»Mit der Einheitswährung zerstört sich Europa selbst« - Von Prof. Dr. Wilhelm Hankel 25.09.2011 22:49
Staat und Währung lassen sich nicht trennen [1]. Da die EU bei der Schaffung des Euros diese fundamentale Tatsache glaubte übergehen zu können,
steht die
Europäische Einheitswährung vor dem Scheitern. Auch die angekündigten
«Rettungsmassnahmen» sind als untauglich zu beurteilen. So, wie der Euro ›gerettet‹ werden soll (was ohnehin zum Scheitern verurteilt ist), werden
den dafür kräftig zur Kasse gebetenen Euro-Staaten essentielle ›Königsrechte‹ der Parlamentsdemokratie entzogen, während die Staaten, denen
damit geholfen werden soll - in Wahrheit werden nur ihre Geldgeber, die Banken,
entschuldet - unter das Finanzdiktat der EU und des in dieses Programm
mit eingebundenen Internationalen Währungsfonds (IWF) gestellt werden; im
Klartext bedeutet dies die politische Entmündigung. Demokratie in Europa sollte
anders aussehen!
Die Bevölkerung wehrt
sich
In der
Bevölkerung wachsen Skepsis, Besorgnis und Widerstand gegen diese
Europapolitik. Man demonstriert auf der Strasse und stimmt auf Kosten des
Steuerzahlers mit dem Geldschein gegen den Euro und seine Rettung ab. Man fragt
zu Recht: Was ist das für ein Europa, das seinen Staaten zwar die Aufgaben
belässt, aber die Instrumente und Mittel nimmt, diese zu lösen? Die Instrumente
werden auf die EU-Ebene verlagert, doch dort besteht weder die Verpflichtung,
noch die Bereitschaft, an der Lösung der den Nationalstaaten belassenen
Aufgaben – wie der gegenwärtigen Krisenbekämpfung – mitzuwirken. Die EU, ein
Nicht-Staat, der gerne ein echter werden möchte, zerstört Europas traditionelle
Staatenwelt und Kultur, ohne das Vakuum, das er schafft, zu füllen. Worin liegt
der Nutzen eines EU-Apparates, der sich ungehemmt und mit steigender Tendenz
aufbläht (denn kein Parlament kontrolliert ihn), aber nichts weiter
leistet, als immer neue Kompetenzen an sich zu ziehen und Geld
umzuverteilen? Dieses Europa ist kein Vorbild für einen modernen schlanken,
transparenten, effizienten und sparsamen Staat.
Inflationsgefahr
Die
akutesten Gefahren drohen Europas Bürgergesellschaft von der diffusen ›Gefechtslage‹ an der Währungsfront. Mit der statutenwidrigen Einbeziehung der
Europäischen Zentralbank (EZB) in das Management der Euro-Rettung – die Bank kauft
seit Ausbruch der Griechenland-Krise (Frühjahr 2010) ungehemmt und im
Milliardenumfang (genaue Zahlen werden verweigert) die am Markt nur noch unter
extrem hohen Kursverlusten verwertbaren ›Schrott‹-Anleihen der Problemländer, längst
auch anderer als jener Griechenlands. Mit dem dadurch kontinuierlich
anschwellenden Geld- und Liquiditätsspiegel wächst fortlaufend das
Inflationspotential der gesamten Eurozone. Die EZB verschleiert die davon
ausgehenden Gefahren für die innere Stabilität des Euros systematisch vor der
Öffentlichkeit. Dafür wendet sie drei technische Kunstgriffe (allesamt
Verharmlosungstaktiken) an. Eine unkritische Fachpresse sowie die Medienwelt
nehmen sie ihr ab.
Der erste
Kunstgriff besteht darin, den Inflationsbegriff möglichst eng zu fassen. Für
die Europäische Zentralbank und die ihr angeschlossenen Zentralbanken der
Euroländer besteht Inflation lediglich in der Verteuerung der Lebenshaltung,
also im Anstieg der Konsumgüterpreise. Was gleichzeitig an den Vermögensmärkten
(an den Börsen, im Immobiliensektor, an den Rohstoffmärkten bei Mineralöl,
Nutz- wie Edelmetallen und im Agrarsektor) geschieht, bleibt ausser Betracht. Dabei
gehen von dieser «asset inflation» höchst gefährliche Zweitrundeneffekte (Lohn-
und Preissteigerungsspiralen) sowie sozial explosive Verzerrungen aus: Die
Gewinne (besonders im Finanzsektor) steigen stärker als die Arbeitseinkommen.
Sie verwandeln die Arbeitsgesellschaft in ein Spielkasino: Warum noch hart und
diszipliniert arbeiten, wenn man ohne Arbeit an der Börse ein Vielfaches
verdienen kann? Die Währungshüter beklagen zwar die damit einhergehende
Spekulation und Blasenbildung an den Vermögensmärkten, aber sie verdrängen,
dass sie mit ihrer die Inflation antreibenden Geldexpansion und monetären
Verflüssigungspolitik (quantitative easing und Monetisierung der
Staatsschulden) den Grund und die Mittel dafür liefern.
Statistisches Doping
Das zweite
Verfahren zum Herunterspielen der Inflationstendenzen und -gefahren besteht im
statistischen Doping. Die Europäische Zentralbank nimmt als Messlatte der
Inflation in der Eurozone den von ihr harmonisierten Verbraucherpreisindex
(HVPI). Er verrechnet die beträchtlichen Inflationsdiskrepanzen innerhalb der
Europäischen Zentralbank [seit Einführung des Euros allein in Griechenland bis
zu 40 %] zu einem auf das ganze Euroland umgerechneten Durchschnittswert. Der
harmonisierte Verbraucherpreisindex ist ein statistisches Konstrukt, das für
kein einzelnes [und reales] Euroland repräsentativ und aussagekräftig ist. Es
gibt keinen Euroland-Bürger und -Konsument, sondern nur deutsche, griechische
oder portugiesische. Diese können mit diesem Durchschnittswert nicht allzuviel
anfangen. Der Unterschied zwischen der amtlichen Inflation und der ›gefühlten Inflation‹ der Bürger findet hierin seine
Erklärung. Nur: Er stärkt nicht die Glaubwürdigkeit der Europäischen
Zentralbank und ihren Anspruch, eine zweite Deutsche Bundesbank auf
europäischer Ebene zu sein.
Das dritte
Verfahren liegt in der Methode, die Inflation allein in nominalen Werten und
Zuwachsraten zu publizieren und nicht in einer realen, auf die
Einkommenssituation der Menschen bezogenen Kaufkraft. Auf diese Methode gestützt
kann der Europäische Zentralbank-Präsident landauf, landab behaupten, der Euro
sei in den elf Jahren seit seiner Einführung stabiler gewesen als die gute alte
DM. Doch zu DM-Zeiten waren die Einkommenszuwächse Jahr für Jahr deutlich höher
gewesen als der gleichzeitige Preisanstieg: Die reale Kaufkraft der DM-Einkommensbezieher
war Jahr für Jahr gestiegen, nicht gefallen, oder günstigsten Falles
gleichgeblieben. Profitiert vom Euro haben die arbeitenden Deutschen in keinem
einzigen Jahr, es sei denn, sie spekulierten an der Börse und hatten dabei Erfolg.
Deutschland hat nicht
profitiert
Dementsprechend
hat auch die deutsche Volkswirtschaft nicht vom Euro profitiert. Die
Kapitalabflüsse in die defizitären Euroländer [diese hatten deren
Leistungsbilanz und weitgehend auch deren Budgetdefizite und damit deren
Inflation zu finanzieren] haben in Deutschland das Zinsniveau – besonders für
den auf Bankkredite angewiesenen Mittelstand – hochgehalten und das
Investitionsniveau auf den niedrigsten Stand aller Euroländer gesenkt. Wenn
Deutschlands Exportwirtschaft gleichwohl boomte, hat das andere Gründe als den
Euro. Ludwig Erhards Prognose, dass Deutschlands »Feld die Welt(wirtschaft)«
sei und nicht Europa, hat sich auch in der Euro-Zeit voll bestätigt: Der Anteil
der deutschen Exporte in Euroländer ist (trotz der dort zu erzielenden
Inflationsgewinne) annähernd konstant geblieben. Keine Euro-Lüge war
offensichtlicher [und bis heute schändlicher] als die Behauptung, der Euro habe
Deutschland genützt. Deutschland hat für den Euro bezahlt – und das nicht allzu
knapp.
Bedrohte Demokratie
Die
Wahrheit ist: Das Europa-Establishment hat mit dem Projekt der gemeinsamen
Währung der Demokratie in Europa und seinen bürgerlichen Gesellschaften
schweren Schaden zugefügt. Denn instabiles Geld zieht die Destabilisierung
der Gesellschaft nach sich, weil es die Freiheit beschränkt, die
Eigentumsrechte schädigt und mit Krise, Kapitalflucht und dem Streik der Sparer
und Investoren Grundlagen und Kräfte nationalen Wohlstands zerstört. Inflation
ist weder ein Anreiz zum Sparen, noch zu einem sicheren Planen für die Zukunft.
Und wird es auch niemals werden. Beide Kardinalfehler der europäischen
Integration – der Vorrang der undifferenzierten Erweiterung der EU vor ihrer
inneren Stärkung (›Vertiefung‹), der Verzicht auf eine klare
marktwirtschaftliche Ordnungspolitik à la Ludwig Erhard, und jetzt in der Krise
auf ein effizientes Krisenmanagement, erklären hinreichend, warum die EU mit
ihren Zielen und mit ihren Repräsentanten in der Öffentlichkeit nicht ankommt.
Die Bürger merken es und sind von diesem Europa und seinen Führern enttäuscht
und wenden sich ab.
Tödliche
Faktenblindheit
Die EU ist
dabei, sich überflüssig zu machen. Sie überlässt es den Mitgliedstaaten, mit
den Folgen und Kosten einer durch sie noch verschärften Krise, also mit
Arbeitslosigkeit, Verarmung, Überschuldung, Bankensanierung, Euro-Rettung usw.,
fertigzuwerden; all dies muss von den Staaten geleistet und bezahlt werden.
Daher mutet es nicht bloss wie Hohn, vielmehr weit schlimmer, wie
Realitätsverlust an, wenn EU-Politiker linker wie rechter Couleur - einig, aber
ratlos wie selten - gebetsmühlenartig erklären, ohne EU und Euro wäre alles
noch weit schlimmer gekommen und nichts sei deshalb vordringlicher als eben die
Rettung des Euros durch seine Benutzer, die Staaten, ihre Sparer und
Steuerzahler.
Politiker
und Ökonomen in den Nicht-Euro-Staaten (Schweiz, Skandinavien, USA) fragen
sich, was angesichts von soviel Faktenblindheit und kollektiver Verdrängung zur
Lösung der Krisenprobleme angemessener sei: Nur den Kopf zu schütteln oder die
Weltöffentlichkeit eindringlich vor den Folgen der sich in Europa anbahnenden
Sozialkatastrophe zu warnen.
1 Quelle: Schweizerzeit vom 11. 9.
2011
http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Mit_der_Einheitswaehrung_zerstoert_sich_Europa_selbst-307
Das
Euro-Abenteuer geht zu Ende: Wie die Währungsunion unsere Lebensgrundlagen
zerstört – Von Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider,
Dieter Spethmann, Joachim Starbatty; Kopp-Verlag; EUR 19,95
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