EFSF-Ausweitung: »Verteilungskampf zwischen Finanzindustrie und Steuerzahlern« 09.10.2011 19:46
In der letzten Woche haben die Parlamente von Deutschland, Österreich, Estland, Zypern und der Niederlande die geplante Ausweitung des europäischen
Rettungsfonds
EFSF genehmigt. In Deutschland tobte um die Abstimmung am 29.9. ein schwerer
politischer Kampf; 13 der 85 Nein-Stimmen kamen aus den Koalitionsparteien von Merkel.
Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler betonte in seiner Rede, das Übel habe
tatsächlich am 11. 2. 2010 begonnen, als die Staats- und Regierungschefs der EU
in einem kollektiven Gesetzesbruch entschieden,
Griechenland Geld zu überweisen. Das habe sich seither mehrfach wiederholt, die
EFSF-Ausweitung sei nur der jüngste Fall. Schäffler warnte, der Fonds werde ähnliche
Risiken wie Hedgefonds eingehen, es werde Spekulation auf Kredit geben, und der
europäische Steuerzahler werde am Ende diese Spekulationen bezahlen müssen.
Eine
äußerst dramatische Zukunft für die EU-Steuerzahler hat der Ökonom Prof. Stefan
Homburg von der Leibniz-Universität Hannover in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. 9. vorausgesagt.
»Zieht man
historische Parallelen heran, wird der Euro ein böses Ende nehmen. Ein Kollaps
der Währungsunion erscheint kaum noch abwendbar.« Die Behauptung von Kanzlerin
Merkel, man müsse die Währungsunion um jeden Preis retten, sei falsch, denn: »Global und historisch betrachtet
ist die Zahl von Staatspleiten und Währungszusammenbrüchen Legion.« Homburg sagte weiter: »Die Regierungschefs und die EZB
werden das Ende des Euros durch ihre Manöver so lange wie möglich hinauszögern.
Sie haben jedoch sämtliche Stabilitätsregeln des Vertrags von Maastricht
gebrochen.« Er
bestätigte, was die ›Executive Intelligence Review‹ immer wieder betont: daß
die Steuerzahler die Banken retten sollen: »Der Verteilungskampf zwischen
Finanzindustrie und Steuerzahlern bildet den ökonomischen Kern des Problems, er
wird aber verdeckt geführt und verschleiert. .... Vor zwei Jahren befanden sich
fast alle griechischen Staatsanleihen in privater Hand, inzwischen ist rund die Hälfte
beim Steuerzahler angekommen. Es ist absehbar, daß in wenigen Jahren
auch die andere Hälfte verschoben wird.« Homburg warnte vor einer massiven Inflation
und Enteignung
der Bürger: »Im Moment ist die Inflationsrate nicht hoch. Aber die Metapher der
Ketchup-Inflation warnt: Wie bei einer Ketchupflasche, die man schüttelt, kommt
zuerst nichts heraus, und dann ein ganzer Schwall, den man nicht aufhalten
kann. Mit der Inflation verhält es sich ähnlich. Wenn sie erst kommt, wird die
EZB sie kaum über Verkauf von Staatsanleihen oder über massive Zinserhöhungen
aufhalten können. Das würde vor allem
Vermögensbesitzer hart treffen - wie schon in der Vergangenheit. Im Ersten und Zweiten
Weltkrieg sind die Ersparnisse der Bürger in den Kauf von Kriegsgerät gegangen,
dieses Scheinvermögen wurde dann durch die Währungsreformen 1923 und 1948
aufgedeckt. Die Geschichte zeigt, daß Regierungen, wenn es ernst wird, zu
radikalen Mitteln greifen wie Enteignungen, Vermögensabgaben oder
Goldbesitzverbot. Auch der normale Eigenheimbesitzer, Riester-Rentner oder
Lebensversicherte wird sein Fett wegbekommen. Ist der Staatsnotstand erst
erreicht, sind auch die Grundrechte außer Kraft.« Dann
gebe es für kaum jemand noch Hoffnung, höchstens für »jene
ehrenwerten Mitglieder der Finanzindustrie, die jetzt noch ein oder zwei Jahre
mit Steuerzahlers Hilfe Kasse machen, um sich dann mit dem eigenen Flugzeug auf
die eigene Insel zu verabschieden und aus der Ferne zuzusehen, wie die übrigen
hier klarkommen«.
Wissenswert
ist sind auch folgende Forderungen, die in einem geheimen, vom »Corriere
della Sera«
am 29. 9. veröffentlichten Schreiben der Europäischen Zentralbank vom 5. August
an die italienische Regierung enthalten sind: Der Wortlaut zeigt schonungslos,
wie ungeheuerlich die supranationale ›Governance‹ jetzt schon über den Kopf
demokratisch gewählter Regierungen hinweg entscheidet und gibt einen
Vorgeschmack darauf, was zu erwarten ist, wenn dieses System, wie von den
EU-Institutionen und Finanzmärkten geplant, ausgebaut wird. Der
EZB-Vorsitzende Jean-Claude Trichet und sein designierter Nachfolger Mario Draghi
haben den Brief unterzeichnet. Trichet hatte noch bei einer Pressekonferenz am
8. 9. auf eine Frage von ›Executive Intelligence
Review‹, ob der italienischen
Regierung in dem Brief Maßnahmen diktiert würden, wie folgt geantwortet: »Das sind
Mitteilungen - wir diktieren oder zwingen zu gar nichts.« Aber
wenn man den Text liest, ist ›Diktat‹ eher noch eine Untertreibung. Er ist
in Ton und Inhalt unverschämt, der Corriere
nennt ihn ›sicherlich außerhalb des
Rahmens der klassischen Zentralbankliturgie‹
und ›sehr scharf, an Zynismus
grenzend‹. Trichet und Draghi
fordern die ›völlige Liberalisierung lokaler öffentlicher Dienstleistungen und
professioneller Dienste‹, vor allem durch ›umfangreiche Privatisierungen‹, Ersetzen
von Tarifverträgen durch ›Vereinbarungen auf Unternehmensebene‹,
Lockerung des Kündigungsschutzes, Anzielen eines 1%-Defizits für 2012 durch
Haushaltskürzungen im Umfang von 3 % des BIP, Erhöhung des Rentenalters für Frauen
in der Privatwirtschaft, ›beträchtliche
Senkung der Kosten für Staatsbedienstete ....., notfalls durch Gehaltskürzungen‹, Abschaffung von Provinzregierungen,
Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung und ›Leistungskataloge‹ in
Gesundheits-, Bildungs- und Justizwesen. ….. Mehr EU- ›Governance‹, so Strategic Alert, wird alles nur noch verschlimmern. Der
Großspekulant George Soros forderte kürzlich, die EZB solle als ›europäisches Finanzministerium‹ agieren, bis ein solches durch einen
neuen EU-Vertrag geschaffen wird. Die EZB würde dann nicht nur Großbanken
übernehmen und deren Kapital und Vermögenswerte direkt refinanzieren, sondern
auch den Haushalt von Ländern wie Italien und Spanien verwalten. Sonst sei der
Euro nicht zu retten, meinte Soros. [1]
Was sich
auf der G-20-Zusammenkunft vom 23. bis 24. September in Washington
ereignete, sei hier kurz nachgezeichnet:
Dort herrschte bei den ›Führern der
Welt‹ angesichts der Endphase des
globalen Finanzkollapses einfach nur Panik, nämlich völliger Irrsinn in Wort
und Tat. US-Finanzminister Geithner, der britische Finanzminister Osborne und
Präsident Obama selbst waren terrorisiert, daß die Krise der Eurozone ihre eigene
beschleunigte Zerstörung herbeiführen würde. Am Abend des 23. 9. hatte Geithner
eine Reihe hastiger Treffen und Telefonate, um Unterstützung für die Ausweitung
des Europäischen Finanzstabilitätsfonds zusammenzubringen.
Am Tag darauf erklärte er in seiner Rede vor dem IWF-Treffen: »Finanzielle
Belastungen von Staaten und Banken sind das ernsthafteste Risiko, vor dem die
Weltwirtschaft jetzt steht... Die Gefahr einer kettenreaktionsartigen Zahlungsunfähigkeit,
Runs auf Banken, und das Risiko einer Katastrophe müssen vom Tisch. Ansonsten
werden alle anderen Anstrengungen untergraben, sowohl in Europa als auch
global. Entscheidungen über den Umgang mit den Problemen der Region können
nicht warten, bis die Krise noch schlimmer wird.« In der Woche zuvor hatte Obama in
einem irren Tempo auf die Staatschefs eingeredet, um sie zur sofortigen Öffnung
der Geldschleusen (Quantitative Easing) zu bewegen. Osborne warnte am 23. 9. in
Washington: »Die
Geduld der internationalen Gemeinschaft läuft aus. Bei den Hauptakteuren der
Eurozone herrscht die Stimmung, daß ihnen die Zeit davonläuft... Die Eurozone
hat sechs Wochen, um diese politische Krise zu lösen.« Diese
Frist bezieht sich auf das nächste G-20-Treffen, das Anfang November im
französischen Cannes stattfinden soll. Warum gebärden sich die Wallstreet
(Geithner) und die Londoner City (Osborne) so hysterisch, wenn es um die
Rettung des Euros geht? Hat Brüssel nicht wiederholt behauptet, die Amerikaner
seien äußerst erfreut über das Unglück des Euros, ihres großen finanziellen
Widersachers? Nun, man muß verstehen, daß der Euro ein Geschöpf der Londoner
City ist, des um die Inter-Alpha-Gruppe zentrierten Finanzsystems, also des
gleichen Systems, das momentan und unwiederbringlich am Zusammenbrechen ist. Man
braucht nur das gegenwärtige Epizentrum der Krise, die französischen Banken,
genauer zu betrachten. Französische Banken haben ein Anlagevermögen von
ungefähr 8 Billionen €, das ist viermal soviel wie das französische BIP. Seit
Beginn des Jahres hat sich ihr Aktienwert um die Hälfte verringert, und ihre
Belastung durch mit Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staatsschulden von
EU-Randstaaten hat sie von der Refinanzierung durch die Finanzmärkte
abgeschnitten. Da sie zu 60 % von einer derartigen Refinanzierung abhängen und
die Zahlungsfrist für das dritte Quartal Ende September abgelaufen ist, ist
eine durch ein Austrocknen der Liquidität verursachte größere Bankeninsolvenz
wohl unabwendbar. Versichert sind die Schulden der französischen Banken
allerdings in New York und London. Deshalb stehen wir vor dem Platzen des
gesamten Weltfinanzsystems, und nichts kann getan werden, um es von innerhalb
des Systems zu retten. [2]
1 Strategic Alert Jahrgang 24, Nr. 40 vom 5. Oktober 2011
2 Strategic Alert Jahrgang 24, Nr.
39 vom 28. September 2011
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