Offener Brief von Dr. Izzeddin Musa an die Bundesregierung und Parlamentarier

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Chairman of OSZE, sehr geehrte Mitglieder des Bundestages,

Dr. Izzeddin Musa
Am Bonner Graben 19
53343 Wachtberg

20. August 2005 
 
in der Anlage übersende ich Ihnen einen Zeitungsbericht über einen Vorgang, der nicht skandalöser sein können hätte. Die Vorgänge, die in diesem Artikel beschrieben werden, verlangen nach sofortigen Konsequenzen. Wenn mit einem solch sensiblen Thema wie dem Antisemitismus so verantwortungslos umgegangen wird, stellt sich die Frage, wie lange ein Mitglied des Deutschen Bundestages noch Vorsitzender dieses Bundestagsgremiums bleiben kann. Darüber hinaus repräsentiert er auch noch unser Land bei der OSZE. Diesem Spuk sollte umgehend ein Ende gemacht werden.
 
Ein Blick in das Internet lässt jeden erbleichen: Wie konnte der Abgeordnete Weisskirchen einen Linksextremisten und „Antideutschen“ wie Jörg Rensmann als „Experten“ einladen, der keinerlei Qualifikation hat? Dort kann man nachlesen, in welchen Kreisen sich dieser „Experte“ bewegt und welche hetzerischen und totalitären Reden er hält. Dieser „Experte“ gehört nicht in ein Bundestagsgremium, sondern unter Observation des Verfassungsschutzes.
 
Ich vermute, dass keiner von Ihnen das Protokoll dieser unsäglichen Sitzung gelesen hat. Es dokumentiert ein trauriges Kapitel deutscher Parlamentsgeschichte. Vielleicht aber auch nicht. Ein ähnlicher Ungeist scheint wohl guter deutscher Tradition zu entsprechen.
 
Dass dieses Verhalten kein Ausrutscher von Herrn Weisskirchen war, musste ich auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 28. und 29. März 2001 in Berlin persönlich erleben. Dort äußerte er sich sinngemäß, dass mein Volk unterentwickelt und mit „normalen“ Menschen nicht gleichzusetzen sei. Eine ähnliche Geisteshaltung findet sich nur noch in den Äußerungen führender israelischer Politiker und Rabbiner, welche die Palästinenser immer wieder als „Kakalaken“,„Ungeziefer“ und „Schlangen“ u.Ä. bezeichnet haben. Bei dem daraufhin losbrechenden Proteststurm der anwesenden Palästinenser und einiger mutiger Deutscher machte Weisskirchen sofort einen Rückzieher. Abweichende Meinungen konnten leider nur am Abend des ersten Tages unter der Moderation von Gernot Erler zu Wort kommen.
 
Als Deutscher palästinensischer Abstammung und Mitglied der sozialdemokratischen Partei verlange ich die sofortige Abberufung von Herrn Weisskirchen, da er weder mein Land noch die im Bundestag vertreten Parteien repräsentieren sollte.
 
Mit freundlichen Grüßen Dr. Izzeddin Musa
 
 
 
Anlage:
 
http://www.freitag.de/2005/31/05310601.php
Freitag 31. 8.2005
Sophia Deeg  - Israels falsche Freunde   
NACHBETRACHTUNG ZU EINER DEBATTE ÜBER ANTISEMITISMUS IN BERLIN Verleumdungen, Verfälschungen und totalitäres Denken
 
Als Experte in Sachen Antisemitismus machte jüngst ein unbekannter Diplom-Politologe bei einer öffentlichen Anhörung Furore, zu dem alle Fraktionen des Bundestages geladen hatten. Es handelte sich um eine Debatte über den Umgang mit den Beschlüssen, die auf der Berliner Antisemitismus-Konferenz im April 2004 gefasst worden waren. Bundestagsabgeordnete, hochrangige Beamte aus dem Innen- und Außenministerium sowie namhafte Wissenschaftler wie Alfred Grosser und Brian Klug saßen auf dem Podium, Vertreter diverser NGOs im Publikum.
 
Nun wäre es durchaus zu begrüßen, würde ein noch nicht durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetretener junger Akademiker als Experte ernst genommen, der seriös zum fraglichen Thema gearbeitet hat. Davon freilich war in besagter Runde nichts zu hören; dennoch wurde der Betreffende vom SPD-Abgeordneten Gert Weisskirchen als "glänzend ausgewiesen" begrüßt, "seine wissenschaftliche Arbeit" habe das dokumentiert. Weisskirchen verwechselte den hochgelobten Jörg Rensmann offenbar mit Lars P. Rensmann, der eigentlich als Ersatz für den verhinderten Micha Brumlik hätte eingeladen werden sollen, ein Versehen, das von Jörg Rensmann dem Gremium gegenüber nicht aufgeklärt wurde.
 
Von der fachlichen Qualifikation her scheinen die beiden Herren Rensmann durchaus ähnlich. Beide tummeln sich in dem für Unsachlichkeit und Hetze berüchtigten "antideutschen" Milieu um NGOs beziehungsweise Publikationen wie Honestly Concerned und Die Jüdische. Lars Rensmann, "der glänzend Ausgewiesene", wurde kürzlich zur Unterlassung von Behauptungen über den Publizisten Ludwig Watzal verurteilt, den er in plumper Weise falsch zitiert hatte, um ihm Antisemitismus unterstellen zu können. Warum eigentlich muss man, nicht nur im Fall von Watzal, Antisemitismus herbeilügen? Warum treibt der Antisemitismus auf deutschen Straßen und an deutschen Stammtischen jene eilfertigen Verleumder nicht annähernd so an wie die Diffamierung von Menschen, die einfach Israels Politik anders beurteilen als sie selbst? Der real existierende Antisemitismus scheint ihnen gleichgültig genug, um den schwerwiegenden Vorwurf durch inflationären Gebrauch zu einem leeren Allgemeinplatz zu machen, der alles und nichts beinhaltet.
 
Der wirkliche Skandal jedoch ist das Verhalten von Parlamentariern wie Weisskirchen, die das Thema Antisemitismus mit sträflicher Leichtfertigkeit behandeln und "Experten", die sich vorgeblich dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben haben, ein Forum bieten. Da darf der "Experte" Rensmann herumschwadronieren: "Wir haben es zum Beispiel in Frankreich mit dem Phänomen zu tun, dass sowohl islamischer als auch arabischer Antisemitismus in gewisser Weise nach Europa zurücktransportiert ... und hier vor allem von linken Basisbewegungen aufgegriffen wird." Äußerungen, die allein schon der verwendeten Begrifflichkeiten und postulierten Zusammenhänge wegen keiner Überprüfung standhalten. Ein Phänomen wie der Antisemitismus, das genuin europäischer Provenienz und Prägung ist, soll "islamisch" oder "arabisch" sein und nach Europa "zurücktransportiert" werden? Falls es  - selten belegt -  in Frankreich oder Deutschland Überfälle auf jüdische Bürger oder Übergriffe auf jüdische Einrichtungen durch arabischstämmige Europäer oder aufgrund religiöser (muslimischer) Motive gegeben hat, wäre dies  - wissenschaftliche Redlichkeit vorausgesetzt -  nicht unbesehen mit dem Begriff des Antisemitismus zu belegen. Und dass "linke Basisbewegungen" den von Rensmann behaupteten "arabischen" oder "islamischen Antisemitismus" aufgreifen würden, wird auch durch wiederholte Behauptung nicht wahrer.
 
Wenigstens die Ausführungen zweier geladener Experten, die beide nicht in Deutschland leben, atmeten einen anderen Geist, die von Alfred Grosser aus Frankreich und Brian Klug aus den USA. Während deren Vorredner immer wieder für klare Definitionen als Grundlage einer Bekämpfung des Antisemitismus plädiert, doch mit unbewiesenen Thesen hantiert hatten, war es Klug, der einen konstruktiven Beitrag zur Klärung leistete. Er klopfte den diffusen Begriff vom "Existenzrecht Israels" auf seine möglichen Bedeutungen hin ab und ging der Frage nach, ob es antisemitisch sei, das Recht Israels auf Existenz zu verneinen. Jörg Rensmann antworte, Klug verkenne den Vernichtungswillen der Hamas, ein aufschlussreiches Eingeständnis des Unvermögens, eine Begriffsklärung von der Aussage über real existierende politische Akteure zu unterscheiden.
 
Alfred Grosser seinerseits wurde in erschreckender Weise von fast allen, die sich nach ihm zu Wort meldeten, ins Abseits gestellt und vom Vorsitzenden nicht in Schutz genommen. Vielmehr distanzierte sich dieser sofort, nachdem Grosser sein Statement beendet hatte. Ralf Schröder (ebenso wie Jörg Rensmann von Die Jüdische, Berlin) zeigte sich "befremdet", dass Grossers Positionen "ernsthaft und relevant in diesem Hause diskutiert" würden.
Abraham Haim Dzialowski (Initiative 9.November) fand gar, Grosser gehöre "normalerweise nicht in diese Runde", ein pauschales Verdikt, ohne auf ein Argument des Franzosen einzugehen. Was hatte der Ungeheuerliches gesagt, dass ein ganzes Forum nicht einmal darüber reden wollte?
 
Grosser hatte aus seiner Sicht die Frage beantwortet, was es heiße, Israel zu kritisieren, da die Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus doch wohl Thema der Veranstaltung sei. Es gehe nicht nur um die Politik Israels, es gehe um Verbrechen. Er sprach damit aus, was auch viele Israelis, selbst führende Vertreter des Establishments, inzwischen aussprechen wollen, weil ihnen ihr Land am Herzen liegt. Grosser begründete seinen kritischen Blick mit seiner jüdischen Identität, wie er sein kritisches Engagement während des Algerienkrieges mit seiner französischen Identität und sein kritisches Engagement gegenüber Nachkriegsdeutschland mit seiner deutschen Herkunft und seinen republikanischen Überzeugungen begründet hatte. Dies habe ihm geboten, sich einzumischen, wenn die Bundesrepublik von demokratischen Prinzipien abzuweichen drohte, wie zu Zeiten der Berufsverbote. Schließlich hatte Grosser gefragt, was Juden gegen Antisemitismus tun könnten, und gefolgert: "Es fördert den Antisemitismus, wenn man nicht zugleich (mit dem Kampf gegen Antisemitismus) andere Rassismen bekämpft."
 
Damit steht er unter französischen Juden durchaus nicht allein. Die ‚Union Juive Française pour la Paix’ etwa arbeitet eng mit der ‚Association des Travailleurs Maghrébin de France’ zusammen und ist wie diese selbstverständlich Teil antirassistischer Bündnisse. Grossers Argumentation, die man humanistisch und republikanisch nennen könnte, war für deutsche Parlamentarier und Experten in Sachen "Antisemitismus" unerträglich. Eine wahrlich gespenstische Situation.
Immerhin durchbrachen zwei Abgeordnete das menschlich vollkommen inakzeptable Verhalten der Runde; Sibylle Pfeiffer und Beatrix Philipp, beide CDU, gestanden Grosser das Recht zu, eine abweichende Meinung zu äußern, und bedauerten, dass niemand argumentativ mit ihm streiten wolle.
 
Wie kommt es in einem solchen, für die politische Kultur der Bundesrepublik einigermaßen verbindlichen Gremium zu einer derart monolithischen, geradezu totalitär verfestigten Ideologie zum Thema Antisemitismus und Israel? Wie kommt es, dass Dr. Juliane Wetzel, Mitarbeiterin eines anerkannten Instituts wie des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, sich in teils nebulösen, teils schlicht falschen Behauptungen verliert und das ausgerechnet bei einem Thema, das größte Sorgfalt verlangt? Wetzel behauptete, "Teile der globalisierungskritischen Bewegung und der pro-palästinensischen Linken in ganz Europa" bedienten sich heute "neu geschaffener antisemitischer Stereotypen". Antisemitische Konnotationen hätten sich insofern grundlegend geändert, als an Stelle der Juden der Zionismus und besonders Israel getreten seien. Der Begriff "Jude" werde durch "Zionist" ersetzt.
 
Aber es gehört eindeutig zur Terminologie von Rechtsextremisten, abwechselnd von "Israel" und "den Juden" zu reden. Weder haben sich globalisierungskritische Gruppen noch die                  pro-palästinensische Linke in Europa, welche die Expertin Wetzel offenbar nur vom Hörensagen kennt, derart artikuliert. In beiden Strömungen arbeiten besonders zahlreich Juden und Araber zusammen. Das könnte Frau Wetzel erleben, würde sie gelegentlich ein Europäisches oder ein Weltsozialforum besuchen und diese Bewegungen dort beobachten.
 
Was mich an jener Gesprächsrunde so erschreckt hat, ist ein Ungeist, der in Deutschland nicht nur salonfähig ist, sondern den öffentlichen Diskurs dominiert. Eine derart fanatische Parteinahme für "Israel", für ein abstraktes, monolithisches Israel jenseits aller Facetten der dortigen Gesellschaft, jenseits lebendiger, kritischer und selbstkritischer Debatten, fernab der Lebensrealität von Israelis und Palästinensern, spiegelt eine Geisteshaltung, wie sie in Deutschland traurige Tradition hat. Gegenüber diesen falschen Freunden möchte man die israelische Gesellschaft verteidigen. Sie ist nicht totalitär und menschenverachtend, wie sie von diesen "Freunden" beschrieben wird!
 
Alles sträubt sich angesichts rassistischer Verallgemeinerungen, als seien nicht nur "die Israelis", sondern auch "die Juden" als solche alle gleich in ihren Interessen, ihren Ambitionen, ihren politischen Einstellungen, als seien sie alle unmittelbar mit dem israelischen Staat, dessen Politik oder dem zionistischen Projekt zu identifizieren. Wie kann man so verächtlich sein, die vielen Juden in Israel und weltweit zu ignorieren oder als "self-hating Jews" abzustempeln, die "not in my name!" rufen.
 
Von Izzedin Musa finden Sie auch einen an Aussenminister Fischer gerichteten Brief auf politonline. Was den Antisemitismus, ein offenbar nie zum Erlöschen kommendes Thema betrifft, so ist von Norman G. Finkelstein, dem Autor der ‚Holocaust-Industrie’ soeben ein weiteres Werk mit folgendem Titel erschienen: Beyond Chutzpah - On the Misuse of Anti-Semitism and the Abuse of History. University of California Press 2005; ISBN-Nr.
0-520-24598-9