Ohne Steuerabkommen geht es uns besser - Von Prof. Hans Geiger

Die drei Abkommen sind schludrig konzipiert und schlecht verhandelt. Für die ausländischen Kunden sind sie unattraktiv,

für die Schweiz auch. Der erneute Kauf von Daten-CDs durch das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen hat Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf zu interessanten Wortspielchen verleitet. Die Bundesrätin sagt, »dass der aktive Erwerb von gestohlenen Bankdaten nicht mehr zulässig« sei. Ihr Staatssekretär Michael Ambühl sagt »ein Kauf ist immer aktiv«. Warum spricht die Bundesrätin von einem aktiven Erwerb, wenn es gemäss ihrem Staatssekretär gar keinen anderen Erwerb oder Kauf gibt? Der Begriff aktiver Erwerb kommt im Abkommen gar nicht vor. Dort steht, dass sich die deutschen Finanzbehörden nicht aktiv um den Erwerb von […] entwendeten Kundendaten bemühen werden.Kein Wort davon, dass Deutschland keine Daten mehr kaufen werde. Das Missverständnis ist Absicht. Ohne die gewollte Mehrdeutigkeit wäre das Abkommen nicht unterschrieben worden. Das Ganze ist eine bundesrätliche Nebelpetarde zur Täuschung des Parlaments und der Bürger. Und es ist nicht die einzige. 

Weissgeldstrategie, Informationsaustausch, Bankgeheimnis 
Der Bundesrat präsentiert die drei Abkommen als wesentliche Bestandteile seiner  Weissgeldstrategie. Sie seien eine Alternative zum automatischen Informationsaustausch von Bankdaten mit ausländischen Behörden und schützten das Bankgeheimnis. Das ist falsch. Deutschland und Grossbritannien verzichten nicht auf den automatischen Informationsaustausch. Der automatische Informationsaustausch bleibt EU-Norm und Ziel. Im Vertrag mit Deutschland steht nur, dass sich die Vertragsparteien einig sind, dass die  […] vereinbarte Zusammenarbeit in ihrer Wirkung dem automatischen Informationsaustausch im Bereich der Kapitaleinkünfte dauerhaft gleichkomme. Dieser Satz tut niemandem weh. Richtig weh tut aber deutschen Kunden, dass das Abkommen den deutschen Behörden das Recht gibt, in den nächsten zwei Jahren bis zu 1‘300 Direktauskünfte über deutsche Steuerpflichtige in der Schweiz einzuholen. Diese  Direktauskünfte dienen angeblich der Sicherung des Abkommenszwecks. Damit sind 1‘300 Verletzungen des Bankgeheimnisses durch das Abkommen legitimiert. Zu guter Letzt müssen die  Banken zustimmen, dass sich die deutsche Bankenaufsicht an Prüfungshandlungen durch die FINMA vor Ort beteiligen kann. Deutsche Aufseher werden Schweizer Banken inspizieren. Das ist eine der Schweiz unwürdige Form des Informationsaustauschs. Ein pikantes Detail zum automatischen Informationsaustausch findet sich versteckt in den Schlussbestimmungen des Vertrags. Das Abkommen mit Deutschland (und auch mit Grossbritannien) eröffnet den Schweizer Behörden den direkten Informationsaustausch für Schweizer Steuerpflichtige mit Bankverbindungen in diesen Ländern. So kann die Schweiz den verhassten automatischen Informationsaustausch für Schweizer durch ein Hintertürchen einführen. Schweizer, hütet euch am Bernerhof, dem Sitz des Finanzdepartements! 

Für ausländische Kunden oder inländische Banker 
Die Abkommen verfolgen angeblich zwei Ziele: Einerseits die Vergangenheitsbewältigung von Steuerhinterziehung, andererseits die steuerliche Gestaltung der Zukunft. Beide Ziele lassen sich für die ausländischen Kunden ohne die Abgeltungssteuer günstiger erreichen. Die steuersündigen Kunden können sich selbst anzeigen, oder sie können ihre Vermögen in andere Länder verschieben. Sie werden das eine oder das andere tun. Die Selbstanzeige kostet für die Kunden sowohl bei der  Bereinigung der Vergangenheit wie auch für die Zukunft weit weniger als die Inanspruchnahme des Abkommens. Und zudem ermöglicht die Selbstanzeige den Kunden in Zukunft einen ordentlichen Erbgang. Beim Vorgehen gemäss dem Abkommen mit Deutschland wird im Erbfall die Hälfte des Vermögens konfisziert, weit jenseits gängiger deutscher Erbschaftssteuersätze. Ist es möglich, dass es bei den Abkommen um etwas ganz anderes geht? Etwa um einen Persilschein für die Banken und Banker? In Artikel 17 des Abkommens mit Deutschland steht: Beteiligte an einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit, die vor Unterzeichnung dieses Abkommens von einer betroffenen Person […] begangen wurde, werden nicht verfolgt.

Schlecht für die Kunden 
Warum sollte ein Kunde die Abgeltungssteuer überhaupt beanspruchen? Die offizielle Antwort lautet, weil damit das Bankgeheimnis gewahrt sei, und weil damit der automatische Informationsaustausch verhindert werden könne. Beide Behauptungen sind für die ausländischen Kunden unglaubwürdig. Sie wurden in den letzten Jahren von der Schweiz regelmässig verraten. Es gibt aber auch ehrliche ausländische Kunden, die ihre Steuerpflichten immer erfüllt haben. Deutsche steuerehrliche Kunden werden durch das Abkommen gezwungen, den eigenen Steuerbehörden Informationen zu ihrer Vermögenslage zu liefern, welche sie nach deutschem Steuerrecht gar nicht offenlegen müssen. Eine Bankverbindung in der Schweiz wird so auch für steuerehrliche Deutsche zu einem Ärgernis.

Im Widerspruch zum internationalen Steuerrecht
Die drei Abkommen stehen im krassen Widerspruch zum internationalen Steuerrecht. Steuern auf bewegliches Vermögen sind grundsätzlich am Domizil des Steuerpflichtigen geschuldet und zu bezahlen. Kein Land treibt heute so für andere Regierungen Steuern ein. Wie kann ein kleines Land drei widersprüchliche Abkommen in einer Welt von 200 Ländern als zukunftsträchtiges Modell betrachten? Dass die Schweiz Kunden verschiedener Länder nach verschiedenen Grundsätzen behandeln will, führt zu Chaos und Rechtsunsicherheiten. Zudem stehen die drei Abkommen im Konflikt mit dem Zinsbesteuerungsabkommen der Schweiz mit der EG vom 26. Oktober 2004. Die Lösungdieses Konfliktes bezahlen die betroffenen ausländischen Kunden mit weit überhöhten Steuersätzen auf Zinserträgen. Im Übrigen diskriminieren die Abkommen die Schweizer Steuerpflichtigen rechtlich, denn sie eröffnen den ausländischen Kunden den Zugang zur Steuerabgeltung, welche die Schweiz den eigenen Bürgern verwehrt.

Für die grossen und gegen die kleinen Banken 
Die Abkommen stärken die grossen Banken und schwächen die kleineren, die nicht in der Lage sind, die durch die Abkommen geschaffene Komplexität zu meistern. Wenn kleine und  mittlere Banken für jedes Land eine eigene Lösung realisieren müssen, können sie das  Geschäft nicht kostendeckend betreiben. Sie werden es an die Grossen und ans Ausland verlieren. Schon heute leiden die Kleinen überproportional an den Kosten der Regulierung im grenzüberschreitenden Geschäft. Deshalb bieten die Grossbanken den kleinen Instituten an, ihre Auslandskunden zu übernehmen. Und sie versuchen, für die kleinen Institute die Konto- und Depotführung zu übernehmen. Damit würden die kleineren Banken zu unabhängigen Vermögensverwaltern und könnten ihre Bankenlizenz gleich abgeben. Und die Grossen würden noch grösser. Dies ist nicht im Interesse der Schweiz. Wir haben schon genug too big to fail.

Ein Abkommen zum Schaden der Schweiz 
Die Abkommen werden zu einem massiven Kapitalabfluss führen, weit grösser als ohne Abkommen. Die Banken bezahlen auf jeden Fall 2,5 Milliarden Franken an Deutschland und Grossbritannien, auch wenn sie dieses Geld bei abgewanderten Kunden nicht mehr eintreiben können. Die Banken, die Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte sind die Leidtragenden. Hohe Verluste an Arbeitsplätzen und an Steuereinnahmen treffen uns alle.

Welches sind die Konsequenzen der Ablehnung der Verträge an der Urne für uns Schweizerinnen und Schweizer? Der Bankensektor wird zwar schrumpfen, aber weit weniger, als wenn die Kunden ihre unversteuerten Gelder innert Monaten in andere Länder verschieben. Die Banken haben die Chance, die Kunden, die ihre Steuersünden durch Selbstanzeige bereinigen, zu behalten. Dafür müssen sie beim Kundenservice und beim Anlageerfolg erstklassige Qualität zu angemessenen Preisen liefern, wie in jeder anderen Branche auch. Wohlhabende Europäer haben heute grössere Sorgen als die Steuerfrage: Eine starke Währung statt eines wankenden Euros, Schutz vor Konfiskation ihrer Vermögen durch bankrotte Staaten, ein verlässlicher Rechtsstaat, geordnete Staatsfinanzen. Die Schweiz hat in allen Punkten Vorteile. Die Schweiz wird ohne Abkommen über mehr kleinere und mittlere Banken verfügen. Das einzige Problem bei Ablehnung der Verträge haben möglicherweise gewisse Bankangestellte: Als Beteiligte an Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten könnten deutsche Bankangestellte, die in der Schweiz arbeiten, nicht mehr in ihre Heimat reisen. Auch Schweizer Bankangestellte müssten ihre Ferien eher in Südtirol als im Schwarzwald verbringen.

 

Quelle:  http://mag20.com/artikel/ohne-steuerabkommen-geht-es-uns-besser   14. 8. 12   
Ohne Steuerabkommen geht es uns besser – Von Professor Emeritus of Banking Dr. Hans Geiger
Siehe auch  Prof. Dr. Hans Geiger