Mit steinzeitlicher Logik soll die globale Führungsrolle der USA gesichert werden - Von Gwynne Dyer

Ist ein Staat, der keine Menschen mehr versklaven oder ihrer Ressourcen berauben kann, eigentlich noch eine traditionelle Großmacht?

Die USA hat mit mehr als 100.000 Soldaten 8 Jahre lang Krieg gegen den Irak geführt und dafür vermutlich rund 1 Billion $ ausgegeben. Sie hat zwar eine riesige Zahl von Irakern umgebracht (fast 1,5 Millionen), kann sie jedoch jetzt nicht länger unterdrücken und musste während der Besatzungszeit den vollen Marktpreis für irakisches Öl bezahlen. Welche Absicht hat die USA also mit diesem (gescheiterten) Unternehmen verfolgt? [1]

 

Wie dumm von mir, daß ich das vergessen konnte! Es ging ja um die Sicherheit der USA. Und jetzt geht es erneut darum, aber in einem noch viel größeren Maßstab. Am 6. Januar hat Präsident Barack Obama im Pentagon die neue Verteidigungsstrategie der USA vorgestellt [2]. Das Dokument trägt den Titel U.S. Global Leadership: Priorities for 21st Century Defense[Erhaltung der globalen Führungsrolle der USA: Prioritäten der Verteidigung im 21. Jahrhundert]. Darin geht es jedoch nicht darum, zu verhindern, daß irgend jemand die USA überfällt. Damit ist kaum zu rechnen. Es geht darum, das US-Militär so umzubauen, daß sich die USA die Herrschaft über die Welt durch militärische Überlegenheit sichern kann. Obama hatte sich zwar nicht in Tierfelle gehüllt und auch keine Steinaxt geschwungen, als er seine Rede hielt, aber seine Logik kam direkt aus der  Steinzeit: aus einer Zeit, als Land noch der einzige wertvolle Besitz war, und es noch Sinn machte, sich schwer zu bewaffnen, damit man sich gegen alle wehren konnte, die einem das Land streitig machen wollten.

 

Heute macht das aber keinen Sinn mehr. China wird nicht reicher, wenn es seine Armee andere asiatische Länder erobern läßt. Es wird reich, wenn es diesen Ländern - und der USA - Waren und Dienstleistungen verkauft, die es selbst billig herstellen kann, und Güter kauft, die anderswo noch billiger sind. Seit mindestens einem Jahrhundert lohnt es sich nicht mehr, andere Länder zu erobern – aber überkommene Verhaltensweisen sind nur schwer abzulegen. Wer Obamas Rhetorik analysiert, wird feststellen, daß er zwischen altem und neuem Denken hin- und hergerissen wird.  In der neuen US-Strategie geht es hauptsächlich um China: aber geht es um China als einem starken Handelspartner und (wirtschaftlichem Rivalen) oder um China als eine aufstrebende militärische Supermacht, die die USA durch ihre Stärke bedrohen könnte? In Obamas Rede kommt beides vor. »Unsere beiden Staaten legen großen Wert auf Frieden und Stabilität in Ostasien und sind am Aufbau kooperativer bilateraler Beziehungen interessiert«, heißt es in dem Strategiepapier (nicht in Obamas Rede, wie der Autor meint). »Aber wegen der wachsenden militärischen Macht Chinas müssen wir uns Klarheit über seine strategischen Absichten verschaffen, weil sie Spannungen in der Region verursachen könnten.« Würde es helfen, wenn China verspräche, keinen Angriff auf irgend jemanden zu beabsichtigen? Natürlich nicht, denn das hat es ja bereits getan. Klarheit über Chinas strategische Absichten ist eine Umschreibung dafür, daß China militärisch nicht so stark werden darf, daß es die weitgefächerte US-Präsenz in Asien gefährden könnte. Das Pentagon tut so, als könne man sich darauf verlassen, daß sich die US-Streitkräfte (im pazifischen Raum) nur zur Verteidigung und Abschreckung aufhalten und keinen Angriff planen.

 

Die Chinesen sehen das aber anscheinend nicht so. Sie registrieren ja auch, daß die USA enge militärische Beziehungen zu praktisch allen Staaten an Chinas Ost- und Südgrenze unterhält, von Japan und Südkorea über Thailand bis nach Indien. Sie sehen die 7. US-Flotte täglich direkt vor ihren Küsten kreuzen. Deshalb reden sie sich auch nicht ein: »Das ist schon in Ordnung, die US-Amerikaner wollen uns nur abschrecken.« Würden es die US-Amerikaner ihrerseits den Chinesen nachsehen, wenn chinesische Truppen in Kanada und Mexiko stationiert wären und chinesische Flugzeugträger mit ihren Begleitschiffen ständig vor der Westküste der USA operieren würden? Nein, Sie würden sich ebenso bedrängt fühlen, wie sich die Chinesen fühlen müssen. Warum glaubt sich die USA von China bedroht, obwohl doch eigentlich sie China bedrohen? Zum ersten Mal in der Geschichte kann sich eigentlich keine Großmacht mehr einen Angriff auf eine andere  Großmacht leisten. Der Krieg zwischen Großmächten ist seit mehr als einem Jahrhundert wirtschaftlicher Nonsense und seit der Erfindung der Atombombe schierer Selbstmord. Und doch hat das militärische Establishment aller Großmächte noch immer zuviel Einfluß auf die öffentliche Meinung. Gemäß der neuen US-Verteidigungsstrategie kann die USA nur sicher sein, wenn alle anderen Staaten schwächer sind. Das zeugt von einer völligen Fehleinschätzung der menschlichen Psyche, es sei denn, man bedient sich dieser zynischen Argumentation, um die US-Bevölkerung  davon zu überzeugen, daß weiterhin sehr viel Geld für die Verteidigung ausgegeben werden müsse. Die Ausgaben für die Streitkräfte sind der größte Einzelhaushalt der USA, und in den meisten anderen Staaten ist das auch so. Um ihre Budgets möglichst groß zu halten, müssen die Generäle die Steuerzahler mit plausibel erscheinenden Bedrohungen erschrecken, selbst wenn diese überhaupt nicht existieren. Das Pentagon wird einen geringen Personalabbau bei der Army und beim Marine Corps (der Marineinfanterie) akzeptieren und sogar die Kürzung des Verteidigungshaushaltes um 100 Milliarden $ für einige Zeit hinnehmen, um sein Kernbudget aber erbittert kämpfen.  Obama muß sich darauf einlassen, will er nicht politischen Selbstmord begehen. Auch Peking hat eine mächtige Militärlobby, die regelmäßig die militärische Bedrohung durch die USA betont, und das chinesische Regime muß ihr ebenfalls nachgeben. Wir sind zwar schon seit einiger Zeit aus den Höhlen der Steinzeit ausgezogen, aber unsere damaligen Vorstellungen und Ängste haben wir immer noch nicht überwunden.

 

Washingtoner Schrumpftheater

Zu demselben Thema schreibt Knut Mellenthin in der jungen Welt [3], »daß die 450 Milliarden $, um die der Rüstungs- und Kriegsetat der Vereinigten Staaten angeblich im Verlauf der nächsten 10 Jahre gekürzt werden soll, eine reine Phantasiezahl sind. In Wirklichkeit ist beabsichtigt, die Ausgaben des Pentagons weiter kontinuierlich steigen zu lassen, nur etwas langsamer als bisher.« Das Ansteigen des Verteidigungsbudgets erklärte Obama wie folgt: »Weil wir globale Verantwortungen haben, die unsere Führerschaft erfordern. Ich glaube fest daran, und ich denke, das amerikanische Volk versteht dies, daß wir mit einem Verteidigungshaushalt, der auch künftig größer sein wird als der der nächsten zehn Länder zusammengenommen, unser Militär stark und unsere Nation sicher erhalten können.« Was die US-Soldaten betrifft, die Afghanistan verlassen, so werden viele von ihnen »an anderen Standorten im Ausland, hauptsächlich in der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens und hier wiederum schwerpunktmäßig auf der Arabischen Halbinsel und in den sie umgebenden Gewässern stationiert.« »Eine klare, allerdings auch nicht näher konkretisierte Aussage des Pentagon-Papiers«, führt Mellenthin ferner aus, »ist die, daß sich die USA auf militärische Konfrontationen mit China vorbereitet. Dazu heißt es dort: Auf lange Sicht enthält Chinas Aufstieg zu einer Regionalmacht das Potential, die US-Wirtschaft und unsere Sicherheit in mehrfacher Hinsicht zu beeinflussen. (…) Die Vereinigten Staaten werden auch weiterhin die erforderlichen Investitionen vornehmen, um sicherzustellen, daß wir den Zugang zur Region und die Fähigkeit zum freien Operieren im Rahmen unserer vertraglichen Verpflichtungen und des internationalen Rechts behalten. Gemeint ist damit vor allem der Anspruch der USA, in den Gewässern rund um China militärische Präsenz zu demonstrieren. Die Einkreisungsstrategie gegen China wird im Pentagon-Papier mit den Worten beschrieben: Die wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen der USA sind unlösbar verbunden mit den Entwicklungen in dem Bogen, der sich vom westlichen Pazifik und Ostasien bis in den Indischen Ozean und Südasien spannt, was eine Mischung von sich entwickelnden Herausforderungen und Chancen schafft. (…) Wir betonen unsere bestehenden Bündnisse, die eine existentielle Grundlage für die Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum darstellen. Wir werden unsere Kooperationsnetzwerke mit Partnern in diesem gesamten Raum ausweiten, um die kollektive Fähigkeit und Kapazität für die Sicherstellung gemeinsamer Interessen zu gewährleisten. Ebenfalls nur ganz kurz wird die Möglichkeit der Schaffung neuer Schauplätze im weltweiten Krieg gegen den Terror angedeutet: Während wir die US-Streitkräfte in Afghanistan herunterfahren, werden sich unsere Anstrengungen zur Terrorismusbekämpfung auf einen weiteren Raum verteilen und von einer Mischung aus direkter Aktion und Unterstützung (ausländischer) Sicherheitskräfte gekennzeichnet sein. Ausdrücklich genannt als Länder, in denen Al-Qaida und ihre Ableger immer noch aktiv seien, werden im Pentagon-Papier Pakistan, Afghanistan, Jemen und Somalia. Mit den Worten und anderswowird angedeutet, daß es selbst damit noch nicht sein Bewenden haben soll. Die ›vorrangigen Schauplätze dieser Bedrohungen seien Südasien - das umfaßt neben Pakistan auch Indien – und der Nahe/Mittlere Osten.«

 

Anmerkung politonline: Wie die USA das internationale Recht missachtet, bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Ansonsten operiert Obama mit den üblichen Verbrämungen, mit denen sich ein möglicher Schritt hin zu Angriffskriegen verschleiern lässt. »Die Zukunft der Geopolitik wird in Asien und nicht in Afghanistan oder im Irak bestimmt. Die USA muss sich im Mittelpunkt dieser Ereignisse befinden.« Dies das Leitmotiv eines Artikels der US-Aussenministerin Hillary Clinton, der in der November-Ausgabe 2011 des Magazins Foreign Policy erschien, und das sich somit mit Obamas Zielen deckt, was auch im Titel des Artikels aufscheint:Amerikas pazifisches Jahrhundert. Man kann nur hoffen, dass der offen proklamierten Führerschaft die dahinter zu vermutenden  Aggressionen verwehrt bleiben. Auch in Clintons Artikel wird die Wichtigkeit der US-Führungsrolle und -Dominanz im asiatisch-pazifischen Raum hervorgehoben. Ihre Äusserungen blieben in China nicht unbemerkt. Die amtlichen Medien kritisierten, dass dieser Raum allen Völkern der Region gehört. »Es ist merkwürdig zu hören, dass eine US-Offizielle, die immer gerne von Diplomatie redet, das nicht versteht. Wenn auch wir vor einem pazifischen Jahrhundert stehen, so wird es sich um ein pazifisches Jahrhundert aller Länder der Region handeln.«

 

Chinas Reaktion auf Clintons Artikel, legt Armen Oganesjan in RianNovosti dar, ist von grosser Bedeutung, weil das grösste Pathos in Clintons Artikel gerade an Peking gerichtet ist, das seine eigene Nische im System der regionalen und der Welt-Ordnung weiter rasant ausbaut. Der Artikel hat den Schleier um die US-Strategie etwas gelüftet. »Die USA ist sowohl eine atlantische als auch eine pazifische Macht. …. Heute haben wir eine Aufgabe: ein Netz aus Partnerschaften und Institutionen im Pazifischen Raum zu schaffen, das so zuverlässig sein und den Interessen und Werten der USA entsprechen wird wie die Beziehungen, die mit den Ländern jenseits des Atlantiks aufgebaut wurden.« Clinton spricht offen über einen notwendigen Ausbau der US-Militarpräsenz in der Region und der Militärkraft ihrer Verbündeten. Einige asiatische Wissenschaftler stellen sich die Frage: Wenn die USA will, jedoch nicht imstande ist, eine Führungsrolle zu spielen, wird sie dann nicht einen grösseren Preis dafür verlangen, dass sie als Schutzmacht agiert? Wird die USA zu alten Methoden greifen, um Konflikte zu schüren? Wie die Zeitung Renmin Ribao schreibt, hängt die Situation der USA in Asien davon ab, inwieweit sie sich in der Region engagiert. Dies ist nur möglich, wenn sie eine konstruktive Rolle bei der Wirtschaftsentwicklung der Region spielt und in verschiedenen Bereichen kooperiert. Die Militärpräsenz zu verstärken, um ihre Macht zu demonstrieren, ist ein Weg, der ins Nichts führt. Es muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass China und asiatische Länder bereits eigene  Kooperationsformen gebildet haben, bei denen China häufig die Führungsrolle spielt. Die Präsenz in einer Region mit unterschiedlichen politisch und wirtschaftlich konkurrierenden Allianzen kann neue unvorhersagbare Spannungen in die Region bringen. [4]

 

 

 

[1]  Quelle: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_12/LP01212_130112.pdf    13. 1. 11

Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein LP 012/12, denen wir die Übersetzung verdanken. Der Originalartikel steht auf

http://www.informationclearinghouse.info/article30193.htm  Information Clearing House, 9. 1.12  Stone Age Logic - Preserving US Global Leadership By Gwynne Dyer

Gwynne Dyer ist Historiker und unabhängiger Journalist, der mehrere Bücher veröffentlicht hat

und Vorträge an Universitäten hält. www.gwynnedyer.com/

[2]  Eine offizielle deutsche Übersetzung seiner Rede ist auf

http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/2012/01/05/uberprufung-der-verteidigungspolitik/

nachzulesen

[3]  http://www.jungewelt.de/2012/01-07/019.php  7. 1. 12  Washingtoner Schrumpftheater - Hintergrund. Barack Obamas jüngste Rede [vom 5. 1. 2012] zur US-Militärstrategie erweist sich bei näherer Betrachtung als reine Propaganda. Statt der angekündigten Kürzung des Pentagon-Haushalts steht nun die Umrüstung der US-Streitkräfte für neue Kriege auf der Tagesordnung - Von Knut Mellenthin

[4]  Quelle: http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=36901&title=USA+wollen+mehr+Pr%E4senz+im+Asien-Pazifik-Raum&storyid=1001321887055    21. 11. 11   USA wollen mehr Präsenz im Asien-Pazifik-Raum  -  Von Armen Oganesjan resp. RIANOVOSTI  http://de.rian.ru/