Scherben sollen dann andere zusammenkehren. Wenn die NATO ihren Job (!) erledigt hat, ist es die Aufgabe anderer, die Leitung bei der Unterstützung Libyens zu übernehmen, erklärte NATO-Sprecherin Oana Lungescu. Wir erwarten von den Vereinten Nationen, sich der Führungsrolle anzunehmen.  

Zu dem Pariser Gipfel der »Freunde Libyens« hatte man 50 Länder geladen. Wozu ist nicht ersichtlich, sind es doch gerade eine Handvoll von EU- und US-Zuständigen, die bestimmen, welche Linie zu verfolgen ist. Die dem Steuerzahler durch Konferenzen dieser Art  erwachsende Kosten, an die wir uns längst gewöhnen mussten, dringen ganz offensichtlich schon lange nicht mehr ins Bewusstsein der Regierenden. Auch an Zynismen jeder Art haben wir uns gewöhnt; in diese fügt sich die für den Libyenkrieg gewählte Bezeichnung »Unified Protector« [Vereinter Beschützer] nahtlos ein. Man muss sich zwangsläufig fragen, ob es am IQ der Verantwortlichen liegt, derart abwegige Operationsnamen zu erfinden. Nun hatte Sarkozy, gewissermassen der Vorreiter der internationalen Allianz gegen Gaddafi, schon einen Tag vor der Pariser Konferenz den Sieg über das Gaddafi-Regime vor der Versammlung der französischen Botschafter mit einer Wende von fast historischen Dimensionen verglichen. 6  Sarkozys am 31. 8. vor den in Paris versammelten Diplomaten Frankreichs gehaltenen aussenpolitischen Grundsatzrede war u.a. folgendes zu entnehmen: »Europa müsse seine Rüstungsanstrengungen verstärken, eine Selbstbeschränkung auf die Rolle als Soft Power führe nur dazu, daß die Gefahren verharmlost würden. Eine starke Militärpolitik sei nötig, damit die Europäer ihrer weltpolitischen Verantwortung gerecht werden könnten.« Sarkozys Regierung hatte im März die Hauptrolle dabei gespielt, die UNO-Resolution durchzusetzen, und sie hatte Luftangriffe schon angeordnet, noch ehe die westliche Allianz dies als Ganzes tat. Ob Ausweitung der Rüstungsproduktion, ob Angriffsstrategien, Dauerbesatzung oder ein Land erdrosselnde Sanktionen, all das wird heute unter Verantwortung verschleiert; der Friede selbst bleibt auf der Strecke.

Die beiden Regierungschefs, Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron, deren Länder die Hauptlast der NATO-Angriffe gegen das Regime getragen haben, vergassen in Paris selbstredend nicht, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. 7 »Man habe eine Koalition geschmiedet, die Ost und West zusammengebracht hat, sagte Gastgeber Sarkozy; ausdrücklich lobte er den Beitrag der arabischen Länder Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Jordanien, die den Nato-Einsatz von Beginn an unterstützt hatten.« Im Prinzip lässt sich nur noch konstatieren, dass die arabischen Helfer Gaddafi sichtlich ohne Skrupel über die Klinge springen liessen, was vermutlich auch verhindern wird, dass das von ihm erstellte Bewässerungsprojekt, das im Oktober eingeleitet werden sollte, zum Tragen kommt.  

Der Griff nach der Macht 

Einer von RiaNovosti veröffentlichten Meldung der Rossijskaja Gaseta zufolge sind die Islamisten, als Freiheitskämpfer getarnt, nach dem Sturz Gaddafis in Libyen auf dem Vormarsch. Im Hinblick auf die Entwicklung der Ereignisse werde es »der Westen aber noch bedauern, daß er die Aufständischen beim Sturz des Gaddafi-Regimes unterstützt. Die Fahne der Revolution, die mit Aufrufen zur Freiheit und Demokratie begonnen hatte, wurde den radikalen Islamisten übergeben. Zwar handelt es sich bislang nur um Einzelfälle, doch viele undurchsichtige Anführer der Rebellentruppen wecken bei zahlreichen Experten Zweifel.  Fernsehsender in Europa berichten davon, daß Al-Qaida die Führungsriege der Opposition unterwandert. Unter Gaddafi saßen viele Anführer der radikalen Islamisten hinter Gittern oder sie wurden aus dem Land gewiesen. Jetzt haben sie die Gelegenheit, Rache zu üben - im Schulterschluß mit dem Westen, der die Al-Qaida in Afghanistan und im Irak bekämpft. Die Waffen des Westens gelangen so in die Hände ihrer unversöhnlichen Feinde. Ihren Plan, Libyen in einen islamistischen Staat zu verwandeln, müssen sie verheimlichen. Sie brauchen die Unterstützung der NATO, um Gaddafi den Garaus zu machen. ….. Die Radikalen haben den Übergangsrat unterwandert; sie werden nach den Wahlen an die Macht kommen und danach ihre eigenen Regeln aufstellen. Al-Qaida wird mit Libyen eine Vorhut für Anschläge in Europa bekommen. Im Juli wurde der Kommandeur der Rebellentruppen, Abdel Fattah Junes, getötet. Der General, der übergelaufen war, hatte zuvor Gaddafis Militäroperationen gegen die Islamisten geleitet. Es ist nicht bekannt, wer ihn getötet hat. Kurz nach seinem Tod wurde Abdel Hakim Belhadsch, ein früheres Al-Qaida-Mitglied, zum Militärchef ernannt. In seinem früheren Leben war er Emir der Libyschen Islamischen Kampfgruppe gewesen, die zum Al-Qaida-Ableger in Libyen gehört. Deswegen ist es nicht verwunderlich, daß die Aufständischen bei der jüngsten Festnahme des libyschen Außenministers in Tripolis nicht Es lebe die Revolution, sondern Allahu Akbar riefen.« 8

Der NATO- Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte die UNO schon am 6. Juni aufgefordert 9, die Zeit nach dem Abgang Gaddafis vorzubereiten. »Sobald unsere Mission erfüllt ist, kann ich mir keine vorrangige Rolle mehr für die NATO in Libyen vorstellen«, erklärte er. Die Internationale Gemeinschaft müsse bereit sein, sich dann für den friedlichen Übergang des Landes zur Demokratie zu engagieren. Daran sollten auch die EU, die Afrikanische Union und die Arabische Liga beteiligt werden.« Die Bezeichnung Mission für die entfesselte Bombardierung eines Landes erfreut sich inzwischen allgemeiner Akzeptanz, taucht dieser Begriff doch auf allen Ebenen auf, ob an der Universität, in der Presse oder in der Politik. Tiefer kann man gar nicht mehr sinken. Dass wir, die Internationale Gemeinschaft, alle Folgen der Mission zu tragen haben werden, dazu braucht es keinerlei Aufforderung von Seiten Rasmussens; wir wissen, dass wir preisgegeben sind, sobald es darum geht, die Kosten für die Zerstörungen zu schultern. Der Stand derselben zum Zeitpunkt von Rasmussens Erklärung umfasste bereits rund 1.800 militärische Ziele, die entweder beschädigt oder zerstört worden waren.

»Mit Blick auf die sogenannte Unterstützungskonferenz für Libyen am 1. September wird politisch wie medial eine langfristige Militärpräsenz westlicher Staaten in dem nordafrikanischen Land vorbereitet.« So Rüdiger Göbel am 30. August 10 . Ein inzwischen in die Öffentlichkeit gelangtes Dokument deckt die Vision der UNO für die Zeit nach Gaddafi auf. Es beinhaltet Pläne für den Einsatz ausländischer Militärbeobachter sowie von der UNO organisierte Wahlen. Der UNO-Plan betont nachdrücklich, dass das Mandat des Sicherheitsrats, das als Vorwand für den Libyenkrieg diente, nicht mit dem Sturz von Gaddafis Regime endet, und dass die UNO erwägt, der NATO ein unbefristetes Mandat zu belassen, damit diese beim Schutz der Zivilbevölkerung jeweils so vorgehen kann, wie sie das beabsichtigt. Der jetzige 10seitige Plan unterscheidet sich beträchtlich von dem Plan der Rebellen, der zuvor im August in die Öffentlichkeit gesickert war; letzterer hatte Massenfestnahmen von Dissidenten vorgesehen, die Errichtung von Staatsmedien, um der Bevölkerung den Befehl zu erteilen, dem Rebellenregime zu gehorchen, sowie eine unter der Kontrolle der Vereinigten Arabischen Emiraten stehende 15.000 Mann starke Besatzungsmacht in Tripolis. Der Unterschiede zwischen den beiden Plänen kann möglicherweise zu einer Quelle von Spannungen zwischen der NATO und der UNO werden, die voneinander abweichende Auffassungen haben, wie sie Libyen regieren wollen. In Anbetracht der Einstellung der UNO, dass die NATO in Libyen weiterhin ihren Vorstellungen gemäss operieren kann, könnte die NATO-Strategie gegenüber der UNO durchaus die Oberhand behalten. 11 

Auch Knut Mellenthin bestätigt, »dass ein UNO-Plan die längerfristige Präsenz der Militärallianz in Libyen vorsieht.« 12 Es ist sozusagen überfällig, dass entgegen aller die UNO als Friedensmacht charakterisierenden Propaganda einmal klargestellt wird, dass diese auch im Falle Libyens die ihr zugeschriebene Rolle in keiner Weise erfüllt. Wie Mellenthin des weiteren schreibt, »haben sich die libyschen Rebellen zu dem UNO-Plan, internationale Militärbeobachter und Polizisten im Land zu stationieren, ablehnend geäußert. Das bestätigte  am 30. 8. der UNO-Sondergesandte für Libyen, Ian Martin. Er ließ dabei allerdings durchblicken, daß er diese Entscheidung nicht für endgültig hält. Zwar erwarte man zum jetzigen Zeitpunkt kein offizielles Ersuchen der Rebellen, bleibe aber bereit, die umfangreichen Erfahrungen einzubringen, die die UNO in vielen Nach-Konflikt-Situationen erworben hatDamit trifft Martin den Nagel auf den Kopf, denn eine Vor-Konflikt-Situation, in der sich die UNO dahingehend bewährt hätte, dass der Konflikt erst gar nicht ausbricht, sucht man in der Regel vergebens. Im übrigen hatte, wie Mellenthin berichtet, »der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abdul Dschalil, noch am 29. 8. die NATO zur Fortsetzung ihrer militärischen Unterstützung aufgerufen. Noch deutlicher äußerte sich der Verteidigungsminister der Rebellenregierung, Dschalal Al-Digheily: Selbst wenn die Kämpfe beendet sind, werden wir weiter die logistische und militärische Hilfe der NATO benötigen.« Davon ausgehend kann sozusagen mit Sicherheit prognostiziert werden, dass das Land in weiteren Unruhen versinken wird, wie dies im Irak und in Afghanistan der Fall ist. Denn, so heisst es, »das von der NATO umgesetzte Mandat des Sicherheitsrats zum ›Schutz der Zivilisten‹ endet nicht mit dem Sturz der Gaddafi-Regierung, und die NATO wird daher weiterhin eine gewisse Verantwortung haben.« Der Ratsvorsitzende Mustafa Abdul Dschalil erklärte jetzt Ende August bei einem Kriegsratschlag mit führenden NATO-Militärs in Doha, Katar, Gaddafi sei noch immer in der Lage, Schreckliches anzurichten. Er stelle nicht nur für Libyen, sondern für die gesamte Welt noch immer eine Gefahr dar. Dschalal Al-Digheily erklärte, man bräuchte weiter Hilfe bei der Beseitigung der schlafenden Zellen und der Reste des Regimes von Ghaddafi. Auch nach dem Ende der Kämpfe seien die Aufständischen auf die logistische und militärische Unterstützung der NATO angewiesen. 13

Die Beute‹, das Öl

Da Frankreich von den 20.000 Luftangriffen, die die NATO zur Unterstützung der von westlichen Geheimdiensten trainierten und gelenkten Aufständischen in Libyen ein Drittel bestritt, so Arnold Schölzel 14,  habe es - so war jüngst in einer französischen Fernsehsendung zu hören - auch einen Anspruch auf ein Drittel des libyschen Öls. Gleiches ist auch einer Meldung von Ria Novosti zu entnehmen 15, welche die französische Libération zitiert: Laut dieser hat sich Frankreich »noch zu Beginn des Libyen-Konfliktes mit dem Übergangsrat über einen Anteil an den libyschen Erdölreserven abgesprochen. Dabei handelt es sich der Zeitung zufolge um die Übergabe von 35 % des libyschen Öls unter französische Kontrolle. Dafür hätten die Rebellen eine bedingungslose Unterstützung des Nationalrats erhalten, berichtet die Zeitung am 1. 9. unter Berufung auf ein Schreiben vom 3. April 2011, in dem die Rebellen den Emir von Katar über den Deal informieren. Der französische Außenminister Alain Juppé gab jedoch am 1. 9. in einem Radiogespräch an, er wisse nichts über so ein Schreiben. Dabei bezeichnete er es als logisch, daß die Länder, die die Rebellen unterstützt haben, Vorzüge beim Wiederaufbau des Landes erhalten würden.« Wie recht er hat, schliesslich muss es sich ja lohnen, ein Land flachzubomben, auch wenn die eigenen Bevölkerung, wie absehbar, für den Wiederaufbau geradestehen muss. Im übrigen »hatte die französische Regierung«, so German Foreign Policy 16, »den Krieg maßgeblich forciert, um ihre Positionsverluste in Nordafrika - sie hatte allzu lange auf inzwischen gestürzte Diktatoren gesetzt - wieder auszugleichen.« Frankreich hatte Ende Juni »als erstes Land der westlichen Allianz bekannt, Sturmgewehre, Munition, Milan-Raketen zur Panzerbekämpfung und leichte Militärfahrzeuge an Fallschirmen über libyschen Rebellengebieten abgeworfen zu haben 17. Die französische Operation soll im Mai in den hauptsächlich von Berbern bewohnten Nafusa-Bergen in Westlibyen stattgefunden haben. Die Waffen seien zur Selbstverteidigung von Zivilistenbestimmt gewesen und könnten von diesen bedient werden. Damit scheint der Begriff Zivilist eine Orwellsche Umdeutung erfahren zu haben. Die Aktion stellt einen eindeutigen und offenen Verstoß gegen das Waffenembargo dar, das mit der Sicherheitsratsresolution 1970 vom 26. Februar über ganz Libyen verhängt worden war. Nach übereinstimmender Interpretation der maßgeblichen NATO-Staaten gilt das Embargo jedoch seit der am 17. März beschlossenen Resolution 1973 nicht mehr für die Rebellen. ……. Als erstes Land hatte das kleine arabische Fürstentum Katar mit der Lieferung von Waffen an die libyschen Aufständischen begonnen. Der Leiter der politischen Kommission der Afrikanischen Union, Jean Ping, hatte gewarnt, daß das Vorgehen Frankreichs das Risiko eines Bürgerkrieges, das Risiko einer Teilung des Landes und das Risiko einer Somalisierung des Landes steigere.«

Unsere sich allzu gernvollmundigausdrückenden EU-Parlamentarier versorgten uns einmal mehr mit einem Spruch, den ja wohl niemand mehr ernstnehmen kann. Die Revolution des libyschen Volkes ist nach Worten des EU-Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek 18 ein deutlicher Wink in Richtung aller Diktatoren der Region. »Durch brutale Gewalt werden die Diktatoren ihre Regierung nicht fortsetzen können. Der Sturz von Muammar al-Gaddafi ist ein ernstzunehmender Hinweis für Bashar al-Assad, Ali Abdullah Saleh und viele andere«, hiess es in einer von RIANovosti bekanntgemachten Erklärung Buzeks. Damit dürfte sich dieser in den Augen zahlreicher Leser mehr als lächerlich gemacht haben; tiefere Kenntnissse hinsichtlich der bestehenden Zusammenarbeit des Westens mit den von ihm zitierten Diktatoren - Militärpakte und Geheimdienste eingeschlossen - scheinen ihm abzugehen, zumal generell alle Diktatoren, solange sie der Konzernwelt und den strategischen Zielen der EU und der USA dienen, auch nach einem Libyenkrieg weiterhin ungefährdet agieren können. Ein Blick nach Saudi-Arabien, einem der repressivsten Regimes dieses Globus, belegt dies: Für Verteidigungsminister de Maizière ist Saudi-Arabien »für uns [also für Deutschland] ein Stabilitätsanker in der Region; trotz seines politischen Systems, das er ablehne, ist es für uns ein wichtiger Partner.«  

Es kann also weitergehen

legt Arnold Schölzel dar: »Das meint auch die FAZ, in der Militärexperte Lothar Rühl am selben Tag [31. 8. 11] seinerseits die strategischen  Folgerungen aus der Libyen-Krise zog. Die konstanten Prioritäten westlicher Politik rückten nun wieder in den Vordergrund, zumal Libyen nur ein Nebenkriegsschauplatz sei. Man könnte meinen: Rühl überläßt ein strategisch marginales Land gern subalternen Politikern in Paris oder London. Für Washington (und wohl auch für Berlin) aber liege der strategisch-geopolitische Schwerpunkt gegenüber diesem Teil der Welt nicht im westlichen Nordafrika und Mittelmeer, sondern eindeutig zwischen der Türkei, Ägypten und dem Horn von Afrika im Nahen und Mittleren Osten. Israel, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien samt der ganzen arabischen Golfküste und der noch immer nicht stabile Irak sind die Partner oder Klienten, die mit Vorrang geschützt und im Innern stabilisiert werden müssen, wenn die vitalen westlichen Interessen an der Sicherheit der Region und ihrer Energiequellen gefördert werden sollen. Die entscheidende Konsequenz Rühls aber ähnelt der Sarkozys: Europäische See- und Luftstreitkräfte, Luftlandekräfte, Lufttransport, operative Aufklärung, luftbewegliche und seegängige Expeditionskorps müssen gemeinsam aufgebaut und unterhalten werden.  Dazu fehlen die Mittel? Rühl kennt die Lösung: In drei Jahren, nach dem Afghanistan-Krieg, werde das leichter, aber auch dringend. Nur so könnten die USA für ihre strategischen Aufgaben im Nahen und Mittleren Osten und in Asien entlastet werden19  Die Bundesregierung hatte den NATO-Verbündeten am  27. 8. geschlossen ihre Anerkennung für den Einsatz in Libyen gegen das Gaddafi-Regime ausgesprochen. Merkel und Westerwelle sprachen den Alliierten ausdrücklich ihren Respekt aus, während Die Linke ihre grundsätzliche Kriegsablehnung bekräftigt und die Würdigung des NATO-Einsatzes in Libyen durch die Bundesregierung scharf kritisiert hat. Ein Kriegseinsatz sei unter keinen Umständen eine Lösung, sagte ihr Vorsitzender Klaus Ernst in Berlin. »Daß ein NATO-Einsatz von den Parteien im Bundestag - außer von der Linken - nahezu mit Selbstverständlichkeit für richtig erachtet werde, sei erschreckend, fügte er hinzu.«

Inzwischen ist der Übergangsrat der Rebellen von zahlreichen Staaten anerkannt worden, so auch von Russland, der Türkei, der Ukraine, von Kroatien und Bulgarien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wie den BBC Nachrichten vom 31. August zu entnehmen war, hat Saif al-Islam Gaddafi, einer der Söhne Gaddafis, geschworen, den Kampf weiterzuführen, dies kurz nach einer Erklärung seines Bruders Saadi Gaddafi am Al-Ray TV, der zufolge dieser autorisiert sei, mit der Führung des Nationalen Übergangsrats zu verhandeln, um den Krieg in Libyen zu beenden. 20  Hält man sich die brutale Übermacht der NATO und aller mit ihr Verbündeten vor Augen, so erscheint ersteres als schwerlich durchführbar; zudem ist der Niedergang des Landes in einem ausbrechenden Bürgerkrieg oder bei fortgesetzten Kampfhandlungen so gut wie sicher. Dafür genügt ein Blick auf den Irak und auf Afghanistan. Frankreichs Spitzenpolitiker betonen immer wieder, wie wichtig die Unterstützung für den Sturz Gaddafis gewesen sei. Frankreichs Aussenminister Alain Juppé erklärte bei einem Besuch in Berlin Ende August: »Nur das militärische Eingreifen der internationalen Gemeinschaft hat ein echtes Blutbad verhindert«, während die Zeitung Libération am 3. 9. eine frühere Aussage Sarkozys zitiert, Frankreich handle in Übereinstimmung mit einem universellen Gewissen (wo? Anmerk. politonline) einzig und allein, um die Zivilbevölkerung zu beschützen

Man kann weder dem einen noch dem anderen seinen Spruch abnehmen, dafür umso mehr den Kommentar der Libération: »Wie dem auch sei, die französischen Ölkonzerne werden reichlich von dem Krieg profitieren


Sämtliche Hervorhebungen durch politonline

1 http://www.nachdenkseiten.de/?p=10621#more-10621  2. 9. 11  PR macht aus Kriegen bewunderte Instrumente der Politik
2  http://www.jungewelt.de/2011/08-25/039.php   25. 8. 11  Kolonialkrieg gegen Libyen - Von Stella Calloni - Stella Calloni ist eine bekannte Journalistin und Buchautorin in Argentinien. Ihr Kommentar wurde am Dienstag abend (Ortszeit) von der staatlichen argentinischen Nachrichtenagentur Telam veröffentlicht
3 http://ef-magazin.de/2011/08/31/3163-nato-und-islamisten-in-libyen-beim-toeten-seite-an-seite    31. 8. 11  NATO und Islamisten in Libyen: Beim Töten Seite an Seite - von Frank W. Haubold
4 http://www.jungewelt.de/2011/08-31/059.php   André Scheer »Mission accomplished«
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,783908,00.html   1. 9. 11 Konferenz der Freunde Libyens
6 http://www.wsws.org/de/2011/sep2011/libi-s03.shtml  3. 9. 11  Bill van Auken Libyens Freunde teilen sich in Paris die Beute auf
7 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,783908,00.html   1. 9. 11 Konferenz der Freunde Libyens
8 http://de.rian.ru/politics/20110902/260378838.html  2. 9. 11 Islamisten getarnt als Freiheitskämpfer: Al-Qaida lockt Westen in Falle 
9 http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/NatoGeneralsekretaer-ruft-zum-finalen-Schlag-gegen-Ghadhafi-auf/story/27720728   6. 6. 11
10 http://www.jungewelt.de/2011/08-30/060.php   30. 8. 11 Rüdiger Göbel - »NATO steh uns bei«
11 http://news.antiwar.com/2011/08/29/leaked-uns-plan-for-post-gadhafi-libya/   29. 8. 11 
Leaked: UN’s Plan for Post-Gadhafi Libya - NATO 'Mandate' to Continue Beyond Regime's Fall
12 http://www.jungewelt.de/2011/09-01/069.php  NATO will bleiben - UN-Plan sieht längerfristige Präsenz der Militärallianz in Libyen vor - Von Knut Mellenthin
13 http://www.jungewelt.de/2011/08-30/060.php   30. 8. 11 Rüdiger Göbel - »NATO steh uns bei«
14 http://www.jungewelt.de/2011/09-02/026.php   Beuteverteilung in Paris  -  Von Arnold Schölzel
15 http://de.rian.ru/politics/20110901/260366981.htm   2. 9. 11  Big Business: Paris erhält 35 Prozent des libyschen Erdöls
16 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58063   16. 5. 11  Der lachende Dritte
17 http://www.jungewelt.de/2011/07-04/009.php   4. 7. 11  Spaltungsgefahr  -  Frankreich wirft »Selbstverteidigungswaffen für Zivilisten« über Libyen ab. Afrikanische Union befürchtet »Somalisierung« - Von Knut Mellenthin
18 http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=28496&title=Libyen-Krieg+-+EU-Parlamentspr%E4sident+droht+Syrien+und+Jemen&storyid=1001314012948   22. 8. 11 Quelle: RIA Nowosti, de.rian.ru
19 http://www.jungewelt.de/2011/09-03/059.php  Klein- und Großstrategen - Der Schwarze Kanal - Von Arnold Schölzel
20 http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-14739743  31. 8. 11  Libya conflict: Saif al-Islam Gaddafi vows resistance