Abstimmung über die allgemeine Wehrpflicht - Mut zur Kursänderung - Von Thomas Kaiser 14.07.2013 23:53
Die schweizerische Sicherheitspolitik ist am Wendepunkt und nur eine gut ausgerüstete
Milizarmee ist ein Garant für die Sicherheit unseres Landes. Am 22.
September stimmt die Schweizer Bevölkerung über die allgemeine Wehrpflicht ab
und damit darüber, ob die Milizarmee erhalten bleiben oder ob sie über den
Schritt zur Freiwilligenarmee zu einer Berufsarmee umfunktioniert werden soll. Diese Initiative gehört zu einer Reihe von politischen Vorstössen, die
seit nunmehr 20 Jahren auf einen Abbau der Verteidigungsfähigkeit und letztlich auf einen Abbau der
Souveränität unseres Landes hinarbeiten. Mit dem Argument der
Sicherheitsdividende als «Gewinnausschüttung» nach dem Ende des Kalten Krieges
köderte man die Bürger der Schweiz, sich von der Wehrhaftigkeit zu
verabschieden, einer sukzessiven Verkleinerung der Armee zuzustimmen und sich von den Phantasten eines immer
friedlichen Europas leiten zu lassen. Die Schweiz, so die
Argumentation, sei nur noch «von Freunden umgeben» und daher bestehe keine
Gefährdung mehr. Eigentlich schöne Aussichten ……
Wahrlich, die Realität ist eine andere, und was unser Land seit
mehreren Jahren gewärtigen muss, ist alles andere als ein friedliches Verhalten
der Nachbarn. Kein Land Europas wird
momentan so attackiert wie die Schweiz. Es herrscht ein Wirtschafts-
und Finanzkrieg, und die Schweiz ist zur Zielscheibe bankrotter Industriestaaten
geworden. Die politische Stabilität, die gesunde Wirtschaft, das geordnete
Finanzwesen sowie eine funktionierende direkte Demokratie stören die auf
Machtpolitik und Zentralismus ausgerichteten Nachbarstaaten, die sich in der EU
assoziiert haben, einem supranationalen Machtgebilde, das jeder Demokratie Hohn
spricht. Wer diese Anzeichen nicht sehen will, hat entweder mit Demokratie
nichts am Hut, spekuliert auf einen Posten in Brüssel, ist selbst der Macht
verfallen oder einfach nur naiv. Wer die Realität verstehen will, dem sei das
im Eikos erschienene Buch ›Mut zur Kursänderung –
Schweizerische Sicherheitspolitik am Wendepunkt‹ der
Gruppe ›Giardino‹ empfohlen.
Dieses Gemeinschaftswerk mehrerer ehemaliger hochrangiger Offiziere der
Schweizer Armee zeigt die ungeschminkte sicherheitspolitische Realität auf und
macht deutlich, in welchem Zustand sich unsere Armee befindet, da sie mit
unsäglichen Reformen in einen sicherheitstechnisch äusserst bedenklichen
Zustand geführt worden ist. Die verschiedenen Autoren, die in diesem Buch zu
Wort kommen, zeichnen ein klares Bild von der «Bedrohungslage» und der bisher
ungenügenden militärischen Antwort darauf.
Die Armee wird zu Tode reformiert Die Ausgangslage ist eindeutig: Über mehrere Reformschritte hat man die
Armee sowohl personell als auch materiell dermassen zusammengestrichen, dass
die Autoren darin eine «klare Verletzung des Verfassungsauftrags» sehen, der an
oberster Stelle die Landesverteidigung vorsieht. Hier setzen die Autoren
berechtigterweise an und zeigen in aller Deutlichkeit auf, welche Konsequenzen
diese Politik haben wird. Wer das Kapitel «350 Jahre Militärgeschichte und
nichts gelernt?» von Hermann Suter, promoviertem Historiker und ehemaligem
Oberstleutnant, aufschlägt und liest, wird staunen, wie sich die Geschichte zwar
zum einen wiederholt und zum anderen jedoch jede Epoche wiederum ihre eigenen
Besonderheiten und Eigenheiten hat. Eines wird aber klar und deutlich. Es sind
immer Menschen, die aus kurzsichtigen Eigeninteressen oder persönlichen
Insuffizienzen Fehlentscheide treffen, die auf Land und Leute verheerende
Auswirkungen haben. In mehreren Fällen führte das zu militär-strategischen und
rüstungspolitischen Fehlgriffen mit schrecklichen Konsequenzen. Bereits während
des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 war die Schweiz zu wenig gerüstet, um
eine Ausweitung des Krieges auf ihr Territorium zu verhindern. Der damals
eingesetzte General Herzog machte den Bundesrat auf die ungenügende
Wehrbereitschaft aufmerksam, jedoch ohne grossen Erfolg, bis er einen
entlarvenden Bericht über den Zustand der Armee verfasste. «In seinem Bericht
über die Grenzbesetzung 1870/71 deckte Herzog mit unbarmherziger Offenheit die
Schwächen und Ungenügen der Armee auf.» Erst Jahre später reagierte man darauf
und begann, die Armee der effektiven Bedrohungslage anzupassen.
Nachdem 1905 ein asiatisches Land zum ersten Mal in der modernen
Geschichte eine europäische Grossmacht
besiegt hatte, nämlich Japan das Russische Reich, hinterliess das einen tiefen
Eindruck. Ein Zitat aus der ›Allgemeinen
Schweizerischen Militärzeitung‹ von damals bringt es auf
den Punkt: «Seien wir jederzeit eingedenk, dass nur eine langjährige
soldatische Erziehung den Sieg an Japans Fahnen zu heften vermochte und dass
wir Schweizer, sofern wir gewillt sind, unsere Existenz zu behaupten, mit aller
Energie gegen die Symptome einer kränkelnden Volksseele einschreiten müssen, wo
Männlichkeit jeden Tag schwindet und wo das Geld den Begriff des Vaterlands zu
ersetzen droht.» Man kann es drehen und wenden, wie man will, aber über 100
Jahre später stehen wir wohl wieder an der gleichen Stelle. Wir haben eine
Armee, die, wenn der Abbau so weitergeht, nicht in der Lage sein wird, uns vor
möglichen Angriffen von aussen zu schützen, und wir leben in einer
Gesellschaft, die sich lieber mit Börsengewinnen, Freizeit, Spass und Vergnügen
beschäftigt, als die anstehenden Aufgaben, auch die militärischen, souverän und
auf unsere Art in Angriff zu nehmen. Wer heute der Meinung ist, die Welt sei
seit 1991 - dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung
des Warschauer Paktes - friedlicher
geworden, verschliesst die Augen vor der
Realität. Was seit 1945 allen klar war, nämlich «nie wieder Krieg», auch auf
europäischem Territorium und schon gar nicht «von deutschem Boden aus», wurde
wenige Jahre nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs bittere Realität. Der
Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien und die Rolle des Westens darin zeigen
in aller Deutlichkeit auf, wer hier den Wunsch nach «ewigem Frieden» innert
kürzester Zeit mit einer «neuen Dimension des Krieges» endgültig zerstört hat.
Die Theorie, dass «Demokratien keine Kriege führen», wird spätestens durch den
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien ad absurdum
geführt. Dass rundherum alle Nachbarländer mit Ausnahme Österreichs daran beteiligt
waren, hinterlässt ein unangenehmes Gefühl, vor allem wenn man heute sieht,
dass viele dieser Länder im Verbund mit der EU enormen Druck auf die Schweiz
ausüben und auf ihrem demokratisch legitimierten Rechtssystem herumhacken. Das
im Parlament verhandelte dringliche Bundesgesetz zum Steuerstreit mit der USA
ist Ausdruck davon, wie Grossmächte mit kleinen Staaten umgehen. Wenn kein
innerer Abwehrwille mehr vorhanden ist und die Erhaltung der staatlichen
Souveränität nicht mehr zur politischen Grundeinstellung gehört, wird der Staat
bald einmal zu einer Bananenrepublik,
die sämtlichen Respekt im internationalen Austausch verloren hat.
«Unveränderte
Machtblöcke» Respekt hat sich die Schweiz, so alt Divisionär Franz Betschon und
Hauptautor des hier besprochenen Buches, jeweils dann verschafft, wenn sie sich
gegen Angriffe von aussen zur Wehr setzen konnte: verbal oder, wenn die
Diplomatie versagt, auch militärisch. «Gegen Erpressungen irgendwelcher Art ist
der militärische Arm der Sicherheitspolitik immer noch unerlässlich, wenn es um
das nackte Überleben geht.» Franz Betschon zeigt im Kapitel «Unveränderte
Machtblöcke» auf, dass wir trotz der Beendigung des Kalten Krieges, was
zunächst eine deutliche Machtverschiebung in Richtung USA zur Folge hatte, heute
wieder die zwei bekannten und mit China und dem asiatischen Raum sogar einen
dritten Machtblock bekommen haben. Die Entwicklung geht von einer monopolaren
zu einer multipolaren Welt, wobei sich die alten Machtblöcke in etwas
veränderter Konstellation gegenüberstehen. «Mit dem Zerfall der Sowjetunion und
damit dem Ende des Kalten Krieges hätte bis etwa 1993 tatsächlich die Chance
bestanden, Russland in die Nato zu integrieren, und damit die Chance, neue
stabile Verhältnisse zu schaffen. Aber die USA war übermütig geworden. Russland
wurde über den Tisch gezogen. Die amerikanischen Führer hatten ein anderes Ziel
vor Augen, als Russland als gleichberechtigten Partner anzuerkennen.» Wer das
Buch von Zbigniew Brzezinski ›The Grand Chessboard‹ [›Die einzige Weltmacht‹] gelesen hat, weiss, dass der Autor als ehemaliger
Sicherheitsberater der US-Regierung die Zukunft der USA als Weltmacht nur mit
einer Vorherrschaft auf dem eurasischen Kontinent sieht und damit den direkten
Einflussbereich Russlands als eine legitime Begehrlichkeit der USA definiert.
Dabei geht es, wie soll es auch anders sein, um die Ausbeutung der
Bodenschätze. Nach Brzezinskis Ansicht kann (und muss) die USA Weltmacht
bleiben, wenn sie den eurasischen Kontinent beherrschen will.
Russland schützt das Völkerrecht Die hier erwähnte Integration Russlands in die NATO mag eine
Möglichkeit gewesen sein. Eine weitere wäre auch die Auflösung der Nato
gewesen. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts war sie ohne Notwendigkeit
und Legitimation, denn sie war 1949 gegründet worden, um kommunistische
Übergriffe auf ihre Mitgliedstaaten zu verhindern. Wahrscheinlich wären Kriege
wie der Kosovo-Krieg, der Afghanistan-Krieg und letztlich auch der Libyen-Krieg
in dieser Art nicht durchführbar gewesen. Damals konnte das innenpolitisch
geschwächte Russland den hochgerüsteten USA nichts entgegensetzen. Heute ist
die Ausgangslage eine andere. Das Wiedererstarken Russlands lässt sich deutlich
im Falle Syriens erkennen. Das Veto im UNO-Sicherheitsrat hat verhindert, dass sich
die Westmächte Syrien bislang unter den Nagel reissen konnten. Russland lässt
nach den Erfahrungen in Libyen einen erneuten Bruch des Völkerrechts nicht mehr
zu. Dass Russland heute diese Rolle einnimmt, ist beruhigend. Damit ist der
US-Willkürherrschaft vorerst ein Riegel geschoben, und die übrigen Staaten sind
auf das internationale Recht verpflichtet. In der aktuellen Lage der ständigen
Angriffe auf die Schweiz, gerade aus dem westlichen Lager, wäre es für unser
Land erwägenswert, enger mit Russland zusammenzuarbeiten, besonders auch im
militärischen Bereich. Ein Vorschlag, den der russische Präsident Dimitri
Medwedew bei seinem Besuch in der Schweiz im Jahre 2009 bereits gemacht hat.
Das ist besser, als sich weiterhin der USA und ihren willfährigen Vasallen in
der NATO anzuschliessen. Die nach wie vor bestehenden Spannungen zwischen den
Grossmächten haben auch Auswirkungen auf die Schweiz, vor allem weil sich unser
Land immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt hat, die aber zunehmend angegriffen
und verletzt wird, vor allem von den ehemaligen befreundeten Staaten des
westlichen Lagers. Darauf ist unser Staat sehr schlecht vorbereitet. Franz
Betschon kommt denn auch zu dem Schluss: «Der Zerfall des internationalen
Rechtssystems, der Zerfall der Güte unserer Politik und der Zerfall der
schweizerisch-militärischen Sicherheitskomponente ermöglichen Begehrlichkeiten,
sich an unseren Ressourcen zu bedienen. Militärisch ist unser Land zurzeit
nicht mehr in der Lage, seine völkerrechtliche Pflicht zur Wahrung des
Gewaltmonopols des Staates zu garantieren. Der Kampf ums Eingemachte ist voll
entbrannt.» Das ist eine Einschätzung, die eigentlich einer klaren Kehrtwende
in der Politik bedarf.
«Die Schweiz
im Schraubstock» In weiteren Kapiteln des Buches, die von unterschiedlichen Autoren
stammen, wird der Kampf um die globale Vorherrschaft anschaulich und
ungeschminkt dargelegt. Zwar hatten wir zu Anfang der 90er Jahre das Ende des
ersten Kalten Krieges, doch sei «die Welt unvermittelt in einen zweiten Kalten
Krieg geraten.» Wer das Weltgeschehen aufmerksam beobachtet, kann dieser
Einschätzung kaum widersprechen. Die Auswirkungen der Finanz- und
Wirtschaftskrise haben das Machtgebaren der westlichen Industrienationen
verstärkt. Die Grossmacht USA, die alle drei Monate vor dem Staatsbankrott
steht, hat in vielen Bereichen ihre Vormachtsstellung verloren, vor allem durch
den rasanten Aufstieg Asiens und dem daraus resultierenden Selbstbewusstsein
der asiatischen Staaten. Was früher aus den ehemaligen Vasallenstaaten
herausgepresst wurde, holt man sich nun bei den reichen Staaten des Westens.
Hier ist die Schweiz ein dankbares Opfer, weil man im Land selbst kaum mit der
Boshaftigkeit eigentlich befreundeter Staaten gerechnet hat. So schreibt René
Zeller im Leitartikel der ›Neuen Zürcher Zeitung‹ vom 22./23. Juni mit dem Titel ›Schweiz im Schraubstock‹
trefflich: «Es ist in der Tat ungemütlich, von Freunden umzingelt zu sein, die Macht vor Recht setzen, die lieber
drohen als verhandeln. Es ist, als stecke der Finanzplatz Schweiz in
einem Schraubstock.» In dieser heiklen und «ungemütlichen» Lage wird neben der
Führungsschwäche der Schweizer Magistraten im Bundesrat das über nahezu zwei
Jahrzehnte angerichtete Desaster im Schweizer Verteidigungsdepartement
sichtbar. Und hier nehmen die Autoren kein Blatt vor den Mund. Wer selbst
Militärdienst geleistet hat, weiss, wovon die Militärspezialisten sprechen. Die
hervorragende strategische und politische Analyse kontrastiert im besonderen
das Desaster unserer Armee, die einst der Stolz unserer Nation war, weil sie
bei aller Fehlplanung soviel Entschlossenheit gezeigt hat, dass wir weder in
den Ersten noch in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen wurden.
Verluderung des internationalen
Rechts Heute scheinen die Fronten weniger eindeutig zu sein, als sie es
während des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs waren. Dennoch zeigt die
geostrategische Analyse, dass die Welt dadurch keineswegs sicherer geworden ist
und dass eine militärische Konfrontation zwischen einzelnen Staaten, auch wenn
sie als «befreundet» gelten, grundsätzlich möglich wäre. Niemand hätte
erwartet, dass Jugoslawien innert 10 Jahren völlig auseinanderbricht und die
Völker, die über Jahrzehnte miteinander verbunden waren, nur noch mit Hass und
Gewalt aufeinander reagieren. Zehn Jahre ist eine enorm kurze Zeit. Eine Armee
in sogenannten Friedenszeiten zu verkleinern, um im Ernstfall rechtzeitig mit
der «Aufwuchsphase» zu reagieren und die Armee zu verstärken, muss nach aller
Erfahrung ins Reich der Phantasie verbannt werden. Nach Massgabe der
«Experten», die die Armeereform XXI auf dem Gewissen haben, sprach man damals
davon, dass man es 10 Jahre im voraus und damit rechtzeitig merke, wenn sich
eine konkrete Bedrohungslage zusammenbraue. «Die Militärgeschichte der Schweiz
hat seit der Gründung des Bundesstaats im Jahre 1848 keinen massiveren
Zerstörungsprozess gegenüber der Landesverteidigung gesehen als jenen der
vergangenen zwanzig Jahre. Die verantwortlichen Politiker – die Landesregierung
und das Gros der eidgenössischen Räte – begründen ihr Verhalten mit dem
Hinweis, dass das Szenarium «Krieg» in weite Ferne gerückt sei und im Falle
eines Falles genügend Zeit bestünde, die Defizite innert nützlicher «Aufwuchsfrist»
aufheben zu können. Hier ist der Wunsch Vater des Gedankens». Im Falle
Jugoslawiens hätte das bedeutet, dass man bereits Anfang der 80er Jahre des
letzten Jahrhunderts merken müssen hätte, was sich 10 Jahre später im Land
abspielen würde. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine Rede von einem schnellen
Ende der Sowjetunion. Für die Jugoslawen geschah dies alles sozusagen über
Nacht. Dass am Ende die NATO ohne UNO-Mandat
militärisch angriff und damit das internationale Recht brach, zeigt, wie weit
sich der Westen von international geltenden Rechtsnormen entfernt hat und wie
sehr internationale Mechanismen zur Verhinderung eines Krieges ausser Kraft
gesetzt wurden.
«Der Kosovo-Krieg
als die Wasserscheide» Bereits im Herbst 1999, also ein halbes Jahr nach dem Kosovo-Krieg,
warnte der ehemalige US-Aussenminister und Sicherheitsberater Henry Kissinger,
sicher keine Taube, in einem Artikel in der ›Welt am
Sonntag‹ vom 15. September 1999, dass die
Selbstherrlichkeit der NATO im Krieg gegen Serbien zu einem Bruch des
Völkerrechts geführt hat: «Die NATO-Staatschefs haben recht, wenn sie den
Kosovo-Krieg als die Wasserscheide ansehen. Das Bündnis hat seine historische
Selbstdefinition einer strengen defensiven Koalition aufgegeben und darauf
bestanden, die Provinz eines Staates zu besetzen, mit dem es sich nicht im Kriegszustand
befand. Und es verstärkte diesen beispiellosen Vorgang, indem es die Forderung
anschloss, dass NATO-Truppen das Recht haben müssten, sich in ganz Jugoslawien
ungehindert zu bewegen. Ein Anliegen, das selbst von einer gemässigten
serbischen Führung zurückgewiesen worden wäre. Dieser abrupte Abschied vom
Konzept der nationalen Souveränität, verbunden mit einer streitsüchtigen
Diplomatie, markierte einen neuen aussenpolitischen Stil. Dieser ist von
innenpolitischen Kalkulationen und der Beschwörung universeller moralischer
Slogans gekennzeichnet.» Franz Betschon weist genau auf diesen Zustand der
Rechtsverluderung hin: «Seit vielen Jahren, seit dem Ende des ersten Kalten
Krieges jedoch auf beschleunigte Weise, wird das internationale Recht immer
stärker ausgehöhlt. Das Recht auf Präventivkriege, das Faustrecht also, hat
sich schleichend zur Maxime gemacht.» Bei
dieser offensichtlichen Missachtung des internationalen Rechtssystems ist es
dringend geboten, sich auf alle möglichen kriegerischen Szenarien einzustellen.
Genau das fordern die Autoren dieser Publikation.
Dass der heutige Kanzlerkandidat der deutschen SP einem befreundeten
Land, nämlich der Schweiz, mit der «Kavallerie» drohte, mag für die einen eine
verbale Entgleisung eines ungehobelten Machtpolitikers deutscher Provenienz
sein, in Tat und Wahrheit zeigt es aber die Auswüchse der Machtarroganz. Zuerst
sind es immer nur Worte..… Hatten wir das nicht schon einmal? Gerade der Fall
Deutschland zeigt, mit welcher Überheblichkeit hier ein grosser Staat sich
anmasst, unter Verletzung aller diplomatischen Gepflogenheiten dem kleineren zu
diktieren, was er zu tun hat. Um eine richtige Einschätzung der Realität zu
erhalten, darf man sich nichts vormachen. Wir können es nahezu jeden Tag in den
Tageszeitungen lesen. «Die Art, wie mit der Schweiz innerhalb des westlichen
Lagers umgesprungen wird, wie sie gedemütigt und erpresst wird, sucht in der
Geschichte ihresgleichen. Die Schweiz ist einer der wichtigsten Handelspartner
der EU, vor allem von Deutschland, und dennoch wird sie respektlos selbst von
deutschen Regionalpolitikern zurechtgewiesen. Es ist nicht anzunehmen, dass
sich dieselben Politiker getrauen würden, etwa die Niederlande, Belgien oder
auch Frankreich und Italien so zu behandeln.» Der Umgang mit Griechenland gibt
vielleicht einen Vorgeschmack davon, was ein Staat im Rahmen der EU und
ausserhalb zu gewärtigen hat. In solch einer angespannten Situation, in der
«gute Freunde» eine noch verbale Drohkulisse aufbauen, ist die Frage nach der
eigenen Verteidigungsfähigkeit die
logische Folge. Die Bedrohungsszenarien, wie sie die Autoren aufzeichnen, sind
vielfältig und führen nicht unbedingt dazu, ruhig zu schlafen.
Die Schweiz wird erpresst Wir stehen heute im Grunde genommen wieder vor einer ähnlichen
Situation wie unsere Vorväter während des Kriegs 1870/71: einer schlecht
ausgerüsteten Armee und einer
politischen Führung, die den Verfassungsauftrag nicht ernst nimmt.
Gerade die letzten drei Wochen haben gezeigt, wie die USA mit Erpressung und
Drohung versucht, die Schweiz willfährig zu machen. Alle Länder rund herum
beobachten genau, wieviel Widerstand die Schweiz zeigt, und rechnen sich
bereits aus, wann sie ihre eigene «Attacke» starten sollten. Auch wenn alle von
einer globalen Welt sprechen, so ist das Sand in die Augen derer, die meinen,
das sei alles unausweichlich. Den Grossmächten geht es aber vor allem darum,
die Eigeninteressen zu wahren und diese global durchzusetzen, wo nötig auch mit
Waffengewalt.
Erhalt einer gut ausgerüsteten
Milizarmee Die Schweizer Armee, so die Autoren, ist massiv geschwächt und abgebaut
worden. Das wird in diesem Buch ungeschminkt zutage gefördert. Aber es gibt sie
noch, und in der Schweiz hat die Bevölkerung die einmalige Gelegenheit, selbst
über so vitale Fragen wie Krieg und Frieden oder Widerstand und Kapitulation
abzustimmen. Das gibt Gelegenheit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren
und dem Land wieder eine Verteidigungsarmee zu geben, die diesen Namen auch
verdient. Am 22. September sind wir dazu aufgerufen, über den Erhalt unserer
Milizarmee abzustimmen, und im nächsten Frühjahr über den «Tiger»-Teilersatz,
den neuen Kampfflieger Gripen. Wie die Schweizer Armee der Zukunft aussehen
müsste, wird neben aller berechtigten Kritik des Ist-Zustands der Armee von den
Autoren des hier beschriebenen Buches genauestens und überzeugend dargelegt. Es
ist ihr Verdienst, dass diese anstehenden Fragen thematisiert und aufgearbeitet
werden. Wer sich an diesen Darlegungen orientiert, hat genügend Informationen
und Argumente, um im Abstimmungskampf tatkräftig mitzuwirken. Für Militärs, die
dieses Desaster sehen, bietet es eine fachliche Unterstützung im Kampf um den
Erhalt einer gut ausgebildeten und schlagkräftigen Armee. Es ist an der Zeit,
dass ein solches Buch erschienen ist, und es kommt genau zum richtigen
Zeitpunkt.
Gruppe Giardino: ›Mut zur Kursänderung.
Schweizerische Sicherheitspolitik am Wendepunkt‹, Eikos
Verlag 2013. ISBN 978-3-033-03917-9
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1511 Zeit-Fragen Nr.22 vom 1.7.2013
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