Die Vorzüge der Schweiz aus der Sicht eines US-Amerikaners

»Es ist ein wunderbares Modell, und es wäre schön, wenn andere Länder es studieren würden.«

Der Autor des Buches »Die Schweiz im Visier«, der US-Historiker Stephen P. Halbrook, schrieb dieses Buch, um die amerikanische Öffentlichkeit auf den wahren geschichtlichen Ablauf der Periode zwischen 1933 und 1945 aufmerksam zu machen. Seit zwei Jahrhunderten betrachten wir uns auf Grund unserer gemeinsamen Werte, besonders der persönlichen Freiheit, des Föderalismus und der Demokratie, als Schwesterrepubliken. Diese Werte ermöglichten es der Schweiz, dem Nazismus zu widerstehen und zu überleben. Die amerikanische Öffentlichkeit verdient es, die Wahrheit über diese Ereignisse zu erfahren; sie sollte zugleich die Notwendigkeit erkennen, diese Werte für unsere eigene Republik zu erhalten. Das nachfolgende Interview mit dem Autor führte Zeit-Fragen. 

Herr Halbrook, Sie haben verschiedene Bücher zur Schweiz geschrieben, in welchen Sie das Zerrbild unseres Landes, das in den letzten Jahren von gewissen Kreisen kreiert wurde, korrigiert haben. Damit haben Sie einen wichtigen Beitrag zur realistischen Betrachtung der Schweizer Geschichte geleistet. 

Stephen Halbrook: Als Amerikaner habe ich traditionelle amerikanische Werte, die den  traditionellen Schweizer Werten sehr ähnlich sind. Dazu gehören die lokale Demokratie,   Föderalismus und Neutralität. Wir haben die Tugend der Neutralität verloren, und wir haben zuviel Zentralisierung. Das traditionelle Schweizer Modell kann die Amerikaner viel lehren. Zur Zeit ist die Schweiz von seiten der EU unter starkem Druck, durch Handelshemmnisse auch unter einem wirtschaftlichem, da das Land kein EU-Mitglied EU ist. Glücklicherweise haben es die Schweizer abgelehnt, der EU beizutreten. Die Schweiz hat das Schengener Abkommen übernommen;  Sicherheitsabkommen haben ihren Preis, und gewisse Elemente davon verletzten Schweizer Traditionen. Ein Thema, das damit zusammenhängt und das ich in der USA ebenfalls bearbeite, ist das Recht des Volkes, Waffen aufzubewahren und zu tragen. Unser Land war während der Revolution von der  Schweiz inspiriert. Wir bekämpften die grösste Monarchie mit der grössten Armee der Welt. Und die Schweizer taten dasselbe, als sie die Habsburger, die Franzosen und andere Invasoren am Morgarten, bei Sempach und in all den anderen Schlachten bekämpften. Ein kleines Land ohne König besiegte die grossen Länder mit mächtigen Königen und Armeen. Das war eine Inspiration für die Amerikaner, über die nicht viele Leute Bescheid wissen. In den Vereinigten Staaten und in der Schweiz treten ähnliche Probleme auf. Morde durch Kriminelle und Verrückte befeuern Vorschläge, die Schusswaffen auch von Personen zu konfiszieren, die sich an das Gesetz halten. Dazu gehören auch Vorschläge zur Abschaffung Ihrer Milizarmee und deren Ersatz durch eine Berufsarmee oder überhaupt keine Armee.

Z.-F.:  Das ist in der Schweiz gegenwärtig in Diskussion. Es gibt eine Initiative, welche die Milizarmee abschaffen und zu einer Armee von Freiwilligenübergehen will. Am Ende hätten wir eine Berufsarmee.

St. H.: Diese Frage hängt von der Aufgabe der Armee ab. In der Schweiz hat diese Aufgabe in der Verteidigung des Landes bestanden, und man hat den Rat von Niklaus von Flüe angenommen,  nicht in andere Länder zu gehen: Bleibt in eurem eigenen Land. Bleibt neutral. Die Schweizer nahmen diesen Rat auf und sind gut damit gefahren, denn auf irgendeine wunderbare Art waren sie in der Lage, sich aus zwei Weltkriegen herauszuhalten. Die Aufgabe von Armeen von Einberufenen und Söldnern war die Aggression gegen andere Länder, um die Territorien der Monarchen auszuweiten. Wenn man eine Bürgerarmee hat, eine Milizarmee, ist sie für die Invasion anderer Länder wenig wirksam. Diese ist gut für den Widerstand gegen eine Invasion in das eigene Land. Ich bin bei der Forschung für meine Bücher Target Switzerland [1998] und The Swiss and the Nazis [2006] auf eine erstaunliche Geschichte gestossen. Jeder Mann ist bewaffnet und hat zu Hause ein Gewehr. Schon zu Beginn des Krieges gaben der Bundesrat und General Henri Guisan bekannt: Wenn Ihr hört, dass wir kapituliert haben sollen, ist das nicht wahr, sondern eine Lüge und feindliche Propaganda. Damals hatten die Deutschen, wenn sie andere Länder überfielen, Flugblätter aus Flugzeugen abgeworfen, auf denen behauptet wurde, man habe kapituliert. Die Schweizer Verlautbarung machte es unmöglich, sich zu ergeben. Ausserdem hatten die Leute Gewehre in ihren Häusern und konnten daher sofort zur Verteidigung des Landes mobilisiert werden. Die Kombination dieser Faktoren machte es möglich, im Krieg die Unabhängigkeit zu wahren. Die Milizarmee ist stark in der Infanterie, denn wir sprechen in erster Linie über Handfeuerwaffen. Was ist besser für die Landesverteidigung als das?

Z.-F.:  Mit anderen Worten ist die Schweizer Armee ein Friedensmodell. Wenn jedes Land eine solche Armee hätte, wäre der Krieg vorbei. 

St. H.:  Ja, das sehe ich auch so. Die Aufgabe von grossen stehenden Armeen ist der Angriff. In der USA sind wir vor- und zurückgegangen. Wir waren lange neutral und sind dann in den Ersten Weltkrieg gezogen worden, was eine problematische Situation war. Das nächste Problem war, nicht in die europäischen Kriege der späten 1930er Jahre hineinzugeraten. Nach Pearl Harbor war es unmöglich, sich herauszuhalten; seit diesem Zeitpunkt sind wir nicht mehr neutral gewesen. Das ändert den Charakter des Landes. Wir haben heute viele Probleme in der USA, und unser Land ist sehr gespalten. Der Klassenkampf von Präsident Obama sucht die Leute in den Vereinigten Staaten gegeneinander aufzubringen. Jeder, der nicht in der Gunst seiner Administration steht, wird besteuert, reglementiert, kontrolliert, ausspioniert und herumgestossen, während die kapitalistischen Kumpane, die ihn unterstützen, mit Milliarden von Dollars belohnt werden. Vetternwirtschaft der schlimmsten Sorte, anstatt dass jedermann für den Wohlstand aller arbeitet. Dies ist im Augenblick unser politisches Szenario. 

Z.-F.:  Warum halten Sie es für einen Vorteil, dass die Schweiz ausserhalb der Europäischen Union bleibt?

St. H.:  Sie würde ihre Souveränität und ihre Selbstbestimmung verlieren. Sie würde ein Satellitenstaat zwischen Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Die Fäden würden von den Bürokraten in Brüssel gezogen, welche die EU und die grossen Machthaber führen. Historisch gesehen stand die Schweiz auf Grund des deutschen Wunsches zur Schaffung eines Grossdeutschlands immer im Widerspruch zu Deutschland. Als die Nazis 1933 erstmals an die Macht kamen, zeichneten sie Karten, auf denen die Schweiz ein Teil von Deutschland war. Heute veranlassen die konfiskatorischen Steuersätze der BRD die Bürger dazu, ihre Vermögenswerte ins Ausland zu bringen, so dass einige versuchen, von ihrem Einkommen etwas zu retten, indem sie es hierher bringen. Aber die deutsche Regierung verfolgt diese Vermögen. Ausserdem seid Ihr vom US-Justiz- und vom US-Finanzdepartement, die die Schweizer Gesetze zum Schutze der Privatsphäre gebrochen haben, zu sehr beansprucht worden. Es ist eine Sache, wenn die US-Finanzbehörden versuchen, Amerikaner dazu zu zwingen, alle ihre Steuern zu zahlen, aber es ist etwas völlig anderes, in andere Länder zu gehen und zu sagen, wir werden eure Gesetze ignorieren und eure Banken boykottieren, und Ihr werdet die Konsequenzen in der USA tragen, wenn ihr eure Datenschutzgesetze in eurem Land nicht ändert.   

Z.-F.: Wir denken, dass dies ein wichtiger Punkt ist. Der Vertrag mit Deutschland zum Beispiel verlangt, dass die Schweiz für Deutschland die Steuern einziehen müsse. Deutschland lehnte das Abkommen ab, denn die BRD will, dass die Schweiz das ganze deutsche Steuerrecht übernimmt. Es ist ganz offensichtlich, dass die mächtigen Staaten die kleinen Länder zwingen, ihre Gesetze zu ändern. Das ist ein Verlust der Souveränität für all diese kleinen Länder. Das verstösst absolut gegen die Uno-Charta, welche die Souveränität jedes Landes schützt. 

St. H.:  Seit ihrer Gründung 1291 hat die Schweiz den Ruf, für ihre Souveränität einzutreten und sie zu erhalten. Deshalb hat sie nicht nur das System der Neutralität, sondern auch der immerwährenden bewaffneten Neutralität. Sie muss eine gute Verteidigung aufweisen, und dies muss auch die Wahrnehmung anderer Länder sein. Militärische Gegner müssen wissen: kommt nicht hierher, weil es sehr blutig und sehr teuer werden würde. Daher muss man auch dem wirtschaftlichen Druck standhalten und die eigenen Industrien erhalten. Man sollte nicht gezwungen sein, Bananen, Äpfel oder Tomaten nur in den Grössen zu haben, welche die Europäische Union diktiert.

Z.-F.:  Sind Sie der Meinung, dass wir die bewaffnete Neutralität brauchen? Ist sie wirklich nötig? 

St. H.:  Ja, vor allem für ein kleines Land. Es gibt keinen anderen Weg, um zu überleben. Man muss neutral sein. Wenn man politisch in die Kontroversen anderer Länder involviert wird, gibt es ohne eure Neutralität und ohne eine starke Milizarmee keinen Weg, die Souveränität zu wahren. Denn mit Neutralität allein geht das nicht. Ihr müsst das tun. Ihr müsst das so machen, wie man es seit 1291 gemacht hat. Das ist eine Geschichte von über 700 Jahren. Wenn andere Armeen hierher kämen, würden in einigen Schlachten alle Schweizer getötet, aber auch eine grössere Anzahl von Feinden. Es gibt das Beispiel von Winkelried. Und die moderne Version bedeutet, Kampfjets zu haben, aber auch das Sturmgewehr 90 an jeden im Alter von 18 bis 20 abzugeben. Die Schiesswettkämpfe sind der grosse Nationalsport der Schweiz. Das hat die Amerikaner des 19.  und 20. Jahrhunderts ausserordentlich beeindruckt. US-Militärbeobachter beschrieben das Wettschiessen mit dem Gewehr am kantonalen Feldschiessen als einer exzellenten Infanterietraining sehr förderlich. Es ist nicht nur ein starkes Ausbildungsprogramm, es ist zugleich ein Familienanlass und rundum ein Fest. Das ist eine einzigartige Schweizer Tradition und sollte erhalten werden. Ich habe persönlich an einer Reihe von Schützenfesten teilgenommen und in US-Schiesssportmagazinen Artikel darüber geschrieben. 

Z.-F.:  Dürfen wir Ihre Aussagen zusammenfassen: Das demokratische Modell mit all den Besonderheiten der Schweiz könnte für alle Länder von Interesse sein, um diesem Erfahrungen zu entnehmen und die direkte Demokratie in ihren Ländern umzusetzen. 

St. H.:  Es ist ein wunderbares Modell, und es wäre schön, wenn andere Länder es studieren würden. Es ist für euch hart genug, euer Modell zu erhalten. Sie haben Initiativen wie die Waffenverbotsinitiative von 2011. Die Abstimmung ergab 56 % Nein gegen 44 % Ja. Ihr müsst achtgeben, dass Ihr nicht in gegensätzliche Gruppen aufgespalten werdet. Es ist wichtig, die eigenen Einrichtungen zu wahren und ein positives Modell für andere Länder zu bleiben. Wenn es verschwindet, ist das Modell weg. 

Z.-F.:  Was können wir tun, um das Modell zu erhalten und all diesen Attacken von aussen – und wie Sie erwähnt haben, auch von innen -  standzuhalten? 

St. H.:  Man kann aus den Erfahrungen mit den Amerikanern in den 1991er Jahren wichtige Lehren ziehen. Man muss sich behaupten und stark sein. Und nicht nachgeben oder schwach sein. Ich habe das in vielerlei Hinsicht beobachtet. Ich habe die Hearings im US-Kongress besucht, die durch die Kontroversen veranlasst wurden, welche auf die Gerichtsverfahren gegen die Schweizer Banken zurückzuführen waren. Die Geschichte wurde neu geschrieben und neu erfunden, was den Prozesszielen diente und zu grossen Geldzahlungen führte. Viele Schweizer verstanden nicht, warum die Amerikaner nun diese Dinge sagten. Warum haben sie das getan? Es waren nicht die Amerikaner, es war nur eine kleine Zahl von Amerikanern. Sie taten es aus politischen Gründen und um die Zahlungen zu sichern. 

Bundesrat Villiger entschuldigte sich für den Judenstempel, den die Nazis ab 1938 in jüdischen Pässen anbrachten. Das aber war eine deutsche und keine Schweizer Initiative. Der Carl-Ludwig-Bericht von 1957 enthielt die vollständige Geschichte der Flüchtlingsfragen: die ganze Information war da. Jahre später brachte ihn ein falsch informierter Journalist durcheinander und schrieb, dass die Schweizer den «J»-Stempel initiiert hätten. Wie idiotisch: als ob die winzige Schweiz dem Dritten Reich Hitlers irgendetwas diktieren können hätte. Tatsache ist: 1938 besuchte der Schweizer Vertreter Heinrich Rothmund Deutschland und traf sich mit Werner Best, dem zweithöchsten Kommandanten und Rechtsberater der Gestapo. Sie besprachen Einreiseprobleme. Zu der Zeit versuchte Deutschland, Juden auszuweisen. Als Rothmund Widerspruch gegen eine solch rassistische Politik anmeldete, teilte ihm Best mit, dass die Pässe deutscher Juden mit einem «J»-Stempel gekennzeichnet würden. Aber in den 1990er Jahren wurde die Geschichte auf den Kopf gestellt. Anstatt den tatsächlichen Hintergrund zu untersuchen, gab der Schweizer Bundespräsident den falschen Anschuldigungen nach. 

Da ich als Aussenstehender und aus einer amerikanischen Perspektive spreche und die Art, wie Amerikaner an der Macht mit anderen Ländern verfahren, kenne, sage ich: die beste Politik ist, aufzustehen und zu kämpfen und nicht auf die Knie zu gehen. Sie müssen sich erheben und stark sein. Und auf diese Weise wird man Ihnen Achtung entgegenbringen. 

Z.-F.:  Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren in Deutschland oder anderen Ländern rundherum geschehen wird. 

St. H.:  Sie müssen Deutschland, das in der Geschichte immer wieder aggressiv war, Paroli bieten. Die Bedrohung der Schweiz geht viel weiter zurück als auf 1933 – 1945 – der Schwabenkrieg war 1499. 

Z.-F.:  Was haben Sie bezüglich der neuen Analysen zu den jüdischen Flüchtlingen gehört, die an der Schweizer Grenze zurückgewiesen wurden? Ein jüdischer Historiker aus Frankreich sagte, dass es rund 3000 waren und nicht 24 000, wie der Bergier-Bericht behauptete. 

St. H.:  Der Bergier-Bericht basierte auf einem statistisch unhaltbaren Modell, das davon ausging, dass jedesmal, wenn einem Flüchtling die Einreise verwehrt wurde, es ein anderer Flüchtling war. Man kann jemanden, der fünfmal versucht einzureisen, nicht als fünf verschiedene Personen zählen. Die wahre Zahl liegt weit tiefer als 24 000. Und es bestand ein grosses Problem: man wusste nicht, wer ins Land kommt. Leute mit Krankheiten zum Beispiel, ganz zu schweigen von Nazi-Eindringlingen, die Sabotageakte planten. Tatsache ist, dass auch andere Länder die jüdischen Flüchtlinge ausschlossen. In Wirklichkeit war das 1938 das grosse Problem. Nach dem Anschluss Österreichs fand die Konferenz von Evian statt. Die grossen Mächte – England, Frankreich und die USA – wollten die jüdischen Flüchtlinge nicht. Die winzige Schweiz versuchte, diese Flüchtlinge zu beherbergen und ihnen zu helfen, feste Plätze zu finden. Man kann nicht erwarten, dass sie alle in einem kleinen Land bleiben konnten. Es gab überhaupt keine Kooperation seitens der westlichen Grossmächte. Die Schweiz hatte bezüglich der Flüchtlingshilfe den besten Ruf. Vergleichen Sie das mit der Zahl derer, denen die Einreise in die USA verweigert wurde. Die USA verwehrte sogar Schiffen, die vollgeladen mit jüdischen Flüchtlingen über den Atlantischen Ozean gesegelt waren, die Einreise, nur um nach Europa zurückgeschickt zu werden. Die meisten der Passagiere  gingen im Holocaust zugrunde.  

Der Punkt, dass man eine neue Realität zu schaffen versuchte, ist sehr wichtig. Aber der Bergier-Bericht hat so viele Bände, dass sie nicht gelesen werden. Es gibt lesbarere Bücher. In der Schweiz sind viele neue Bücher zu Henri Guisan erschienen. Jürg Stüssi und Luzi Stamm haben mit andern zusammen an neuen Büchern über den Schweizer Widerstand gearbeitet. Britische Dokumente aus dem Zweiten Weltkrieg, von Akten Winston Churchills bis zu den Depeschen von Diplomaten, belegten die positive Rolle, welche die Schweizer gespielt hatten. Das sind sehr lesbare Bücher, und sie sind in Buchhandlungen einfach erhältlich. Der Bergier-Bericht ist weder lesbar noch zugänglich. Natürlich werden zukünftige Schweizer Historiker den Bergier-Bericht studieren, aber das wird durch die Originalaufzeichnungen und verschiedene Sekundärquellen ausgeglichen werden. Bergier weigerte sich, Interviews mit Menschen aus der Kriegsgeneration zu führen, obwohl das eine wichtige Quelle dafür ist, wie die Menschen im Alltag lebten. Für meine eigenen Bücher habe ich zahlreiche Menschen der Kriegszeitgeneration interviewt und versucht, ihre Gefühle und Erfahrungen widerzuspiegeln und zu porträtieren. Ich traf wunderbare Menschen, die ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde. 

Z.-F.:  Für die USA, aber auch für andere Länder, ist die Schweiz ein Vorbild. Sie hat ein politisches und gesellschaftliches System, das seinesgleichen sucht. 

St. H.:  Die Amerikaner brauchen das Weiterexistieren des Schweizer Modells, denn wenn es scheitert und Ihr das System ändert, können wir uns nicht länger auf eure Erfahrungen und Argumente berufen, zum Beispiel bezüglich Föderalismus und des Rechts, Waffen zu tragen. Denn hier habt Ihr ein schönes Stück Freiheit mit dem Recht auf den Besitz von Schusswaffen. Der Schützensport ist sehr stark. Ihr seid eine grossartige Gemeinschaft. Ihr gebt jedem Mann, der 20 Jahre alt und in der Milizarmee ist, das Sturmgewehr 90. Er bewahrt es zu Hause auf, was ein wichtiges Modell und ein wichtiger Ausdruck des Vertrauens des Volkes ist. Allerdings wird ein überproportionaler Prozentsatz von Gewaltverbrechen von Leuten, die man hier Kriminaltouristen nennt, verübt. Die Amerikaner, die den rechtmässigen Besitz von Schusswaffen befürworten und Gesetze ablehnen, die Leute, die sich an die Gesetze halten, grundsätzlich entwaffnen wollen, beziehen sich in unseren Debatten auf das Schweizer Modell. Das geht mindestens bis auf die 1930er Jahre zurück. Ich bin an diesen Auseinandersetzungen sehr beteiligt. Die Schweizer Erfahrung zeigt, dass das Gewehr nicht das Problem ist. Es ist ein Problem des Menschen. Wir haben in den städtischen Gebieten der USA beträchtliche kriminelle Subkulturen. In Armenvierteln wimmelt es von jungen Männern, die keine ökonomischen Möglichkeiten haben, sie haben keine Arbeit, sie haben keine Bildung, und sie haben zu Hause keine Väter. Wir haben also einen Zusammenbruch der Familie, aber wir haben auch ein verfehltes Gesundheitssystem für die seelisch-geistige Gesundheit. Wir haben Tragödien wie diejenige der Sandy Hook Elementary School. Wenn entsetzliche Taten wie diese stattfinden, suchen viele Politiker daraus einen Vorteil zu schlagen und Gesetze zur Entwaffnung der gesetzestreuen Bevölkerung vorzuschlagen, auch wenn solche Gesetze derartige Tragödien nicht verhindert hätten. 

Obama ist berühmt für seinen Spott, den er an einer privaten Spendenveranstaltung gegenüber denjenigen zum Ausdruck brachte, die sich an ihre Gewehre und ihre Bibel klammern und die er als zornige Amerikaner bezeichnete. Er sprach dabei über traditionelle Amerikaner, die den traditionellen Schweizern sehr ähnlich sind. Wenn Ihr eure Werte in der Schweiz nicht selber aufrechterhaltet, werden auch diejenigen von uns in Amerika, die denken, dass die Schweiz ein Modell darstellt, das nachahmenswert ist, einen Verlust erleiden. Wir haben uns zu Beginn unseres Gesprächs darüber unterhalten, inwiefern eure direkte Demokratie ein Modell für andere Länder ist. In der USA haben wir in vielerlei Hinsicht eine gescheiterte Demokratie, die [nur dem Namen nach] eine föderale Bundesregierung hat, die mit Vetternwirtschaft beschäftigt ist und weniger begünstigte Klassen zugunsten ihrer politischen Freunde ausbeutet. Um ein altes Sprichwort in Erinnerung zu rufen: »Sie beraubt Peter, um Paul zu bezahlen, und kauft damit Pauls Stimme.« Wir haben also einen Verfall unserer traditionellen Werte.  Natürlich kämpfen Sie für den Erhalt Ihres Systems und dafür, der EU nicht nachzugeben, die euer Land in einen Satellitenstaat der Grossmächte Europas, die über Brüssel herrschen, verwandeln würde. Ob man es kapitalistische oder sozialistische Vetternwirtschaft nennt, es wäre das Ende eures Systems des Föderalismus, der direkten Demokratie, der Neutralität, des freien Unternehmertums und der grundlegenden Freiheiten. 

Z.-F.:  Fazit: Wir würden unseren Föderalismus und die direkte Demokrtie verlieren und von einem Zentralstaat aus Brüssel regiert. Darauf können wir gerne verzichten. Vielen Dank für das Gespräch.   

 

Quelle:  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1477     

Zeit-Fragen  >  2013  >  Nr.19 vom 27.5.2013

Stephen P. Halbrook: »Die Schweiz im Visier. Die bewaffnete Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg« Verlag Novalis / Rothenhäusler  ISBN Nr. 3-907817-08-7 
The Swiss and the Nazis ist von Jacques Langendorf ins Französische übersetzt worden: La Suisse face aux Nazis und kann über  http://cabedita.ch/product.php?id_product=624 bezogen werden.